Die Beiträge im Einzelnen
Strategien
In ihrem einführenden Überblicksbeitrag skizzieren Dierk Borstel und Claudia Luzar, inwiefern es der extremen Rechten gegenwärtig gelingt, gesellschaftliche Wirkungsmacht zu entfalten und "Geländegewinne" zu erzielen. Sie beobachten, dass sich der großstädtische Rechtsextremismus weiter modernisiert und sich in ländlichen Regionen, speziell auf kommunaler Ebene, verfestigt. Insgesamt sei es bislang jedoch nur ansatzweise gelungen, das für rechtsextreme Botschaften empfängliche Personenreservoir zu mobilisieren. Kritischer bewerten Borstel und Luzar, das Versagen staatlicher Stellen im Kampf gegen den Rechtsterrorismus, bei der Demokratieentwicklung und im Umgang mit den Opfern rechtsextremer Gewalt. Insgesamt bleibe der Rechtsextremismus eine "ernst zu nehmende Gefährdung der demokratischen Kultur wie auch des demokratischen Staates", auch wenn seine Erfolge keineswegs unverrückbar seien.
An diese Diagnose knüpft Armin Pfahl-Traughber mit seinen Betrachtungen zur "alten" und "neuen" NPD an, die er als eine nach innen und außen stagnierende rechtsextreme Organisation charakterisiert. Trotz des Verschwindens der Deutschen Volksunion (DVU) und einer taktisch-begründeten rhetorischen Mäßigung gelingt es der Partei nicht, an ihre zwischenzeitlichen Wahlerfolge anzuknüpfen, ihre Mitgliederbasis zu stabilisieren oder breitere gesellschaftliche Akzeptanz zu sichern. Gleichwohl bleibt sie die wichtigste Einzelorganisation im Rechtsextremismus, der es lediglich misslingt, das in der Bevölkerung vorhandene einschlägige Einstellungspotential auf ihre politischen Mühlen zu leiten.
Auch Christoph Schulze widmet sich in seinem Beitrag der NPD und ihrem strategischen "Säulenkonzept", mit dem 1998 der Wiederaufstieg als modernisierte rechtsextreme Bewegungspartei begann. Eng verknüpft mit der Person des ehemaligen Parteichefs Udo Voigt gab die NPD fortan den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Parlamente" und den "Kampf um die Köpfe" als strategische Marschroute aus – später ergänzt um den so genannten "Kampf um den organisierten Willen". Trotz der massiven Schwierigkeiten, denen sich die Parteiorganisation aktuell gegenübersieht, genießt das Säulenkonzept – wie Schulze betont – nach wie vor Aktualität: "Das Säulenkonzept ist so weitfassend formuliert, damit die Partei sich zur Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen jeweils adäquat präsentieren kann.". Um sich nicht nur auf den härtesten Kern ihres Wählerpotentials zu beschränken, wende sich die NPD "gezielt und Widersprüche in Kauf nehmend" an unterschiedliche Publika, die bisweilen unvereinbare inhaltliche Ansprüche und Ziele formulierten. In seiner Auslegung sei das Säulenkonzept dabei dehnbar genug, um hieraus Zentrifugalkräfte abzufedern und ihre positive Grundhaltung zu Gewalt und zum Nationalsozialismus taktisch zu verschleiern.
Als weitere – weitaus jüngere – politische Kraft, die Berührungspunkte zum extrem rechten Spektrum aufweist, machte die Alternative für Deutschland von sich Reden. Nach dem Einzug in das Europäische Parlament im Mai 2014 gelang es der Partei in der zweiten Jahreshälfte 2014 auch in den Landtagen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg Sitze zu erobern. Alexander Häusler und Rainer Roeser stellen den sich abzeichnenden Aufstieg der AfD in Zusammenhang mit der Existenz eines politischen Vakuums rechts der CDU. In ihrer Außendarstellung verbindet die AfD EUund Euro-kritische Positionen mit nationalistischen und wohlstandschauvinistischen Anklängen und verquickt sozio-ökonomische Problemlagen gezielt mit dem Thema Zuwanderung, das primär als Quelle interkultureller Konflikte interpretiert wird. Auch wenn die Autoren es für zu früh halten, eine abschließende Bewertung der politischen Entwicklung vorzunehmen, arbeiten sie deutlich heraus, dass rechtspopulistische Argumentationsmuster eine zentrale Rolle im strategischen Werkzeugkasten der AfD spielen. Inwieweit sich diese Orientierung künftig weiter verdichtet, hängt davon ab, wie sich der parteiinterne Richtungsstreit über die weitere programmatische und bündnispolitische Ausgestaltung der AfD entscheidet.
Die Erfolge der AfD reihen sich in einen länderübergreifenden Trend ein, der zwischenzeitlich eine ganze Reihe radikal rechter Parteien ins europäische Parlament gebracht hat. So konnten beispielsweise Parteien wie die Dänische Volkspartei (DF), die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) oder der französische Front National (FN) bei den Europawahlen in ihren jeweiligen Heimatländern mehr als ein Fünftel der Stimmen auf sich vereinigen. Jan Philipp Albrecht MdEP und Tobias Peter setzen sich mit den Folgen dieser Entwicklung für die Arbeit im Europäischen Parlament auseinander. Zwar sei der direkte Einfluss rechtsradikaler Abgeordneter auf die legislative Tätigkeit eher gering, dennoch sei nicht auszuschließen, dass sie durchaus Einfluss auf das im Parlament diskutierte Themenspektrum nehmen und letztlich dazu beitragen, den Tenor der Debatten nach rechts zu verschieben.
Gleichzeitig müht sich die extremistische Rechte bereits seit einigen Jahren, an laufende globalisierungskritische Debatten und die damit verbundenen Ängste innerhalb der Bevölkerung anzuknüpfen. Wie Thomas Grumke darlegt, verfolgen ihre Vertreter dabei das Ziel, sich als Anwälte des vermeintlich in seiner ökonomischen und kulturellen Identität bedrohten "deutschen Volkes" zu profilieren, indem sie die soziale Frage mit rassistischen Ressentiments und anderen ideologischen Versatzstücken aufladen. Dahinter steht der Versuch, die Ablehnung zu unterlaufen, auf die eindeutig als rechtsextrem zu verortende Äußerungen und Debatten in der Mehrheit der Gesellschaft stoßen. Was sich auf den ersten Blick als progressiv-demokratische Globalisierungskritik präsentiert, stellt in Wahrheit völkisch-nationalistisches AntiGlobalisierungsdenken dar.
Ein Gesamtbild der mit dem Thema verbundenen politischen Fragestellungen zeichnet Sönke Rix MdB, früherer Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe "Strategien gegen Rechtsextremismus" der SPD-Bundestagsfraktion. Er schildert, welche politischen Lehren es aus der NSU-Affäre und dem aktuellen gesellschaftlichen Auftrieb für rechtspopulistische Kräfte zu ziehen gilt und plädiert für einen mehrdimensionalen Ansatz, der staatlicherseits sowohl präventive als auch repressive Elemente beinhaltet. Überdies fordert er, vor allem die zivilgesellschaftlichen Kräfte langfristig und nachhaltig zu unterstützen, die sich gegen die extreme Rechte engagieren.
Bei ihren Versuchen, Demokratie und Zivilgesellschaft abzuschaffen, greift die extreme Rechte – wie Rudolf Kleinschmidt darlegt – auch auf die Möglichkeiten des Rechtsstaates zurück. Dabei reicht das Spektrum der ergriffenen Maßnahmen von Kameradenhilfe für inhaftierte Gesinnungsgenossen über Rechtsratgeber, die (potentielle) rechtsextreme Straftäter im Umgang mit Polizei und Justiz schulen sollen, bis hin zu gezielten Versuchen, über rechtslastige Anwälte oder Schöffen Einfluss auf Justiz und Rechtsprechung zu nehmen. Dabei geht der Autor auch auf aktuelle rechtliche Auseinandersetzungen mit der extrem rechten Szene und deren Versuche ein, sich als vermeintliches Justiz-Opfer zu inszenieren.
Patrick Gensing widmet sich anhand mehrerer prominenter Fälle dem Phänomen des Ausstiegs aus der rechtsextremen Szene und thematisiert die unterschiedlichen Motive der Ausstiegswilligen sowie die diversen Hürden auf dem Weg aus dem Rechtsextremismus. Grundsätzlich sei es notwendig, auch Rechtsextremisten einen Weg zurück in die Gesellschaft offen zu halten. Das dürfte aber nicht dazu führen, Aussteiger vorschnell als Helden zu verklären. Zu oft blieben Zweifel, ob der Schritt aus der Szene endgültig und glaubwürdig ist. Um sich dessen zu versichern, sei eine längerfristige und fachkundige Begleitung der Aussteiger geboten. Gensing meldet jedoch Zweifel an, ob die Verfassungsschutzbehörden die richtigen Ansprechpartner sind, um diese Aufgabe zu übernehmen.
Zum Standardrepertoire rechtsextremer Agitation gehört es, die zur Zeit der NS-Diktatur begangenen deutschen Verbrechen und insbesondere die Ermordung der europäischen Juden umzudeuten, zu relativieren oder gänzlich zu leugnen. In der historischen Rückschau legt Wolfgang Benz detailliert dar, wie die extreme Rechte
"Revisionismus" bis heute als pseudowissenschaftlich argumentierende "Hilfsideologie" nutzt, um ihrer Ideologie den Anschein von Legitimität zu verleihen. Seine Darstellung präsentiert zentrale Stimmen und Stationen, die als prägend für den strategischen Einsatz geschichtsrevisionistischer Argumentationsmuster im Allgemeinen und der Holocaustleugnung im Speziellen gelten dürfen. Benz streift dabei auch die Frage, welche strafrechtlichen und pädagogischen Maßnahmen notwendig sind, um trotz des wachsenden zeitlichen Abstands zu den Geschehnissen zu verhindern, dass diese manipulative Umdeutung der Geschichte Früchte trägt.
Mit dem Vergleich von Antisemitismus und Fremdenfeindschaft als weiteren Bausteinen extrem rechter Ideologie befassen sich Rainer Erb und Michael Kohlstruck. Sie machen deutlich, dass beide Einstellungsmuster für die rechtsextreme Bewegung zwar ähnliche identitätsstiftende Funktionen nach innen und außen erfüllen, sich aber in Inhalt und Ausprägung dennoch unterscheiden: Während der Antisemitismus in der Unterstellung wurzelt, Juden hätten (seit jeher) zu viel politische und wirtschaftliche Macht und Einfluss, richtet sich die Fremdenfeindlichkeit auf die gesellschaftliche Ausgrenzung von Menschen, denen eine schädliche Rolle bei akuten gesellschaftlichen Schieflagen zugeschrieben wird. Dass die extreme Rechte dabei gegenwärtig vor allem auf die Artikulation fremdenfeindlicher Propaganda setzt, wird darauf zurückgeführt, dass diese im Gegensatz zu antisemitischen Parolen auf weniger Ablehnung innerhalb der Bevölkerung stößt und auch strafrechtlich seltener Sanktionen drohen.
Weit über den Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus oder Xenophobie hinaus spielt das Internet für die Vermittlung rechtsextremer Ideologieelemente eine tragende Rolle und dient den unterschiedlichsten Akteuren der Szene als Schaufenster und Diskussionsforum. Thomas Pfeiffer schildert die Koevolution von Internet und einer modernen rechtsextremen Erlebniswelt, die sich frühzeitig des noch jungen Mediums annahm, um sich besser zu vernetzen, für Aktionen zu mobilisieren und abseits journalistisch gefilterter Kommunikationskanäle Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Dabei nimmt er auch die Rolle des Netzes als Vertriebsplattform für Musik, Mode und sonstige Szeneartikel in den Blick und geht auf die besondere Bedeutung des "Web 2.0" für die gewachsene Breitenwirkung des gegenwärtigen Rechtsextremismus ein.
Trotz der prominenten Rolle, die Beate Zschäpe im Zusammenhang mit dem NSU spielte, befassen sich Wissenschaft und Publizistik nach wie vor zu wenig mit dem Wirken und Handeln von Frauen und Mädchen in rechtsextremen Kontexten. Ellen Esen greift dieses Thema auf und präsentiert empirische Befunde, wie Frauen als Wählerinnen, Parteigängerinnen und Szeneangehörige Einfluss auf das gegenwärtige Bild der extremen Rechten nehmen. Sie stellt Frauenorganisationen innerhalb des Rechtsextremismus vor und schildert anhand mehrerer Fallbeispiele Werdegang und Wirken namhafter Aktivistinnen aus unterschiedlichen Teilen der Szene.
Ob Thorshammer, Runenschrift oder Götterdämmerungssymbolik – speziell wenn es um Mode, Mediengestaltung und Musik geht, greift die rechte Szene immer wieder auf ausgewählte Versatzstücke germanischer Mythologie zurück. Rassistischsozialdarwinistisch auf die Glorifizierung von Kampf und gewaltsamer Durchsetzung des Rechtes des Stärkeren uminterpretiert, besitzt die nordgermanische Götter und Sagenwelt für die extreme Rechte identitätsstiftenden Charakter, wie Georg Schuppener anhand zahlreicher Beispiele darlegt. Er plädiert für verstärkte Aufklärung und Wissensvermittlung, um der extremen Rechten das sich abzeichnende Deutungsmonopol über das Kulturgut der germanischen Mythologie und damit die Möglichkeit zu deren Instrumentalisierung zu entziehen.
Jan Schedler nimmt einen weiteres, aktuelles Lifestyle-Phänomen in den Blick, das anschaulich die Modernisierung rechtsextremer Kultursymbolik dokumentiert: Die "autonomen Nationalisten". Während in den 1990er Jahren das Bild rechter Skinheads die einschlägigen Demonstrationen prägte, haben Neonazis seit etwa 2003 zunehmend Kleidungsstile, Zeichen und Bildersprache der radikalen Linken und der alternativen Jugendkultur übernommen. Der dahinter stehende Veränderungsprozess erschöpft sich dabei keineswegs in reiner Symbolik, sondern spiegelt (tendenziell konfliktträchtige) Veränderungen im Verhältnis zwischen den Kulturvorstellungen, die von der neonazistischen Bewegung propagiert werden, und dem individuellen Lebensstil ihrer Aktivisten wider.
Moderne Inszenierungsstrategien der extremen Rechten beleuchtet auch der Beitrag von Roland Sieber, in dessen Mittelpunkt unkonventionelle Selbstdarstellungsansätze stehen, die im rechten Spektrum etwa die "Unsterblichen" oder die "Identitäre Bewegung" erprobt haben. Mit maskierten Fackelmärschen oder rassistisch motivierten Flashmobs soll mittels der Multiplikatorenpotenziale des Web 2.0 die Hürde der gesellschaftlichen Ausgrenzung unterlaufen werden. Zwar gelang es den – innerhalb des rechten Spektrums unterschiedlich positionierten – Protagonisten in beiden Fällen, mit ihren Aktionen erhöhte Medienresonanz zu erzielen. Sieber warnt jedoch angesichts der geringen Zahl der dahinter stehenden Aktivisten davor, der intendierten Suggestion einer breitenwirksamen Strömung zu erliegen und letztlich einem medialen Hype aufzusitzen.
Martin Langebach und Jan Raabe befassen sich mit der Modernisierung der rechten Musikszene, deren vielfältigen Angebote häufig als niedrigschwellige "Einstiegsdroge" in die rechtsextreme Jugendkultur charakterisiert werden. Die beiden Autoren werfen einen Blick zurück in die Geschichte des "Rechtsrock", der sich als Oberbegriff für die – mittlerweile hochgradig differenzierte – rechtsextreme Szenemusik etabliert hat. Anhand von fünf kurzen Bandporträts dokumentieren sie die aktuelle Entwicklung des rechtsextremen Musikmilieus und schildern, wie sich die Szene mit der Erschließung neuer Musikstile weiterentwickelt hat. Dabei gehen sie auch darauf ein, wie sich die organisierte Rechte, allen voran die NPD, seit den 1990er Jahren bemüht(e), Einfluss auf die Musikszene und ihre Protagonisten zu nehmen und legen dar, welchen Schwierigkeiten und Hindernissen sich die rechtsextreme Partei dabei gegenübersieht.
Mit dem Kopp-Verlag nimmt sich Anna Hunger eines der umstrittensten und schillerndsten Verlagshäuser Deutschlands an und dokumentiert die vielfältigen Querverbindungen zwischen dem Unternehmen und einschlägigen Verschwörungstheoretikern, rechtspopulistischen Provokateuren, Geschichtsrevisionisten und Rechtsaußenesoterikern, die ihre publizistische Heimat im Umfeld des Kopp-Netzwerks gefunden haben. Zwar sei der Verlag ausdrücklich nicht rechtsextrem, schlage aber dennoch auf institutioneller Ebene Brücken zwischen konservativ und rechts außen.
Helmut Kellershohn wirft einen Blick auf den Zustand des "neurechten" Organisationsdreiecks, das die umstrittene Wochenzeitung Junge Freiheit, den Verlag Antaios und das Institut für Staatspolitik umspannt, welches als "konservative" Denkfabrik und Kaderschmiede wirken will. Gemeinsam ist ihnen das Selbstverständnis als Teil eines jungkonservativen Hegemonieprojektes, das im Diskurs rechter Eliten der Weimarer Republik wurzelt. Das dahinter stehende Weltbild kreist vor allem um Idealbilder einer ethnisch homogenen Nation, verbunden mit marktliberalem Wohlstandschauvinismus bzw. Standortnationalismus sowie einem christlich-konservativen Gesellschaftsbild, welches sich vor allem in der Familienpolitik niederschlägt. In Verbindung mit einem gegen die pluralistische Parteiendemokratie gewendeten Staatsverständnis lassen sich in diesem Denken zahlreiche Parallelen zur Programmatik der Alternative für Deutschland (AfD) finden, deren Etablierung dem jungkonservativen Projekt neue Perspektiven bieten könnte. Doch an der Frage, welche Chancen und Risiken mit der zukünftigen Entwicklung der AfD (und der PegidaBewegung) verbunden sind, scheiden sich die führenden jungkonservativen Geister, sodass ungewiss bleibt, welchen Weg dieser Teil des rechten Spektrums in Zukunft einschlagen wird.
Klarer scheinen die Perspektiven im Hinblick auf die Einflüsse der extremen Rechten im Bereich des Sports. Insbesondere der Fußball rückte in den vergangenen Jahren immer wieder ins Blickfeld, wenn es um rechtsextreme Vorfälle im Stadionumfeld oder um die versuchte Unterwanderung von Vereinsstrukturen durch Rechtsextremisten ging. Ausgehend von der Fußballweltmeisterschaft 2006 zeichnen Alexander Geisler und Martin Gerster MdB die Versuche der extremen Rechte nach, den Fußball als Propagandabühne und Rekrutierungsplattform zu instrumentalisieren. Dabei gehen sie auch auf die gesellschaftlichen Hintergründe dieser Entwicklung ein und thematisieren die Gegenmaßnahmen, mit denen Politik und organisierter Sport zwischenzeitlich auf die Herausforderung von Rechtsaußen reagiert haben.
Gegenstrategien
Den Auftakt der Beiträge, bei denen die Frage im Mittelpunkt steht, wie der extremen Rechten aus Sicht demokratischer Parteien am besten zu begegnen ist, liefert Miro Jennerjahn. Er war von 2009 bis 2014 für Bündnis 90/Die Grünen als Abgeordneter im Sächsischen Landtag und dort im NSU-Untersuchungsausschuss tätig. Jennerjahn schildert die politischen Erfolge rechter und rechtsextremer Parteien in Sachsen, die wesentlich durch "ein Klima des Leugnens und des Wegschauens sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene" ermöglicht worden seien, welches die politischen Kräfte am rechten Rand habe erstarken lassen. So habe es diese Mentalität auf Seiten von Politik und Verwaltung u. a. ermöglicht, dass der NSU Sachsen rund 14 Jahre lang als Ruheund Rückzugsraum habe nutzen können. Doch selbst die Entdeckung des NSU habe nicht zu einem grundlegend neuen politischen Klima der Wertschätzung gegenüber denjenigen geführt, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren und sich häufig nicht nur dem Druck der Szene, sondern auch politischem Misstrauen und behördlichen Widerständen ausgesetzt sehen.
Auch die im Vergleich überproportionale Mobilisierungsfähigkeit der – zuletzt massiv schlagzeilenträchtigen – PEGIDA-Bewegung speist sich aus Jennerjahns Sicht aus der sachsenspezifischen politisch-kulturellen Gemengelage. Deshalb widmet er sich in einem anschließenden Text den Hintergründen der zunächst in Dresden in Erscheinung getretenen "Patriotischen Europäer", deren Ableger zwischenzeitlich in vielen Gemeinden Deutschlands mit Demonstrationen gegen eine angeblich drohende "Islamisierung des Abendlandes" Präsenz gezeigt und für ein voluminöses Medienecho im Inund Ausland gesorgt haben. Für Jennerjahn dokumentiert die PEGIDA-Bewegung in komprimierter Form die Erfolgsbedingungen, die im Kern antidemokratische Bewegungen in Sachsen vorfinden. Vor allem die "indifferente Haltung relevanter Akteure aus Politik, Wissenschaft und politischer Bildung gegenüber rassistischen Positionen" habe daran einen entscheidenden Anteil.
Am Beispiel der NPD und der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) TreptowKöpenick illustrieren Matthias Schmidt MdB und Ursula Walker die Herausforderungen, denen sich kommunale Mandatsträger im Umgang mit Rechtsextremisten in ihren Parlamenten gegenübersehen. So analysiert der Beitrag das taktische Vorgehen der NPD und bietet eine ganze Reihe von Ratschlägen, wie Abgeordnete demokratischer Parteien entsprechenden Manövern von Rechtsaußen begegnen sollten. Die konsequente Anwendung dieser Handlungsmaximen in der BVV mag einen Beitrag dazu geleistet haben, dass die NPD – nach Stimmenverlusten an den Urnen – nicht mehr in Fraktionsstärke vertreten ist und somit spürbar an Einflussund Profilierungsmöglichkeiten verloren hat.
Den Arbeitsergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag widmen sich die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Eva Högl MdB und Daniel Weßnigk. Ihr Beitrag thematisiert die schweren Fehler bei der Aufklärung der rechtsterroristischen Verbrechensserie, die sich in der Gesamtschau als systematisches Versagen von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz, aber auch Politik, Medien und der Gesellschaft insgesamt darstellen. Als zwei wesentliche Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses werden die konsequente Verharmlosung der rechtsextremen Gefahr und die rassistischen Vorurteile in den Behörden herausgestellt und Konsequenzen gefordert: Für die Behörden selbst, die ihre Strukturen überdenken und umlernen müssen – aber auch für die zivilgesellschaftlichen Kräfte, die im Kampf gegen Rechtsextremismus besserer Unterstützung bedürfen.
Anhand eines Ansatzes aus Baden-Württemberg präsentiert Frank Buchheit, wie auch staatliche Stellen darauf hinarbeiten können, Rechtsextreme aus ihrer Szene herauszulösen. Sein Beitrag erläutert die Arbeit der beim Landeskriminalamt angesiedelten "Beratungsund Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus" (BIG Rex), die im Rahmen des ressortübergreifenden Programms "Ausstiegshilfen Rechts" versucht, durch gezielte Ansprache und pädagogische Begleitung einen erfolgreichen Ausstieg aus dem rechtsextremen Milieu zu ermöglichen. Die Intervention basiert dabei auf polizeilichen Möglichkeiten, die primär aus dem Bereich der dialogischen Gefahrenprävention und Gefahrenabwehr bekannt sind, lehnt sich aber im weiteren Verlauf der Betreuung an Arbeitsformen der Jugendhilfe an. Die Zwischenbilanz: Im Zeitraum von 2001 bis 2012 wurden durch das Ausstiegshilfen-Programm mehr als 2 200 Personen angesprochen, 471 davon ließen die rechtsextreme Szene hinter sich.
Das Internet bietet der extremen Rechten ein besonders kostengünstiges und leicht zugängliches Forum für die Verbreitung ihrer Ideologie. Das weltweite Angebot rechtsextremer Netz-Inhalte entwickelt sich hochdynamisch. Umso dringlicher stellt sich die Frage nach möglichen Gegenstrategien. Holger Herzog und Thomas Günter von jugenschutz.net geben einen Überblick über die wesentlichen rechtlichen Regelungen, die es zum Rechtsextremismus im Internet zu beachten gilt, und stellen dar, wer für Inhalte verantwortlich gemacht werden kann. Neben den strafrechtlichen Aspekten erläutern sie auch, wie medienrechtliche Aufsichtsverfahren gegen die Verbreitung rechtsextremer Inhalte nutzbar sind, und machen deutlich, dass selbst gegen aus dem Ausland verbreitete Angebote vorgegangen werden kann: "Auch in einem globalen Medium wie dem Internet ist es möglich, rechtsextreme Bestrebungen mit rechtlichen Mitteln zu bekämpfen."
Bei öffentlichen Veranstaltungen, aber auch in Online-Kommentarspalten, Foren und den Sozialen Netzwerken verfolgt die extreme Rechte bereits seit Längerem so genannte "Wortergreifungsstrategien". Deren Ziel ist es, laufende Debatten durch die schiere Zahl und Länge von Wortmeldungen zu dominieren, zu verschärfen und zu radikalisieren. Alice Lanzke nimmt sich der Frage an, wie diesen Versuchen im virtuellen Raum am besten begegnet werden kann. Dabei analysiert sie unterschiedliche Varianten der im Kontext von Wortergreifung verfolgten Kommunikationsstrategien und bietet Hilfestellungen, wie entsprechende (Schein-)Argumente entkräftet und die dahinter stehenden Absichten enttarnt werden können.
Auch Stefan Glaser widmet sich der medienpädagogischen Seite des Problems Rechtsextremismus im Internet, und stellt anhand der Workshops von jugendschutz. net eine Möglichkeit vor, wie die kritische Auseinandersetzung von heranwachsenden Internetnutzern mit rassistischen, antisemitischen oder demokratiefeindlichen Thesen im schulischen oder außerschulischen Kontext gefördert werden kann. In den Workshops werden extrem rechte Webinhalte zunächst unter Anleitung gesichtet, analysiert und reflektiert, im nächsten Schritt suchen die Teilnehmenden Fakten und Hintergrundinformationen, mit deren Hilfe sie rechtsextreme Propaganda als solche erkennen und ihr gezielt widersprechen können. Die praktische Anwendung des gemeinsam Erarbeiteten bildet die Grundlage dafür, dass die gemachten Erfahrungen auch über den Workshop hinaus in Form alltäglicher Zivilcourage im Netz weiter umgesetzt werden.
Auch wenn Antisemitismus insbesondere als Kennzeichen rechtsextremer Ideologien gilt, sind antisemitische Denkund Argumentationsmuster in allen politischen Spektren und gesellschaftlichen Schichten zu finden. Micha Brumlik liefert eine Skizze aktueller Spielarten des Antisemitismus und stellt dar, welche Rolle das Thema in der öffentlichen Erziehung spielt, um schließlich die Chancen und Risiken pädagogischer Interventionen dazulegen. Er empfiehlt, Strategien gegen Antisemitismus auf einem methodischen Dreieck aufzubauen, das erstens den Abbau von Informationsdefiziten und die Präsentation realer historischer und sozialer Lagen, zweitens die Konfrontation mit eigenen Vorurteilsstrukturen sowie drittens die Förderung von Empathie gegenüber den Opfern von antisemitischer, rassistischer und sexistischer Diskriminierung und Verfolgung beinhaltet.
Da sich gerade der Fußball als "Brennglas" gesellschaftlicher Entwicklungen und Problemfelder darstellt, nimmt Gunter A. Pilz dieses spezielle Sportumfeld als Aktionsraum für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in den Blick. Er plädiert dafür, die Lösung für Probleme mit fremdenfeindlichen, rassistischen und rechtsextremistischen Fans und Zuschauern nicht allein in Verboten und Strafen zu suchen. Fanprojekte, Polizei, Vereine, Verbände, Faninitiativen und Fans seien gefordert, sich auch bei der Prävention einzubringen und sich langfristig für die gesteckten Ziele zu engagieren. Dabei müsse man einerseits zur Kommunikation bereit sein, andererseits aber – wo es erforderlich ist – deutliche Grenzen setzen.
Die Erkenntnis, dass eine Demokratie auf selbstbewusste, handlungsund argumentationsfähige Demokratinnen und Demokraten angewiesen ist, bildet das Leitmotiv des Beitrags von Carl Chung und Ann-Sofie Susen. Angesichts der spürbaren Verunsicherung, die sich unter Mitgliedern und Repräsentanten demokratischer Parteien nach den Erfolgen der Berliner NPD bei den Wahlen 2006 zeigte, entwickelte das Mobile Beratungsteam "Ostkreuz" für Demokratieentwicklung, Menschenrechte und Integration, angesiedelt bei der Berliner Stiftung Sozialpädagogisches Institut
"Walter May", ein spezielles Gesprächsund Verhaltenstraining. Es richtet sich an die freiwillig engagierten Parteimitglieder, denen erleichtert werden soll, auch im Umgang mit rechtsextremen Gesprächspartnern sichtbar, authentisch und glaubwürdig zu ihrer demokratischen Grundüberzeugung zu stehen und damit anderen Mut zu machen, sich ebenfalls aktiv zur Demokratie zu bekennen.