Zum Stand der Forschung
Bereits in den 1950er Jahren gab es eine Vielzahl von Untersuchungen zu der Frage, warum sich junge Menschen für ein Studium entscheiden, welches in den Lehrerberuf mündet; das Interesse an der Frage nach den Studienund Berufsambitionen angehender Lehrkräfte ist seitdem nicht abgeebbt und nach wie vor relevant. Insofern fasst der im Folgenden betrachtete Forschungsstand Ergebnisse zentraler Studien seit Mitte der 1970er Jahre zusammen. Bei den betrachteten Studien handelt es sich um einen relevanten Ausschnitt aus der Vielzahl an vorliegenden Untersuchungen. Es soll verdeutlicht werden, mit welchen Fragen gearbeitet wurde und welche Ziele die Untersuchungen verfolgten bzw. Ergebnisse hervorbrachten. Dies dient auch dazu, die Perspektive der dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsfrage (die in Kap. 4.1 formuliert wird) zu schärfen und deren spezifischen Ansatzpunkt in seinen Eigenheiten deutlich zu machen. Neben den hier betrachteten Studien bieten verschiedene Publikationen einen Überblick über Ergebnisse älterer Untersuchungen, so etwa Nöth (1976, S. 23ff.), Schnelle (1987, S. 91ff.), Schwänke (1988, S. 73ff.) und Enzelberger (2001, S. 239ff.).
Bossmann[1] (1977, S. 557ff.) erhob Berufswahlmotive von 1217 Studierenden Pädagogischer Hochschulen und Gymnasiastinnen resp. Gymnasiasten in Schleswig-Holstein und erhielt eine Vielzahl unterschiedlicher Antworten (durch- schnittlich 3,5 Nennungen pro Befragter bzw. Befragtem). Die Gründe wurden als ‚pragmatisch' und ‚ideell' eingestuft und – orientiert an Lucker (1965) – in sieben Kategorien eingeordnet: materielle Gründe (kurzes, günstiges Studium mit existenzsichernder Perspektive bereits schnell nach abgeschlossenem Studium), ichhafte, seelische Gründe (Selbstständigkeit), ichbezogene und berufsbedeutsam-seelische Bedürfnisse (Arbeit mit ‚Menschen'), eigene „Begabungen und Fähigkeiten“, gesellschaftlich bedeutsame und soziale Aufgaben sowie selbsterlebte Begegnungen (vgl. Bossmann 1977, S. 559). Dabei nannte ein knappes Drittel materielle Gründe, berufsbezogene Gründe wurden „mit 37,1% am häufigsten gegeben“ (ebd., S. 564). Bossmann vermutet aber, dass materielle Gründe in Wirklichkeit bedeutsamer sind, denn es „gehört [sich], die eigene Berufswahl primär unter fachlichen und nicht unter materiellen Gesichtspunkten zu legitimieren“ (ebd.).[2] In der Studie von Bossmann (1977) werden den Befragten zwar offene Antwortmöglichkeiten eingeräumt, welche dann aber kategorial zusammengefasst und dadurch sowohl in ihrer Sinnund Vortragslogik beschnitten als auch quantifiziert werden. Diese Quantifizierung lässt keinen Rückschluss über individuelle Sinnund Entstehungszusammenhänge zu, die Hintergründe der gegebenen Antworten und die Individualperspektive werden nicht berücksichtigt.
Steltmann (1980, S. 581f.) befragte 665 Lehramtsstudierende an der Universität Bonn und postuliert anhand einer Faktorenanalyse sechs Faktoren für positive Motive (welche insgesamt „52,5% der Varianz aller Fragen auf sich vereinigen“):
„berufliche Sicherheit und freie Zeitgestaltung, pädagogische Motivation, Fachinteresse, äußere Gründe (z. B. NC), Kenntnis des Berufs, günstige Berufsmöglichkeit für Frauen“. Neben der Untersuchung von Gründen, die gegen den Lehrerberuf sprechen, wird gezeigt, dass die Variablen „Semesterzahl, Studienfächer, Beruf des Vaters, Schulbildung der Eltern und Eltern in Erzieherberufen“ keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Berufswahlmotive haben (ebd., S. 583). Steltmann konstatiert, dass die Motivstrukturen ambivalent sind, und „[n]icht mehr „pädagogische Motivation“ und „Fachinteresse […] jetzt als die stärksten Motivgruppen [erscheinen]“, als vielmehr „Sicherheit und Zeitgestaltung“ sowie „Berufskenntnis“ (ebd., S. 584).[3] Obgleich hier einige Daten zum familialen Hintergrund erhoben wurden, sind diese lediglich quantitativ und klammern biographisch relevante Effekte des Aufwachsens aus.
Eine 1978 durchgeführte quantitative Fragebogenstudie mit 257 Absolventinnen und Absolventen der PH Berlin hatte zum Ziel, die „Frage nach den Zusammenhängen zwischen der Berufswahlentscheidung und Erfahrungen der individuellen Biographie“ (Oesterreich 1987, S. 4) zu beantworten und gleichsam eine „Erkundung der Berufswahlmotive“ vorzunehmen (ebd., S. 12). Neben der deskriptiven Darstellung der Ergebnisse – „gerne mit Kindern und Jugendlichen zusammen“ sein, interessante, vielseitige Tätigkeit, Lehramt als „wichtige gesellschaftliche Aufgabe“ u.a. m. (Oesterreich 1987, S. 13ff.) – auf Basis von 16 vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wurden „Berufswahlmotive im Kontext biographisch relevanter Sozialdaten“ (Geschlecht, Alter, bisherige Berufserfahrungen und Erfahrungen aus Schulzeit, mit Eltern und Gleichaltrigen usw.; ebd., S. 23ff.) dargestellt, wobei diese Sozialdaten als „wichtige Faktoren für die Entwicklung unterschiedlicher Motive“ (ebd.) herausgehoben werden. Oder anders: „Berufswahlmotive […] sind Produkte von Erfahrungen aus der individuellen Biographie“, auf Basis derer die „Genese spezifischer Motive“ erfolgt (ebd., S. 62) – Aussagen über Fallbiographien wurden über einzelne soziodemographische Merkmale hinaus aber nicht getroffen, die Studie zeigt schlussendlich nur bestimmte quantifizierbare „Gründe“ (ebd., S. 92) auf.
Bastian (1995) befragte 1993 mit einem Fragebogen 1077 Musikstudentinnen und -studenten der Lehrämter für Primarstufe sowie die Sekundarstufen I und II aus 14 Bundesländern zu ihrer angestrebten Berufswahl, die als prozesshafte Entwicklung mit „Erfahrungen und sequentiellen Entscheidungen“ betrachtet wird, in der auch „frühe und früheste Erfahrungen mit pädagogischen Bezugspersonen“ ihre Wirkung entfalten können (ebd., S. 111). Er nähert sich der Frage nach den Motiven zunächst über Einstellungen zum Berufsfeld Lehramt, wonach 92% glauben, Lehrinnen und Lehrer zu sein erfordere „Einfühlungsvermögen und geistige Beweglichkeit“, „Liebe zu Kindern“ (88%), den Wunsch nach Förderung von Begabungen (87%), vorhandener Menschkenntnis (84%) und Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme (83%), schließlich die Möglichkeiten zur eigeninitiativen (76%) und abwechslungsreichen (69%) Gestaltung des Berufsbilds (76%); dies seien vornehmlich idealistische Motive, wie Bastian (1995, S. 113f.) urteilt. Etwa vier von fünf Befragten sind zudem von der Freude der Vermittlung musikalischer Inhalte überzeugt, etwa innerhalb interessanter Arbeitsgemeinschaften, 70% geben päda- gogisch-erzieherische Motive an (ebd., S. 120). Interessant ist, dass Schulmusiker aus Sicht der Studierenden ein geringeres Ansehen haben (41%) als Lehrerinnen und Lehrer im Allgemeinen (25%; ebd., S. 122). Mittels einer inhaltsanalytischen Betrachtung wurden dann Motivkomplexe in eine Rangfolge gebracht, wonach mit 56% der Umgang mit Schülerinnen und Schülern und 49% die Freude am Fach Musik die höchsten Zustimmungen verzeichnet wurden (danach 17% Wissensvermittlung, 15% kreative Möglichkeiten, 14% Vereinbarkeit von Familie und Beruf u.a. m.; ebd., S. 129ff.)).
Jürgens und Standop (1996) befragten 135 Studierende[4] verschiedener Lehramtszweige (Primarstufe, Sekundarstufe I, Sonderpädagogik) anhand standardisierter und offener Fragen zu Berufswahlmotiven und konnten sieben Motivgruppen identifizieren: (1) altruistische, auf das Kind bezogene Gründe, (2) Gründe der Selbstverwirklichung und Überzeugung eigener pädagogischer Fähigkeiten, (3) Motive, die sich auf die Nützlichkeit von Schule und damit einher gehender Handlungsmöglichkeiten beziehen, (4) finanzielle Motive, (5) studienbedingte Motive, (6) Begründungen auf Basis von Vorerfahrungen und (7) schulstufenspezifische Motive. Die Bedeutung der Motive wurde schulartenspezifisch in eine Rangreihe gebracht. Es zeigte sich, dass angehende Lehrkräfte der Primarstufe von ihren pädagogischen Fähigkeiten überzeugt und dabei intrinsisch motiviert sind, reformorientiert arbeiten wollen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schätzen. Angehendes Lehrpersonal in der Sekundarstufe I antwortete am häufigsten auf Basis eigener Interessen und Fähigkeiten, antizipierter Arbeitsbedingungen und möglicher Veränderungsmöglichkeiten, während Sonderpädagogik bewusster gewählt worden sei, da mehr Vorerfahrungen vorlägen. Bei allen befragten Gruppen war das jeweils wichtigste Motiv die Selbstverwirklichung, insgesamt am schwächsten bei angehenden Sekundarstufe-I-Studierenden, deren extrinsische Motivation dafür am höchsten ausgeprägt war.
Ulich (1998, S. 64ff.) untersuchte in einer Studie[5] die Berufswahlmotive – als psychologische besonders bedeutsame Faktoren – von Studierenden der Universität München mit einem offenen Verfahren, in dem Studierende den Satzanfang: „Ich will Lehrer/in werden, weil …“[6] fortführen sollten. Er erhielt „536 klassifizierbare Motive“ und fasste diese in elf Kategorien zusammen. Der größte Teil der Befragten gab mit 42% als Grund an, mit Kindern und Jugendlichen arbeiten zu wollen, 14% hielten die Arbeit für abwechslungsreich und interessant, 12% gaben als Grund eigene Erfahrungen mit Lehrkräften an.[7] Obgleich Ulich (1998, S. 69) davon ausgeht, dass der „jeweils ersten Motiväußerung besondere Bedeutung zukommt“[6] lässt dieses Vorgehen weder einen Rückschluss zu der biographischen Relevanz der ausgewerteten Kategorien zu (z.B.: Wann entstand der Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten? Inwiefern äußert sich dieser? Auf welche Art Arbeit bezieht sich dieser? usf.) und kann damit nicht herangezogen werden, um biographische Entwicklungen zu verdeutlichen. Es handelt sich also für die vorliegende Frage um ein zwar offenes Vorgehen, deren Ergebnisse aber nicht einzelfallsensibel ausgewertet, sondern quantifiziert werden, wie Ulich (1998, S. 72) auch selbst anmerkt.
In einer weiteren Studie fragte Ulich (2000) 785 Befragte nach der Sicherheit bzw. Unsicherheit für die eigene Entscheidung, den Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers anzustreben und fand, dass die Motive Zeit (Traumberuf, Berufung usw.) und eigene Kompetenz Sicherheit in der (noch in der Zukunft liegenden) Berufsentscheidung gaben, während mangelnde Alternativen (40%), „Unsicherheit über die eigene Eignung[9]“ (22%) oder schlechte Chancen, angestellt zu werden (12%), Unsicherheitsfaktoren für die Studierenden waren.[10]
2003 prüfte Ulich seine bereits zuvor analysierten Daten (vgl. Ulich 2000) anhand Studierender, „die sich selbst als fähig, als kompetent für den Lehrer/innen-Beruf einschätzen“[11] (Ulich 2003, S. 77). Diese machten zwar lediglich 10% (insgesamt 83 Personen) der Gesamtstichprobe aus, jedoch trage die „Überzeugung von der eigenen Kompetenz zur Sicherheit der Berufsentscheidung“ bei (ebd., S. 78f.). Von 33 dieser Befragten nennen elf „explizit spezifische Fähigkeiten, wie z.B. Kreativität (mehrfach), Zeichnen, ein Musikinstrument spielen“, während die restlichen 22 Studierenden ihre Kompetenz dadurch begründen, aufgrund eigener Erfahrungen „mit Kindern und Jugendlichen ‚gut' umgehen zu können“[12](ebd., S. 80). Ulich (2003, S. 82) hebt heraus, dass die ‚Kompetenten' durchschnittlich insgesamt „rund ein Drittel mehr Motive“ nennen und der Bezug zu eigenen Erfahrungen „eindeutig höher“[13] ist. Zudem spielten fachliche Interessen eine weniger ausgeprägte Rolle. Er resümiert, dass „sich die Selbstzuschreibung von Kompetenz offensichtlich positiv auf die Sicherheit der Entscheidung für den Beruf auswirkt“ (ebd.).
2004 schließlich veröffentlichte Ulich (2004, S. 13f.) seine Forschungsarbeit in einer Monographie und präsentiert Ergebnisse einer Befragung zu Berufswahlmotiven von 785 Studierenden an sechs Hochschulen in – erneut – zehn Kategorien. Die Verteilung der Motivkategorien (ohne Differenzierung nach Studiengängen) ergibt, dass die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen insgesamt mit 45% am häufigsten genannt wurde, danach tätigkeits(12%) und erfahrungsbezogene Motive (10%) eine bereits wesentlich geringere Rolle spielen (ebd., S. 21). Somit werden die Ergebnisse der sechs Jahre zuvor veröffentlichten Studie repliziert. Die folgenden Analysen nach Geschlecht, Schulform und Sicherbzw. Unsicherheit – ähnlich wie auch in den Studien zuvor – sind für vorliegende Arbeit nur insofern relevant, als konstatiert wird, dass Motive einerseits schulformspezifisch sind (ebd., S. 59ff.), andererseits „etliche Unterschiede“ zwischen Studiengängen auftreten, sich aber „keine völlig eindeutigen Zusammenhänge, die eine schlüssige Typenbildung ermöglichen würden“, finden (ebd., S. 79).
Kiel et al. (2004, S. 225) kommen in ihrer längsschnittlichen Untersuchung (568 Befragte, erster von drei Messzeitpunkten früh zu Beginn des Studiums) durch eine Faktorenanalyse zu dem Ergebnis, dass die Freude an sozialen Kontakten als zentralstes Berufswahlmotiv, Familienverträglichkeit als zweitwichtigstes Kriterium genannt wird. Dabei glauben 87%, „ihr Studium sei interessant, 74% glauben es sei vielseitig und 74% es sei praxisorientiert und nur 8% glauben, ein einfaches Studium vor sich zu haben“ (ebd., S. 229). Die Befragten zeigen ein überwiegend hohes Maß „an subjektiver Sicherheit“ und haben „ein Selbstbild, welches den Studienerfolg aus subjektiver Sicht wahrscheinlich erscheinen lässt“[12] (ebd., S. 228). Dies begründen Kiel et al. (2004) mit der Unterstützung der Studierenden durch Bezugsgruppen wie Familie und Peer-Group.[15]
Die Integration von Musikerinnen und Musikern mit künstlerischem Schwerpunkt in den Arbeitsmarkt nach absolviertem Studium wird von Gembris und Langner (2005) mit einer quantitativ angelegten Studie (n=659) untersucht. Obgleich es bei der Hauptuntersuchung[16] vornehmlich um „den beruflichen Verbleib […], Tätigkeitsfelder […] und darum, wie der Lebensunterhalt verdient wird“, ging und die eigentliche Befragtengruppe nicht aus Schulmusikerinnen und -musikern bestand (Gembris und Langner 2005, S. 22), erscheint doch ein Blick auf die gewonnenen Erkenntnisse zur Studienwahlmotivation interessant. Die Ergebnisse der Hauptuntersuchung wurden nach Instrumentalgruppen getrennt. Die Gruppe der Streicherinnen und Streicher nannte vornehmlich Möglichkeiten der musikalischen Entfaltung, zudem gute Berufsund Verdienstaussichten und selbstständiges Arbeiten (ebd., S. 56).[17] Auch die Bläsergruppe und die Klavierspielerinnen und -spieler antworteten ähnlich, wobei letzteren die Möglichkeit einer Selbstständigkeit wichtiger war als den anderen beiden Gruppen – was auch die Gruppe der Sängerinnen und Sänger so sah (ebd., S. 56ff.). Gembris und Langner (2005, S. 60) erklären sich die hohe Bedeutung der „musikalischen Entfaltungsmöglichkeiten“ und die eher weniger wichtigen ökonomischen Gründe damit, dass „Musiker intrinsisch motivierte Idealisten sind, denen die Musik und musikalische Entfaltungsmöglichkeiten über alles gehen, während z.B. materielle Aspekte in ihrer Bedeutung klar zurückgestellt werden“. Das musikalisch-künstlerische Studium Freundinnen und Freunden zu empfehlen, würden jedoch insgesamt weniger Befragte tun, da Berufsaussichten und Praxisferne moniert wurden (ebd., S. 43). Zwar gibt die Studie keine Hinweise dazu, ob zum Zeitpunkt der Studienwahl eine Motivation der Befragten bestand, später pädagogisch arbeiten zu wollen – zur Befragungszeit waren max. 4% interessiert an einer pädagogischen Tätigkeit (ebd., S. 71) –, sie zeigt aber die immense Bedeutung der Musik vor Antreten des Studiums.
Einleitend mit einer Tabelle zu den „fünf wichtigsten Motivationen für den Lehrerberuf “[18] problematisieren Kiel et al. (2007, S. 11f.) die Tatsache, dass „angehende Lehrerinnen und Lehrer ihr Studium mit langfristig geprägten Erfahrungen im Bereich Unterrichten, Erziehen und Bildungsprozessen“ beginnen (was für andere Professionen nicht gelte). Diese eigenen Erfahrungen seien „wirkmächtiger als das, was ihnen in der ersten und zweiten Ausbildungsphase vermittelt wird“ und könnten zu einem Ungleichgewicht zwischen eigenen Erwartungen und Ich-Idealen gegenüber tatsächlicher Berufspraxis führen. Zu diesem Ergebnis gelangen auch Weiss und Kiel (2010, S. 12).
In ihrer umfangreich angelegten Untersuchung kommen Terhart et al. (1994, S. 59ff.) nach einer explorativen Faktorenanalyse (n=480) zu vier Motivkomplexen bestehend aus den folgenden Faktoren:[19]
1. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Lehrkraft als Traumberuf mit abwechslungsreicher Tätigkeit und Identifikation „mit den pädagogisch-sozialen Seiten der Lehrerarbeit“;
2. viel Freizeit, in der Familie und Beruf vereinbar sind sowie Vorteile durch den Beamtenstatus;
3. „professionelle Motivation“, selbsterlebten, guten Lehrkräften nacheifern, Wissen weitergeben und es ‚besser machen' wollen;
4. emanzipatorische Haltung, Lehramt als wichtige gesellschaftliche Aufgabe mit autonomer Arbeit
Die Autorinnen und Autoren verweisen aber darauf, die Aussagekraft dieser Motive nicht überzubewerten und nicht für inhaltlich-motivational zu halten, so dass sie zusammenfassend konstatieren (Terhart et al. 1994, S. 101): „Es überwiegen bei allen Lehrämtern, unabhängig von Geschlecht und in allen Altersgruppen, die positiv besetzten, pädagogischen Motive, die auf die strukturellen Besonderheiten und internen Gratifikation des Lehrerberufs abheben. Die externen Motive, die sich auf die äußeren Vorteile des Berufs beziehen, werden demgegenüber durchweg als wenig bedeutsam bis bedeutungslos ausgewiesen.“
In ihrer Studie zu geschlechtstypischem Musiklernen erhob Siedenburg (2009, S. 177) mittels einer teilstandardisierten Erhebung (n=306, Studierende mit dem Fach Musik) auch Motive für die Aufnahme eines Lehramtsstudiums. Sie zeigte, dass „der Wunsch, Musik zu studieren, durchschnittlich als wichtiger für die Studienwahl erachtet [wurde, d. Verf.] als der Wunsch, Lehrerin bzw. Lehrer zu werden“ (ebd.).[20]
Auch sei das Motiv, eine Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie herzustellen, bedeutsam. Siedenburg (2005) zeigt darüber hinaus, dass bestimmte Personengruppen Einfluss auf die Interessensentwicklung für das Fach Musik haben – etwa Eltern, Musiklehrerinnen und -lehrer sowie Instrumentallehrerinnen und -lehrer. Hier spiele auch das Geschlecht eine Rolle, indem sich Gleichgeschlechtlichkeit positiv auf die musikalische Entwicklung auswirke (vgl. ebd., S. 93).
In der quantitativen Studie ‚Wirksamkeit von Lehrerbildung' untersuchten Weiss und Kiel (2010, S. 7) 1384 Studierende, von denen 53 das Fach Musik studieren[21], in zwei Schritten. Zunächst wurden mittels Faktorenanalyse Motivstrukturen von Lehramtsstudentinnen und -studenten mit und ohne Musik als Studienfach erhoben. Es zeigte sich, dass die pädagogische Arbeit als generelles Hauptmotiv aller Studierenden auftrat und auch das fachbezogene Interesse in etwa gleich war (vgl. ebd., S. 11).[22] Unterschiede zeigen sich in den von Musikstudierenden als höher empfundenen fachlichen Anforderungen (das Studium ist aufgrund der zu absolvierenden Eignungsprüfung oder den Übeanforderungen keine Notlösung) und der zukünftig besseren Möglichkeit, auch in anderen Bereichen arbeiten zu können (Weiss und Kiel (2010, S. 12) sprechen von der „polyvalenten Qualifikation“[9]). Die Familienverträglichkeit ist dagegen weniger bedeutsam (vgl. ebd., S. 13). Die in einem zweiten Schritt erfragten Unterschiede in den Selbstwirksamkeitserwartungen ergaben keine signifikanten Ergebnisse (vgl. ebd., S. 13f.).
In ihrer Studie beschäftigt sich Neuhaus (2008) mit der Frage nach Berufswahlprozessen von Studierenden, die – teils neben einem Zweitfach – Musik studieren. Sie untersuchte mit einer Fragebogenstudie 209 Studierende in Köln, Dortmund und Saarbrücken (vgl. ebd., S. 191f.) und fragte nach „Erfahrungen und Interessen der Musikstudierenden im Hinblick auf ihren Berufswahlprozess“ (ebd., S. 11) unter Bezugnahme auf theoretische Grundlagen ökonomisch-soziologischer und psychologischer Berufswahltheorien und Geschlechtsspezifika. Auch hier zeigt sich zunächst „ein hohes Fachinteresse der Studierenden“ – „Musik allgemein“ und „die Vielfältigkeit eines Lehramtsstudiums“ haben hohe Priorität, während das „Interesse speziell an pädagogischen Fragestellungen dagegen“ geringer ausfällt (ebd., S. 204). Gute Berufsaussichten zu haben ist zentral, obwohl nur 62% der Befragten das „Motiv, Musiklehrer/in werden zu wollen“ nennen[24] – die Studienwahl ist dabei fast nie eine Notlösung (ebd.). Die eigenen Schulerfahrungen mit Lehrerinnen und Lehrern spielen eine – wenn auch nicht so bedeutsame – Rolle; der Rat der Eltern kaum, vereinzelte Aussagen offener Antworten beziehen sich auf fachlich-persönliche und pädagogische Motive (ebd., S. 204ff.; auch S. 213). Insgesamt kommt Neuhaus (2008, S. 215) zu dem Schluss, dass alle Studierenden „sowohl ein hohes Interesse am Musiklehrerberuf als auch an der Breite der Inhalte im Musikstudium“ zeigen.[25] Einen Beitrag zur grundlegenden Bestandsaufnahme der Lehrerbildung will Cramer (2012) mit einer groß angelegten Studie (quantitativ befragt wurden 1656 Studierende, zudem wurden 32 Interviews geführt) leisten, in deren Zuge auch die Berufswahlmotive der Befragten erhoben wurden. Pädagogisch-intrinsische Motive werden dabei am häufigsten genannt. Cramer (2012, S. 327) kommt zu dem Schluss, dass die Ergebnisse auf einen „Lehrertypus [hindeuten, d. Verf.], dem vorrangig soziale und finanzielle Absicherung, die Orientierung am selbst erlebten Schulleben sowie der berufliche Erfolg als Grundlage für die Berufswahlentscheidung dienen“, wobei Unterschiede zwischen verschiedenen Lehrämtern festzustellen sind. Die vertiefenden Interviews eröffnen darüber hinaus einige Einblicke in weitere (quantifizierbare) Dimensionen, in denen individuelle Motivlagen zum Ausdruck kommen – Kindheitsträume zu verwirklichen, gesellschaftliche Beteiligung, Praxisnähe im Studium, Vorerfahrungen im pädagogischen Bereich, durch Ratschläge anderer (vgl. ebd., S. 331ff.; auch S. 491ff.).
Zusammenfassend konstatiert Rothland (2011, S. 277), dass sich die „Befunde zum Hauptmotiv[6] für die Wahl des Lehrerberufs im Wesentlichen“ ähnlich sind und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bestehen. Differenzen sieht er in nebengeordneten Motiven, in denen „die Befunde von Studie zu Studie zum Teil erheblich“ variieren, wodurch Eindeutigkeit in den Ergebnissen nicht vorliegen (ebd.).
- [1] Aufgrund der technisch noch nicht umsetzbaren Großschreibweise des ‚ß' wird bei der Schreibweise in Kapitälchen das große ‚ß' (also das ‚SZ' oder ‚scharfes S') noch zu ‚SS', auch wenn dadurch Eigennamen verfälscht werden. Dieses Manko wird in Anbetracht der Vorteile, die die Schreibweise von Autorinnenund Autorennamen in Kapitälchen zur deutlichen Hervorhebung grundsätzlich mit sich bringt, in Kauf genommen
- [2] Dabei differenziert Bossmann nach Geschlecht und konstatiert, dass männliche Befragte eher materiell orientiert sind und Gründe der eigenen Eignung, des politischen Engagements, positive Erfahrungen mit Jugendlichen und negative Vorbilder (Lehrerinnen und Lehrer, die selbst erlebt wurden) nennen, während weibliche vornehmlich den Umgang mit Kindern, den schon lange vorliegenden Berufswunsch und den Wunsch nach sozialem Engagement nennen
- [3] Ähnlich wie fast 30 Jahre später bei Kiel et. al (2007) vermutet er, dass „keine realistischen Vorstellungen über die zeitlichen Belastungen des Lehrerberufs bestehen“ (Steltmann 1980, S. 585)
- [4] Der Rücklauf betrug 23%, 600 Studierende wurden ursprünglich angefragt.
- [5] Fünf Erhebungen im Rahmen von Lehrveranstaltungen zwischen 1995 und 1997, es liegen Ergebnisse von 152 Befragten vor (vgl. Ulich 1998, S. 67)
- [6] Kursivsetzung im Original
- [7] Alle anderen Motive wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Arbeitszeiteinteilung usw. lagen unter 10%. Die Ergebnisse werden von Ulich (1998) nach studierter Schulform (Grund-, Sonder-, Hauptund Realschule sowie Gymnasium) und Geschlecht differenziert. Da diese Differenzierungen nicht im Fokus der Fragestellung stehen, ist dieser Teil hier nicht von Relevanz und wird daher nicht beschrieben
- [8] Kursivsetzung im Original
- [9] Im Original kursiv
- [10] Auch hier entfällt die Darstellung der geschlechtsund schulformspezifischen Unterschiede, die von Ulich (2000) herausgearbeitet werden
- [11] Im Original enthält das Zitat Kursivsetzungen
- [12] Im Original enthält das Zitat Kursivsetzungen
- [13] 31% bei 83 Befragten, die sich als kompetent einschätzen im Gegensatz zu 20% derjenigen 702 Personen, die dies nicht tun
- [14] Im Original enthält das Zitat Kursivsetzungen
- [15] Es wird auch zwischen verschiedenen Schulformen differenziert und zudem problematisiert, inwieweit die Vorstellungen und die Realität auseinanderliegen und ein Plädoyer formuliert, transparente und realistische Tatsachen über das Studium zu transportieren (vgl. Kiel et al. 2004, S. 229ff.)
- [16] Da die Stichprobe durch teils wenig aussagekräftige Absolventinnenund Absolventenkarteien gewonnen wurde (vgl. Gembris und Langner 2005, S. 27), wurde neben der eigentlichen Untersuchung auch eine Nebenstichprobe erhoben, die auch Absolventinnen und Absolventen der Schulmusik umfasst. Ergebnisse zur Studienwahlmotivation gibt es nicht. Es lässt sich lediglich feststellen, dass 83% der befragten Schulmusikerinnen und -musiker ihr Studium empfehlen würden und mit diesem somit scheinbar überwiegend zufrieden sind
- [17] Gembris und Langner (2005, S. 55ff.) fragten die Probandinnen und Probanden auch nach einer Einschätzung, inwieweit sich die Studienwahlgründe aus ihrer Sicht zum Zeitpunkt der Befragung erfüllt hätten
- [18] Die „fünf wichtigsten mit dem größten Anteil an Varianzaufklärung“ von insgesamt,„19 Faktoren zur Motivation“ (Kiel et al. 2007, S. 12) sind dabei „adressatenbezogene/ pädagogische Motivation“, „Herausforderung/Verantwortung“, „Schüler fördern“, „Idealismus“ und Interesse am Fach (ebd., S. 11)
- [19] Es handelt sich um eine Studie, in der Antworten aus der Retrospektive gegeben wurden. Terhart et al. (1994, S. 59) weisen selbst darauf hin und schließen auch sozial erwünschte Antworten nicht aus (vgl. auch ebd., S. 57)
- [20] Siedenburg (2009) fokussiert aufgrund ihres Erkenntnisinteresses insbesondere geschlechtsspezifische Unterschiede und differenziert zwischen Lehramtsstudiengängen für unterschiedliche Schulformen.
- [21] Knapp die Hälfte der Musikstudierenden studierte eine Kombination mit anderen Fächern, die andere Hälfte Musik im ‚Doppelfach'
- [22] Jedoch hatten Studierende des ‚Doppelfachs' ein „signifikant höheres fachbezogenes Interesse“ (Weiss und Kiel 2010, S. 11)
- [23] Im Original kursiv
- [24] Die Faktorenanalyse zeigt, dass als wichtigstes Motiv die „Breite der Inhalte“ und dann der Berufswunsch genannt wurde (Neuhaus 2008, S. 209; vgl. auch S. 213)
- [25] Weitere Ergebnisse beziehen sich auf den Ausbildungsort (Hochschule und Universität) und die gewählte Schulform, auf pädagogische Vorerfahrungen (keine signifikanten Unterschiede der Gründe für eine Studienwahl; vgl. Neuhaus 2008, S. 216ff.), absolvierte Praktika (ebd., S. 218ff.), die berufliche Zukunft (ebd., S. 228ff.) u.a. m., welche aber keine explizit formulierten Studienwahlmotive sind
- [26] Kursivsetzung im Original