Beginn des Musikstudiums

Nach seinem Abitur bewarb sich Markus für das Musikstudium in H-Stadt (gelegen in Norddeutschland). Die Aufnahmeprüfung bestand aus einer theoretischen und einer praktischen Prüfung. Im theoretischen Teil musste er eine Tonsatzprüfung ablegen. Das zu bearbeitende Stück, ein Choral aus dem Weihnachtsoratorium, kannte Markus durch seine gesanglichen Tätigkeiten sehr genau („was ich vorher schon . 78 mal gesungen hatte oder so“), insofern er auch hier – obgleich das Interview keine Hinweise auf eine Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung gibt – rekurrieren konnte auf musikbezogenes Wissen seiner vorherigen gesanglichen Tätigkeiten (inkorporiertes kulturelles Kapital). Zunächst bleibt in seiner Schilderung der Ausgang dieses Prüfungsteils offen. Die Praxisprüfung dann – er spielte Beethoven und Joplin auf dem Klavier – brach er vor dem Ende ab und verwies als Begründung auf die Mängel am Instrument: „hab ich gesagt (,) ja es tut mir leid wenn sie ihr klavier hier so so anziehen […] dann äh . es . ja es geht halt sehr schwer runter“. In einer solchen Situation sind verschiedene Reaktionen der Prüfenden[1] denkbar. Als Bewerber war Markus vermutlich daran gelegen, die Aufnahmeprüfung zu bestehen und eine möglichst gute Leistung abzuliefern – und zwar gegenüber denjenigen Personen, die seiner Prüfung beiwohnten. Der Abbruch des Vorspiels könnte von diesen als Affront gewertet werden oder möglicherweise als Ausrede für eine nicht ausreichende Leistung; in beiden Fällen hätte dann die Gefahr des Durchfallens bestanden. Jedoch: Die Reaktion überrascht. Ein – nicht näher beschriebener – Beisitzer räumte ein, das Pedal extra festgezogen zu haben, löste dieses und gestattete Markus auf Nachfrage einen weiteren Versuch. Auch diesen brach Markus wieder ab – diesmal mit der Begründung „das geht nich das macht keinen spaß“. Erneut scheint die Reaktion die Prüfenden nicht verprellt zu haben, sie stellten fest, dass mit seiner theoretischen Prüfung alles in Ordnung sei und fragten ihn nach seinem zweiten Instrument; diese Frage schien Markus verwundert zu haben, ihm war zu dieser Zeit nicht bewusst, dass er ein weiteres Instrument hätte vorspielen müssen. Zum dritten Mal überrascht die Fortfüh-

rung der Erzählpassage: „hab ich gesagt […] ja das müssen sie aber in ihre briefe reinschreiben dass man n zweites instrument auch vorspie* stellen muss (.)“. Auch diese Anmerkung gereichte Markus nicht zum Nachteil, da der Fehler scheinbar auf Seite der Institution lag, die diese Vorgabe im Vorfeld nicht bekannt gemacht hatte, wie dann auch eingeräumt wurde. Diese Passage verweist darauf, dass es Markus darum geht, sich kommunikativ mit anderen ins Verhältnis zu setzen, die Kommunikation zu suchen (auch in der Konfrontation) und hierbei seinen Standpunkt deutlich zu machen. Es lassen sich an diesem Beispiel keine Hinweise dazu finden, dass er von der Angst befangen war, die Prüfung nicht zu schaffen; statt dessen benannte er gegenüber den ihm asymmetrisch gegenüberstehenden Prüfenden – denn er befindet sich in der Prüfungssituation und sein Scheitern würde zu einem Nicht-Bestehen der Aufnahmeprüfung führen – die Ursachen unabhängig von Prüfungsoder Scheiternsangst. Dieses Selbstbewusstsein fußt vermutlich auch darauf, dass er bezogen auf die Fachlichkeit sehr souverän sein konnte, da er zahlreiche Erfahrungen mit musikalischer Praxis und Theorie hatte. Sie sind aber auch ein Hinweis für eine bereits gefestigte Persönlichkeit bzw. stabile Identität.

Mit der Aufnahme des Musikstudiums in H-Stadt begann Markus auch in einer Band zu spielen, in dem er A-Blasinstrument spielte. Das, was er mit dem Instrument spielen sollte, war jedoch notiert für ein anderes Blasinstrument, insofern sich Markus gezwungen sah, einen Weg zu finden, die instrumentenbezogenen Grenzen zu umgehen, um nicht so hoch spielen zu müssen. Durch die Umsetzung eines Tipps eines Mitmusikers – „na oktavier das doch einfach“ – veränderte er ein Jahr lang seine Spielweise, währenddessen viele Konzerte gegeben wurden, bis der Leiter der Band schließlich auf Markus' veränderte Spielweise aufmerksam wurde und von ihm forderte, binnen einer Woche auf seinem Instrument hoch spielen zu lernen und zukünftig nicht mehr oktavieren zu dürfen. Dies setzte Markus um, bis er „irgendwann die technik raus [hatte, d. Verf.] wie man hoch spielt“, was ihm dann auch half.

  • [1] Es wird nicht deutlich, ob mehrere Personen bei der Prüfung anwesend waren. Zwar spricht Markus von „er“ und „ihm“, damit kann aber auch der Vertreter für das Klavier gemeint sein, während andere sich in dieser Situation zurückhielten
 
< Zurück   INHALT   Weiter >