Einleitung

Zielsetzung der Arbeit ist es, einen Beitrag zur rechtshistorischen Entwicklung des Bundesgrenzschutzes unter Berücksichtigung der geschichtlich-politischen Gesamtsituation zu leisten. Besondere Betrachtung finden hierbei die Gesetzgebungsprozesse sowie die internen Vorgänge der Bundesadministration.

Die vorliegende Analyse beschränkt sich auf den Zeitraum bis in das Jahr 1972. Die Errichtungsphase von der Inkraftsetzung des Grundgesetzes 1949 bis zur Verabschiedung des Bundesgrenzschutzgesetzes 1972 bildet einen geschlossenen Themenkomplex, der die Installation und Festigung einer Bundespolizei im föderalen Sicherheitssystem der Bundesrepublik beschreibt. Mit dem Bundesgrenzschutzgesetz 1972 wurde der Bundesgrenzschutz zur „Polizei des Bundes“ mit erweitertem Aufgabenspektrum sowie einer bedeutenderen Stellung in der deutschen Sicherheitsarchitektur. Zudem versucht die Arbeit dem Anspruch gerecht zu werden, die Gesetzgebungsprozesse und inneradministrativen Vorgänge so genau wie möglich zu rekonstruieren und zu untersuchen, was nur unter Zuhilfenahme freigegebener Aktenbestände der Parlaments-, Bundesund Landesarchive möglich ist. Hierfür bildet der Zeitraum bis 1972 eine geeignete Grundlage, da zahlreiche Dokumente, die diese Zeitspanne betreffen, zum Zeitpunkt der Erstellung der Arbeit einsehbar und freigegeben waren.

Einen Schwerpunkt der Arbeit liegt in den detaillierten Untersuchungen zu den internen Vorgängen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Errichtung und Konsolidierung der geplanten Bundespolizei. In diesem Kontext wurden umfangreiche Aktenbestände im Bundesarchiv, dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, dem Institut für Zeitgeschichte, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und verschiedener sonstiger Landesarchive ausgewertet. Die Verwendung dieser Dokumente, die teilweise erst vor wenigen Jahren freigegeben wurden und zum Teil zur damaligen Zeit der Geheimhaltung unterlagen, soll nicht nur eine höchstmögliche Transparenz der inneradministrativen Vorgänge gewährleisten, sondern neue Erkenntnisse in Bezug auf die Entwicklungsgeschichte des Bundesgrenzschutzes (heute Bundespolizei) liefern.

Besonders für die Darstellung der Vorgänge im Jahr 1949/50, als Adenauer versuchte, bei den Alliierten die Genehmigung für eine Bundesexekutivtruppe zu erhalten, war die Auswertung der Aktenbestände des Bundeskanzleramtes und des Bundesinnenministeriums im Bundesarchiv sehr ergiebig. Die Untersuchung wird in diesem Zusammenhang einerseits zeigen, dass die Installation des Bundesgrenzschutzes als Bundespolizei und nicht als Grenzpolizei beabsichtigt war sowie andererseits, dass erhebliche verfassungsrechtliche und politische Differenzen zu überwinden waren, um überhaupt den Bund im Bereich der inneren Sicherheit mit polizeilichem Vollzugspersonal ausstatten zu können.

Ferner wird sich herausstellen, dass sich die Installation sowie die weiteren Entwicklungsschritte des Bundesgrenzschutzes in Korrelation mit bedeutsamen politischen Ereignissen befinden – mit anderen Worten, die Evolution des Bundesgrenzschutzes durch Ereignispolitik bestimmt wurde. Ereignispolitik beschreibt hier die politische Umsetzung von Prozessen kausal nachweisbar zurückgehend auf ein bestimmbares politisches Ereignis.

Das Bundesverfassungsgericht hatte auf Antrag der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 13 Nr. 6 BVerfGG zu überprüfen, ob die Vorschriften, durch welche dem Bundesgrenzschutz polizeiliche Aufgaben auf den Bahnanlagen und der Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs auf Flugplätzen übertragen wurden, mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Am 28. Januar 1998 entschied der zweite Senat, dass die Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit verfassungskonform gewesen war. Die sogenannte Geprägeformel („Der Bundesgrenzschutz darf nicht zu einer allgemeinen, mit den Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausgebaut werden und damit sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren.“) war eindeutig, hatte den Zuwachs der Aufgaben Bahnpolizei und Luftsicherheit gerade noch geduldet und schien einem weiteren Ausbau den Riegel vorgeschoben zu haben. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Bundesgrenzschutz jedoch in vielfacher Form verändert. Beginnend von der Übertragung neuer Aufgaben und der Übernahme neuer internationaler Engagements bis hin zur Umbenennung in „Bundespolizei“ erfuhr die Bundespolizei tiefgreifende Veränderungen. Maßgeblich beeinflusst wurde diese Forcierung durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz von 2002, welches eine Reaktion auf den internationalen Terrorismus und die Anschläge vom 11. September 2001 war. Die Übertragung der Aufgaben „Bahnpolizei“ und „Luftsicherheit“ wurde im Zuge der deutschen Wiedervereinigung vollzogen. Die nachfolgenden Untersuchungen werden zeigen, dass bereits die Forderung Adenauers nach einer Bundespolizei, die Überführung von Teilen des Bundesgrenzschutzes in die Bundeswehr, die Einführung des Kombattantenstatus und der Grenzschutzdienstpflicht sowie letztlich die Verabschiedung des Bundesgrenzschutzgesetzes 1972 ohne bestimmte politische Ereignisse schwer denkbar gewesen wären. Es besteht ein sichtbarer Zusammenhang zwischen signifikanten politischen Ereignissen wie dem Ost-West-Konflikt, der Frage nach der Wiederbewaffnung, der Notstandsgesetzgebung 1968 und dem Auftreten des linksgerichteten Terrorismus in Deutschland mit der Errichtung und Konsolidierung des Bundesgrenzschutzes im Zeitraum von 1949 bis 1972.

Die Wirkungszusammenhänge zwischen politischer Dimension als Ursache und praktischer Umsetzung in Form von Gesetzen werden mithilfe des Verfahrens der historischen Prozessanalyse untersucht. Die historische Prozessanalyse sucht

„nach Evidenz für einen möglichst lückenlosen Verursachungsprozess zwischen den korrelierten Variablen und für den von der Theorie behaupteten Verursachungsmechanismus“. Die Prozessanalyse erklärt „das Phänomen als Endpunkt einer konkreten Verursachungskette“.

Abbildung 1: Prozessanalyse öffnet die Black Box

Der „kausale Mechanismus“, der von X ausgeht und Y hervorbringt, wird durch die Prozessanalyse mit den Zwischenschritten a bis e offengelegt. Es werden hierbei mehrere Variablen, wie etwa die politischen Akteure und deren Handlungen sowie die rechtsund verwaltungswissenschaftliche Perspektive im Zeitverlauf analysiert. In Bezug auf die vorliegende Untersuchung ist die Ursache das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis Westdeutschlands (X), welches den Erlass des ersten Bundesgrenzschutzgesetzes (Y) zur Folge hatte. Der Anspruch der Arbeit besteht darin, mithilfe der bisher ungenutzten Archivmaterialien eine möglichst detaillierte und theorietestende Analyse vorzulegen, die den bisherigen Forschungsstand vervollständigt sowie den Blick auf die politischen und inneradministrativen Aktionen in Zusammenhang mit dem vorliegenden Forschungsgegenstand freilegt. Die Arbeit folgt einem historisch-chronologischen Aufbau. Der Analyse und Offenlegung der Gesetzgebungsvorgänge kommt hierbei besondere Bedeutung zu; diese bilden den Kernpunkt der Arbeit.

Zusammenfassend werden in Bezug auf den vorliegenden Forschungsgegenstand folgende Thesen formuliert:

• Der Ost-West-Konflikt äußerte sich in Form einer virulent gewordenen Bedrohung für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik, was zu dem Erlass des ersten Bundesgrenzschutzgesetzes führte.

• Der Bundesgrenzschutz war nicht als Vorläufer oder Kader einer Armee errichtet worden. Grund für den Erlass des zweiten Bundesgrenzschutzgesetzes waren organisatorische Schwächen während des Wiederbe- Die Begründung des Gesetzes basierte nicht auf einer Argumentation bezugnehmend zur inneren Sicherheit.

• Die Eingliederung der DDR-Grenzpolizei in die NVA führte zu dem Vor-

haben, dem Bundesgrenzschutz den Kombattantenstatus zu verleihen und entzündete damit eine wirkungsmächtige Debatte um die Frage, ob dem Bundesgrenzschutz noch polizeilicher Charakter zukommt.

• Die Ursache für die Einführung der verfassungsrechtlich bedenklichen

Grenzschutzdienstpflicht lag ausschließlich im Personalmangel beim Bundesgrenzschutz begründet.

• Die Ausflüsse der Notstandsgesetzgebung und die Bedrohung der inneren

Sicherheit durch den linksgerichteten Terrorismus führten zum Erlass des Bundesgrenzschutzgesetzes 1972.

Mit der Prozessanalyse verknüpft ist die generelle Fragestellung, inwieweit sich die einzelnen Entwicklungsschritte auf den polizeilichen Charakter des Bundesgrenzschutzes ausgewirkt haben. Hierzu wird die These formuliert, dass dem Bundesgrenzschutz der polizeiliche Charakter nicht abgesprochen werden kann. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Verleihung des Kombattantenstatus und der Einführung der Grenzschutzdienstpflicht. Es wird darüber hinaus in Anknüpfung an Vorgesagtes die Hypothese aufgestellt, dass der Bundesgrenzschutz mit dem Gesetz 1972 seine Entwicklung zur Polizei des Bundes materiell abgeschlossen hat. Der Maßstab hierfür sind der im Gegensatz zum Zeitpunkt der Gründung 1951 gewachsene originäre Aufgabenbereich sowie die gewonnene Bedeutung des Bundesgrenzschutzes für die Gewährleistung der inneren Sicherheit im föderalen Polizeisystem.

Der Untersuchung vorangestellt ist ein theoretischer Teil, der Aufschluss darüber geben soll, was unter „Polizei“ zu verstehen ist und welche Bedeutung diese für den modernen (Bundes-)Staat hat. Da der Bundesgrenzschutz eine Polizeibehörde des Bundes ist, wird zudem die historische Entwicklung der Polizeigeschichte auf Bundesebene knapp dargestellt. Diese Prämissen sind von Bedeutung dafür, wie der Verfassungsgeber 1948/49 die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vorgenommen hat. Schwerpunktmäßig wird hier zu untersuchen sein, wie die Gesetzgebungskompetenz über den Grenzschutz und andere Polizeikompetenzen im Grundgesetz Verankerung gefunden haben.

Für die erste These, dass der Ost-West-Konflikt ursächlich für die Errichtung des Bundesgrenzschutzes war, ist eine umfangreiche Analyse der Bedrohungsperzeption einschließlich der theoretischen Anbindung, was unter innerer und äußerer Sicherheit zu verstehen ist, erforderlich. Anschließend folgt die Untersuchung der hier als „Bundespolizei-Kontroverse“ bezeichneten Vorgänge im Jahr 1949/50. Die Analyse der Interaktion der politischen Akteure soll die Prozessstationen herausarbeiten, die von der Bedrohungsperzeption zur Vorstellung von eigenen Sicherheitskräften auf Bundesebene geführt haben. Zentraler politischer Akteur im beschriebenen Prozess war Bundeskanzler Konrad Adenauer. Seine Initiativen und Forderungen nach einer Bundespolizei werden den Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen dem Ost-West-Konflikt und der geplanten Bundespolizei bestätigen. Es wird sich jedoch weiter zeigen, dass der Wirkungsmechanismus nicht zur gewünschten Bundespolizei führt, sondern die Kausalkette aufgrund einer Vielzahl von darzulegenden Einzelereignissen im Erlass des ersten Gesetzes über den Bundesgrenzschutz endet.

Für die zweite These, dass der Bundesgrenzschutz nicht als Kader für eine westdeutsche Armee gedacht war und die Ursache für die Überführung in die Bundeswehr organisatorische Schwierigkeiten beim Streitkräfteaufbau waren, ist primär die knappe Betrachtung des Remilitarisierungsprozesses von Bedeutung. Es wird sich nicht nur zeigen, dass der Bundesgrenzschutz nicht als Vorläufer einer Streitkraft beabsichtigt war, sondern vielmehr, dass das Amt Blank einer Übernahme des Bundesgrenzschutzes in die Bundeswehr ablehnend gegenüberstand. Die Darstellung der kausalen Mechanismen, welche ausgehend von dieser ablehnenden Haltung dennoch eine Überführung in die Bundeswehr ermöglichten, ist geknüpft an die hier als „Prioritätstheorie“ bezeichnete Argumentation des zentralen politischen Akteurs, Bundesinnenminister Gerhard Schröder. Die Prioritätstheorie, eine auf Opportunität und Bündnispolitik gründende Argumentationslinie der Bundesregierung, wird die Hypothese bestätigen, dass nicht Überlegungen der inneren Sicherheit die Überführung in die Bundeswehr notwendig machten, sondern grundsätzliche sicherheitspolitische Überlegungen – losgelöst von der Frage nach polizeilichen Notwendigkeiten.

Die dritte These geht davon aus, dass militärorganisatorische Umgliederungen in der DDR zu einer Neubewertung von fürsorgerechtlichen Gesichtspunkten in Bezug auf den Status der Bundesgrenzschutzbeamten führten. Diese Überlegungen mündeten darin, dass dem Bundesgrenzschutz der Kombattantenstatus verliehen werden sollte, was ihm auf den ersten Blick den polizeilichen Charakter entzieht und ihn in den paramilitärischen Sektor drängt. Hierbei wird die Annahme vorangestellt, dass es gesellschaftliche Gruppen geben wird, die Einfluss auf die Entscheidung nehmen wollen, ob dem Bundgrenzschutz der Kombattantenstatus rechtswirksam verliehen werden kann. Zu denken ist hierbei besonders an Berufsvertretungsverbände. Die Untersuchung wird zeigen, dass unterschiedliche Berufsvertretungsverbände, einmal diejenigen, welche schwerpunktmäßig die Landespolizeibeamten und anderseits diejenigen, welche überwiegend die Bundesgrenzschutzbeamten vertreten, divergierende Zielsetzungen verfolgten und maßgeblich Einfluss auf die Prozesse und die Gestaltung des Gesetzgebungsvorganges nahmen. Die Gewerkschaften bedienten sich mehrerer renommierter Völkerrechtsexperten, welche in Form von Gutachten Gegenstandpunkte zur Auffassung der Bundesregierung herausarbeiteten. Im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung, die den Nachlass der mittlerweile aufgelös- ten Gewerkschaft ÖTV verwaltet, fanden sich diesbezüglich zahlreiche wichtige, bisher unveröffentlichte Dokumente, die in der Arbeit Verwendung finden. Es wird sich ferner herausstellen, dass die Verleihung des Kombattantenstatus dem Bundesgrenzschutz den polizeilichen Charakter nicht abgesprochen hat.

Fortgang findet die Gesamtuntersuchung in der Analyse der Vorgänge um die Einführung der Grenzschutzdienstpflicht sowie der verfassungsändernden Gesetze im Rahmen der Notstandsgesetzgebung. Die Vorgänge um die Einführung der Grenzschutzdienstpflicht können mithilfe zahlreicher Dokumente aus dem Bundesarchiv, Abteilung Bundeskanzleramt und Bundesinnenministerium, hinreichend rekonstruiert werden. Die vierte These geht davon aus, dass die Grenzschutzdienstpflicht ausschließlich deswegen eingeführt wurde, weil der Bundesgrenzschutz nicht die erforderliche Sollstärke erreichte. Es wird sich zeigen, dass diese Argumentation erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aufwirft und schwer in Einklang mit dem Sinn und Zweck von Art. 12a Abs. 1 GG zu bringen ist. Darüber hinaus wird sich zeigen, dass die Grenzschutzdienstpflicht, ebenso wenig wie die Verleihung des Kombattantenstatus, Einfluss auf den polizeilichen Charakter des Bundesgrenzschutzes hatte.

Abschließend wird der Gesetzgebungsprozess um das Bundesgrenzschutzgesetz 1972 untersucht. Die fünfte These geht davon aus, dass Veränderungen im Lagebild der inneren Sicherheit zu einem gesteigerten Bedürfnis an Polizeikräften führten. Es wird sich herausstellen, dass der Bundesgrenzschutz eine NeuNeuausrichtung im föderalen Sicherheitssystem der Bundesrepublik erfuhr. Das neue Bundesgrenzschutzgesetz bildet einen Abschlusspunkt in der Entwicklung hin zur Polizei des Bundes. Besonderes Augenmerk liegt in diesem Zusammenhang auch auf der Darstellung des Widerstandes der Landesregierungen und von Seiten der Gewerkschaft der Polizei gegen eine Verpolizeilichung des Bundesgrenzschutzes. Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit in einer zusammenfassenden Bewertung dargestellt.

 
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