E. Weitergehende Interpretation des Regelungsbereiches Polizei auf Bundesebene
Eine ergänzende Untersuchung der Polizeibereiche auf Bundesebene ist notwendig, um die Intentionen und Maßgaben in der Entstehungsphase des Grundgesetzes detaillierter herauszustellen. Hierbei ist von Bedeutung, welche Aufgabenzuweisung einer Behörde, die mit der Aufgabe Grenzschutz befasst ist, konkret zugestanden werden sollte, bzw. ob der Regelungsbereich Grenzschutz tatsächlich polizeiliche Befugnisse umfassen sollte. Nicht sachlich zu trennen von Letzterem ist eine genauere Betrachtung von Art. 87 Abs. 1 GG. Einen wichtigen Beitrag zu der Frage der Polizeikompetenzen des Bundes leistet die knappe Darstellung der weiteren Polizeibereiche, die in bundeseigener Verwaltung geführt werden. Maßgeblich ist hier die Bahnpolizei zu nennen, die mittlerweile das polizeiliche Herzstück der Bundespolizei bildet. Eine Skizzierung der geschichtlichen Entwicklung ist hilfreich, um zu verdeutlichen, dass die Bahnpolizei aus besonderen eigenen Erwägungen ins Leben gerufen wurde. Am Rande werden neben der Bundeszollverwaltung und dem Bundeskriminalamt die Bereiche Schifffahrtspolizei und Bundestagspolizei betrachtet, um den Willen des Verfassungsgebers herauszustellen, die Zuständigkeiten des Bundes im vollzugspolizeilichen Bereich beschränkt zu sehen.
Begriffsbestimmung „Grenzschutz“
Im Polizeibrief ist der Terminus Grenzschutz wörtlich nicht enthalten. In Ziff. 1a des Polizeibriefes ist lediglich von der Überwachung des Personenund Güterverkehrs die Rede390. Der Grenzschutz umfasst nach heutiger Auffassung die polizeiliche Überwachung der Bundesgrenze und die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs391. Weiterhin ist der Begriff Grenzschutz klar von dem des Zollschutzes zu trennen. Der Zollschutz umfasst die Überwachung der Zollgrenze zur Erhebung der Einund Ausfuhrabgaben einschließlich der Einhaltung des Zollrechts392. Es wurde bereits erwähnt, dass es sich bei der Formulierung „einschließlich des Zollund Grenzschutzes “ in Art. 73 Ziff. 5 GG a.F. um ein Redaktionsversehen gehandelt haben muss393. Ebenso ergeben sich keine Hinweise, dass der Verfassungsgeber bei dem Begriff Grenzschutz den sogenannten militärischen Grenzschutz vor Augen hatte, welcher sich auf den Schutz des Grenzgebietes im Kriegsfall durch Teile der Armee bezieht394. Aus der Entstehungsgeschichte, dem politischen Kontext und der westalliierten Gesamtverantwortung für den militärischen Schutz Westdeutschlands lässt sich ohne Umstände herleiten, dass in Art. 73 Ziff. 5 GG a.F. nur der polizeiliche Grenzschutz gemeint sein kann395. Absicht des Verfassungsgebers war es also, dem Bund in Bezug auf die Aufgabe Grenzschutz auch vollzugspolizeiliche Aufgaben zu geben396, welche repressiver und präventiver Natur sein können397.
Für die Annahme, dass der Grenzschutz auch polizeiliche Befugnisse enthalten müsse, spricht auch die historische Argumentation, die sich auf die unmittelbare jüngere Zollund Grenzschutzgeschichte vor 1949 bezieht. So war in der britischen und amerikanischen Besatzungszone für die polizeiliche Kontrolle der Grenze zunächst die Landespolizei398 zuständig. Ebenso nahm der Zoll mit geringerer Personalstärke als die Landespolizei in Form des Zollaufsichtsdienstes399 oder des Zollgrenzschutzes Kontrollfunktionen an der Grenze wahr. Als zu Jahresbeginn 1949 die finanzielle Belastung der Länder für den Grenzschutz zu groß wurde, entschied sich der bizonale Wirtschaftsrat, den Zollgrenzschutz verstärkt zur Grenzkontrolle sowie zur Bewachung der Zoll-, Wirtschaftsund Devisengrenzen heranzuziehen400. Ausprägung fand diese Entscheidung im Gesetz über die Zollleitstelle und den Zollgrenzschutz vom 11. April 1949401. Damit einhergehend wurde der Zollgrenzschutz allein in der britischen Zone um 5.000 Mann verstärkt402. Dass dieser polizeiliche Befugnisse hatte, ergab sich auch aus § 5 des Gesetzes über die Zollleitstelle und den Zollgrenzschutz, welches auf das Zollgesetz von 1939403 verwies und die Angehörigen des Zollgrenzdienstes mit den gleichen Befugnissen ausstattete wie nach dem Zollgesetz von 1939. Die Zollverwaltung war während der NS-Zeit sowohl an den Grenzübergängen als auch an der grünen Grenze eingesetzt und hatte deshalb „gewisse polizeiliche Aufgaben“ zugewiesen bekommen404.
Der Zollgrenzschutz nahm im vereinigten Wirtschaftsgebiet polizeiliche Funktionen der Grenzbewachung wahr. In Hessen war die Landesregierung sogar damit einverstanden, dass die vormals eingesetzten Grenzpolizeibeamten des Landes in den Zollgrenzdienst eingegliedert wurden und der Zollgrenzschutz die grenzpolizeilichen Aufgaben miterfüllte405. Diese sicherheitspolizeiliche Funktion des Zollgrenzschutzes wurde einige Jahre später, als der Zollgrenzschutz in die Bundeszollverwaltung rückgegliedert wurde, 1952 durch den Bundesfinanzhof herausgestellt. Dieser merkte an, dass dem Zollgrenzdienst die Eigenschaft einer Sicherheitspolizei anzuerkennen sei, da „Uniformierung und Bewaffnung der mit der Durchführung der genannten Aufgaben betrauten Beamten und deren Befugnisse, die den Befugnissen der Angehörigen der Sicherheitspolizei gleich oder ähnlich seien“406.
Wie bereits angeführt, erfolgten keine weiteren Beratungen im Hauptausschuss zu der Einführung der Grenzschutzkompetenz erfolgt. Der Verfassungsgeber fand jedoch in Westdeutschland bereits eine polizeiliche Struktur vor, die an der Grenze den polizeilichen Grenzschutz wahrnahm. Das Gesetz über die Zollleitstelle und den Zollgrenzschutz war bereits einige Zeit in Kraft. Der beschriebene Zustand in Westdeutschland war Grundlage, als der Verfassungsgeber den Grenzschutz dem Bund mit der Prämisse übertrug, dass der Grenzschutz so ausgeübt werden sollte, wie durch den Zollgrenzschutz bis dahin, einschließlich polizeilicher Befugnisse407. Gleichwohl wurde die Einsetzung des Zollgrenzdienstes Anfang 1949 in der Literatur als übereilt angesehen und mehrfach vertreten, dass die Aufgabe Grenzschutz als Teil der öffentlichen Sicherheit Kernaufgabe der Länder sei und eine Rückübertragung dieser Aufgabe an die „allumfassende allgemeine Polizei“ erfolgen müsse408, da der Schwerpunkt der Grenzüberwachung auf polizeilichem Gebiet der Landesaufgaben liege409.