C. Veränderte Lage im Bereich der inneren Sicherheit
Nicht nur die neuzugewiesenen Aufgaben im Zuge der Notstandsverfassung gaben Anlass zu einer Erneuerung des Bundesgrenzschutzgesetzes, sondern auch die Gesamtlage im Bereich der inneren Sicherheit. Gegen Ende der sechziger Jahre und zu Beginn der siebziger Jahre sah sich die Bundesrepublik mit einer Vielzahl an Ereignissen konfrontiert, die einen massierten Einsatz von Polizeieinheiten sowie eine Intensivierung der Kriminalitätsund Terrorismusbekämpfung unerlässlich machten. Die Polizei-Ressource Bundesgrenzschutz sollte über das Gebiet der Grenzsicherung hinaus auch im Landesinneren besser und effektiver genutzt werden.
Die studentischen Protestbewegungen weiteten sich 1968 nach dem Tod von Benno Ohnesorg aus und radikalisierten sich1900. Es waren 1968 teilweise mehr als 21.000 Polizisten bundesweit im Rahmen von Demonstrationen im Einsatz1901. In dieser Zeit erlebte die Bundesrepublik „die schwersten Straßenschlachten ihrer Geschichte“1902. Die Bewältigung von derartigen polizeilichen Großlagen forderte einen mobilen polizeilichen Kräfteansatz in bisher ungekannten Dimensionen. Der Bundesgrenzschutz sollte bei solchen Ereignissen für die Länder als Personalreserve zur Verfügung stehen. Neben den polizeilichen Großlagen erlangte die Bekämpfung des Terrorismus besondere Bedeutung. Als Initialereignis des linksgerichteten Terrorismus in Deutschland können die Brandanschläge vom 2. April 1968 auf zwei Frankfurter Kaufhäuser gesehen werden1903. Mit der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970 in Berlin erreichte der Terrorismus ein „neues Stadium“, da er sich fortan auch gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen richtete1904. Auch im Rahmen der Terrorismusbekämpfung, im Zuge welcher vor allem das BundeskrimiBundeskriminalamt weiter ausgebaut wurde, sollte der Bundesgrenzschutz auf Anforderung der Länder, beispielsweise bei Fahndungseinsätzen oder anlässlich des Objektschutzes, eingesetzt werden. Ebenso kam ein Einsatz des Bundesgrenzschutzes auf Großflughäfen wie Frankfurt/Main in Betracht.
Der deutsche Luftverkehr rückte mit Beginn des Jahres 1970 ins Visier des internationalen Terrorismus, nachdem ab 1968 eine Entführungswelle von Luftfahrzeugen im europäischen Raum zu verzeichnen war, für welche arabische Terroristen verantwortlich waren1905. So explodierte am 21. Februar 1970 im Frachtraum einer Maschine der Austrian Airlines, die von Frankfurt/Main aus gestartet war, ein Sprengsatz, der sich in einer Paketsendung mit Zielort Israel befand1906. Bereits am 10. Februar 1970 hatten drei Terroristen am Flughafen München-Riem ein Attentat auf israelische Passagiere verübt, bei welchem ein Toter sowie elf Verletzte zu verzeichnen waren1907.
Die Bundesregierung reagierte auf die beschriebene Gesamtlage gegen Ende des Jahres 1969 mit einem „Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung“1908 und im Frühjahr 1972 mit dem Schwerpunkt-programm „Innere Sicherheit“1909. Das „Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung“ diente vor allem der Kriminalitätsbekämpfung im Allgemeinen und der Stärkung des Bundeskriminalamtes als Zentralstelle. Jedoch sind auch bezüglich des Bundesgrenzschutzes einige Kernaussagen festgehalten. So wird als Maßnahme im Zusammenhang mit der Sicherung des Luftverkehrs genannt, dass der Bundesgrenzschutz seit dem 24. Februar 1970 auf Ersuchen der Länder täglich 150 Beamte für Aufgaben der Luftsicherheit an den Flughäfen Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover und Bremen abgestellt hat1910. Die Aufgabe Luftsicherheit wurde zu diesem Zeitpunkt von den Ländern ausgeübt. 1961 wurde zwar Art. 87d neu ins GG eingefügt1911, welchem zufolge die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt wird. Jedoch können gemäß Art. 87d Abs. 2 GG Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung den Ländern als Auftragsverwaltung übertragen werden1912. Mit § 31 Abs. 1 Nr. 18 des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Luftverkehrsverwaltung vom 8. Februar 1961 wurde festgelegt, dass die Ausübung der Luftaufsicht gemäß § 29 LuftVG1913 durch Länder im Auftrag des Bundes erfolgt. Somit hatte der Bund zum damaligen Zeitpunkt keine Zuständigkeit im Bereich der Luftsicherheit.
Der Einsatz des Bundesgrenzschutzes auf Flughäfen sollte vor allem vermeiden, dass die Polizeien der Länder „aus ihren unmittelbaren Aufgabenbereichen abgezogen werden“1914. Weiterhin ist im „Sofortprogramm“ erwähnt, dass der Bundesgrenzschutz personell verstärkt werden und generell den Ländern „auf deren Anforderung in besonderen Situationen zur Verfügung stehen“ soll1915. Im Schwerpunktprogramm „Innere Sicherheit“ wurde dies konkretisiert. Der Bundesgrenzschutz werde durch das neue Bundesgrenzschutzgesetz „zu einem zusätzlichen, jederzeit abrufbaren Sicherheitspotential“1916.
An polizeilichen Anlässen zur Verstärkung der Landespolizei durch den Bundesgrenzschutz mangelte es aufwachsend ab dem Jahr 1968 nicht – eine entsprechende gesetzliche Grundlage war allerdings nicht vorhanden. Weder aufgrund einer Norm im damals geltenden BGSG noch aufgrund der dem Bundesgrenzschutz im Rahmen der Notstandsverfassung zugewiesenen Aufgaben hätte sich ein Einsatz von Bundesgrenzschutzbeamten bei einer Demonstration oder in Zusammenhang mit der Fahndung nach Terroristen im Landesinneren rechtfertigen lassen1917. Der Einsatz des Bundesgrenzschutzes für die genannten Zwecke konnte nur aufgrund der Anforderung eines Landes erfolgen. Eine entsprechend korrespondierende Vorschrift, gemäß welcher der Bundesgrenz- schutz auf Ersuchen bei besonderen polizeilichen Ereignissen im Landesinneren eingesetzt werden konnte, fehlte bislang im BGSG und sollte mit dem Gesetzesvorhaben 1972 geschaffen werden. Im Gesetzgebungsprozess wurde darüber hinaus deutlich, dass allein eine Norm im BGSG, gemäß welcher ein Unterstützungseinsatz zu Gunsten der Länder ermöglicht werden sollte, allein gerade nicht ausreichend ist, sondern hierfür zusätzlich eine Ergänzung des Art. 35 GG notwendig war.