Das Säulenkonzept der NPD
Christoph Schulze
Einleitung
Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) hat seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ihr Agitationsund Aktionsrepertoire beständig erweitert und sich selbst auf diese Weise flexibilisiert. Sie hat sich von einer starren, fast in der Bedeutungslosigkeit verschwundenen Partei der extremen Rechten zu einer neonazistischen Bewegungspartei gewandelt (Funke 2002: 84). Diese Einschätzung gilt trotz der seit Jahren anhaltenden Finanzprobleme der NPD, den in jüngerer Zeit rückläufigen Mitgliederzahlen, dem neuen Verbotsverfahren und anderen Faktoren, durch die die Handlungsmöglichkeiten der NPD erheblich beschnitten sind.
Mit den Erfolgen einhergehend sind aus der Partei häufig hochgradig widersprüchliche Aussagen zu vernehmen – gerade auch, was die wichtige Frage angeht, wie die NPD öffentlich ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus dargestellt wissen möchte. Ein Beispiel dafür ist das uneinheitliche Verhalten der Partei anlässlich des Todes von Friedhelm Busse im Juli 2008. Bei dessen Beerdigung [1] waren auch etliche NPD-Funktionäre zu Gast. Der Hamburger Neonazi Thomas Wulff breitete eine Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz über Busses Sarg aus (Andreasch 2008). Das Parteipräsidium der NPD ging wenig später auf Distanz: "Der Einsatz für ein sozial gerechtes Deutschland bedarf keiner Symbolik von gestern." Die Hakenkreuzflagge stehe nicht "im Einklang mit den Zielen der NPD" (Parteipräsidium der NPD 2008). Nur Wochen später schrieb der damalige Parteichef Udo Voigt einen ganzseitigen und betont respektvollen Nachruf auf Busse in der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" (Voigt 2008). [2]
Auf lokaler Ebene konzentrieren sich NPD-Funktionäre mancherorts darauf, kommunale Probleme zu thematisieren, die betont unideologisch bearbeitet werden – eine Tendenz, die Klärner 2006 als "taktische Zivilisierung" fasste (vgl. Klärner 2006: 64 ff.). Indem beispielsweise langsame Behördenarbeit angeprangert wird, ist es für die NPD möglich, mit Menschen ins Gespräch kommen, ohne gleich den Kern der eigenen Weltanschauung diskutieren zu müssen. Ein zumindest temporärer Gewaltverzicht ist in diesem Auftreten inbegriffen. Auf der anderen Seite führt die NPD regelmäßig Demonstrationen durch, bei denen ein militanter Gestus zelebriert und der Geist des Nationalsozialismus beschworen wird. Im Oktober 2006 versammelten sich in Berlin rund 1000 Rechtsrockfans bei einer von der NPD organisierten Solidaritätsdemonstration für den damals inhaftierten Sänger der Band Landser, Michael Regener. Dem Rechtsrocker, der Texte sang wie "Kanacke verrecke", spricht die NPD in ihrem Aufruf zu, dass er "die Sehnsucht einer ganzen jungen Generation nach Erneuerung und nach einem Land, das die Heimat der Deutschen sein soll" artikulieren würde (NPD Berlin 2006). Regener ist NPD-Mitglied und tritt mit seiner aktuellen Band "Die Lunikoff Verschwörung" immer wieder bei Parteiveranstaltungen auf – etwa beim "Sachsentag" der "Jungen Nationaldemokraten" im Juni 2013 in Zobes.
Vortäuschung einer Distanz zum Nationalsozialismus und gleichzeitige offene Befürwortung desselben; gewaltfreie Basisarbeit und militante Demonstrationen – solche Diskrepanzen sind nur teilweise Ausdruck verschiedener konkurrierender Strömungen in der Partei. Zugleich zeugen sie von der mittelfristigen Strategie, die die NPD verfolgt. Sie versucht, mehrere Zielgruppen gleichzeitig anzusprechen. Vom subkulturell geprägten Rechtsrockfan zur NS-Nostalgikerin – dem gegenwärtig prägenden Milieu (vgl. Kopke/Botsch 2009) –, vom politisch-apathischen arbeitslosen Ostdeutschen zur rassistischen Mittelständlerin aus Westdeutschland. "Traditionell bürgerliche Wähler" seien zu werben, jedoch nicht als "alleiniger Ansprechpartner für die nationale Erneuerung", hielt der NPD-Parteivorstand 2009 fest. Arbeitslose und anderweitig Marginalisierte, die große Anzahl der systemverdrossenen Nichtwähler und der "idealistische Teil der deutschen Jugend" seien die hauptsächlichen Zielgruppen (Parteivorstand der NPD 2009: 16). Sie alle werden adressiert, gewissermaßen kann sich jeder seine NPD aussuchen. In diesem Sinn hat die NPD ihr Auftreten, ihre Selbstinszenierung und ihre Ansprachetechnik ausdifferenziert.
Den Orientierungsrahmen für diese Praxis bietet das so genannte Dreisäulenkonzept aus dem Jahr 1998, welches 2004 zu einem Viersäulenkonzept ausgebaut wurde. Dies gilt auch für die Phase, in der der von 2011 bis 2013 amtierende Parteichef Holger Apfel als Kommunikationsstrategie einen "seriösen Radikalismus" ausgerufen hatte, und wird auch vom derzeitigen Bundesvorsitzenden Frank Franz fortgeführt. Leben und auch Politik sind für eine rechtsextreme Partei wie die NPD immer nur in einem militärischen Bedeutungsrahmen als "Kämpfe" fassbar. In ihrem Strategiepapier zum Säulenkonzept erklärt das NPD-Parteipräsidium 1998: "Wenn die NPD ihre Ziele für Deutschland erreichen will, muss sie – im übertragenen Clausewitzschen Sinne gesprochen – drei große Schlachten schlagen" (Parteivorstand der NPD 1999: 359). "Zur Programmatik", "zur Massenmobilisierung" und "zur Wahlteilnahme" (Parteivorstand der NPD 1999: 359 ff.) dienen die drei angestammten Säulen; zur Bündnispolitik ruft seit 2004 eine neue, vierte Säule auf. Dem Pathos der Parteisprache entsprechend sind diese Säulen betitelt: Es geht um den "Kampf um die Köpfe", den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Parlamente" und den "Kampf um den organisierten Willen". Die Säulen "Kampf um die Straße" und "Kampf um den organisierten Willen" lassen sich dabei recht konkreten Zielen zuordnen: Die NPD will Demonstrationen abhalten und Bündnisse schließen. Der "Kampf um die Köpfe" und der "Kampf um die Parlamente" sind unterdessen um einiges vager gehalten. Hier geht es darum, auf vielfältige Art Menschen an sich zu binden und bei möglichst vielen Wahlen gute Ergebnisse zu erzielen. Letztliches Ziel ist die Abschaffung der Demokratie. Der NPD-Parteivorstand formuliert in aller Deutlichkeit, dass es der Partei um eine "Überwindung des liberalkapitalistischen Systems und des bestehenden volksfeindlichen Parteienstaats" gehe. Man sei die "Avantgarde eines neuen Deutschlands" (Parteivorstand der NPD 2009: 15). Die NPD ist dabei eine Kleinpartei, deren politischer Einfluss gering ist und deren Ressourcen enge Grenzen gesetzt sind. Auch in Hinsicht auf Strategie und Taktik sind viele ihrer Ankündigungen großspurig formuliert und werden in der Praxis selten eingelöst. Auch die Säulenstrategie ist voll von schillernden Begriffen – die Kluft zwischen Anspruch und Umsetzung muss für eine treffende Einschätzung der Partei im Auge behalten werden. [3] Dennoch ist die Säulenstrategie Leitmaß für die NPD-Politik. Ohne Berücksichtigung der dort formulierten Schwerpunkte lässt sich die Parteientwicklung der vergangenen Jahre nicht nachvollziehen.Der vorliegende Beitrag stellt zunächst die Geschichte und Hintergründe des Säulenkonzeptes dar und erläutert Inhalt und Umfang der einzelnen Säulen. Folgende Punkte werden aufgezeigt:
1) Die NPD setzt mit ihrer Säulenstrategie auf langen Atem, auf Graswurzelarbeit anstelle kurzfristiger Wahlerfolge.
2) Die NPD will – wie bereits angedeutet – mit jeweils spezifisch angepasstem Auftreten bei verschiedenen Klientelen gleichzeitig politikfähig sein.
3) Das Säulenkonzept ist weitfassend formuliert, um viele Handlungsoptionen denkbar zu machen, aber kaum welche auszuschließen. Insofern ist es nur grober Orientierungshorizont für Parteiaktivisten und ein Bündnisangebot an andere extreme Rechte. Es hält keine Liste oder auch nur Anhaltspunkte bereit, was Parteiinteressen widersprechen würde. [4]
4) Daran anschließend sind auch kämpferische und militante Aktionen innerhalb des Säulenkonzepts denkbar. Um legal und argumentativ nicht in die Defensive zu geraten, ist der "Kampf um die Straße" zwar auf Demonstrationen beschränkt – aber er beinhaltet genügend Spielraum, um beispielsweise Militanz gegen Parteifeinde denkbar zu machen.
- [1] Friedhelm Busse, Jahrgang 1929, war als Teenager als Freiwilliger der Waffen-SS im Einsatz. Von der Nachkriegszeit an durchgehend bis zu seinem Tod war Busse als Nationalsozialist aktiv. Er war unter anderem Gründer der 1982 verbotenen "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit" (VSBD) und von 1988 bis zu ihrem Verbot 1995 Vorsitzender der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP).
- [2] Der Kulturwissenschaftler Georg Seeßlen hält das hier erkennbare "Spiel mit Distanzierung, Leugnung und Identifi tion mit dem historischen Nationalsozialismus" gar für ein allgemeingültiges Charakteristikum des "neuen Faschismus" (vgl. Seeßlen 2001: 19).
- [3] Aufgrund solcher Vagheiten spricht Brandstetter gar im Hinblick auf das gesamte Säulenkonzept von einer "Mogelpackung". Tatsächlich herrsche in der NPD strategische "Planlosigkeit" (Brandstetter 2013: 320).
- [4] Schon das ebenfalls aus NPD-Kreisen stammende Konzept der "National befreiten Zonen" von 1990/1991 war sehr umfassend gehalten – und als noch umfassender wurde es in der Szene rezipiert. Es diente schließlich faktisch als Kanisterbegriff um "ein buntes Allerlei" von Aktivitäten vom Versandhandel bis zur Straßengewalt in einen gemeinsamen Kontext setzen zu können (vgl. Döring 2008: 94).