Die wortgeschichtliche Entwicklung des Begriffs im europäischen Raum

Der Sprachwissenschaftler Franz Joseph Meissner fasst in seinem Buch „Wortgeschichtliche Untersuchungen im Umkreis von französisch Enthousiasme und Genie“ (1979) sprachwissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung des Begriffs ‚Enthusiasmus' zusammen (vgl. Meissner, 1979, S. 329ff). Diese Zusammenfassung reicht inhaltlich bereits bis in die heutige Zeit und spricht teilweise auch Aspekte zur Wirkung des Enthusiasmus an. Sie soll im Folgenden zunächst vorgestellt werden, um ein Verständnis der umfangreichen Bedeutung des Begriffs an sich und seiner Entwicklung zu geben.

In der vorolympischen Religion betrachteten die Griechen den Enthusiasmus grundsätzlich als etwas ‚göttlich Erhabenes'. Der Gräzismus ἐνθουσιασμός entwickelt sich dann jedoch unter Platons Einfluss zu einem Poetologem. Das Wort wird ‚psychologisierend' verstanden und gebraucht, da in der olympischen Zeit das Verhalten von enthusiastischen Menschen immer auf den Einfluss eines bestimmten Gottes zurückgeführt wurde. „Das Wort meint im Griechischen in der metaphysischen Anthropologie zunächst das Durchdrungenwerden der menschlichen Existenz vom Heiligen, später in christlichen Zusammenhängen die ekstatische Gottesverehrung“ (Kluge, 1989, S. 180). Im Christentum erhält der Begriff ‚Enthusiasmus' durch diese ihm zugeschriebene Wirkung beim Menschen eine negative Konnotation. Die Enthusiasten galten als heidnische Sektierer und Geisteskranke, deren Fanatismus den Weg zur Kirche zum ‚rechten Glauben' versperrte. Im lateinisch-spätantiken Abendland wird die griechische Sprache dann quasi vergessen und der Begriff taucht kaum noch auf (vgl. Meissner, 1979, S. 313).

Erst lange Zeit später war es dann Martin Luther, der die pejorative Bedeutung des Begriffs aus der olympischen Zeit wieder aufgriff und den Papst als „verbotenen Enthusiasten“ bezeichnete (vgl. a.a.O., S. 314). Weiterhin ist laut Meissner ein Enthusiast als ‚Fanatiker', ‚falscher Erleuchter', ‚krankhafter Visi- onär' und ‚Simultant' im Sprachgebrauch anderer westeuropäischer Ländern bekannt. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts erfuhr der Begriff, dank einiger Humanisten (in Frankreich die Pléiade-Dichter), die sich auf Platon bezogen, wieder eine positive Bedeutung. Diese bezeichneten die Stellung und das Wesen außergewöhnlicher Menschen, vor allem Künstler (!), mit dem eigentlichen Namen als ‚enthousiasme'. Meissner spricht von einer ‚falschen Epiphanie', die der Begriff in der christlich-spätantiken Zeit inne hatte. Ein Enthusiast war ein Fanatiker, ein Spinner, ein Psychopath.

In Italien war es Patrizi, ein Dichter und Denker dieser Zeit, der vom ‚enthusiasmo' sprach, welcher ein ‚genio', ein ‚demone' und eine ‚deità' im Dichter entzünde („Der Genius ist die Energie, die den Enthusiasmus überbringt“ [a.a.O., S. 315]). Meissner bezeichnet den Begriff daher als Kernwort in der Kontroverse um den enthusiastischen Künstlers: Auf der einen Seite Begnadeter, auf der anderen Seite Hungerleider und Dieb.

Im englischen Sprachraum trug besonders der Einfluss des niederländischen Philosophen Erasmus von Rotterdam (1466/67/69-1536) dazu bei, dass der Begriff vor 1650 eine positive Konnotation entwickelte. So unternahmen einige englische Autoren den Versuch, den beschriebenen eher krankhaften Enthusiasmus wissenschaftlich zu phänomenologisieren und ihn über seine polemische Begrenzung hinauszuführen. Neben den pathologischen Formen des Enthusiasmus aus der Antike definiert man den Enthusiasmus nun auch als ‚schöpferisch' und ‚fruchtbar', was aufgrund des – nach Meissner ‚typisch englischen' – Skeptizismus zu einer Säkularisierung des Begriffs führte. Ein berühmter Vertreter dieser Zeit ist Anthony Ashley Cooper, Lord Shaftsbury, gewesen, der mit seinen Ausführungen zum Enthusiasmus als eine schöpferische Kraft dem Enthusiasmus eine kosmische Bedeutung zufügt. In der historischen Enzyklopädie von Diderot werden die englischen und französischen Vorstellungen zum dem Begriff Enthusiasmus mit den Artikeln zu ‚Enthusiasmus', ‚Phantasie', ‚Elektrizismus' und ‚Genie' zusammengefasst (vgl. Meissner, 1979, S. 312ff).

Die später in Deutschland folgende Zeit des Sturm und Drangs rückt etwas von der Entwicklung des Begriffs in England und Frankreich ab, was anhand der Vorstellung der Aussagen von Platner und Kant (S. 14ff) noch genauer thematisiert wird.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schreitet die Technologisierung voran und die Untersuchung des Enthusiasmus gerät in sprachwissenschaftlicher Sicht immer mehr aus dem Interessenfeld der Forschung. Im Vordergrund stehen für die Gesellschaft die sich systematisch entwickelnden Wissenschaften wie die Medizin und die Psychologie. Wenn auch nur kurz, so schildert Meissner abschließend das 20. Jahrhundert als eine Zeit, in der das Wort nicht nur im Zusammenhang mit Gelehrten, Dichtern und Denkern gebraucht wird, sondern bei allen Menschen einer Gesellschaft. Als institutionelle Förderer der Popularisierung nennt er Presse, Funk, Fernsehen und Schule (vgl. Meissner, 1979, S. 321).

Dass der Enthusiasmus bis heute in pädagogischer und psychologischer Hinsicht nicht im wissenschaftlichen Fokus der Forschung steht, ist auch durch die Ereignisse und den Missbrauch von Massenbegeisterung im II. Weltkrieg zu begründen. Der Psychologe Lambert Bolterauer sieht für das Fehlen des Begriffs

‚Begeisterung' in der wissenschaftlichen Literatur folgende Erklärung: „Die Deutschen brauchen über das Wort ‚Begeisterung' keine Belehrung, denn sie wissen es alle noch aus der jüngsten Vergangenheit [...] und darüber spricht und schreibt man nicht gerne“ (Bolterauer, 1989, S. 34). Inzwischen hat sich die Verwendung des Begriffs ‚Enthusiasmus' gewandelt und besonders das Synonym ‚Begeisterung' findet im Alltag häufig Verwendung.

 
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