Warum wir den Musikalischen Enthusiasmus brauchen

Der bereits erwähnte Missbrauch des Enthusiasmus im vergangenen Jahrhundert trägt sicherlich auch dazu bei, dass der Begriff bis heute in der Pädagogik nicht seinen richtigen wissenschaftlichen Platz eingenommen hat. Innerhalb der Handlungsebene kann man sich daher nach der Begründung für den Enthusiasmus im Unterricht auch fragen: „Darf man begeistern wollen? Ist der Wille zur Begeisterung nach den katastrophalen Massenenthusiasmen im Faschismus und Kommunismus noch legitimierbar?“ (Bösel et al., 2010, S. 21). Als Philosoph bezieht sich Bösel nicht auf pädagogische Situationen, sondern auf politische Ereignisse der Vergangenheit, in denen ein Subjekt den Willen besaß, auf andere begeisternd einzuwirken. Doch ist es nicht auch das Ziel des Lehrers, die Schüler für die Lerninhalte zu begeistern? Der Philosoph begründet mit den politischen Ereignissen der Vergangenheit, dass es heutzutage schwierig bis unmöglich ist, einen positiven Bezug zwischen Denken und politischem Enthusiasmus herzustellen. Auch wenn in der Philosophie von der „schönen Seele“ die Rede ist, und dieses vielleicht etwas zu abstrakt ist, um es auf den pädagogischen Kontext anzuwenden, so beschreibt sie jedoch die Weitergabe eines „guten“ Enthusiasmus durch eine „schöne Seele“: [...] über jene Kunstfertigkeit [zu verfügen], die es ihm erlaubt, bei Anderen eine ähnliche Prozessualität der Intensitätssteigerung auszulösen oder zumindest zu fördern.“ (Bösel, 2008, S. 178). Diese ‚Ansteckung' zum Enthusiasmus ist eine der bedeutendsten Eigenschaften des (Musikalischen) Enthusiasmus in der Pädagogik. In Bezug auf eine pädagogische Unterrichtssituation soll anhand eines Zitates aufgezeigt werden, dass sich auch Lehrer heutzutage die Frage nach ihrem eigenen Willen zur Begeisterung und ihrem Umgang damit stellen: „Wie kann ich einem Schüler sagen, dass er sich dafür begeistern soll, wenn er gar keinen Sinn darin sieht. Natürlich kann ich sagen: Du musst es machen, weil ich das sage. Bums aus. Einfach so die Machtkarte [...]..“ (Wömmel, 2009, S. 76). Der Musiklehrer spricht von der „Machtkarte“, jedoch führt er die erweckte Begeisterung für den Lerninhalt als eine Begründung an, die eine Sinnhaftigkeit impliziert und sich damit auch für den Schüler erschließt. Die Aussage eines Musiklehrers zu seinem Umgang mit dem ME belegt, dass sich Lehrer selbst nach ihrem eigenen ME und Begeisterungswillen fragen müssen. Darf ich als Lehrer begeistern wollen? Das ist für den ME in didaktischer Hinsicht eine zentrale Frage. Die Antwort für die Musikpädagogik und den angemessenen Stellenwert in der Bildung zur Vermittlung musikalischen Wissens liegt auf der Hand: Ein Musiklehrer darf nicht, sondern er muss begeistern wollen!

 
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