"Kampf um die Köpfe"

Einen im Prinzip banalen Punkt spricht die NPD mit der zweiten ihrer Säulen an. Wie jede politische Gruppierung trachtet auch sie danach, möglichst viele Menschen von ihren Anschauungen zu überzeugen. Die Summe diesbezüglicher Bemühungen ist im "Kampf um die Köpfe" zusammengefasst. Er wirke sich auch aus NPD-Sicht "in letzter Konsequenz auf jede Ebene aus" (Parteivorstand der NPD 2002: 27). Es geht darum, das völkisch-nationalistische Programm der NPD mit ideologischer Arbeit zu schärfen und ihm zu einer zu größtmöglichen Verbreitung zu verhelfen. [1] Hauptfeinde sind dementsprechend Humanismus und Universalismus. [2] Das "Gleichheitsdogma" (Parteivorstand der NPD 2002: 16) sei zu überwinden um "den Unterschieden unter den Menschen Rechnung" zu tragen (Parteivorstand der NPD 2002: 17).

Wie diese ideologischen Grundlagen konkret vermittelt und weiterentwickelt werden sollen, wird im Strategiepapier des NPD-Vorstandes nur angedeutet. Hier heißt es, dass die NPD sich prozesshaft und langfristig der "Einbindung von Persönlichkeiten" und den "Aufbau von intellektuellen Netzwerken weit über Parteigrenzen hinaus" widmen müsse. "Berührungsängste" seien dabei unangebracht:

"Nicht nur die klassischen ›Rechten‹, sondern auch die vielen desillusionierten Umweltaktivisten und linken Idealisten aus der alten BRD, die heute feststellen müssen, dass ihre bisherigen Vorbeter genauso auf Globalisierungskurs sind wie die angeblichen ›Liberalen‹, ›Konservativen‹ und ›Sozialdemokraten‹, müssen in diese Arbeit eingebunden werden. Weiter noch: auch Marxisten-Leninisten, die auf der DDR-Seite der ehemaligen innerdeutschen Besatzer-Demarkationslinie ihre Erfahrungen gesammelt haben, sind wertvollste Mitkämpfer, wenn sie den Sozialismus als Volksgemeinschaft begreifen" (Parteivorstand der NPD 1999: 359).

Die zu gewinnenden "Köpfe" seien "Intellektuelle, Volkstribunen, Organisatoren und Marschierer" und sollten sich im Interesse der Partei "an die Spitze der Massen" stellen. So sollten sie den Inhalten der NPD ein Gesicht geben: Solch eine "Personifizierung" lasse Erfolge erhoffen (Voigt 2013 200 ff). Bei der Auswahl von Agitationsthemen werden ebenfalls Offenheit und Experimentierfreude angemahnt: "Alle Ideen und Begriffe [müssen] hinsichtlich ihrer mobilisierenden Wirkung auf die Massen immer wieder erprobt werden." Programmarbeit sei darum "Teil der operativen Vorgehensweise […] Die Programmatik ist Weg und Ziel der Partei zugleich" (Parteivorstand der NPD 1999: 359).

Dazu ergänzend betont Udo Voigt: "Kommunalwahlen müssen unser Fundament bilden". Nur so könne die NPD "unsere Politik für Deutsche fest verankern":

"Den ständigen Hetztiraden der Massenmedien werden wir nur dann auf Dauer begegnen können, wenn wir mit Persönlichkeiten ›Gesicht‹ zeigen, die uns repräsentieren und für den Bürger wählbar sind und seine Identifikation mit uns erlauben. […] Das nationale politische Fundament muss in den Kommunen aufgebaut werden. In der Gemeinde muss man die Vertreter deutscher Bürgerinteressen persönlich kennen, nur dann werden wir uns dauerhaft in den deutschen Parlamenten verankern können" (Parteivorstand der NPD 1999: 470). [3]

Damit ist innerhalb der Grundsatzpapiere der "Kampf um die Köpfe" bereits umrissen: Die NPD will für alle Unzufriedenen und Enttäuschten offen sein, langfristig von unten her arbeiten. Dafür brauche sie vorzeigbare Vertreterinnen und Vertreter in den mittleren und unteren Ebenen der Parteihierarchie. Als vorbildlich dafür dürfte in der Partei bis heute die kommunale Arbeit des 2006 tödlich verunglückten Uwe Leichsenring in der Sächsischen Schweiz gelten. In seiner Heimatgemeinde Königstein erzielte Leichsenring zweistellige Wahlergebnisse. Er war im Ort ohnehin als Fahrlehrer bekannt und sodann als verbindlicher, ansprechbarer Kommunalpolitiker geschätzt. Ohne dass dies seiner recht hohen Popularität in relevanten Teilen der Bevölkerung geschadet hätte, unterhielt er darüber hinaus intensive Kontakte zur 2001 verbotenen militanten Kameradschaft "Skinheads Sächsische Schweiz". Insgesamt ist es der Partei jedoch bislang nicht gelungen, in größerem Ausmaß – also über den begrenzten Rahmen weniger Regionen hinaus – eine derartige Verankerung in die Realität umzusetzen. Es mangelt der NPD schlicht an genügend geeignetem Personal, das diese recht hoch angesetzten Vorgaben erfüllen kann: "Die Partei zieht beinahe zwanghaft narzisstische Charaktere an – Personen mit großer Klappe, großen Plänen und ebenso großen politischen und sozialen Defiziten" (Peters/Weiss 2008: 2).

Vom Kern der Strategiesäule einmal abgesehen, nutzt die NPD den Begriff "Kampf um die Köpfe" auch als Sammel-Schlagwort, um verschiedene weitere Aktivitäten in die Parteistrategie einfügen zu können. Alles, was irgendwie mit Überzeugungsarbeit zu tun hat, kann im Zweifel als "Kampf um die Köpfe" bezeichnet werden. In diesem Sinne ist dieser "Kampf" ein weit dehnbares und somit diffuses Konzept.

In seinem Rechenschaftsbericht auf dem Bundesparteitag 2004 in Leinefelde erinnerte Udo Voigt an gesellschaftlich anerkannte Persönlichkeiten, die sich in den Anfangsjahren der NPD zur Partei bekannt hätten – darunter etwa der Raumfahrtpionier Herrmann Oberth. Auch in 2004 sah Voigt offenbar Potenzial darin, bestimmte Prominente für die Parteiarbeit interessieren zu können – beziehungsweise sie im Parteiinteresse wirken zu lassen. So verweist er darauf, dass Spiegel-Redakteur Fritjof Meyer die Todeszahlen von Auschwitz in Frage stellte und Günther Grass die Deutschen nicht mehr "nur als Täter sondern auch als Opfer" betrachtet wissen wolle. Auch um solche Köpfe solle im "Kampf um die Köpfe" gefochten werden. Die Gesellschaft könne so "vom Denken der Feinde befreit" werden (vgl. Rabe 2004a). Auch Kampagnen zur Mitgliederwerbung in der Parteizeitung werden regelmäßig unter dem Slogan "Kampf um die Köpfe" subsumiert.

Passgenauer zum "Kampf um die Köpfe" gehört die so genannte "Wortergreifungsstrategie", welche von der NPD seit einigen Jahren verfolgt wird. [4] Sie ist wie folgt konzipiert: NPD-Mitglieder nehmen gezielt an öffentlichen Veranstaltungen anderer Parteien oder politischer Initiativen teil [5] – in den allermeisten Fällen zunächst, ohne sich als solche zu erkennen zu geben. Im Laufe der Veranstaltung rufen die Rechtsextremen dazwischen oder versuchen, in der Diskussion ihre Polemiken anzubringen. Um Quantität und Qualität der Wortergreifungen steigern zu können, hat die Partei inzwischen eigens ein Schulungsheft für Parteiaktivisten herausgegeben. Darin heißt es, der Auftritt solle idealer Weise andere Veranstaltungsteilnehmer verunsichern:

"Fragen, die ein etablierter Politiker nicht beantworten kann, brechen seine Autorität. Verhaspelt sich der politische Gegner oder ergeht sich gar in einem Wutanfall, gibt er sich der Lächerlichkeit preis. Kann ihm eine volksfeindliche Stellungnahme entlockt werden, wird dies viele Anwesende zum Nachdenken bringen" (NPD 2008: 5 ff.).

Genügend rhetorische Fähigkeiten bei den NPD-Wortführerinnen und -Wortführern vorausgesetzt, könne man mittels der Wortergreifung garantiert politischen Gewinn machen:

"Wird eine Antwort verweigert, ist die betreffende Person als Pseudodemokrat demaskiert. Und wird wider Erwarten mit der NPD auf gleicher Augenhöhe diskutiert, ist die öffentliche Isolierung durchbrochen. Treten die NPD-Aktivisten souverän, sympathisch und kenntnisreich auf, wird jede Wortergreifung […] zu einem politischen Erfolg" (NPD 2008: 6).

Als Zielgruppe derartiger Aktionen nennt die NPD "nicht parteigebundene Bürger", die durch cleveres Auftreten bei Veranstaltungen durchaus überzeugt oder zumindest interessiert werden könnten (vgl. NPD 2008: 7). "Die Wortergreifungsstrategie sei daher hauptsächlich dem Kampf um die Köpfe zuzuordnen" (NPD 2008: 8), heißt es. Zudem soll eine über den Veranstaltungsrahmen hinausreichende Öffentlichkeit erreicht werden: "Da regionale Medien provokante NPD-Wortergreifungen nicht totschweigen können, führen Wortergreifungen zu einer kostenlosen Medienpräsenz" (NPD 2008: 9). Zudem seien diese Aktionen ein Trainingsszenario, bei dem sich die unteren und mittleren Parteifunktionäre bewähren und verbessern könnten: "Letztlich können lokale NPD-Aktivisten in öffentlichen Veranstaltungen schon mal die freie Rede im Parlament üben. […] Eliten fallen nicht vom Himmel!" (NPD 2008: 8). Nicht immer erscheint dabei ein Bekenntnis zur NPD opportun. Man solle bei öffentlichen Auftritten, etwa zum Themenkomplex "Flucht und Asyl", "nicht immer unsere Vereine (…), unsere Logos und Fahnen in den Mittelpunkt stellen, sondern die politischen Inhalte und die Sorgen der Menschen", forderte 2013 der JN-Aktivist Michael Schäfer. Solch eine Zurückhaltung könne helfen, "Berührungsängste" abzubauen (Schäfer 2013: 38). Wie häufig und wie erfolgreich Wortergreifungen tatsächlich vonstatten gehen, ist derweil nicht bekannt.

Die NPD versucht ihre Anhängerschaft zum "Kampf um die Köpfe" auch über Intellektualisierung und durch interne Bildungsarbeit zu befähigen. Deren Bilanz ist bis dato durchwachsen. Der Umfang der Schulungen ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Mit "Iseo"-Lehrgängen, welche schon in den 1980er Jahren praktiziert worden seien, würden Parteifunktionäre "in umfassender Weise" weitergebildet (DS-Aktuell 2012). [6] Doch immer wieder entpuppen sich weiter reichende Parteiinitiativen als erfolglos. So rief die NPD nach dem Einzug in den sächsischen Landtag 2004 die "Dresdener Schule" als nichtinstitutionellen Thinktank ins Leben. Aus ihr heraus sollte sich eine Theorieproduktion entwickeln, die als Gegenstück zur Frankfurter Schule fungieren sollte (vgl. Gansel 2005). Nennenswerte Ergebnisse wurden nicht erzielt. Eine Ausnahme stellt die seit 2005 regelmäßig erscheinene Zeitschrift "Hier & Jetzt" der sächsischen "Jungen Nationaldemokraten" beziehungsweise seit 2009 des "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität" dar, die bundesweite Strahlkraft hat und am ehesten die Rolle einer parteinahen Theorieschrift erfüllt. Zu einem wichtigen Standbein der Parteibildungsarbeit hat sich derweil die "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) um Hartmut Krien entwickelt. Die KPV versucht, Mandatsträgern der Partei mittels Weiterbildungsseminaren und Schulungsmaterial das Basiswissen für die Parlamentsarbeit zu vermitteln. Die KPV leistet nach eigenen Angaben Unterstützung

"bei der Erfüllung der formalen Voraussetzungen für einen Wahlantritt, durch die Vorbereitung geeigneter Bewerber auf die Übernahme kommunaler Mandate und die Betreuung der Mandatsträger bei der Ausübung ihres Amtes" (KPV 2008).

Dieses Grundlagenwissen sowie die Schulungen seien Fundament für die nötige "kontinuierliche Graswurzelarbeit" auf der kommunalen Ebene (Thomsen 2011).

  • [1] Das "lebensrichtige Menschenbild" der NPD – so der Parteiterminus – ist "zentrales Element nationaldemokratischer Th rie" (Parteivorstand der NPD 2002: 16). Die NPD beruft sich bei der Herleitung ihres Menschenbildes auf Erkenntnisse aus "Neurologie, Genetik, Soziologie, Biologie, Anthropologie, Ethnologie und Psychologie" und fasst diese Wissenschaften absurderweise als "Naturwissenschaft" zusammen (Parteivorstand der NPD 2002: 16). Die Menschen seien "tiefgreifender durch ihre Erbanlagen (Gene) geprägt […] als durch Umwelteinflüsse." Die Natur des Menschen erfordere "die Einbeziehung der Naturgesetze in die politische Handlung" (Parteivorstand der NPD 2002: 17). Ethnizität und Nationalität sind für die NPD also keine sozialen Konstrukte, sondern übergeschichtliche Konstanten: "Völker sind nun einmal Lebensund Naturtatsachen. […] Die Menschen leben in Völkern als organisch gewachsenen Gemeinschaften körperlich, geistig und seelisch verwandter Menschen […]. Völker sind konkrete, greifbare Lebenserscheinungen, während es ›den‹ Menschen gar nicht gibt. […] Der ›Mensch‹ ist genauso eine Fiktion, ein Gedankengebilde und eine Illusion wie die ›Menschheit‹" (Parteivorstand der NPD 2012: 20 f.).
  • [2] Marxismus und marktwirtschaftlicher Liberalismus teilen aus NPD-Sicht das gleiche, falsche Menschenbild und würden "in der gleichen Traumwelt" leben. En passant wird dem Marxismus unterstellt, er würde die "Urgesellschaft" als "Paradies" ansehen und die Menschheit dorthin zurückführen wollen (Parteivorstand der NPD 2002: 16).
  • [3] Fast wortgleich argumentiert Voigt auch 14 Jahre später (Voigt 2013: 199).
  • [4] Als Inspirationsquelle und Begriffsschöpfer für die "Wortergreifungsstrategie" nennt die NPD den Ex-68er und jetzigen Rechtsextremen Reinhold Oberlercher (NPD 2008: 8). Dass es der NPD nicht um eine tatsächliche Diskussion, sondern immer um Sprengung der einzelnen Veranstaltung geht, wird daran deutlich, dass sie "Sit-ins" und "Teach-Ins" der 68er als Vorbild der Wortergreifung sieht – die 68er hätten es "meisterhaft [verstanden], Vorlesungen an Hochschulen oder öffentliche Veranstaltungen […] "zu blockieren oder […] umzufunktionieren" (NPD 2008: 8; vgl. auch: MBR 2007). Erstmals wurde die "Wortergreifungsstrategie" 2003 von Udo Voigt ausführlich beschrieben, sei jedoch damals schon seit "gut zwei Jahren" im Einsatz gewesen (Voigt 2003).
  • [5] In der bisherigen Praxis handelt es sich in der großen Mehrheit um zivilgesellschaftliche Veranstaltungen, die sich gegen die NPD direkt oder gegen Rechtsextremismus allgemein wenden oder die Einrichtung von Flüchtlingsheimen in der Nachbarschaft zum Thema haben. In der Minderheit sind Veranstaltungen zu anderen Themen, obwohl "Wortergreifungen" prinzipiell überall anwendbar sind.
  • [6] Iseo ist der Name einer Kleinstadt in der Lombardei, in der die Lehrgänge anfänglich stattfanden.
 
< Zurück   INHALT   Weiter >