Empirische Untersuchungen zur aufgestellten Typologie

In einem nächsten Schritt soll die aufgestellte Typologie mit ihren acht Typen auf mögliche Korrelationen mit den Persönlichkeitsdimensionen (nach Costa & McCrae, 1996) empirisch untersucht werden, um die folgende Frage zu beantworten: Gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen einer Persönlichkeitsdimension und dem Erfahren von ME in einer bestimmten Situation?

Es erfolgt zunächst eine quantitative Auswertung des Auftretens der einzelnen Typen durch Kodierungen in den Interviews. Danach werden diese Häufigkeiten auf Korrelationen mit den einzelnen Persönlichkeitsdimensionen überprüft. In einem weiteren Schritt werden die signifikanten Korrelationen der Auswertung hervorgehoben, analysiert und abschließend in eine Rangordnung gebracht.

Quantitative Auswertung der Typen in den Interviews

Alle Interviews wurden auf das Auftreten eines Typus des ME in einer bestimmten Situation hin untersucht. Hierbei wurden die Kodierungen, unabhängig da-von, ob sie in einem schulischen Kontext existieren oder nicht, vorgenommen, da der Ort der Auslösung in diesem Kontext nicht primär entscheidend für die Erforschung des ME ist. Aufgrund dieser Gegebenheit können alle Kodierungen zu den Typen 1-8 aus allen Interviews zusammen analysiert werden:

Tabelle 16: Übersicht über die Anzahl der Kodierungen der Typen 1-8

Typ

1

2

3

4

5

6

7

8

Gesamt

Population

Schwerin I/ Musik. Schwerpunkt

5

18

3

1

5

2

7

0

41

Schwerin II

1

7

4

2

3

0

7

0

24

GAG

1

4

7

0

0

0

15

0

27

Eltern-BläserKlasse

0

10

3

0

19

0

0

0

32

Realschule

0

6

11

7

0

0

11

0

35

Gesamt

7

45

28

10

27

2

40

0

159

Insgesamt werden 159 Textstellen in allen Interviews zu den Typen 1-8 kodiert. Wie anhand der Abbildung deutlich wird, ist der Typ 8 in den Interviews überhaupt nicht vertreten. Das liegt daran, dass keiner der Probanden von einer Situation gesprochen hat, in welcher der ME gemeinsam in einer Gruppe erlebt wurde, jedoch von außen und daher für das Individuum unbewusst hervorgerufen wurde und gleichzeitig eine andauernde Wirkung in einem konstanten sozialen Umfeld besitzt. Deshalb wird dieser Typ für die folgende Auswertung der Korrelationen automatisch auf Null gesetzt.

Rangordnung der Kodierungen

Bringt man die Häufigkeiten der Kodierungen zu den Typen 1-8 in eine Reihenfolge, so ergibt sich folgende Ordnung:

Tabelle 17: Rangverteilung der Kodierungen der Typen 1-8

Rang

Typen 1-8

Anzahl der Kodes

Verteilung (in Prozent)

1

Typ 2 (alleine – individuell –andauernd)

45

28,3 %

2

Typ 7 (geteilt – situativ – kurzzeitig)

40

25,2 %

3

Typ 3 (alleine – situativ – kurzzeitig)

28

17,6 %

4

Typ 5 (geteilt – individuell – andauernd)

27

17,0 %

5

Typ 4 (alleine – situativ – andauernd)

10

6,3 %

6

Typ 1 (alleine – individuell – kurzzeitig)

7

4,4 %

7

Typ 6 (geteilt – individuell – kurzzeitig)

2

1,3 %

8

Typ 8 (geteilt – situativ – andauernd)

0

0 %

Der Typ 2 ist mit 45 Kodierungen, was einem Anteil von 28,3 % aller Kodierungen von Typen in den Interviews entspricht, der am häufigsten von den Probanden erwähnte Typ, der das Erleben des ME in einer bestimmten Situation beschreibt. Der ME wird in diesem Fall alleine und nicht in der Gruppe erlebt, bewusst durch selbstständiges Handeln individuell hervorgerufen und dauert beim Probanden an.

40 Kodierungen konnten mit dem Typ 7 vermerkt werden, die 25,2% aller Kodierungen entsprechen. Dies bedeutet, dass gut ein Viertel aller Probanden einen ME erleben, der gemeinsam in der Gruppe und durch die Gruppe erlebt wird, kurzzeitig anhält und nicht vom Individuum oder der Gruppe selbst, sondern von außen herbeigeführt wird. Unter diesen Typ fallen alle Gruppenarbeiten und Projekte sowie das Gruppenmusizieren, beispielsweise im Musikunterricht. Der Proband erlebt diesen ME zwar nur kurz, jedoch scheint er durch das emotionale Erleben in der Gruppe eine besondere Wirkung beim Individuum hervorgerufen zu haben. Der Proband kann ohne die Gruppe und die Anleitung von außen (wie Projektleiter, Lehrperson o.a.) diesen Typ nicht alleine hervorrufen. Daher bekommt das soziale Umfeld eine besondere Bedeutung für die Ermöglichung dieses Typs.

Mit einem größeren Abstand zu den ersten beiden Typen, folgt mit 28 Kodierungen der Typ 3, was 17,6 % aller Kodierungen entspricht. Dieser Typ beschreibt die Situation, in der das Individuum alleine einen kurzzeitigen ME erfährt, der nicht bewusst von ihm selbst hervorgerufen wurde. Der Moment der Überraschung spielt hierbei eine Rolle und die oftmals „neue“ Erfahrung mit Musik führt zu einer neuen Selbsterkenntnis. Der Typ 3 ist ein Typ, der kontinuierlich zu weiteren Situationen mit einem ME führen kann. Er deutet darauf hin, dass (mit nur 3 Kodierungen eher wenig bei den Probanden der Eltern-BläserGruppe) im Musikunterricht diese neuen Erfahrungen mit einem ME stattfinden. Auch die Reflexion hierrüber wird von den Probanden wahrgenommen und im Interview bewusst geschildert. Daher deutet der Typ 3 auf den ME als eine Konsequenz der pädagogischen Gestaltung des Musikunterrichts durch den Musiklehrer hin.

Der Typ 5 ist mit 27 Kodierungen, was 17 % aller Kodierungen der Typen 1-8 entspricht, ähnlich stark wie der Typ 3 vertreten. Neben der Population an Schülern des Gymnasiums in Schwerin ist dieser Typ nur noch bei den Erwachsenen der Eltern-Bläser-Gruppe vertreten. Der Typ 5 beschreibt einen geteilt erlebten ME, der regelmäßig in einem konstanten Umfeld erfahren wird und beim Individuum andauert. Das Umfeld und die äußeren Bedingungen hierfür spielen bei diesem Typ eine besondere Rolle. So lässt sich aufgrund der auffälligen Verteilung nur bei den Populationen der Schüler vom Gymnasium in Schwerin darauf schließen, dass durch das größere Angebot an Bläserklassen und Chören dieser Typ mehr gefördert werden kann. Sehr eindeutig ist es bei den Erwachsenen der Eltern-Bläser-Gruppe, die durch das bewusste Einrichten der Bedingungen regelmäßig an den Proben teilnehmen. Auch hier wird noch einmal deutlich, dass der musikalische Fähigkeitsbereich der Probanden hierfür nicht von Bedeutung ist.

Alle weiteren Häufigkeitsverteilungen der letzten vier Typen (4, 1, 6 und 8) haben weniger als zehn Kodierungen und sind daher im Rahmen dieser Fallauswahl nicht aussagekräftig genug.

Abbildung 27: Visuelle Darstellung zum Verhältnis der Typenverteilung

Zusammenfassung

Zwischen den Typen, die einen gemeinsam erlebten ME beschreiben, und den Typen, die für einen ME stehen, der alleine in einer Situation erlebt wird, besteht ein relativ ausgewogenes Verhältnis (42,2 % zu 45,9 %). Was das Hervorrufen des ME von außen (wie beispielsweise durch den Musiklehrer) angeht, so sind auch zwei der vier stärksten Typen hier vertreten. Der Typ 7 und der Typ 3 beschreiben Situationen, die im Musikunterricht durch die Lehrperson erzeugt werden können. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Unterrichtsgestaltung und der eigene ME der Lehrperson (auch wenn hierzu noch weitere empirische Belege ausstehen) für die Auslösung des ME bei Schülern einflussreiche Faktoren sein können. Besonders deutlich zeigt sich das an dem bereits vorgestellten Zitat einer Schülerin: „Enthusiasmus kann auch vor allem von anderen ausgehen. Also zum Beispiel wie ich jetzt gesagt habe, mit der Klasse oder der Lehrerin, dass die, wenn denen das auch besonders gefällt oder so, dann ziehe ich da auch selber mit und dann steigt mein Enthusiasmus natürlich“ (15 Jahre, Schwerin I / M, 1500310E, Z. 67). Die stärkere Vertretung der Typen 5 und 7 spricht dafür, dass die Schüler im Musikunterricht viele verschiedene von einem ME geprägte Situationen erleben. Ebenso deutet das häufigere Vorkommen der Typen 2 und 3 darauf hin, dass der ME sowohl im Musikunterricht als auch in anderen Situationen ebenso häufig bei den befragten Probanden alleine erlebt wird.

Zur Reziprozität in Verbindung mit dem Enthusiasmus (Kapitel 3.4) als mögliche Form lässt sich nur eine Aussage finden, die jedoch auf natürliche Weise erhoben wurde, da nicht direkt zum Enthusiasmus als eine Art ‚Gabe' gefragt wurde. „Enthusiasmus bedeutet, wenn man sich für etwas begeistert, ohne einen Hintergrund, oder ohne etwas davon zu verlangen. Also wenn man jetzt zum Beispiel gerne Musik macht und Leuten Musik beibringt oder [...] sich halt über jede Kleinigkeit freut, die jemand einem entgegenbringt an Anerkennung.“ (18 Jahre, Realschule / 1801110B, Z.10). Um die Existenz des ME als mögliche reziproke Form im Musikunterricht weiter zu belegen, bedarf es hierzu weiterer empirischer Studien, in denen die Reziprozität des ME im Zentrum der Forschung steht.

 
< Zurück   INHALT   Weiter >