Zusammenfassung und Ausblick auf weitere Forschungen
Zu Hypothese 1:
Weitere Forschungen zum ME als Phänomen im Unterricht wären durch eine Untersuchung (Videoanalysen, Interviews) in Anlehnung an das Mehr-EbenenModell von Walter Herzog (2006, S. 454ff) ein nächster Schritt für dieses Thema in der Unterrichtsforschung. Auf welchen Ebenen tritt der ME mit welcher Wirkungsweise auf? Welcher Unterrichtsstil, welche Didaktik und Unterrichtsmittel fördern beziehungsweise hemmen einen ME beim Schüler? Die Ergebnisse könnten dem ME als Qualitätskriterium in der Unterrichtsforschung (Brunner,2008) eine gewichtige Bedeutung geben und aktuelle Unterrichtsmodelle (Jank & Meyer, 1991; Jank, 2005) erweitern.
Zu Hypothese 2:
Die Durchführung weiterer Persönlichkeitstests und Interviews zum Phänomen ME / Enthusiasmus in größeren Populationen, auch außerhalb des schulischen Kontexts, würden noch aussagekräftigere Ergebnisse hervorbringen. Hierzu sollte auch besonders die im Rahmen dieser Studie aufgestellte Hypothese weiter untersucht werden, um noch mehr Ergebnisse zur Korrelation der Dimension Offenheit für neue Erfahrungen mit dem ME zu erhalten.
Zu Hypothese 3:
Um die Dimension Verträglichkeit und ihren besonders hohen Grad in musikalischen Gruppenformationen weiter zu belegen, sollten hierzu verschiedene Altersstufen in musikalischen Gruppenformationen über einen längeren Zeitraum untersucht werden. Ist der ausgelöste ME bei Jugendlichen sogar förderlich für die eigene Dimension Verträglichkeit?
Zu Hypothese 4:
Weitere umfangreichere Studien sollten den ME in verschiedenen Populationen als Phänomen untersuchen und auf mögliche Korrelationen mit individuellen Merkmalen der Probanden hin prüfen. Die Ergebnisse wären auch für andere Disziplinen und Arbeitsbereiche hilfreich und anwendbar, um nicht zuletzt sich der Frage zu nähern: Gibt es einen ‚enthusiastischen Sinn' beim Menschen?
Zur Metapherologisierung des Musikalischen Enthusiasmus
„Wo etwas bekannt, aber nicht erkannt ist“, so fasst Walter Herzog seine Definition zu pädagogischen Metaphern zusammen (Herzog, 2006, S. 13f).
Das folgende Kapitel ist dem Enthusiasmus und seiner pädagogischen Metapherologisierung gewidmet. Man hätte dieses Kapitel auch an den Anfang der Arbeit stellen können. Doch nach den empirischen Untersuchungen zum Phänomen wird durch die Zitate der Erhebung noch viel deutlicher, wie präsent, zeitgemäß und lebendig im Sinne Herzogs die Metapher des Enthusiasmus ist. „Metaphern [...] erlauben uns, ein Phänomen in Begriffen eines anderen zu verstehen. Insofern sind Metaphern generativ: Sie erzeugen Struktur in einem unstrukturierten oder wenig strukturierten Feld.“ (a.a.O., S. 15).
Die folgende Zusammenfassung der verwendeten Metaphern zum ME soll einen Eindruck von der Präsenz des Phänomens im pädagogischen Alltag geben.
Der Enthusiasmus in Form seiner Existenz und Auslösung beim Individuum wurde in vielen Interviews mit der Metapher des Feuers beschrieben. Doch auch etymologisch steht der Enthusiasmus dem Feuer nahe. So heißt ‚ignis' (lat.) wörtlich übersetzt neben ‚Feuer' und ‚Glut' auch ‚Begeisterung'.
Die Auslösung eines Enthusiasmus wird metaphorisch mit einem ‚zündenden' Moment beschrieben: „[...] wenn dann so der Funke angestoßen, ja, der Funke angeschlagen ist, [...] dann kann ich richtig einsteigen in die Sache und wirklich Interesse dran entwickeln.“ (46 Jahre, Eltern-Bläser-Gruppe / 450520B, Z. 49). Dieser Funke ist sowohl flüchtig, kurzzeitig und sogar in seinem Glanz gar kitschig und zugleich auch von einem noch nicht greifoder sichtbaren Potenzial in seiner Ansteckungskraft. Er beinhaltet, metaphorisch gesprochen, zwar ein Potenzial, neues Feuer zu entfachen, ohne jedoch zu wissen, ob er jemand anderes erreicht, er etwas entfacht oder er nur verglüht: „[...] es kann sehr kurzlebig sein für manches und dann ist es halt im nächsten Moment schon fast wieder weg. Oder es kann halt tatsächlich länger andauern.“ (a.a.O., Z. 33). Keiner weiß in dem Moment der Weitergabe eines Enthusiasmus, ob er etwas bei einer anderen Person ‚entzündet' und wie etwas jemanden berührt (im philosophischen Sinne triadisch zu einem ‚Sein im Ganzen'), ihn beseelt, erfüllt oder erfasst. Das ist der Grund für die Auslösung des Enthusiasmus in seinem Sprachbild als entzündeten, entfachten und versprühten Funken. Sicherlich ist die glänzende und zur Verkitschung neigende Präsenz eines Funken ein Grund dafür, dass die ebenso mögliche sehr schnelle und unter Einbezug gewisser Bedingungen oft vorkommende Erlöschung eines Funken im pädagogischen Umfeld anscheinend keine Rolle spielt. Wie bereits in Kapitel 3.1 erwähnt, werden unter dem Titel „Wenn der Funke überspringt“ von Sandra Sinsch (2013) Schlüsselerlebnisse mit Musik beschrieben. Die wenigen Ergebnisse zu der Kategorie „Schlüsselerlebnisse“ der vorliegenden Untersuchung lassen umso mehr vermuten, dass es sich um eine pädagogische Verkitschung der Auslösung des Phänomens handelt. Es ‚erlöscht', metaphorisch gesprochen, aufgrund der (wie diese empirische Untersuchung gezeigt hat) vielseitigen Bedingungen deutlich häufiger als man vermutet.
Geht man nach dieser funkenhaften Auslösung des Enthusiasmus in der Prozesshaftigkeit des Phänomens einen Schritt weiter, so wird das darauf folgende enthusiastische Handeln metaphorisch ‚mit Feuer und Flamme' beschrieben:
„Enthusiasmus ist [...] wenn man etwas ausübt und das einen so erfüllt, dass man quasi mit Feuer und Flamme dabei ist.“ (16 Jahre, Schwerin I / M, 1611010E). Ein besonders intensiver Einsatz wird mit diesem sprachlichen Bild ausgedrückt:
„[...] wenn ich für etwas begeistert bin, dann aber auch mit Feuer und Flamme [...]“ (15 Jahre, Schwerin II / 1510610F).
Das beschriebene ‚entfachte Feuer' kann bis hin zu einer Dauerhaftigkeit führen, denn das Verb ‚brennen' wird oft für die Beschreibung einer Leidenschaft (s.u.) verwendet. „Also wenn jetzt ein Lehrer dafür brennt, dann steckt der auch sehr doll seine Schüler an.“ (15 Jahre, Schwerin II / 1510610F). Bereits zu Beginn wurde im ersten Kapitel mit dem Zitat von Sokrates aus Platons „Phaidros“ diese Zirkularität philosophisch beschrieben (S.10). Hier also schließt sich die Feuermetapher im pädagogischen Sinne zu einem Kreis, der im Uhrzeigersinn die metaphorischen Beschreibungen zum Phänomen und seiner möglichen Entwicklung abbildet:
Abbildung 28: Zyklische Darstellung der Feuermethapher des Enthusiasmus
Die Feuermetapher beschreibt den Enthusiasmus als ein existentes Phänomen auch im musikpädagogischen Kontext. Es scheint also, dass das Phänomen als Metapher in den Köpfen schon längst mit seinen Eigenschaften und Qualitäten verankert ist. Gleichzeitig drückt das Feuer als ein Teil der uralten VierElemente-Lehre eingängig etwas Natürliches und gleichzeitig auch Existenziel- les aus: „[...] eine bildhafte Verortung eines abstrakten und komplexen Gegenstands durch die Verminderung von Kontingenz [strukturiert] nicht nur das Denken [...] oder [...] ermöglicht [es überhaupt], sondern [...] beruhigt auch [den Denkenden]. Ich sehe hier neben der epistemischen gleichzeitig eine palliative Funktion der Metapher, welche ihren Gebrauch kraftvoll aufrechterhält. Vertraute Bilder geben dem Verwender ein Gefühl der Beheimatung und vermitteln damit nicht nur gedankliche Orientierung, sondern auch emotionale Sicherheit, die gerade in so lebensrelevanten Dingen wie Entwicklung und Erziehung eine subjektive Dringlichkeit hat.“ (Spychiger, 2014, S. 59). Neben dieser Begründung zur Entwicklung und der aufrechterhaltenen Existenz von pädagogischen Methapern in der Praxis, soll nun vor dem Hintergrund der Feuermetapher noch ein Blick auf die Metapherntheorie geworfen werden.
Der Begründer der modernen Metapherntheorie Ivor A. Richards (18931979) hat die Begriffe ‚Tenor' und ‚Vehikel' eingeführt, um die Funktionen der Metapher analytisch einzuholen (Richards, 1983). Dabei ist das Vehikel das Sprachbild und der Tenor die Bedeutung des Gemeinten, der durch das Vehikel transportiert wird. In Bezug auf die Feuermetapher ist diese Einordnung nicht einfach vorzunehmen, da es sich um Substantive, Adjektive und Verben handelt, die sich alle umfassend auf das Feuer beziehen. „Tenor und Vehikel müssen aber mindestens eine Ebene oder ein strukturelles Merkmal gemeinsam haben, um in Interaktion zu treten“ (a.a.O.). Ein einfaches gutes Beispiel ist der Vergleich einer Blutorange mit einer roten untergehenden Sonne. Mit der Farbe und der Form sind hier gleich zwei Merkmale übereinstimmend. (vgl. a.a.O.). Das Feuer ist Vehikel, welches den Enthusiasmus als Tenor in seiner ganzheitlichen und möglichen Existenz beschreibt. Denn das Feuer und der Enthusiasmus haben die Zeit sowohl als Zeitlichkeit wie auch im Sinne einer unbegrenzten Dauerhaftigkeit gemeinsam. Das ewig brennende Feuer im Sinne einer lebenslangen Leidenschaft steht dem Funken als kurze und ansteckende Verbindung zum potenziellen Feuer gegenüber. Doch es gilt den Funken zu „nähren“, damit er weiter brennt. Hierzu lassen sich keine weiteren Metaphern finden. Was braucht also das Feuer, um sich zu erhalten und seine Kraft zu entwickeln? Es braucht Sauerstoff und brennende Materie. Diese sollte das Leben in jedem pädagogischen Kontext in Form von Bildung geben, denn nur so kann dauerhaft Licht entstehen.