Militär und Geschlecht als soziale Praxen

Im Folgenden werde ich zeigen, inwiefern die Kategorie Geschlecht bei der Aushandlung des Soldatenberufes eine Rolle spielt. Identitätskonstruktionen werden über Differenzkategorien hergestellt und verweisen auf symbolische Repräsentationen und Strukturen (vgl. Kap. 3.1.). Asymmetrien bzw. Hierarchisierungen von Geschlechterdifferenzen spielen eine besondere Rolle bei der Aushandlung des Soldatenberufes. Für Soldaten und Soldatinnen findet der Rückgriff auf die Kategorie Geschlecht in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichen Kontexten statt. Von Soldaten wird das Militär als männliche Domäne konstruiert. Die Kategorie Geschlecht (bzw. die Differenz der Geschlechter) spielt bei der Argumentation eine zentrale Rolle. Bei den Soldatinnen ist der Verweis auf die Kategorie Geschlecht nicht im selben Ausmaß relevant und wird in anderen Kontexten angebracht. Die Kategorie Geschlecht wird häufig unter Rückgriff auf Naturalisierungen und über Alltagswissen der Geschlechter ausgehandelt.

In welchem Kontext und wie in der sozialen Praxis herrschende Geschlechterkonstruktionen auch Brüche erfahren, Differenzen erneut reproduziert oder Differenzlinien verschoben oder aufgelöst werden, möchte ich beispielhaft an sechs Aspekten verdeutlichen: an der körperlichen Leistungsfähigkeit (Kap. 7.2.1.), an der Wahrnehmung von Kameradschaft als vergeschlechtlichtem Deutungsmuster (Kap. 7.2.2.), an dem kulturell fremden Taliban (Kap. 7.2.3.) und am Schützengraben (Kap. 7.2.4.). Ferner geht es um die Darstellung, wie durch die Kategorie Geschlecht ,der' Soldatenberuf durch Plausibilisierungsstrategien und Naturalisierungen hergestellt wird (Kap. 7.2.5.). Dass auch der Körper bei Einschreibungsprozessen eine entscheidende Rolle bei der Aushandlung von Geschlecht spielt, möchte ich anhand von sexueller Belästigung im Militär aufzeigen (Kap. 7.2.6.).

Körperliche Leistungsfähigkeit

Körperliche Leistungsfähigkeit stellt ein zentrales Element der soldatischen Identifikation dar. Obwohl der Wehrbeauftragte den Fitnesszustand der Soldatinnen und Soldaten für „mitunter besorgniserregend“ hält und auf die Tendenz zu Adipositas kritisch hinweist (Robbe 2008: 21, vgl. auch Dittmer 2009: 153), wird großer Wert auf körperliche Fitness gelegt. SoldatInnen müssen ihre körperliche Leistungsfähigkeit regelmäßig, z.T. alle zwölf Monate, durch Pflichtmärsche, durch das Deutsche Sportabzeichen (DSA) und durch den Physical Fitnesstest (PFT) – als Basis Fitness Test (BFT, seit 1. Januar 2010) weiterentwickelt – unabhängig von ihrer Verwendung nachweisen (vgl. ZDv 3/10: 2004). Bei einem Leistungsmarsch darf laut Zentraler Dienstvorschrift „die geforderte Marschstrecke [für weibliche Soldaten] 20 Prozent unterschritten werden“ (ZDv 37/10, Anlage 9.2). Es handelt sich hier um eine nicht vorgeschriebene Option. Die Beurteilung der Soldatinnen und Soldaten richtet sich nach Vorgaben ziviler Tests (bspw. DSA) und ist in Anlehnung an diese (PFT/ BFT) gestaffelt nach Alter und Geschlecht. [1]

Aus der Perspektive der Soldatinnen und Soldaten kann neben anderen Themen, wie etwa Kohäsion oder Kameradschaft, über die Geschlecht hergestellt wird, das Thema der körperlichen Leistungsfähigkeit fast als ,Dauerbrenner' bezeichnet werden. Die Konflikte, die über körperliche Leistungsfähigkeit ausgehandelt werden, basieren einerseits auf dem Gleichstellungsparadigma der Bundeswehr (vgl. SoldGG 2006) und andererseits auf Alltagswissen über die biologische Geschlechterdifferenz. Für die Konstruktion des Soldatenberufes wird körperliche Leistungsfähigkeit als Ressource genutzt, um Geschlechterdifferenzen herzustellen (doing gender), aufzuweichen (undoing gender) oder stattdessen andere soziale Kategorisierungen zu betonen (doing difference). Diese drei Punkte sollen in dieser Reihenfolge genauer beleuchtet werden.

Der Interviewte Q nimmt im folgenden Beispiel Bezug auf das Alltagswissen über die biologische Differenz von Männern und Frauen. Ihm erscheint das Gleichheitsparadigma der Bundeswehr, bei dem Soldatinnen dieselben Leistungen wie Soldaten absolvieren müssen, paradox:

(25) EI_07(13)

1 Q: NEIN, also wenn mawenn ma schon SIEHT,

2 also n mann hat allgemein, ich sag mal

3 n bisschen mehr MUSkln, n bisschen (1)

4 ich=sach=mal sieht einfach n bisschen (.) KRÄFtiger 05 aus. (.)

6 ich weiß es gibt (.) SONDERfälle bei frauen wo das

7 vielleicht ÄHNlich is, aber↓ (--)

8 selbst der großteil, der zum militär geht, kann man

9 nich:::: kräftemässich und körperlich auf die::

10 gleiche stelle stellen wie männer. (.)

11 das::das klappt einfach nich. (1)

Die körperliche Leistungsfähigkeit von Frauen wird auf Grundlage der Annahme einer körperlichen Differenz zwischen Männern und Frauen als geringer beurteilt. Ganz ähnlich argumentiert auch Soldat C: „°ja gut jetzt° is=es von der biologischen seite halt einfach mal so, dass äh männer doch (.) mehr kraft mitbringen, mehr ausdauer, .hh wenn se nach dem gleichen pensum trainieren wie frau:=n auch einfach mehr vorhanden is“ (EI_04(10)). Dabei hat er auch andere Erfahrungen gemacht: „also ich::ich hab frauen erlebt, die (.) ham VIELmehr gebissen als ICH oder ANdere ich hab (.).hfrauen erlebt die von den sportlichen leistungen her: m:(.)die HÄLFte der bundeswehr an kerlen locker fertich machen .hhhh.“(EI_04(10)). Obwohl Soldat C hier eine Einschränkung vornimmt, in dem er Soldatinnen prinzipiell zugesteht, ihre männlichen Kameraden in sportlicher Hinsicht übertreffen zu können, dominiert in der Darstellung die körperlicher Eignung männlicher Soldaten für den Soldatenberuf bzw. die Differenz körperlicher Leistungsfähigkeit zwischen den Geschlechtern und die Orientierung an der männlichen Norm.

Keiner der beiden Soldaten thematisiert die eigenen körperlichen Grenzen der Leistungsfähigkeit. Dabei deutet sich in beiden Interviewausschnitten an, dass – obwohl die dominierende Vorstellung von Soldatinnen nach wie vor mit körperlicher Schwäche verknüpft ist – auch körperlich leistungsfähige, z.T. den Männern überlegene Frauen in das mentale Schema der Soldatin integriert werden (können).

Das Thema körperliche Leistungsfähigkeit wird von den Interviewten genutzt, um Geschlechterdifferenzen herzustellen und diese mit Rückgriff auf das Alltagswissen von der Geschlechterdifferenz zu naturalisieren (doing gender). Geschlechterdifferenzen werden mit Bezug auf körperliche Leistungsfähigkeit, aber auch für andere Positionierungen benutzt: So kann selbst bei der Betonung von Differenz Gleichheit erzeugt werden, wie ich im nächsten Abschnitt zeigen möchte (un/doing gender). Die Soldatin grenzt sich von zivilen Frauen ab und stellt gleichzeitig ihre Zugehörigkeit zur Bundeswehr als Soldatin her.

Soldatin L hat die Erfahrung gemacht, dieselbe Leistung wie ihre männlichen Kameraden erbringen zu können: „wir ham sowohl den physical fitnesstest? .hhh da ham=wir dat GLEIsche? un: MÄ:Rsche müssen wir genauso machen; mit=dem gleischen gePÄCK, hh gleische kilome:teranzahl und so weiter“ (EI_05(11)). Obwohl sie sich als körperlich leistungsfähige Soldatin inszeniert, treffen Erfahrung und Alltagswissen über Geschlecht konkurrierend aufeinander:

(26) EI_05(11)

1 L: männer ham einfach mehr muskeln? (.) also wir ham halt

2 leider nur fünfundsechzig prozent von denen, un:d↓

3 jetzt unbedingt misch mit einem GLEICHstellen

4 zu wollen, das SCHAFF ich nicht, (.)

5 das weiß ich? .hhh

5 ((schlägt Handflächen und Arme an die Beine))

6 aber wir ham haltwir BEISSen besser,

7 wir halten länger dursch

8 Y: mhm? und inwiefern fällt dir das dann auf?

9 L:((zungenschnalzen)) m::h, körperlich, is einfach-

10 also die KÖNN=n halt mehr trA:g=n::?

11 Y: bei aller arbeit oder bei tragearbeit?

12 L: bei TRA:gearbei:ten.

13 Y: und bei den anderen sachen?

14 L: nö da nich:.(.)also SPO:rtlich halt ich genauso gut

15 mit und=wie bei meinen kollegen

Soldatin L konstatiert mit Bezug auf den Differenzansatz die körperliche Ungleichheit von Männern und Frauen. Dem strukturellen und formalen Gleichgestellt-sein von Soldatinnen und Soldaten durch die Organisation wird (in subjektivierter Form) das körperlich Defizitäre gegenübergestellt („misch mit einem GLEICHstellen zu wollen, das SCHAFF ich nicht“ Z. 3-4). Sie schränkt die getroffene Geschlechterdifferenz der körperlichen Leistungsfähigkeit zwischen Männern und Frauen auf das Tragen von Lasten ein und betont, dass Frauen besser „beißen“ können – also einen stärkeren Durchhaltewillen als Männer besitzen (vgl. Z. 6). Damit konfligiert das Geschlechterwissen (über differente körperliche Leistungsfähigkeit) mit der eigenen Erfahrung, in sportlicher Hinsicht mit den Männern mithalten oder sogar länger durchhalten (vgl. Z. 6) zu können.

Die sich widersprechenden Normen (Erfahrung und Alltagswissen über die Geschlechterdifferenz) stellen eine Herausforderung an ihre Selbstpositionierung als Soldatin dar. Denn mit der Inszenierung eines differenten Körpers knüpft sie einerseits an den Diskurs der weiblichen Schwäche an und macht sich damit qua Geschlecht für den Soldatenberuf ungeeignet. Andererseits beweist sie ihre Eignung anhand ihrer charakterlichen Stärke und Willenskraft: Die Kategorie Geschlecht dient Soldatin L als Ressource zur Demonstration ihrer Eignung als Soldatin. Die Gleichstellung mit den Soldaten wird von Soldatin L durch Geschlechterdifferenzen narrativ hergestellt.

Dies scheint paradox, ist es aber nicht: Ihre naturgegebene körperliche Ungleichheit wird aus der Perspektive der Soldatin zum Beleg für ihre Willensstärke, trotzdem gleichauf mit den männlichen Soldaten zu sein. Sich gleichstellen zu wollen bedeutet für Soldatin L, die Gleichzeitigkeit von Egalität und Differenz durch eine doppelte Abgrenzung zu vollziehen: Einerseits über die Abgrenzung von Männern mit dem Alltagswissen, dass diese ,von Natur aus' stärker als Frauen seien, andererseits durch die Abgrenzung von Frauen mit dem Alltagswissen, über deren körperliche Schwäche bzw. mangelnden Durchhaltewillen, indem sie sich mit der für sich beanspruchten Willenskraft davon distanziert.

Wie an dem Beispiel deutlich geworden ist, beteiligen sich auch Soldatinnen maßgeblich an der Herstellung von Geschlechterdifferenzen. Zusammenfassend macht sich Soldatin L die symbolischen Konstruktionen von Geschlecht sogar zu Nutze, dadurch dass sie stereotype (zivile) Weiblichkeitsvorstellungen negiert („wir beißen besser“, Z. 6). Indem sie mit ihren männlichen Kameraden mithalten kann und auch länger durchhält, wird die zuvor konstruierte Geschlechterdifferenz bezüglich körperlicher Schwäche von ihr aber wieder aufgelöst (un/doing gender).

Geschlecht ist nicht alleiniges Differenzierungsmerkmal zur Identitätskonstruktion bei der Zuschreibung von körperlicher Leistungsfähigkeit: „ja. (---) also: als DICKer mensch brauchste beim heer auch net rumrennen, da wirste gleich: gedisst, ne, also dis: (.) geht gar net“ (EI_06(12)). Bei der Identitätskonstruktion wird etwa der Körper als soziale Kategorie bedeutsam – ist der Körper nicht an Normierungen der körperlicher Leistungsfähigkeit (hier: des Heeres) angepasst, wird dieser ausgegrenzt (doing difference) (vgl. hierzu Kap. 7.2.2.).

Ich habe am Beispiel von körperlicher Leistungsfähigkeit gezeigt, dass die soziale Kategorie Geschlecht bei der Aushandlung des Soldatenberufes relevant ist (vgl. Beispiel 25), das Stereotype der Geschlechterdifferenz aber auch genutzt werden, um sich positiv von diesen abzusetzen bzw. Geschlechterdifferenzen zu nivellieren (vgl. Beispiel 26). Auch spielen je nach Kontext andere soziale Kategorisierungen, wie der Körperumfang, eine Rolle, um sich als zugehörig zur Soldatengemeinschaft zu positionieren. Inwiefern Identitätskonstruktionen auch auf vergeschlechtlichte Repräsentationen verweisen, kann gut am Beispiel der Kameradschaft gezeigt werden.

  • [1] Vgl. hierzu Internetpräsenz der Bundeswehr: streitkräftebasis.de unter dem Stichwort „KLF“ (Körperliche Leistungsfähigkeit“)
 
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