Die AfD und der rechte Rand
Die Partei wird von weiten Teilen der Politikwissenschaft als rechtspopulistisch oder rechtspopulistisch beeinflusst bezeichnet. [1]
Die AfD wehrt sich gegen den Vorwurf, rechtspopulistische Positionen zu vertreten oder personell durch Rechtspopulisten beeinflusst zu sein. Tatsächlich aber übte die neue Partei nicht nur auf frühere Mitglieder von CDU und FDP sowie vormals nicht parteipolitisch gebundene Bürger, die Anstoß an der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung nahmen, eine besondere Anziehungskraft aus. Hoffnungen auf das neue Parteienprojekt setzten früh auch zwei Gruppen am rechten Rand des politischen Spektrums:
Zum einen (frühere) Mitglieder und Anhänger bisher erfolgloser rechter Kleinparteien. Sie hatten die Erfolglosigkeit dieser Parteien zu konstatieren. Die rechtspopulistische Partei Die Freiheit etwa blieb seit ihrer Gründung 2010 eine Randerscheinung. Gleichzeitig erkannte Rene Stadtkewitz, ihr Gründer und ersterer Vorsitzender, eine programmatische Nähe zur AfD: "Ein Vergleich der Programme zeigt, die Ziele der AfD decken sich zu min. 90 % mit unseren." [2] Beinahe logische Folge war, dass Stadtkewitz nach der Bundestagswahl 2013 erklärte, seine Partei habe beschlossen,
"ihre bundesund landespolitischen Vorhaben einzustellen". Die AfD werde "einen Großteil unseres Anliegens, unserer Positionen nun dorthin tragen, wo es den Altparteien am meisten weh tut: in die Parlamente". Im steten Niedergang befinden sich seit zwei Jahrzehnten auch Die Republikaner. Auch aus deren (Ex-)Mitgliedschaft waren manche auf der Suche nach einer Alternative. Quantitativ waren diese Parteiwechsler von rechtsaußen in der AfD stets in der Minderheit. Michael Stürzenberger, Nachfolger von Stadtkewitz als Die Freiheit-Vorsitzender, schätzte, dass bis zum Oktober 2013 etwa 500 frühere Freiheit-Mitglieder zur AfD gewechselt waren (Leber 2013). Dies korrespondiert mit einer Angabe der AfD-Landesvorsitzenden in Sachsen, Frauke Petry. Sie erklärte im Herbst 2013, etwa ein Dreißigstel der AfD-Mitglieder in ihrem Landesverband seien zuvor Freiheit-Mitglieder gewesen International Business Times 2014). Doch die Parteiwechsler hatten zwei Vorteile gegenüber den AfD-Mitgliedern, die erstmals parteipolitisch aktiv geworden waren: Einerseits beherrschten sie dank ihrer Vorerfahrung bereits parteiinterne Instrumentarien, von der Satzung bis zur Geschäftsordnung. Andererseits wussten sie um die Wichtigkeit, Netzwerke zu bilden, um in einflussreiche Positionen zu gelangen.
Zum anderen Mitglieder vom rechten Flügel lokaler Wählergemeinschaften. Der weit überwiegende Teil der freien Wählergemeinschaften ist dem demokratischen Spektrum zuzuordnen, von einer eher ökologischen bis hin zu einer konservativen Orientierung. Allerdings lassen sich auch lokale Gruppen erkennen, die eine Nähe zum rechten Rand aufweisen. Beispielhaft dafür stehen etwa die Freien Wähler Frankfurt. Für Mitglieder lokaler Wählergemeinschaften – und damit auch für deren rechten Teil – hatte sich schon immer die Frage gestellt, wie man über die Ebene der eigenen Stadt oder des Kreises hinaus politisch wirksam werden könnte. Ein Modell war die AfD.
Der Einfluss solcher (Ex-)Mitglieder von Rechtsaußen-Parteien und -Wählergemeinschaften auf Bundesebene hält sich seit der Gründung der Partei in engen Grenzen. Anders sieht es in vielen Regionen auf Landesund auf kommunaler Ebene aus. Zwar bemühte sich die Parteispitze, Personen, die persönlich oder politisch als Belastung gelten konnten, zu bremsen und umgekehrt Mitglieder zu fördern, mit denen ein Parteiaufbau ohne negative Schlagzeilen möglich wäre. Doch nicht immer waren solche Versuche erfolgreich.
Rechte Hoffnungen
Die AfD Hamburg war einer der ersten Landesverbände der Partei, dessen Rechtsaußen-Kontakte für Unruhe sorgten. Anstoß erregte, dass mit Jens Eckleben ein führendes Mitglied in der Hansestadt zuvor Landesvorsitzender der Partei Die Freiheit gewesen war. Über Eckleben wurde zudem berichtet, auf seinem Youtube-Kanal stoße man auf eine Datei mit dem Titel "Historisches Liedgut aus dem 19. Jahrhundert – Interpret: Frank Rennicke" (Sieber 2013). Rennicke ist einer der bekanntesten Neonazi-Musiker. Ecklebens Engagement bei der Alternative für Deutschland war unter anderem ein Grund, warum der ehemalige FDP-Politiker Sigurd Greinert Anfang Mai 2013 entnervt die Hamburger AfD verließ. Parteimitglieder wie Eckleben würden "von der Parteiführung ungehindert islamkritische oder andere meines Erachtens am rechten Rand fischende Blog-Einträge verfassen", kritisierte Greinert: "Ich kann eine Partei nicht länger unterstützen, die es zulässt, dass Mitglieder aus Parteien mit rechtspopulistischen Motiven unkontrolliert aufgenommen werden." (Hamburger Abendblatt 2013). In der Folge sorgte die Spitze der Hamburger AfD dafür, dass Eklats wie derjenige um Eckleben ausblieben. Er wurde auf die hinteren Ränge der Partei verbannt. Laut Meldungen des Internetportals publikative.org hielt die AfD Hamburg jedoch Kontakt zu dem im Frühjahr 2013 gegründeten Konservativ-Freiheitlichen Kreis Hamburg, der sich eigenen Angaben zufolge unter Mitwirkung von Aktivisten um das islamfeindliche Internetportal Politically Incorrect (PI) und von "Leuten der Identitären Bewegung" gebildet hatte (Krebs 2013). Der KonservativFreiheitliche Kreis hatte schon bald nach seiner Gründung etwa Oberst a. D. Manfred Backerra als Referenten eingeladen, der wegen seiner Rechtsaußen-Aktivitäten 2004 Hausverbot von seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Führungsakademie der Bundeswehr, bekommen hatte. Eingeladen war auch Wolfram Schiedewitz, der seinen Verein Gedächtnisstätte vorstellen sollte – ein Verein, der regelmäßig Veranstaltungen mit Geschichtsrevisionisten durchführt.
Im Landesverband Niedersachsen machte vor allem der Kreisverband Göttingen Schlagzeilen. Einer seiner stellvertretenden Vorsitzenden gehörte der Burschenschaft Hannovera Göttingen an, die bis kurz zuvor dem wegen seiner Kontakte in die extreme Rechte in die Kritik geratenen Dachverband Deutsche Burschenschaft angeschlossen war (Speit 2013). Von einem anderen Kreis-Vize kursierte im Internet ein Bild – von dem so Porträtierten als Fotomontage dargestellt –, das ihn mit Hitlergruß zeigte (Suss 2013). Beide traten Ende August 2013 von ihren Ämtern im Vorstand zurück. [3] Dem Landesvorstand gehörte zeitweise Wilhelm von Gottberg an. Von Gottberg hatte im November 2012 eine Laudatio bei der Verleihung des "Kulturpreises Wissenschaft" an Gerd Schultze-Rhonhof gehalten. Schultze-Rhonhof hatte sich mit seinem 2003 veröffentlichten Buch "1939 – Der Krieg der viele Väter hatte" einen Namen in der extremen Rechten gemacht. In seiner Laudatio erklärte von Gottberg, Schultze-Rhonhof sei "mit seinen Veröffentlichungen zu einem Hoffnungsträger für die nachwachsenden Generationen" geworden – und: "Es wird – wann auch immer – ein Ende haben mit der Pariarolle Deutschlands in der Völkergemeinschaft" (Heitmann 2012).
Zu den Parteigliederungen, in denen vormalige Die Freiheit-Mitglieder aktiv wurden, gehörte auch die AfD Mecklenburg-Vorpommern. Der frühere Vorstandssprecher des Landesverbandes, Andreas Kuessner, hatte sogar dem Bundesschiedsgericht der Freiheit angehört. Auch als Autor eines Manifests mit dem Titel "Mehr Patriotismus wagen" hatte sich Kuessner in seiner früheren Partei einen Namen gemacht. Ende 2011 erklärte er, er stehe nicht nur "für mehr Patriotismus" ein, sondern auch dafür, den "Ungeist der politischen Korrektheit" und die "Zuwanderung von Integrationsverweigerern" zu bekämpfen (Kuessner 2011). Das Handelsblatt wies zudem im Sommer 2013 auf die Facebook-Seite des Landesschatzmeisters Klaus-Peter Last hin. Last habe zwar "mehrere Jahre bei den Grünen" verbracht, schrieb die Zeitung: "Allerdings zeigt er auf seiner Facebook-Seite offen Sympathie für den Gitarristen Sascha Korn, dessen Lieder auch auf einer NPD-Schulhof-CD erschienen sind" (Neuerer 2013).
Nicht nur aus der Freiheit, sondern auch von einer anderen Gruppierung des rechten Randes hatte die AfD Sachsen Zulauf: In Chemnitz rief die Ernennung eines Mitglieds aus der Stadtratsfraktion der rechten Bürgerbewegung pro Chemnitz zum Schatzmeister der örtlichen AfD öffentliche Auseinandersetzungen hervor. Nach internen Streitereien trat er von diesem Posten wieder zurück (Freie Presse 2014). Eine neue politische Heimat fand auch Karl-Heinz Obser bei der AfD, der früher DSULandeschef war und später mit Ex-NPD-Mitgliedern ein "Bündnis für Sachsen" schmieden wollte (Lasch 2013).
Dass die Basis der AfD deutlich rechts von der auf Bundesebene vorgegebenen Linie positioniert ist, legen die Ergebnisse einer Mitgliederbefragung zur Programmatik der Partei nahe, die der Landesverband Bayern zum Jahreswechsel durchführte. [4] Die Mitglieder würden "keine weichgespülten Formulierungen" wollen, erklärte Petr Bystron, Vorstand des Ausschusses für Europaund Außenpolitik der AfD Bayern, im Interview mit dem Magazin eigentümlich frei. [5] Bystron: "Wir wollen ›klare Kante‹ kommunizieren." Politically Incorrect (PI) kommentierte: "Die Ergebnisse zu den Islam-Fragen zeigen, dass ein Großteil der AfD-Mitglieder einen islamkritischen Kurs unterstützt, der über die bisher von der Parteispitze geäußerten Bedenken hinausgeht." [6] 89,6 Prozent hätten die Aussage, die AfD stelle sich "einer durch Drittstaaten gelenkten und finanzierten Ausbreitung des Islams in Europa, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und den Rechtsstaat gerichtet ist und sich als Eroberung Europas versteht, entgegen", freute man sich bei PI.
Der Fall Nordrhein-Westfalen
Bis in die ersten Monate des Jahres 2014 wurde die NRW-AfD in Nordrhein-Westfalen vom Konflikt zweier Flügel beherrscht: einem wirtschaftsliberalen und einen nationalkonservativ-rechtspopulistischen Flügel, personalisiert durch den ersten Landesvorsitzenden Alexander Dilger auf der einen Seite und einem seiner Stellvertreter, den AfD-Mitbegründer Martin E. Renner, auf der anderen Seite. Renner sagte über sich, er stehe für die "konservativ-liberale, patriotische Position in der AfD" (Dilger 2014). Bei einer Mitgliederversammlung der Landespartei im Januar 2014 "geißelte" er einem WDR-Bericht zufolge das "nationale Identitäten zerstörende EU-Projekt der politischen Pseudo-Eliten" (Teigeler 2014). Das Europäische Parlament nannte er "eine Fassadendemokratie" und kritisierte eine angebliche "Islamisierung der Alltagswelt". Dilger, ein früheres FDP-Mitglied, Euro-, aber nicht EU-Gegner und in gesellschaftspolitischen Fragen eher liberal eingestellt, widersprach Renners Selbsteinschätzung als "konservativ-liberal": "Was die politischen Inhalte angeht, verstehe ich Ihre Selbstzuschreibung als nicht nur, aber auch liberal nicht und halte selbst konservativ für nicht den richtigen Ausdruck. Bernd Lucke oder Konrad Adam sind konservativ, Sie sind ultrakonservativ bzw. reaktionär." (Dilger, 2014). Manchmal, so Dilger zudem, lasse Renner die nötige Abgrenzung zum Rechtsextremen vermissen. Verschärft worden war die Auseinandersetzung dadurch, dass Renner trotz der Absage von AfD-Sprecher Lucke an eine Zusammenarbeit mit der United Kingdom Independence Party ein Bündnis der AfD mit der britischen Partei befürwortete. Der Streit beider Fraktionen führte im Herbst 2013 zur Handlungsunfähigkeit des Landesvorstands. Dilger trat zurück, Renner wurde bei einem Parteitag abgewählt. Der Streit zwischen wirtschaftsliberalen und nationalkonservativ-populistischen Kräften führte dazu, dass ein Funktionär wie Hermann Behrendt, einer der stellvertretenden Landessprecher, quasi die "Mitte" des Landesverbandes bilden konnte, der sich in der Vergangenheit als Vertreter demokratietheoretisch fragwürdiger Modelle hervorgetan hat. Behrendt plädierte dafür, die parlamentarische Demokratie in Deutschland durch eine "mandative Demokratie" zu ersetzen (Behrendt 2012). Demnach sei die Regierung nicht vom Parlament, sondern direkt zu wählen; dasselbe solle für den Bundespräsidenten gelten. Gleichzeitig sprach sich Behrendt für den "Verzicht" auf das "überflüssige Parlament" aus (Behrendt 2012, S. 279 ff). Zwar forderte er einen "offenen Diskurs" in einem "Bürgerforum" über politische Belange und "direktdemokratische Eingriffsmöglichkeiten". Doch dabei war nicht ersichtlich, wie die Regierung noch kontrolliert werden sollte. Sie solle, schlug Behrendt vor, Gesetze in eigener Vollmacht per Erlass verkünden können – eine Konzeption, die mit der Tradition der Gewaltenteilung brechen würde.
Während Behrendts Vorstellungen von einer "Mandativen Demokratie" parteiintern nicht erkennbar auf Kritik stießen, verhielt sich dies bei der Personalie Ulrich Wlecke anders. Wlecke war bei einem Landesparteitag auf Platz vier der Kandidatenliste für die Bundestagswahl gewählt worden. In seiner Studienzeit war er Mitglied in der Burschenschaft Franconia. Gemeinsam mit Bundesbrüdern aus der Franconia wurde er auch beim Ring Freiheitlicher Studenten (rfs) aktiv, der 1977 gegründet worden war und – nach österreichischem Vorbild – als rechte Alternative zur CDUHochschulorganisation RCDS fungierte. Von 1989 bis 1992 war er zudem Mitglied der Republikaner und soll auch in die Versuche der REP involviert gewesen sein, eine Parteistiftung, die Franz-Schönhuber-Stiftung zu gründen (Hundseder 1995). Doch nicht nur weit zurückliegende Aktivitäten wurden dem Düsseldorfer vorgehalten: Noch in den Jahren 2009 und 2010 war er für die rechtspopulistische FPÖ tätig – als "BudgetExperte" bei Parlamentsanhörungen in Wien.
Bei einem Parteitag am 7. Juni 2014 wurde Marcus Pretzell zum Landessprecher gewählt [7], der als Kritiker und potenzieller Rivale von Parteichef Lucke in Erscheinung trat. Am deutlichsten waren die Differenzen zwischen beiden in der Frage geworden, mit welchen Parteien die AfD im Europaparlament zusammenarbeiten solle. Lucke hatte früh signalisiert, dass er die britischen Konservativen favorisierte. Pretzell machte sich zum Fürsprecher jener Mitglieder, die Sympathien für ein Bündnis mit der UKIP hegten. Bei einem Parteitag zur Europawahl sagte er einem Mitschnitt seiner Rede zufolge, die britischen Konservativen könnten "keine Partner für uns sein". Seine Begründung: Die Tories würden in ihrer Fraktion mit "germanophoben Parteien" wie der tschechischen ODS oder der polnischen PiS zusammenarbeiten. Pretzells Ansage vor den Delegierten in Berlin war deutlich: "Persönlich sage ich Ihnen: Für die Tories stehe ich nicht zur Verfügung." Mit knapp 55 Prozent der Stimmen wählten ihn die Delegierten gleichwohl auf Platz 7 der AfD-Liste zur Europawahl. Pretzell trat auch bei einer Veranstaltung mit UKIP-Chef Nigel Farage Ende März in Köln auf. Für seinen Auftritt handelte sich Pretzell eine Rüge des Bundesvorstands ein (Leister 2014), in den er wenige Tage zuvor gewählt worden war. [8] Neben der Wahl Pretzells an die Spitze der NRW-AfD fasste der Landesparteitag vom 7. und
8. Juni 2014 einen weiteren Beschluss, der als Richtungsentscheidung gewertet werden kann. Als erster Landesverband bundesweit erkannten die Delegierten die Junge Alternative (JA) als offizielle Jugendorganisation an. [9] Die JA hatte die Kölner FarageVeranstaltung organisiert und mit provokativen Kampagnen auch bei der AfD-Spitze für Unbehagen gesorgt. In einem entscheidenden Teil der Programmatik weicht sie von der Parteilinie ab. Während Lucke wiederholt erklärte, es gehe ihm um eine Reform der EU, heißt es bei der JA: "Die Junge Alternative für Deutschland setzt sich für eine demokratische Auflösung der Europäischen Union ein und fordert stattdessen eine Wirtschaftsgemeinschaft nach Vorbild der ›Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft‹ (EWG)."
Der Fall Hessen
Für einen Rechtstrend der Hessen-AfD standen früh zwei Namen: Heinrich Hofsommer und Wolfgang Hübner. Das zeitweilige Landesvorstandsmitglied Hofsommer war von 1990 bis 1991 und von 1993 bis 1995 für die CDU Mitglied des hessischen Landtags. 1997 verließ er die Union. 2002 versuchte er sich am Aufbau eines hessischen Landesverbands der Schill-Partei (Bender 2013). Später ging er für eine Weile zum Bund Freier Bürger (BFB). Von 1995 an arbeitete er im hessischen Hünfeld als Leiter der Jahnschule, die er 2002 im Streit verließ. Damals waren Beschwerden bekannt geworden, denen zufolge er etwa eine siebte Klasse während des Englisch-Unterrichts den Satz im Chor wiederholen ließ: "In Germany there are too many immigrants." Auch habe er schon in den 1980er Jahren während seiner Tätigkeit an einer Schule im hessischen Niederaula die Schülerinnen und Schüler "Deutschland, Deutschland über alles" singen lassen, kritisierten Elternvertreter (Neurad 2002).
Besonderes Lob in Rechtsaußen-Kreisen hat Wolfgang Hübner, Ratsmitglied der Freien Wähler Frankfurt und ehemals stellvertretender Landessprecher der AfD Hessen, erhalten. Er habe mit seinen Äußerungen des Öfteren "für empörte Reaktionen zart besaiteter und politisch überkorrekter Parteifreunde" gesorgt, hieß es Mitte Mai 2013 anerkennend auf der Website der Rechtsaußen-Monatszeitschrift Zuerst. [10] Hübner hatte unter anderem behauptet, die NSU-Morde würden "politisch instrumentalisiert"; die "Situation" werde "von verschiedenen Einwanderer-Lobbyisten in unverschämter Weise" genutzt, "um von dem Staat zusätzliche materielle und ideelle Zuwendungen zu fordern" (Hübner 2012). Im Interview mit der Zeitschrift Sezession bestätigte Hübner im April 2013, dass ihm an einer weit über die Euro-Thematik hinausgehenden Programmatik gelegen war: "Die Arbeit an einem umfassenden Parteiprogramm hat erst begonnen", erklärte er dort. "Wenn das Programm formuliert ist, wird die AfD eine echte Alternative auch in vielen anderen Fragen sein – ich bin da sehr optimistisch." [11] Anfang Oktober 2013 befand Hübner offenbar mit Blick auf FPÖ, Front National und Partij voor de Vrijheid: "Der andauernde und weiter ansteigende Erfolg von sogenannten ›rechtspopulistischen‹ Parteien in Österreich, Frankreich oder Holland und anderen Staaten beweist, dass mit einwanderungsund islamkritischen, dazu euround globalisierungskritischen Positionen Wahlen sehr erfolgreich bestritten werden können." [12] Bereits "der Achtungserfolg der keineswegs ›rechtspopulistischen‹ AfD" bei der Bundestagswahl signalisiere "eine Veränderung des gesellschaftlichen und politischen Klimas in Deutschland, das künftig zumindest ›rechtspopulistischen‹ Positionen weit größere Wirkung als in der Vergangenheit sichert. Die AfD ist also gut beraten, solche Positionen inhaltlich und personell zu integrieren, will sie noch größeren Erfolg haben". Integrieren solle man "auch eine fundierte Kritik an den Islamisierungstendenzen in Deutschland". Hübner war auch einer derjenigen, die im vorigen November eine organisatorische Krise im hessischen Landesverband auslösten (echo-online 2013). Bei einem Landesparteitag trat der komplette Vorstand zurück. Zur Neuwahl der Führungsspitze kam es aber nicht, da mehr als ein Drittel der erschienenen Mitglieder den Saal verließen und den Parteitag damit beschlussunfähig machten. Auch mit einem neuen, bei einem weiteren Parteitag drei Wochen später gewählten Vorstand gelang es nicht, aus den Schlagzeilen zu kommen. Zunächst fiel Landessprecher Volker Bartz durch rechten Jargon auf. Einem Bericht der FAZ zufolge sagte er, er spreche sich vor allem dagegen aus, "dass Einwanderer und Sozialschmarotzer die deutschen Sozialsysteme ausbeuten" (Joachim 2013). Dann wurden Äußerungen von Schatzmeister Peter Ziemann bekannt. Wie Frankfurter Rundschau (Tornau/Meyer 2013) und Frankfurter Allgemeine Zeitung berichteten, hatte Ziemann bei Facebook geschrieben: "Mir sind nationale Korruption und Mafiosi lieber – bei denen weiß man zumindest, woran man ist – als die internationalen Mafiosi, die unter dem Deckmantel von Demokratie, Humanismus und Multikulti die Menschheit in einem öko-faschistischen Gefängnisplaneten versklaven wollen." (FAZ 2013). Konkret seien das, so gibt die FR Ziemanns Facebook-Eintrag wieder: die jüdische Bankiersfamilie Rothschild, der liberale jüdischamerikanische Milliardär George Soros, die Unternehmerfamilie Rockefeller "und die ganzen freimaurerisch organisierten Tarnorganisationen, die ein Großteil unserer Politiker-Attrappen über ihre Führungsoffiziere steuern". Auf der Internetseite eines Unternehmens, für das Ziemann als Autor von Marktanalysen tätig war, hatte er zudem 2012 notiert: "Der heutige Sozialismus, der sich Demokratie schimpft, muss das gleiche Schicksal wie der Ostblock vor mehr als 20 Jahren erleiden. Nur so können wir die satanistischen Elemente der Finanz-Oligopole von den westlichen Völkern wieder abschütteln, die wie die Zecken das Blut der Völker aussaugen und die Körper mit tödlichen Bakterien verseuchen." Ziemann wurde nur fünf Tage nach seiner Wahl seines Amtes enthoben. Landessprecher-Kollege Volker Bartz geriet mit in den Strudel – unter anderem, weil er, so die FAZ, Ziemanns Äußerungen in einer parteiinternen E-Mail als "für intellektuelle Personen philosophisch interessant" bezeichnet hatte. Inzwischen scheint der Landesverband aus der Sicht des Bundesvorstands "befriedet" zu sein. Hübner gehört dem Vorstand nicht mehr an. Ohne Einfluss ist er gleichwohl nicht. Seine Kommentare zu politischen Entwicklung der AfD erscheinen auf der Internetseite der Freien Wähler Frankfurt und werden, zum Beispiel über Politically Incorrect oder per Facebook weit verbreitet.
Der Fall Thüringen
Ständige Auseinandersetzungen lähmten auch die AfD in Thüringen. Bereits Ende des Jahres 2013 hatte die Partei mit der Arbeit am Landtagswahlprogramm begonnen. Zum Auftakt der Programmdebatte hatte die Partei Professor Günter Scholdt zu einem programmatischen Referat eingeladen. [13] Politisch ist Scholdt, ein Literaturwissenschaftler im Ruhestand, kein unbeschriebenes Blatt. In der Edition Antaios, einem Verlag der ›Neuen Rechten‹, publizierte er zwei Bücher; seit Jahren schreibt er für das neu-rechte Blatt Sezession, die Preußischen Allgemeinen Zeitung (PAZ) oder die Junge Freiheit (JF). Beim neu-rechten Institut für Staatspolitik hielt er Vorträge, ebenso sprach er auf dem Zwischentag, einer kleinen Messe extrem rechter Verlage und Organisationen. [14] In seinem Vortrag "Der historische Auftrag der AfD aus der Sicht eines Konservativen" [15] vor der Thüringer AfD im Dezember 2013 beklagte Scholdt eine "Propagandakampagne" gegen die Partei und einen "grassierenden Antigermanismus", polemisierte gegen "Muster-Demokraten" und bekannte sich trotzig zum "Rechts-Sein". Er empfahl, "dem modernistischen Zeitgeist zu widerstehen und klassische konservative Tugenden zu pflegen", "an gewachsenen Bindungen wie Familie, Heimat, Nation festzuhalten", im Geiste von Thilo Sarrazin gegen "eine konzeptionslose Einwanderungspolitik" Front zu machen und die "inakzeptable Schicht an Leistungsempfängern samt üppig ins Kraut schießende Sozialindustrie und Gesinnungsbürokratie als bedrohliche Zukunftshypothek" abzulehnen. Zudem forderte er, "sich aus einer fremdbestimmten Haltung zur eigenen Geschichte zu lösen und Historiografie wieder einmal jenseits von aktuellen geschichtspolitischen Opportunitäten zu gestatten".
Im April 2013 lud etwa der Rechtsaußenaktivist Paul Latussek zur Gründung des AfD-Verbandes Ilmkreis ein (Neumann 2013). Nachdem die Presse über die Mitarbeit von Latussek in der AfD berichtete, distanzierte man sich von ihm. Die Gründung des Verbandes sei unabgesprochen erfolgt, hieß es vom Landesvorstand. Latussek, früher Funktionär beim Bund der Vertriebenen, hatte einst den Holocaust verharmlost, wurde wegen Volksverhetzung verurteilt und trat als Referent bei ultrarechten Organisationen auf. Mit David Köckert war sogar ein bekannter Neonazi Mitglied in der Thüringer AfD. [16] Während seiner Mitgliedschaft war er Ende 2013 Initiator mehrerer Demonstrationen gegen ein Wohnheim für Flüchtlinge in Greiz. Der MDR berichtete, dass die Thüringer Behörden ihn sogar "zum Umfeld des mittlerweile verbotenen militanten Neonazi-Netzwerks Blood & Honour" zählten (MDR/Exakt 2013). Zwar soll die AfD versucht haben, ihn auszuschließen – doch das gelang offenbar nicht. Am 20. Februar 2014 verließ Köckert die Partei und erklärte seinen Eintritt in die NPD. Ausschlaggebend für seinen Übertritt sei, so Köckert, dass die AfD in Thüringen zerstritten und nicht "politikfähig" sei (NPD Thüringen 2014). Björn Höcke, seinerzeit noch zweiter Vorsitzender der Thüringer AfD und Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2014, hatte auf Facebook angeklickt, dass ihm die "Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein" ›gefällt‹, die in Leipzig mit antimuslimischen Parolen gegen den Bau einer Moschee agitierte. Außerdem "gefielen" ihm bei Facebook die "Geert Wilders Supporters Austria", die für sich mit dem Slogan "Gegen die Islamisierung Europas!" warben. [17] Höcke zeigte auch als Landesvorsitzender keine Berührungsängste mit dem rechten Rand: In einem Interview mit dem Magazin Sezession aus dem neurechten Institut für Staatspolitik wurde er von dessen verantwortlichem Redakteur Götz Kubitschek gar geduzt. Höcke bekundete in diesem Gespräch freimütig, dass gegen einen entfalteten "Globalisierungstotalitarismus" der "Verteidigung der ethnokulturellen Diversität höchste Priorität eingeräumt werden" müsse (Kubitschek 2014).
- [1] Vgl. bpb.de/politik/wahlen/wer-steht-zur-wahl/europawahl-2014/180972/afd, abgerufen am 20. 06. 2014.
- [2] Politically Incorrect: DIE FREIHEIT stellt bundesund landespolitische Vorhaben zugunsten der AfD ein (30. 9. 2013) pi-news.net/2013/09/die-freiheit-stellt-bundes-und-landespoliti- sche-vorhaben-zugunsten-der-afd-ein/, zuletzt abgerufen 7. 3. 2014.
- [3] afd-goettingen.de/home/, abgerufen am 30. 08. 2013.
- [4] AfD Bayern: Mitgliederbefragung Europawahl 2014 – Teilauswertung I afdbayern.de/ aktuelles/mitgliederbefragung/mitgliederbefragung-europawahl-2014-1-teilauswertung/, abgerufen am 23. 1. 2014. AfD Bayern: Mitgliederbefragung Europawahl 2014 – Teilauswertung II afdbayern. de/aktuelles/mitgliederbefragung/mitgliederbefragung-europawahl-2014-teilauswertung-2/, abgerufen am 23. 1. 2014. AfD Bayern: Gesamtauswertung – grafische Darstellung afdbayern.de/gesamtauswer- tung-grafische-darstellung/, abgerufen am 23. 1. 2014.
- [5] eigentümlich frei: AfD-Programm: "Die Mitglieder wollen klare Kante!" – Interview mit Petr Bystron (23. 1. 2014), ef-magazin.de/2014/01/23/4876-afd-programm-die-mitglieder-wollen- klare-kante, abgerufen am 6. 3. 2014.
- [6] Politically Incorrect: AfD-Mitglieder wollen islamkritischen Kurs (22. 1. 2014), pi-news. net/2014/01/afd-mitglieder-wollen-islam-kritischen-kurs/, abgerufen am 6. 3. 2014.
- [7] Alternative für Deutschland, Landesverband NRW: Marcus Pretzell ist neuer Landessprecher der NRW-AfD, 8. 6. 2014, nrw-alternativefuer.de/marcus-pretzell-ist-neuer-landessprecher- der-nrw-afd/, abgerufen 14. 6. 2014.
- [8] Alternative für Deutschland, Landesverband NRW: NRW-Spitzenkandidat Marcus Prertzell zieht in den Bundesvorstand ein, 25. 3. 2014, nrw-alternativefuer.de/nrw-europakandidat-mar- cus-pretzell-zieht-in-den-afd-bundesvorstand-ein/, abgerufen 14. 6. 2014.
- [9] Junge Alternative NRW: Pressemitteilung: "Nicht rechts, nicht links, sondern vorne!" Die Junge Alternative ist jetzt offizielle Jugendorganisation der AfD NRWhttps://facebook.com/photo.ph p?fbid=456636701148009&set=a.313807565430924.1073741828.298509536960727&type=1, abgerufen 14. 6. 2014.
- [10] Alternative für Deutschland: Eine Partei zwischen Karrieristen-Truppe und Hoffnungsschimmer, 18. 05. 2013. zuerst.de/2013/05/18/alternative-fur-deutschland-eine-partei-zwischen-kar- rieristen-truppe-und-hoffnungsschimmer/, abgerufen am 30. 08. 2013.
- [11] Die "Alternative für Deutschland" – Interview mit Wolfgang Hübner, 25. 04. 2013. sezession.de/38364/die-alternative-fur-deutschland-interview-mit-wolfgang-hubner.html, abgerufen am 30. 08. 2013.
- [12] Politically Incorrect: Wolfgang Hübner: AfD – Freiheitliche Neue Volkspartei oder FDP 2.0 ohne Euro? (2. 10. 2013) pi-news.net/2013/10/wolfgang-hubner-afd-freiheitliche-neue-volks- partei-oder-fdp-2-0-ohne-euro/, abgerufen am 8. 3. 2014.
- [13] Die folgenden Hinweise verdanken wir dem Politikwissenschaftler Paul Wellsow.
- [14] Vgl. dazu das Publikationsund Vortragsverzeichnis von Günter Scholdt (scholdt.de), abgerufen am 01. 03. 2014.
- [15] Die historische Mission der AfD/Ratschlag von außen – ein Vortrag von Prof. Dr. Scholdt am 07. 12. 13 während des Impulstreffens der AfD-Thüringen (12. 12. 2013) afd-thueringen.de/2013/12/die- historische-mission-der-afd-ratschlag-von-aussen-vortrag-von-prof-dr-scholdt/.
- [16] Thüringer Landtag: Kleine Anfrage und Antwort des Thüringer Innenministeriums "Alternative für Deutschland" und extreme Rechte?, Drs. 5/7244, 03. 02. 2014.
- [17] Screenshots der Facebook-Seite.