Umsetzungsstand und Konsequenzen der §§ 78a bis 78g SGB VIII
Die Leistungsvereinbarungen nach §§ 78a bis 78g wurden mit dem Ziel eingeführt, mehr Transparenz hinsichtlich der Leistungs-Kosten-Relation zu schaffen und Effektivitätsund Effizienzreserven bei den Leistungserbringern durch stärkeren Wettbewerb freizusetzen. Die Jugendamtserhebungen des DJI aus dem Jahr 2004 zeigen, dass in nahezu allen Jugendamtsbezirken Entgeltvereinbarungen zum Einsatz kommen (vgl. Pluto et al. 2007, 512). Doch das Steuerungspotential, das die §§ 78a bis 78g mit den zusätzlich verpflichtenden Leistungsund Qualitätsentwicklungsvereinbarungen bieten, wird auch 2008 noch nicht allerorts genutzt. Eine von zehn entgeltfinanzierten Einrichtungen hat mit dem Jugendamt keine Leistungsvereinbarung abgeschlossen und bei fast jeder dritten über Entgelte finanzierten Einrichtung (27 %) gibt es keine Qualitätsentwicklungsvereinbarung. Das DJI sieht zwar diesbezüglich eine Verbesserung im Vergleich zur letzten Erhebung in 2004 (16 % keine Leistungsvereinbarungen; 40 % keine Qualitätsentwicklungsvereinbarung). Doch sie diagnostizieren auch einen partiellen Rückschritt. Denn 6 % der Einrichtungen, die 2004 noch eine Leistungsvereinbarung hatten, haben diese 2008 nicht mehr und bei 16 % der Einrichtungen mit einer Qualitätsentwicklungsvereinbarung im Jahr 2004 ist diese 2008 entfallen, was nach Gadow et al. Ausdruck der fehlenden Relevanz dieser Vereinbarungen sein kann. Bei den Verhandlungen geht es im Übrigen einer Mehrheit der Jugendämter (55 %) darum, die Entgelte, den Personalschlüssel und die Auslastung konstant zu halten, d.h. es geht primär um Geld. Gadow et al. sehen vor diesem Hintergrund ein großes Risiko in der Form, dass gerade bei unausgeglichenen öffentlichen Haushalten Qualitätsverluste stattfinden (vgl. Gadow et al. 2013, 66 ff.).
Grohs kommt auf Basis einer repräsentativen Befragung von Jugendämtern im Jahr 2005 zu dem Schluss, dass nur 41 % der Jugendämter in der Mehrzahl und 27 % in einigen Fällen Leistungsvereinbarungen mit freien Trägern abgeschlossen haben. Bei immerhin fast jedem dritten Jugendamt (31 %) bestehen solche nicht (vgl. Grohs 2010a, 189). Das Instrument wird dabei von ostdeutschen Jugendämtern sowie großen Gemeinden und Kreisen häufiger eingesetzt. Doch selbst wenn Leistungsvereinbarungen abgeschlossen wurden, stehen sie nicht unbedingt für einen Qualitätsund Kosten-Wettbewerb. Nach Grohs stellt weniger als die Hälfte der Jugendämter – häufiger in Ostals Westdeutschland – Qualitätsund Kostenvergleiche an, bevor sie neue Leistungsvereinbarungen eingehen (vgl. Grohs 2010a, 192). Messmers qualitative Studie zeigt dagegen, dass aus Sicht der freien Träger Kostenund Preisvergleiche auch schon vor Einführung der §§ 78a bis 78g eine Rolle gespielt haben und die gesetzlichen Neuregelungen eigentlich nur dem auch schon vorher bestehenden Marktmechanismus ein rechtliches Fundament gegeben haben (vgl. Messmer 2007, 76, 155). Die Intention des § 78c Abs. 2, dass Qualität einer Leistung als Grundlage der Entgeltvereinbarung von den Jugendämtern berücksichtigt wird, sieht er dagegen nicht realisiert (vgl. Messmer 2007, 175). Er stellt außerdem fest, dass sich diejenigen Beziehungen, die vormals schon gut bzw. schlecht waren in der Tendenz zumeist verbessern bzw. verschlechtern, Leistungsvereinbarungen also die Beziehung nicht grundlegend verändern, sondern eher in ihrer spezifischen Beschaffenheit intensivieren (Messmer 2007, 116). Insgesamt kommt er zu dem Ergebnis, dass mit den §§ 78a bis 78g die verschiedenen Akteure in der Jugendhilfe mit typischen, speziell ihnen zugehörigen Steuerungskompetenzen versorgt wurden (Jugendamt: Geld; Einrichtung: Wissen). Nur vordergründig gehe es Gesetzgeber, Jugendamt und freien Trägern gemeinsam um Qualität und Effizienz in der Leistungserbringung. Doch die neuen gesetzlichen Vorschriften würden von den Akteuren jeweils abhängig von ihrer eigenen Situation bewertet. Die Jugendämter würden generell unter Kostendruck stehen und dementsprechend agieren, auch wenn sie sich mit gesetzlichen Ansprüchen konfrontiert sehen, die sich überwiegend über den Bedarf und weniger die Kosten begründen (vgl. Messmer 2007, 171). „Maßgeblich für die Entscheidungen eines Leistungsträgers ist nach vorliegenden Hinweisen oftmals weniger der tatsächliche Hilfebedarf als Orientierung an den anfallenden Kosten und dem Alter der jeweiligen Adressaten“ (Messmer 2007, 161). Die freien Träger bzw. Einrichtungen würden dagegen „zuvörderst unter der Prämisse [agieren], dass ihre Maßnahmen wirksam und nachhaltig sind“ (Messmer 2007, 171), auch wenn sie gleichzeitig ihr wirtschaftliches Überleben sichern müssen.
Die vier Fallstudien, die Grohs durchgeführt hat, zeigen sehr unterschiedliche Formen der Anwendung und Ausgestaltung von Kontrakten und Leistungsvereinbarungen. Sie unterscheiden sich zum einen hinsichtlich der Ziele, ob z.B. primär Qualität und Wirkungsorientierung im Mittelpunkt stehen oder Kosten. Aber auch Wettbewerb und Konkurrenz sind in den untersuchten Kommunen von unterschiedlicher Relevanz. Schließlich unterscheiden sie sich mit Blick auf die Frage, ob die Instrumente des Kontraktmanagements nur formal implementiert werden oder auch tatsächlich Wirkung entfalten. Das Spektrum reicht
Ÿ vom Anspruch die Trägerstruktur zu pluralisieren und Wettbewerb umzusetzen, bis zu einer völligen Ausschaltung eines Wettbewerbs
Ÿ von einem Qualitätswettbewerb bis zu einer primär kostengetriebenen Ökonomisierung
Ÿ von einer gelebten Kontraktkultur bis zu einer rein legitimiatorischen Anpassung (vgl. Grohs 2010a, 215 ff.).
Die Tatsache, dass Leistungsvereinbarungen in der Praxis eingesetzt werden, sagt zudem nichts über deren Inhalt aus. Dies zeigen die Ergebnisse rechtswissenschaftlicher Studien. Münder und Tammen haben 2002 nicht nur untersucht, ob Leistungsvereinbarungen abgeschlossen wurden, sondern auch mit welchem Inhalt. Ihre Analyse von insgesamt 74 Vereinbarungen zeigt, dass in vielen Fällen den alten Vereinbarungen nur der neue Begriff Leistungsvereinbarung vorangestellt wurde, um der Terminologie des neuen Gesetzes Genüge zu tun (vgl. Münder/Tammen 2003, 51). Sie kommen deshalb zu dem Schluss, dass
„[d]ie grundsätzliche Umstrukturierung des Leistungserbringungsrechts, die der Gesetzgeber […] bewirken wollte, sich in den untersuchten Vereinbarungen nicht wider[spiegelt].“ (2003, 49).
Dahme et al. haben in Fallstudien in drei westdeutschen Kommunen und zwei ostdeutschen Kommunen die Formen des örtlichen Kontraktmanagements im Jugendhilfebereich und den Umgang damit untersucht. Sie stellen fest, dass die freien Träger vielerorts Kontraktmanagement mit einer Konzentration der Definitionsmacht über Fälle und Kosten bei der öffentlichen Hand und einer stärker steuernden Funktion des Jugendamtes verbinden. Auch die Jugendämter sehen im Kontraktmanagement eine Stärkung ihrer Rolle. Es gibt auf der anderen Seite aber auch bei freien Trägern die Erfahrung, dass Kontraktmanagement zu einem Zuwachs ihrer Entscheidungskompetenz führt und die mit Kontraktmanagement verbundenen Controllinginstrumente nichts an der bisherigen partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Träger verändern. In der Regel sehen die freien Träger das mit den Kontrakten einhergehende Controlling durch den Kostenträger jedoch kritisch, weil es die besondere Fachlichkeit ihrer Arbeit nicht erfasst (vgl. Dahme et al. 2005, 121 f., 134 f.) und sie sich in der Konsequenz in ihrer bisherigen fachlichen Arbeit nicht mehr ausreichend gewürdigt sehen (vgl. Dahme et al. 2005, 189).
Einige wenige Studien bieten Einblicke in die Praxis einzelner Bundesländer. In Rheinland-Pfalz wurden 2002 41 öffentliche und 127 freie Träger nach dem Stand der Umsetzung der §§ 78a bis 78g befragt. Danach hatten 2002 zwar 81 % der Jugendämter bereits Verhandlungen abgeschlossen, teilweise handelte es sich jedoch auch hier nur um Fortschreibungen der alten Pflegesätze, die formal als Entgelte bezeichnet wurden. Zudem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Qualitätsentwicklungsvereinbarungen nicht diskutiert und verhandelt werden konnten, weil sich nur 28 % der befragten Jugendämter bereits intensiv mit dem Thema Qualität befasst hatten (vgl. Darius et al. 2004, 19). Eine Studie für Nordrhein-Westfalen (NRW) zeigt anhand von 169 Qualitätsentwicklungsvereinbarungen, dass sie in 80 % der Fälle nicht oder nur unzureichend in die Praxis umgesetzt wurden, was Merchel zu dem Schluss verleitet, dass sie vorrangig der Legitimation wegen abgeschlossen wurden (vgl. Merchel 2006). Dass Rahmenverträge keine Orientierungshilfe für die kommunale Ebene darstellen, zeigt die Studie von Gottlieb et al. Sie vermissen in den Rahmenverträgen bspw. Leistungskriterien, die den Jugendämtern beim Vergleich verschiedener Angebote und Anbieter Orientierung geben. Insgesamt kommen sie zu dem Schluss, dass die Vertragspartner den vom Gesetzgeber anvisierten Perspektivwechsel hin zu einer offenen, auf die Zukunft gerichteten Verhandlungskultur über die fachliche Leistung und das Entgelt noch nicht überzeugend vollzogen haben (vgl. Gottlieb et al. 2003, 124 f.).