Beziehung: Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung – Partnerschaft
Wenn ein Jugendamt die Beziehung zum Träger als Partnerschaft definiert, dann versteht auch der Träger die Beziehung als Partnerschaft. Ist es sowohl für das Jugendamt als auch den Träger selbstverständliche und unhinterfragte Norm, dass es sich um eine Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung und damit verbunden eine hierarchische Beziehung handelt, dann akzeptiert der Träger diesen vom Jugendamt gesetzten Rahmen.
Ist der Träger aber durch einen Diskurs-Ausschnitt geprägt, in dem die Norm der partnerschaftlichen Zusammenarbeit eine Rolle spielt, dann versucht der Träger über die Selbstpositionierung als unverzichtbarer Partner und mit Verweis auf diese Norm die hierarchisch gestaltete Beziehung so weit wie möglich zu egalisieren. Dies trifft insbesondere für in Westdeutschland geprägte Träger zu, die sich als ‚die' Repräsentanten der Fachlichkeit bzw. ‚die' Advokaten des Kindeswohls verstehen.
Ziel: Finanzen – Fachlichkeit
Die Beispiele zeigen, dass die Selbstpositionierung als Repräsentant der Fachlichkeit und die Fremdpositionierung als ‚Kosteneinsparer' gängige Muster sind. Indem Jugendämter für sich in Anspruch nehmen Fachlichkeit zu gewährleisten, während sie den Trägern die Position zuweisen, primär profitorientiert zu agieren, legitimieren sie ihren Machtund Steuerungsanspruch. Die freien Träger begründen mit der Selbstpositionierung Fachlichkeit gegenüber primär kostenorientierten Jugendämtern zu verkörpern ihrerseits Ansprüche auf mehr Einfluss und Ressourcen.
Die Beziehung von Jugendamt und Politik zwischen Finanzen und Fachlichkeit
Dieses soeben skizzierte übergreifende Muster der Selbstund Fremdpositionierung zeigt sich auch in der Beziehung des Jugendamtes zur Politik. Es deutet sich an, dass die Akteure jeweils im Sinne einer funktionalen Symbiose eine Art Gegenpol zur anderen Seite einnehmen, die Orientierungen und damit verbundenen Argumentationsund Legitimationsmuster sich also reziprok zueinander entwickeln. Nimmt das Jugendamt die Politik als primär kostenorientiert wahr, bildet sich eine dominierende fachliche Orientierung heraus und es positioniert sich als Fachamt. Erfährt das Jugendamt von Seiten der Politik keinen Kostendruck, ist es ihm wichtig, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln sparsam umzugehen, und es positioniert sich als Hüter der öffentlichen Finanzen.
Die Zusammenhänge zwischen den drei Dimensionen
Die Beispiele zeigen insgesamt, dass das eigene Systemund Beziehungsverständnis – sobald es hinterfragt wird – mit fachlichen und/oder finanziellen Argumenten begründet und legitimiert wird. Es gibt dabei sowohl das Argumentationsmuster, nur über Wettbewerb das beste fachliche Ergebnis erzielen zu können, als auch nur über Wettbewerb den Mehrklang von Qualität und Kosten sicherstellen zu können. Für eine komplementäre Angebotslandschaft wird ähnlich divers argumentiert. Die Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung wird ebenso wie die Partnerschaft fachlich legitimiert, für beides wird aber auch mit Effizienz bzw. Kosteneinsparungen argumentiert.
Die Zieldimension steht also gewissermaßen quer zu den beiden anderen Dimensionen. Denn in der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit darüber, wie das System und die Beziehung auszusehen haben, werden immer auch fachliche und finanzielle Argumentationsmuster eingesetzt. Dies gilt nicht nur für die Beziehung zwischen Jugendamt und Trägern, sondern auch für Machtkämpfe innerhalb von Organisationen, wie das Jugendamt WLJ zeigt (siehe Kap. 7.3), sowie für Konflikte zwischen Jugendamt und Politik.
Es deutet sich dabei an, dass es bei den in Westdeutschland geprägten freien Trägern durchgängig das Selbstverständnis gibt, neben einem Auftragnehmer auch gleichberechtigter Partner des Jugendamtes zu sein. Sie legitimieren dieses Selbstverständnis damit, ‚die' Repräsentanten der Fachlichkeit zu sein. Indem sie sich als Fachexperten und Advokaten des Kindeswohls positionieren und sich gleichzeitig vom Jugendamt abgrenzen, dem sie die Position zuweisen, primär kostenorientiert zu agieren, beanspruchen sie fachliche und moralische Überlegenheit. Sie versuchen auf diesem Wege die als asymmetrisch empfundene Beziehung zu egalisieren. Ein entsprechendes Selbstverständnis und damit verbundenes Argumentationsund Legitimationsmuster ist bei den ostdeutschen Trägern nicht erkennbar. Sie verstehen sich primär als Auftragnehmer, bzw. wenn sie sich als Partner des Jugendamtes sehen, dann legitimieren sie diesen Anspruch damit, als Anbieter und/oder Bündnispartner gegen den gemeinsamen Gegner Politik unverzichtbar zu sein.