Der Übergang zum aktiven Einsatz von Feuer

Jede Rekonstruktion der frühen Phase der Beziehungen der Hominiden zu Feuer muß gegenwärtig etwas spekulativ bleiben. Wir haben keinerlei ethnographische Beschreibung irgendeiner Gesellschaft, die keinen aktiven Gebrauch von Feuer kannte. Und dennoch kann die Tatsache nicht geleugnet werden, daß die Menschheit den Übergang von der ersten Phase des passiven Gebrauchs zur zweiten Phase des aktiven Gebrauchs irgendwie vollzogen hat.

Im Laufe dieses Übergangs – jedenfalls nach der Meinung vieler Autoren – entwickelte sich der Mensch von einer "ökologisch sekundären" zu einer "ökologisch dominanten" Spezies. [1] Viele andere Tiere erkennen die Vorteile eines Feuers und nutzen sie, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Keines dieser Tiere hat jedoch jemals gelernt, das Feuer zu beeinflussen, es nicht ausgehen zu lassen und seine Entwicklung zu steuern. Nur Hominiden machten den entscheidenden Schritt zu einer gewissen, wenn auch begrenzten Kontrolle und zur willentlichen Ausnutzung von Feuer. Sie lernten vielleicht zuerst den Bränden zu folgen, wo immer sie entstanden, dann das Feuer für eine längere Zeit an seinem ursprünglichen Standort zu bewahren und es schließlich zu sicheren und geschützten Orten zu transportieren, die sie auch auf Dauer als Wohnungen einrichteten. Wann kam es zu diesen Errungenschaften? Was befähigte sie, dieses zu tun? Und warum haben nicht andere Spezies Kontrolle über das Feuer erworben?

Obwohl diese Fragen miteinander verflochten sind, werde ich sie getrennt behandeln. Das Problem von Ort und Zeit, wo und wann den Hominiden oder Menschen zuerst die Kontrolle über das Feuer gelang, ist immer noch ungelöst. In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts hat der südafrikanische Paläontologe Raymond Dart behauptet, Beweise dafür gefunden zu haben, daß eine Primatenspezies – dem Homo verwandt, aber nicht mit ihm durch eine direkte Abstammungslinie verbunden – schon vor 1 500 000 Jahren in der Lage war, Feuer zu kontrollieren. Dart nannte diese Spezies, deren Überreste man in der Nähe der südafrikanischen Stadt Makapansgat entdeckt hatte, Australopithecus prometheus. [2] Nach kritischen Anmerkungen von Kollegen zog er jedoch später diesen Anspruch zurück. Einige Jahrzehnte lang wurde eine Höhle in Zukudiem, in der Nähe von Beijing, als diejenige Stelle angesehen, die die ältesten Überreste eines von Menschen kontrollierten Feuers aufweist. Nach herrschender Meinung hatten menschliche Wesen der Spezies Homo erectus vor fünfhunderttausend Jahren hier Feuer gehütet. In jüngster Zeit, in den 90er Jahren, wurde auch die Zukudiemthese von Experten in Zweifel gezogen. Nun beanspruchten Forscher, die Beweise für den ältesten menschlichen Umgang mit Feuer bereits vor 1 400 000 bis 1 500 000 Jahren in Chesowanja (Kenia) und Swartkrans (Südafrika) gefunden zu haben. [3]

Auf der Grundlage dieser unterschiedlichen wissenschaftlichen Befunde ist es für mich schwer, zu einem eigenen Schluß zu kommen. Ich kann also nur sagen, daß das Thema immer noch in der Diskussion ist. Aber trotz aller Kontroversen sind sich die meisten Archäologen darüber einig, daß es Beweise aus den verschiedenen Teilen Europas und Asiens gibt, aus denen man schließen kann, daß der Homo erectus mindestens seit vierhunderttausend Jahren das Feuer nutzte – lange Zeit bevor der Homo sapiens erschien. [4]

Obwohl die exakte zeitliche Bestimmung problematisch bleibt, können wir ziemlich sichere Aussagen über die Abfolge dieser Phasen machen. [5] Zunächst muß es eine Zeit gegeben haben, als keine einzige Gruppe ständig im Besitz von Feuer war, dann kam eine Zeit, in der einige Gruppen Feuer hatten und andere nicht, schließlich besaß jede Menschengruppe Feuer. In diesem Kapitel interessiert mich besonders die bedeutungsvolle zweite Phase des Ablaufs: die Periode, in der einige Gruppen begannen, etwas Kontrolle über Feuer auszuüben.

Solange archäologische Funde nicht schlüssig das Gegenteil beweisen, tendiere ich zu der Meinung, daß dieses eine sehr lang dauernde Zeitspanne gewesen sein muß. Während dieser Phase konnten Gruppen, die das Glück hatten, ein Feuer gefunden zu haben, es manchmal Monate oder sogar Jahre erhalten, bis es entweder durch Regen oder andere natürliche Ursachen oder durch ihre eigene Nachlässigkeit erlosch. Während dieser Phase blieb der Besitz von Feuer selten, und er war gewöhnlich von kurzer Dauer.

Was war es dann, was die Hominiden oder die Menschen befähigte, überhaupt in diese Übergangsphase einzutreten, in der sie zunächst ein Feuer eine Zeitlang erhalten und es später sogar von einer Generation an die nächste weitergeben konnten? Um diese Frage zu beantworten, ist es nützlich, zwischen physischen, geistigen und sozialen Bedingungen zu unterscheiden. Zweifellos waren physische Merkmale, wie der aufrechte Gang und die dazugehörige Fähigkeit, Gegenstände mit den Händen zu tragen und mit ihnen umzugehen, unentbehrliche Voraussetzungen. Selbst in der Zeit des überwiegend passiven Gebrauchs von Feuer war einer der Vorteile, die Hominiden (und möglicherweise auch andere Primaten) gegenüber anderen Tieren hatten, daß sie Stöcke halten konnten, mit denen sie in einem schwelenden Feuer herumstochern konnten, ohne sich zu verbrennen. Während sie in der Asche nach Nahrung suchten, konnte es ihnen kaum verborgen bleiben, daß das Feuer länger brannte, wenn sie Zweige hineinwarfen. Bedeutungsvoller war vermutlich die Fähigkeit, brennendes Material aufzunehmen und es an einen anderen Ort zu bringen, wo es vor Regen oder Wind geschützt war.

Selbstverständlich war das aber nicht nur eine Angelegenheit des aufrechten Gangs und der Hände, die frei waren, um etwas zu transportieren. Zweige für ein Feuer herbeizuholen bedeutet schon, daß die betreffenden Individuen wußten, was sie taten und warum sie es taten. Ein Feuer zu versorgen bedeutet Weitsicht und Sorgfalt. Das Holz mußte gesammelt und wahrscheinlich auch trocken gelagert werden. Solche Tätigkeiten waren den Hominiden nicht angeboren, sie erforderten Lernen und Anstrengung. Besonders als die frühen Menschen anfingen, Brennstoff über längere Entfernungen zu sammeln, wandten sie einen Teil ihrer Energie auf, um etwas außerhalb ihrer selbst aufrechtzuerhalten, etwas, das keinesfalls Teil ihres eigenen "Genpools" war. Das bedeutet natürlich nicht, daß sie "uneigennützig" handelten, im Gegenteil, indem sie für das Feuer sorgten, sorgten sie auch für sich selbst. Die Wartung von Feuer war eine Form von "Umwegverhalten" oder aufgeschobener Bedürfnisbefriedigung, die später eine wesentliche Bedingung für Ackerbau und Viehzucht war. Anders als – bei oberflächlicher Betrachtung – ähnlich komplexe Tätigkeiten wie der Nestbau der Vögel war es eben nicht genetisch verankert, sondern mußte erlernt werden.

Die Fähigkeit, etwas über Feuer zu wissen und die Bereitschaft, etwas dafür zu tun, damit es nicht ausgeht, können als mentale oder psychische Merkmale angesehen werden, die die physischen Merkmale – aufrechter Gang, flexible Hände und ein großes und ausdifferenziertes Gehirn – ergänzten. Weder die physischen noch die geistigen Fähigkeiten hätten dem einzelnen menschlichen Individuum jedoch irgend etwas gebracht, wären sie nicht im Zusammenleben mit anderen Menschen entwickelt worden. Die Fähigkeit, von den Älteren zu lernen und ihnen zu gehorchen, waren zusätzliche Vorbedingungen, um eine Kontrolle über Feuer zu erwerben, die dann auch in den folgenden Generationen nicht wieder verlorenging.

Die französische Archäologin Catherine Perlès hat in ihrer ausgezeichneten Monographie über das Feuer in der Vorgeschichte angemerkt, daß die "Entdeckung der Verwendung von Feuer einen geistigen und nicht einen technischen Fortschritt voraussetzte". Später fügte sie hinzu, daß sie auch neue Formen der sozialen Organisation erforderte. [6] Diese Feststellungen sind begründet. Anstatt aber den technischen Aspekt dem geistigen und sozialen entgegenzusetzen, sollte man sie meiner Meinung nach als unauflöslich miteinander verbunden ansehen. Sowohl das Denken als auch die Kooperation wurden durch die bloße Anstrengung, die die Kontrolle über das Feuer als technisches Problem erforderte, stimuliert. Das technische Problem war zur gleichen Zeit ein intellektuelles und emotionales Problem – und ein Problem der sozialen Koordination.

Es ist daher sehr unwahrscheinlich, daß das Geistige sich unabhängig von oder sogar vor den anderen beiden Aspekten entwickelt haben könnte. Die psychoanalytische Theorie bietet ein gutes Beispiel dafür, zu welchen Auswüchsen eine einseitige Betonung der psychologischen Dimension führen kann. Sigmund Freud hatte sicherlich recht, wenn er darauf hinwies, daß die Aneignung des Feuers den Verzicht gewisser spontaner Triebe erforderte. Der einzige Trieb, dem Freud in diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit widmete, war der angeblich unwiderstehliche Drang, den der urgeschichtliche Mann fühlte, wenn er in die Nähe eines Feuers kam, "es durch den Harnstrahl zu löschen". Dieser infantile Wunsch, verbunden mit der Freude an sexueller Potenz in einem homosexuellen Wettbewerb, mußte überwunden werden. [7]

Für jede Menschengruppe, die ein Feuer bewahrt, ist es notwendig, daß ihre männlichen Mitglieder es nicht auspinkeln. Aber unsere frühen Vorfahren hatten sicherlich andere und dringendere Probleme zu lösen. Sie hatten zuallererst dafür Sorge zu tragen, daß das Feuer nicht von allein ausging – entweder weil nicht genug Brennstoff da war oder weil es durch Feuchtigkeit oder Regen ausgelöscht wurde. So gesehen waren die Herausforderungen durch das Feuer technischer Art, und die geistigen und sozialen Anpassungen, die die Menschen nach und nach vollzogen, entwickelten sich, um diese technischen Herausforderungen zu meistern.

Es ist ganz eindeutig, daß die drei Typen der Kontrolle – über Naturereignisse, über soziale Beziehungen und über individuelle Impulse – sehr stark miteinander verflochten waren und sich gegenseitig verstärkten. Wie zu jeder anderen menschlichen Fertigkeit gehörte zum Hüten eines Feuers ein gewisses Maß an Selbstkontrolle – als Teil der technischen Kontrolle. Der notwendige Selbstzwang, um ein Feuer erfolgreich zu handhaben – weder leichtsinnig noch in Panik – wurde unterstützt durch ein Vertrauen, das darauf beruhte, daß die Beobachtung anderer und auch die eigene Erfahrung lehrten, daß man in der Tat das Feuer kontrollierte und daß man es nutzen könnte, wenn man es brauchte. Die in Wechselbeziehung zueinander stehenden technischen und geistigen Fähigkeiten konnten nur innerhalb eines soziokulturellen Rahmens entwickelt und aufrechterhalten werden. Die soziale Koordination war notwendig, schon allein um sicherzustellen, daß immer jemand nach dem Feuer sah. Die kulturelle Weitergabe war notwendig, wenn sowohl die Fertigkeiten als auch der Sinn für Verantwortung und Pflichten, die mit dem Feuer verbunden waren, nicht verlorengehen sollten. Wiederum gilt, daß die soziale Koordination und die kulturelle Weitergabe zwar notwendige Bedingungen für die Domestizierung des Feuers waren, dadurch aber auch verstärkt wurden. Gruppen im Besitz eines Feuers mußten sich immer darauf einstellen und hatten sich Zwänge aufzuerlegen, um es nicht ausgehen zu lassen. Während sie das Feuer für ihre eigenen Zwecke nutzten, mußten sie sich den Erfordernissen des Feuers anpassen. Als das Feuer den menschlichen Bedürfnissen angepaßt wurde, hatten sich die menschlichen Gewohnheiten dem Feuer anzupassen. In diesem Sinne kann man davon sprechen, daß die Domestizierung des Feuers auch "Selbstdomestizierung" oder "Zivilisation" bedeutete.

  • [1] Siehe z. B. Forni 1984.
  • [2] Dart 1948.
  • [3] Vgl. Oakley 1955; Gowlett u. a. 1981, 1982; Isaac 1982. Eine neuere Übersicht gibt James 1989 und die sich daran anschließende Diskussion in derselben Ausgabe von Current Anthropology. Siehe auch Renfrew und Bahn 1991, S. 226.
  • [4] Siehe Perlès 1977, S. 13–26.
  • [5] Zur Unterscheidung zwischen Chronologie und Phaseologie siehe Goudsblom, Jones und Mennell 1989, S. 11–26.
  • [6] Perlès 1977, S. 30; Perlès 1981.
  • [7] Freud 1950, S. 3.
 
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