Der Einsatz von Feuer und die Agrarisierung

Es ist fast unmöglich sich vorzustellen, wie Menschen Landwirtschaft hätten betreiben können, ohne gründliche Kenntnis davon, wie man mit Feuer umgeht. Erstens brauchten sie ein Feuer, um zu kochen. Die ersten Feldfrüchte, die in größerem Umfang angebaut wurden, waren Getreidearten aus der Familie der Gräser. Wegen seines hohen Nährwertes und seiner großen Lagerungsfähigkeit war Getreide ein zweckmäßiges Hauptnahrungsmittel für eine menschliche Gemeinschaft, dazu mußte es aber erst mit Hil-

fe des Feuers leichter verdaulich gemacht werden.

Ein zweiter und ganz anderer Grund dafür, daß die Feuerkontrolle eine Vorbedingung für die Domestizierung von Tieren und Pflanzen war, ergab sich aus der menschlichen Vorherrschaft über alle anderen Säugetiere, die teilweise auf dem Feuergebrauch basierte. Das menschliche Monopol über das Feuer war zu jener Zeit so fest verankert und ist heutzutage so selbstverständlich, daß man in diesem Zusammenhang selten darüber nachdenkt. Trotzdem muß es erwähnt werden. Die allgemein anerkannte Hegemonie der Menschen im Tierreich befähigte sie nicht nur, bestimmte Arten, wie Ziegen und Schafe, unter ihre direkte Kontrolle zu bringen, sondern auch – und das war letzten Endes genausowichtig –, die übrigen "wilden" Tiere auf Distanz zu ihrer Ernte und ihren Herden zu halten.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Erfahrung im Kontrollieren von Feuer die Domestizierung von Tieren und Pflanzen in noch einer anderen Weise förderte. Wie die Domestizierung des Feuers bedeutete auch die Domestizierung von Pflanzen und Tieren eine Ausdehnung der menschlichen Vorherrschaft. Eine neue Form des ökologischen "Regimes" war etabliert, ein agrarisches "Regime", das neue Erfordernisse und Zwänge, sowohl gegenüber der physischen Umgebung als auch der menschlichen Gemeinschaft selbst erforderte. Der Anbau von Getreide und die Aufzucht von Tieren war, ähnlich dem Feuerhüten, eine Art "Umwegverhalten", in dem Menschen für etwas Sorge trugen, das nicht zu ihrem eigenen "Genpool" gehörte. Dieses Umwegverhalten war nicht angeboren, sondern mußte durch soziales Lernen erworben werden. Die lange Vertrautheit mit dem "Feuerregime" trug dazu bei, die Menschen auf die Härten eines agrarischen "Regimes" vorzubereiten: voller selbstauferlegter Entbehrungen zum Nutzen von aufgeschobener Befriedigung.

Die interessanteste und in der Literatur am häufigsten diskutierte Beziehung zwischen dem Feuergebrauch auf der einen Seite und dem Entstehen von Landwirtschaft auf der anderen Seite ist die alte Tradition des Rodens in der Absicht, Nahrungsmittel zu produzieren. Wie schon in Kapitel 2 erwähnt, war das Abbrennen des Bodens eine weitverbreitete Praxis unter den Sammlervölkern, um so bessere Bedingungen sowohl für das Sammeln als auch für das Jagen zu schaffen. Diese Verbrennungsmethoden wurden sehr wahrscheinlich gegen Ende der letzten Eiszeit, etwa vor zehnbis zwölftausend Jahren, intensiviert, als sich die Menschen in verschiedenen Regionen einer zunehmend ernsthafteren ökologischen Krise gegenübersahen. [1] Zu dieser Zeit hatte sich die menschliche Bevölkerung über alle Kontinente ausgebreitet; selbst Amerika und Australien, obgleich dünn bevölkert, waren von Küste zu Küste bewohnt. Fortschritte in den Jagdtechniken hatten die Megafauna sehr wahrscheinlich schon beträchtlich ausgedünnt. Unter diesen Bedingungen mußte der Temperaturanstieg eine sehr prekäre Situation hervorrufen, insbesondere in den Gebieten, die aufgrund des intensiven Sammelns und Jagens auch am dichtesten besiedelt waren, wie z. B. der "fruchtbare Halbmond", der sich von Mesopotamien bis nach Ägypten erstreckte. Mit dem Anstieg der Temperaturen begannen die Eisberge zu schmelzen und verursachten ein allmähliches Ansteigen des Meeresspiegels von etwa 130 Metern. Fruchtbare Deltagebiete an den Küsten gingen so für die menschliche Besiedlung verloren. Zur gleichen Zeit verschob sich die Baumgrenze, und die savannenähnlichen Gebiete, an die die Menschen hervorragend angepaßt waren, wurden von Wäldern überwuchert, die Jägern und Sammlern viel ungünstigere Lebensbedingungen boten.

Es scheint sehr wahrscheinlich, daß das Vordringen der Wälder die Menschen dazu gebracht hat, ihre Verbrennungspraktiken zu intensivieren. Wie der amerikanische Anthropologe Henry T. Lewis aufgezeigt hat, waren die Menschen vor ca. zehntausend Jahren zu einem höchst vernünftigen Umgang mit Feuer fähig; sie konnten es so einsetzen, daß eine bestimmte Vegetationsart begünstigt wurde, die sowohl sie selbst als auch die Tiere, die sie jagten, mit großen Mengen von Nahrungsmitteln versorgte. Während die häufigen Brände die Biomasse der Vegetation insgesamt reduzierten, stimulierten sie aber eine üppige junge Vegetation mit einem hohen Nährwert für Tiere und erhöhten so die Biomasse der Tiere über das Maß hinaus, das in den Wäldern bestanden hatte. Wenn die Menschen als Antwort auf die sich wandelnden ökologischen Bedingungen ihre Verbrennungspraktiken intensivierten, fügten sie der alten "Volksweisheit über Feuer" ständig neue Erfahrungen hinzu. Mit Hilfe dieses Wissens waren sie in der Lage, das Wachstum einer Vegetation, in der Gräser vorherrschten, zu fördern, die nicht nur eßbaren Samen für sie selbst lieferte, sondern auch Halme und Samen, die, obwohl für Menschen unverdaulich, von Schafen, Ziegen, Gazellen Lind anderen Beutetieren verzehrt werden konnten. Diese Verbrennungswirtschaft, die auf die Vermehrung der Produktivität beim Jagen und Sammeln abzielte, war, wie Lewis bemerkt, eine bedeutende "Voradaptation für die Landwirtschaft", nicht weniger bedeutend wie die Entwicklung von steineschleifenden Werkzeugen und Lagerungsmöglichkeiten. [2]

Ähnlich argumentierte der britische Archäologe Paul Mellars: Der zunehmend effiziente Feuereinsatz in der Jagd ebnete dem Hirtenwesen den Weg. [3] Die neolithischen Jäger waren in der Lage, durch vernünftiges Abbrennen Gebiete mit einem Pflanzenbewuchs zu schaffen, die eine große Anzahl von Pflanzenfressern anzogen und gleichzeitig den menschlichen Jägern große Mobilität und gute Sichtverhältnisse boten. Diese Bedingungen erlaubten die Bildung größerer Menschengruppen, die von der hochspezialisierten Jagd auf Großwild lebten. Als in der Folge dieser erfolgreichen Jagd das Wild weniger zu werden drohte, lernten die Menschen, in der Auswahl der jagdbaren Tiere selektiver zu werden. Anfänglich war es vielleicht ein Luxus, über eine größere Entscheidungsfreiheit zu verfügen, bestimmte Tiere zu Töten oder sie am Leben zu lassen. Es wurde aber allmählich zu einer lebenswichtigen Notwendigkeit; nur so konnten sowohl die menschlichen Räuber als auch die Herden, die sie erbeuteten, überleben.

Den Argumentationen von Lewis und Mellars folgend, hat der italienische Landwirtschaftshistoriker Gaitano Forni dargelegt, daß neolithische Jäger, die Gestrüpp niederbrannten, um das Wachstum zarterer Gräser und Schößlinge zu fördern, die ihrerseits pflanzenfressende Tiere anziehen würden, schon wie "Tierzüchter" anzusehen seien. Ebenso unterschieden sich seines Erachtens Sammler, die das Unterholz abbrannten, um das Wachstum von Gräsern anstelle von Bäumen zu ermöglichen, nicht wesentlich von Ackerbauern. [4] Das gleiche Argument wird von einigen Autoren benutzt, die behaupten, daß die australischen Aborigines eine Form von Ur-Landwirtschaft, die "Firestick farming" genannt wird, praktizierten. [5] Diese Bezeichnungen sind selbstverständlich eine Frage der Definition. Ich glaube jedoch, daß eine bedeutende Unterscheidung verloren geht, wenn die Phase des intensivierten Sammelns und Jagens mit Hilfe von Feuer schon als Landwirtschaft bezeichnet wird. Ich denke, es ist wichtig zu sehen, daß Verbrennungsmethoden in vielen Fällen eine Vorbedingung für das Entstehen von Landwirtschaft waren, und sie sollten nicht damit gleichgesetzt werden.

Wie das Beispiel der Aborigines zeigt, war der Übergang vom Sammeln mit Feuereinsatz zur Agrikultur nicht universell. Langfristig jedoch wurde die Agrarisierung zum vorherrschenden Trend, und Gesellschaften ohne Landwirtschaft sind heute fast vollständig verschwunden. Die Tatsache, daß dieser vorherrschende Trend vor ca. zehntausend Jahren im "fruchtbaren Halbmond" des Mittleren Ostens (und vielleicht auch in anderen Teilen der Welt) begann, kann wahrscheinlich als eine Reaktion auf die oben erwähnte "Nahrungskrise" erklärt werden. Raffiniertere Verbrennungsmethoden führten nicht automatisch zum Entstehen der Landwirtschaft, sie haben jedoch sehr stark dazu beigetragen.

  • [1] Vgl. Cohen 1977.
  • [2] Lewis 1972.
  • [3] Mellars 1976.
  • [4] Forni 1984.
  • [5] R. Janes 1969; Hallam 1975; Blainey 1975a, S. 67–83; Horton 1982. Siehe auch Cumberland und Whitelaw 1970; Henley 1982.
 
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