Feuer in Städten

Feuerschutz

Historiker stimmen im allgemeinen darin überein, daß der spezifische Verlauf, den die soziokulturelle Entwicklung in Westeuropa seit dem frühen Mittelalter nahm, nirgendwo so deutlich wird wie in den Städten. Die Meinungen über die genaue Art des Verhältnisses zwischen Stadt und Land scheinen jedoch auseinanderzugehen. So schreibt der italienische Historiker Carlo M. Cipolla in seiner Einführung für die Fontana Economic History of Europe:

"Im mittelalterlichen Europa begann die Stadt ein abnormes Wachstum zu repräsentieren, einen eigentümlichen Körper, der seiner Umwelt völlig fremd war." Sein französischer Kollege Jacques Le Goff unterstreicht dagegen in seinem Beitrag in demselben Band, wie tief "die mittelalterliche Stadt vom Land durchdrungen war".[1]

Diese anscheinend widersprüchlichen Feststellungen können vielleicht durch den Hinweis miteinander in Einklang gebracht werden, daß das mittelalterliche Europa durch die Ausbreitung relativ kleiner Städte und das anhaltende Fehlen jeglicher großer Metropolen gekennzeichnet war. Die Städte hoben sich zwar tatsächlich als eigenständige Einheiten von der räumlichen und sozialen Landschaft ab; aber sie entwickelten sich nicht zu gewaltigen städtischen Ballungsräumen, vergleichbar mit dem antiken Rom oder Konstantinopel.

Wie in der antiken Welt machte die in ihnen herrschende Konzentration von Menschen, Eigentum und Feuer Städte sehr anfällig für Brände. Obwohl es noch immer keinen vollständigen Überblick über städtische Feuersbrünste in Europa gibt, wird aus zahlreichen verstreuten Hinweisen deutlich, daß Feuer häufig auftraten und oft großen Schaden anrichteten. [2] Da die Städte nicht sehr groß waren, war die Zahl der Todesopfer gewöhnlich niedrig: Der Brand in London im Jahre 1212, bei dem Hunderte von Menschen auf der London Bridge durch ein Feuer gefangen waren, das über den Fluß gesprungen war und die Brücke an beiden Enden einschloß, stellte eine Ausnahme dar. [3]

Es gab eine weitere Ähnlichkeit mit der Antike: Es war praktisch unmöglich, ein einmal ausgebrochenes Feuer zu löschen – es sei denn, man entfernte die Gebäude, die in der Ausbreitungsrichtung des Brandes lagen. Dies machte den Brandschutz und schnelles Handeln beim Eintreten eines Notfalles um so dringlicher. Bereits früh erließen städtische Behörden daher Dekrete, die darauf zielten, das Brandrisiko bei Gebäuden zu verringern und die Bürger dazu zu zwingen, vorsichtig mit Feuer umzugehen, und sie darüber zu belehren, wie sie sich richtig verhielten, wenn ein Feuer ausbrach.

Die offensichtlichste Maßnahme bei den Bauvorschriften war die Minimierung des Gebrauchs von Holz und Stroh sowie anderer leicht brennbarer Materialien. Die Durchsetzung dieser Maßnahme war jedoch alles andere als einfach. Ursprünglich wurden die Häuser in den meisten europäischen Städten aus Holz oder einer Kombination aus Holz und Lehm oder gehärtetem Ton gebaut. Diese Materialien wurden aus dem einfachen Grund gegenüber den weitaus feuerfesteren Materialen Stein und Ziegel bevorzugt, weil sie leichter zu bekommen und billiger waren. Wie der französische Historiker Fernand Braudel beobachtete, war "Paris (…) nicht von jeher, sondern wird erst vom 15. Jahrhundert an eine steinerne Stadt, wozu es einer gewaltigen Arbeitsleistung bedurfte" und was eine enorme Menge an Arbeitskräften vom Steinhauer bis zum Steinmetz und Maurer erforderte. [4]

Solange es in der Nähe oder stromaufwärts genügend Waldgebiete gab, war Holz fast überall das billigste Baumaterial. Es verwundert daher kaum, daß Stadtregierungen Bedenken hatten, das Bauen mit Stein oder Ziegel zur Pflicht zu machen. Zuerst förderten sie die Verwendung von Stein nur über Subventionen; sie waren aber darauf bedacht, das Verbot anderer Materialien zu vermeiden. Es ist nicht schwer zu erkennen, warum sie so zögerlich handelten: Wenn es zur Katastrophe kam und eine Stadt zum großen Teil in Asche lag, mußte sie so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden. Viele Bürger waren ruiniert, und sie hatten daher nicht die Mittel, ihre Häuser aus Stein oder Ziegel wieder aufbauen zu lassen. Unter diesen Umständen wäre es für Stadtverwaltungen sehr unrealistisch gewesen, das Bauen mit Stein oder Ziegel obligatorisch zu machen – es sei denn, sie konnten eine Unterstützung bereitstellen. Es war jedoch unwahrscheinlich, daß sie diese im Notfall tatsächlich finanzieren konnten. Verständlicherweise zeigten sie daher eine große Abneigung dagegen, die Verwendung von Holz oder Stroh zu verbieten – ein Widerwillen, der durch Druck von den Zünften der Zimmerleute und Dachdecker verstärkt wurde.

Mit der Zeit jedoch wurden diese Widerstände überwunden, und jede Stadt unterlag einem Prozeß der "Steinifizierung" oder "Ziegelfizierung". Bis dahin verursachten große Brände regelmäßig enorme Schäden, ohne daß es Versicherungen zum Ausgleich der Verluste gab. Diese wiederkehrenden Katastrophen allein reichten jedoch noch nicht aus, um die Entwicklung, mit Stein zu bauen, durchzusetzen. Der entscheidende Schritt in diese Richtung scheint der langsam steigende Wohlstand ("intensives Wachstum") gewesen zu sein, der sowohl Stadtregenten als auch Privatpersonen mit größeren Ressourcen für die Finanzierung von Bauvorhaben ausstattete. So ergriffen in der holländischen Stadt Deventer, für die der Prozeß gut dokumentiert wurde, reiche Privatpersonen als erste die Initiative und investierten Kapital in den Bau von Ziegelhäusern. [5] Anscheinend gewann das Leben in Ziegelhäusern durch ihr Beispiel einen Statuswert, der zur Nachahmung führte. Hatte die freiwillige Bewegung hin zur "Ziegelfizierung" einmal an Boden gewonnen, wurde es für die Behörden sehr viel einfacher, allgemeine Regeln zu erlassen, die vorschrieben, daß Außenwände und Dächer nur mit feuerfesten Materialien gebaut werden durften. Anstatt die Verwendung von Stein und Ziegeln finanziell zu unterstützen, wurden nun Gebühren von denen erhoben, die weiterhin mit Holz und Stroh bauten. Was zuerst ein Privileg der Reichen war – in einem Steinoder Ziegelhaus zu leben –, wurde schließlich eine gesetzliche Pflicht für jeden Stadtbewohner.

Zusätzlich zu den Bauvorschriften erließen die Stadtverwaltungen Dekrete, die sich speziell auf die Verwendung des Feuers bezogen. Wie die Bauvorschriften unterschieden sich diese Dekrete von Stadt zu Stadt kaum voneinander, und viele von ihnen ähnelten sehr den bereits im antiken Mesopotamien oder antiken Rom erlassenen. Einige Gesetze behandelten speziell Handwerke, bei denen Feuer und leicht brennbare Substanzen verwendet wurden. Die Ausübung dieser Handwerke wurde nur an bestimmten Orten zugelassen, gewöhnlich am Stadtrand, sowie unter besonderen Vorkehrungen und Einschränkungen. So war es verboten, Kerzen bei all jenen Tätigkeiten zu benutzen, bei denen Öl oder Flachs verwendet wurden. Wenn wir versuchen, uns vorzustellen, wie dunkel manche Werkstätten gewesen sein müssen, können wir leicht nachvollziehen, wie groß die Versuchung gewesen sein muß, solche Regeln zu verletzten, und wie schwer sie durchzusetzen waren. Eine für die gesamte Stadtbevölkerung gültige Vorschrift war das Dekret, alle offenen Feuer über Nacht abzudecken – im Französischen couvre feu genannt, nach 1066 zu curfew anglisiert.

Über die Jahrhunderte erließen Stadtregierungen mit monotoner Regelmäßigkeit immer wieder dieselben Dekrete, die zur Vorsicht mit dem Feuer aufriefen. Offensichtlich stellten sie im Namen der kollektiven Sicherheit Forderungen, denen viele einzelne Bürger nicht nachkommen wollten. Die lange Reihe von Statuten scheint aus unzähligen Salven in einer langsamen, mühsamen Zivilisationskampagne zu bestehen.

Dasselbe kann von dem dritten Typ von Brandschutzvorschriften gesagt werden, die sich auf das Verhalten von Menschen nach dem Ausbruch eines Feuers beziehen. Diese Vorschriften stellten ebenfalls klar das kollektive Interesse über das des Individuums. So durfte ein Stadtbewohner bei den ersten Anzeichen für ein Feuer auf keinen Fall seinen eigenen Besitz in Sicherheit bringen. Es war sogar verboten, sofort mit dem Löschen des Feuers zu beginnen: Als erstes sollte man hinausrennen und Alarm schlagen. Jede Verletzung dieser Vorschriften wurde mit hohen Geldstrafen belegt. [6] So versuchten die Behörden der Stadt, die Neigung ihrer Bürger, ihr unmittelbares Eigeninteresse dem Interesse ihrer Nachbarn und der ganzen Stadt voranzustellen, durch äußeren Zwang zu unterdrücken.

Diese Neigung war zweifelsohne groß. 1514 wütete ein großes Feuer in Venedig, das fast alle Läden der Rialtobrücke verzehrte, bevor die Arbeiter vom Arsenal herbeigerufen wurden, um die Regierungsgebäude zu schützen. Indessen, so schrieb der amerikanische Historiker Fredric Lane,

arbeiteten die Besitzer von Geschäften, Tavernen und Palazzi verzweifelt, um ihre Besitztümer vor den Flammen zu retten; keiner, bemerkt der Zeitgenosse Marino Sanuto in seiner detaillierten Beschreibung der Katastrophe, dachte daran, den Brand zu löschen. [7]

Die Stadtrepublik Venedig stellte insofern eine Ausnahme dar, als sie keine Bürgerfeuerwehr hatte. In den meisten europäischen Städten galt die Teilnahme an der Bekämpfung von Bränden als Bürgerpflicht. Sobald die Turmwächter Anzeichen eines Feuers erblickten, wurden die Glocken geläutet, und die Bürger mußten zum Brandort eilen. Die verschiedenen Zünfte hatten jeweils ihre spezielle Aufgabe.

Steinmetze und Zimmerleute mußten mit Haken und Spitzhacken die brennenden Mauern abreißen, damit Mitglieder anderer Zünfte das Feuer mit ihren Wassereimern erreichen konnten. Häufig war der Brand zu groß, um sich ihm nähern zu können. Dann wurden die Anstrengungen darauf konzentriert, das Feuer in Grenzen zu halten, indem man die Dächer der angrenzenden Gebäude mit nassem Segeltuch und Decken bedeckte. Wenn auch das vergeblich war, blieb als einzige Maßnahme das Niederreißen der Gebäude, auf die das Feuer als nächstes übergreifen würde, und das Entfernen aller brennbaren Stoffe aus seiner Reichweite. Wie mangelhaft die technischen Mittel auch immer waren, so gab es doch in den meisten Städten Bemühungen, die Bürgerschaft in gemeinsame Anstrengungen zur Kontrolle und zum Löschen von Bränden einzubeziehen.

Ein paar verstreute Hinweise haben bei mir den Eindruck hinterlassen, daß es oft schwer war, die zur Feuerbekämpfung rekrutierten Arbeiter sowie die Zuschauer, die sich am Ort des Geschehens versammelten und die sich entweder an der Eimerkette beteiligen oder auf Distanz gehalten werden mußten, zu disziplinieren. Ein großes Feuer zog immer Menschenmengen an und produzierte Spannungen. In dem Tumult werden Diebe ihre Chance ergriffen haben. Hausbesitzer werden gegen die Evakuierung und die Beschädigung ihres Eigentums protestiert haben. Wie in den Tagen von Hammurabi war die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung während eines Brandes eines der Hauptanliegen der Obrigkeiten. [8]

In allen diesen Bereichen wich die Technik des Brandschutzes in Westeuropa über viele Jahrhunderte nicht wesentlich von den generellen Mustern ab, die in vorindustriellen Gesellschaften vorherrschten. Erst im späten 17. Jahrhundert wurden einige wichtige Neuerungen eingeführt, so z. B. der aufrollbare Feuerwehrschlauch, der von dem niederländischen Ingenieur Jan van der Heyden erfunden wurde. Wenn es vor dieser Zeit etwas gab, das den Brandschutz westeuropäischer Städte von anderen unterschied, dann war es zum einen, daß sich die Stadtregierungen hier mehr als anderswo bemühten, ihre Bürger zur Ergreifung von Präventivmaßnahmen zu zwingen und sie in die Feuerbekämpfung selbst einzubeziehen, und zum anderen der langsame Prozeß der "Steinifizierung" oder "Ziegelfizierung", der, obschon von den Behörden vorwärts getrieben, aufgrund steigenden Wohlstands und andauernder Statuskonkurrenz eine Eigendynamik entwickelte.

  • [1] Cipolla 1972, S. 18, 71, 80.
  • [2] Siehe z. B. Bowsky 1981, S. 296 f. In seinem Buch über das mittelalterliche Siena behandelt Bowsky die Organisation der Feuerwehr nur beiläufig. Die meisten Historiker zollen dem Thema noch weniger Aufmerksamkeit. Es wird in der Regel als Thema von nur lokalem Interesse erachtet und in den allgemeinen Werken über die Geschichte der Stadt von Sjoberg 1960 sowie Hohenberg und Lees 1985 überhaupt nicht erörtert.
  • [3] Green-Hughes 1979, S. 14 f.
  • [4] Braudel 1985, S. 286.
  • [5] Meyer und van den Elzen 1982, S. 98.
  • [6] Meyer und van den Elzen 1982, S. 11.
  • [7] Lane 1973, S. 439 f.
  • [8] Meyer und van den Elzen 1982, S. 12 f.
 
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