Schadenersatz und Versicherung

Eine andere wichtige Innovation, die in westeuropäischen Städten entstand, war die Feuerversicherung. Die ersten konkreten Initiativen wurden im 16. Jahrhundert in Seehäfen in den Niederlanden und in Deutschland ergriffen. Bis dahin gab es als einzige formale Schadenersatzregelung bei Schäden und Verlusten durch Feuer die Ausgleichsregelungen, die z. B. das Gesetz des Hammurabi enthält. Sie waren offensichtlich ungenügend, um größeren Katastrophen adäquat begegnen zu können. In einem solchen Falle konnten die vielen Opfer nur auf Hilfe durch Wohltätigkeit hoffen. [1] Die ersten Stellen, an die man sich wenden konnte, waren die örtlichen Organisationen wie Zünfte, Kirchen und Stadtregierungen. Mit der Entstehung größerer staatlicher Organisationen wurde es üblich, nach großen Feuerkatastrophen die nationalen Regierungen und landesweit organisierte Kirchen um Hilfe zu ersuchen. Nationale Regierungen konnten gegebenenfalls durch eine einmalige Pauschalsumme oder durch Versprechen einer Steuerbefreiung in naher Zukunft Hilfe gewähren. All diese Entscheidungen wurden ad hoc, als Akte der Wohltätigkeit, getroffen. [2]

Die Versicherungssysteme unterschieden sich hiervon. Sie scheinen durch das Beispiel von Schiffseignern beeinflußt worden zu sein, die Systeme der gegenseitigen Versicherung ihrer Schiffe und Fracht entwickelt hatten, die nach kommerziellen und nicht nach karitativen Prinzipien organisiert waren. Die ersten Feuerversicherungsverträge wurden ähnlich entworfen. Geschäftskonkurrenten verpflichteten sich vertraglich, Geld in einen gemeinsamen Fonds zu zahlen, aus dem jeder Einzahler im Falle eines Eigentumsverlustes durch Feuer Entschädigung erhalten würde. [3] Offensichtlich wurde die Brandversicherung nach dem großen Feuer in London 1666 zu einem einträglichen Geschäft. 1720 waren in London sechs Feuerversicherungsunternehmen etabliert. Sie trugen so vertrauenerweckende Namen wie

"Die freundliche Gesellschaft zur Rettung von Häusern vor dem Verlust durch Feuer" oder "Freundschaftliche Spenderschaft", gemeinhin bekannt als die "Hand-in-Hand-Gesellschaft", Von London breitete sich im 18. Jahrhundert die kommerzielle Feuerversicherung langsam über Großbritannien aus. [4] Währenddessen wurde im kontinentalen Europa versucht, die Feuerversicherung zu einer staatlichen Einrichtung zu machen. So richtete Friedrich I. von Brandenburg 1705 zu einem niedrigen Beitrag eine Feuerversicherung für Gebäude ein, die für alle Eigentümer verpflichtend war. Von Anfang an gab es Widerstand gegen dieses Vorhaben; und als nach einer großen Katastrophe 1708 das Schatzamt nicht in der Lage war, Schadenersatz zu leisten, mußte der König es aufgeben. 1718, unter seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm, erwies sich jedoch die Einrichtung einer gegenseitigen Feuerversicherungsgesellschaft mit Pflichtmitgliedschaft für die Stadt Berlin als durchführbar. Es zeigte sich, daß sie einer "der Vorläufer einer kontinuierlichen Entwicklung von öffentlichen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Aktiengesellschaften (war), die in den folgenden drei Jahrhunderten sowohl Grundbesitz als auch persönlichen Besitz versicherten".[5]

Wir haben keinen speziellen Begriff für die schnelle Ausbreitung der Versicherungen, die nach dem langsamen Auftakt im vorindustriellen Europa in der modernen Welt stattfand. Die Feuerversicherung war nur eine Variante unter vielen. Trotz der Initiativen der Könige von Brandenburg wurde sie weiterhin überwiegend auf freiwilliger Basis abgeschlossen. Das Eingehen eines Feuerversicherungsvertrags war für beide Seiten eine Verhaltensstrategie, die auf der Abschätzung von Langzeitrisiken beruhte. Für die betroffenen Individuen war es wohl immer eine Entscheidung, die auf "rational choice" (rationalem Wahlhandeln) beruhte. Diese "Rationalität" konnte jedoch nur dann funktionieren, wenn sich sehr viele Menschen entsprechend verhielten. Der Wandel des Verhaltens und der Einstellungen, die mit dem Wachstum der Feuerversicherung verbunden war, war wie viele andere Aspekte des europäischen Zivilisationsprozesses die Manifestierung einer größeren gegenseitigen Abhängigkeit zwischen einer zunehmend höheren Zahl von Individuen.

  • [1] Vgl. Kitching 1981.
  • [2] Vgl. Dorwart 1971, S. 293–304; McCloy 1946, S. 99–105.
  • [3] Gales und van Gerwen 1988, S. 61 f.
  • [4] Clayton 1971, S. 34–48.
  • [5] Dorwart 1971, S. 299–302.
 
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