Verschiedene Stufen der Kontrolle des Feuers

Die individuelle Aneignung der Kontrolle des Feuers

Schätzungen zufolge leben heute über 5 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Sie nutzen Feuer auf vielfältige und unterschiedliche Weise, abhängig von der Gesellschaft, der sie angehören, und von der Stellung, die sie in dieser Gesellschaft innehaben. Einige verbringen täglich viele Stunden damit, Feuerholz zu sammeln und es nach Hause zu tragen. Andere haben enorme Mengen an Energie zu ihrer ständigen Verfügung. Allen gemeinsam ist, daß sie direkt oder indirekt Feuer nutzen und Brennmaterial brauchen.

Wie bereits erwähnt, sind bestimmte Pflanzen und Bäume vollkommen daran angepaßt, häufig Feuer ausgesetzt zu sein. Sie brauchen zum Überleben und für ihre Reproduktion in regelmäßigen Abständen Feuer, z. B. weil sich ihre Samenkapseln nur bei hohen Temperaturen öffnen. Im Prozeß der natürlichen Selektion wurden sie zu "Pyrophyten" oder "Feuer-Pflanzen"; ohne Feuer würden sie entweder von Konkurrenten verdrängt oder wären unfähig, sich zu reproduzieren.

Seit vielen tausend Generationen leben Menschen unter Bedingungen, in denen Feuer für ihre weitere Existenz und Vermehrung notwendig ist. Dies mag zwar rechtfertigen, daß sie ebenfalls als Pyrophyten bezeichnet werden, in ihrem Fall ist dieses Etikett aber nicht mehr als eine Metapher. Es gibt kein Merkmal in ihrer biogenetischen Ausstattung, das Menschen vom Feuer ebenso abhängig macht wie von den anderen drei "Elementen" der klassischen Kosmologie: Erde, Wasser und Luft – eine Abhängigkeit, die sie mit allen Landtieren teilen.

Dennoch mag die Erfahrung von Zehntausenden von Generationen im Umgang mit Feuer Spuren in der genetischen Struktur des heutigen Menschen hinterlassen haben. Es wurde mir gesagt, daß Pferde und andere Steppenund Savannenhuftiere ein ganz spezielles Reaktionsmuster auf einen Steppenbrand entwickelt haben: Sie fliehen nicht vor ihm, sondern bewegen sich darauf zu und überspringen es. [1] Obwohl dies zuerst ein wenig erstaunen mag, ist es wahrscheinlich eine wirkungsvollere Überlebensstrategie, als vor einem Feuer herzurennen, das sich schnell über die Grasfläche ausbreitet. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß während der lang andauernden Phase des paläolithischen Zeitalters ein Prozeß der "Feuerselektion" unter unseren hominiden und menschlichen Vorfahren stattfand. Diejenigen Individuen, die für eine Anpassung an ein sozio-kulturelles Feuerregime besser vorbereitet waren, hatten wahrscheinlich höhere Überlebenschancen und bessere Möglichkeiten zur Reproduktion als diejenigen, die diesbezüglich weniger gut ausgerüstet waren.

Dies soll jedoch nicht heißen, daß die – besonders über die letzten Jahrhunderte – gestiegene Kontrolle über das Feuer auf eine biologische Mutation zurückgeführt werden kann, derzufolge die angeborene Fähigkeit der Menschen, mit dem Feuer umzugehen, plötzlich zunahm. Es handelt sich hierbei um einen sozio-kulturellen Entwicklungsprozeß. Wie der nordamerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger beobachtet hat, kann in solchen Prozessen der Mittelmäßige vom Intelligenten profitieren: Ist eine Erfindung einmal gemacht, müssen andere Menschen nicht mehr alle die Schwierigkeiten lösen, mit denen der ursprüngliche Erfinder konfrontiert war. [2]

Dieses Prinzip gilt eindeutig für die menschliche Kontrolle über Feuer. Seit Beginn der ursprünglichen Domestizierung des Feuers hing die Kontrolle des Feuers immer in erster Linie von sozialer Organisation und kultureller Tradition ab. In jeder Generation mußten Menschen von neuem lernen, sich an das Vorhandensein des Feuers anzupassen. Sie mußten sowohl ihre Beziehungen zueinander als auch ihre individuellen Triebe und Gefühle so kontrollieren, daß der regelmäßige Besitz und Einsatz des Feuers gewährleistet war. Um das Feuer zu beherrschen, mußten sie sich gegenseitig und sich selbst beherrschen.

Die Beobachtung, daß die technische Meisterung des Feuers auf sozialen Voraussetzungen beruht, wurde überzeugend von Catherine Perles in ihren Schriften über Feuer in der prähistorischen Zeit vorgebracht. Wie in Kapitel 2 bereits festgestellt, wandte der französische Wissenschaftstheoretiker Gaston Bachelard dieselbe Erkenntnis auf unsere Zeit an. Er wies darauf hin, daß die Kontrolle über Feuer immer mit sozialer Macht verbunden ist. Ein Kind wird zunächst nicht nur an "Feuer" herangeführt, sondern an "soziales Feuer" – Feuer, das von Signalen umgeben ist, die andere Menschen geben. Sogar der Angst vor Feuer, die uns spontan und natürlich scheinen mag, gingen soziale Erfahrungen voraus: Warnungen und Verbote, Ermahnungen, vorsichtig zu sein und sich vom Feuer fern zu halten. Daraus ergibt sich Bachelards Schlußfolgerung, daß Feuer für Menschen "eher eine soziale als eine natürliche Wesenheit ist",

In Wirklichkeit kommen die sozialen Verbote zuerst. Die natürliche Erfahrung kommt erst an zweiter Stelle, um einen unverhofften materiellen Beweis zu liefern, der als solcher viel zu undeutlich wäre, um eine objektive Erkenntnis zu begründen. Die schmerzhafte Verbrennung, das heißt die natürliche Hemmschwelle, gibt in den Augen des Kindes der väterlichen Intelligenz nur einen noch größeren Wert, insofern sie nämlich die sozialen Verbote bestätigt. [3]

Diese Kommentare sind sehr scharfsinnig; aber wie bereits angemerkt, lassen sie einen Aspekt außer Acht: den der sozio-kulturellen Entwicklung. Die Verbote, auf die Bachelard anspielt, sind die Verbote, die Eltern aussprechen, die in leicht entflammbaren Städten in leicht entflammbaren Häusern leben, die mit leicht entflammbarem Eigentum gefüllt sind. Sie stellen eine ziemlich neue Stufe in der Entwicklung des menschlichen Feuerregimes dar.

Das Feuerregime, der Komplex aus soziokulturellen Vorschriften und Handlungsalternativen, die sich auf das Feuer beziehen, hat sich im Laufe der Zeit verändert. In seiner klassischen Untersuchung machte Norbert Elias auf einen Satz aus einem Manierenbuch des 14. Jahrhunderts aufmerksam: "Thingis somtyme allowed is now Repreuid" – Dinge, die einmal erlaubt waren, werden jetzt beanstandet. [4] Dies, so stellte er fest, kann als angemessene Zusammenfassung einer Entwicklungsrichtung im Zivilisationsprozeß gelesen werden, die manchmal klar dominieren kann. Und es ist genau das, was beim Feuerregime geschah, als nach dem Übergang vom Jagen und Sammeln oder von der Brandrodung zur seßhaften Landwirtschaft und zum Stadtleben die Erlaubnis zu verbrennen stark eingeschränkt wurde.

Wie ich im 1. Kapitel dargestellt habe, begegneten unsere hominiden Vorfahren dem Feuer in der Wildnis, bevor sie lernten, es selbst zu machen. Dieselbe Reihenfolge wird noch immer von Individuen wiederholt: Ein Kind sieht zuerst ein Feuer brennen und lernt erst später, ein Feuer zu machen. Das Feuer, das es brennen sieht, ist jedoch sehr selten ein "wildes" Feuer; die meisten Kinder machen ihre erste Bekanntschaft mit einer domestizierten, kontrollierten Form des Feuers.

Seit der ursprünglichen Domestizierung des Feuers wachsen alle nachfolgenden Generationen in einer feuerbesitzenden Gruppe auf. Ein Mitglied dieser Gruppe zu warden schließt mit ein, daß man sich dem Feuerregime anpaßt: Man muß sich das Wissen und die Fähigkeiten, die nötig sind, um mit Feuer umgehen zu können und sich in seiner Gegenwart richtig zu verhalten, im Einklang mit den geltenden Gruppennormen aneignen. Selbstverständlich müssen Individuen in ihrer persönlichen Geschichte nicht den ganzen soziokulturellen Entwicklungsprozeß wiederholen, wenn sie lernen, das Feuer zu kontrollieren. Im Gegenteil, sie müssen sich an die Stufe anpassen, auf der sich die Gesellschaft während ihres Lebens befindet. Daher müssen Kinder im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht lernen, Feuer mit Hölzchen oder Feuersteinen zu machen; die meisten von ihnen müssen sich nicht einmal die Fähigkeiten aneignen, ein Holzfeuer oder einen Kohleofen am Brennen zu halten. Wenn aber ein Kind, das in einer Stadt aufwächst, den Impuls hat, ein großes Feuer anzuzünden, muß es lernen, diesen Impuls zu unterdrücken. Für Tausende von Generationen war es nicht nur erlaubt, ganze Landstriche in Brand zu setzen, sondern dies hatte sogar positiv bewertete Funktionen. Heutzutage wird eine Form des Umgangs mit Feuer, die in Jägerund Sammleroder in Brandrodungswirtschaften normal und nützlich gewesen wäre, als pathologisch und kriminell erachtet.

Bis vor kurzem war es in den meisten Gemeinschaften ziemlich sicher, daß Kinder, sobald sie sich bewegen konnten, in die Nähe eines Feuers kamen. Bei Jägern und Sammlern war dies ein offenes Lagerfeuer. So beschreibt die Anthropologin Jane Goodale, wie bei den Tiwi auf Melville Island in Nordaustralien ein paar kleine Mädchen im Alter von ca. zwei und drei Jahren in der Nähe eines kleinen Feuers allein gelassen wurden, während ihre Mütter auf einer Expedition waren, um nach Yamwurzeln zu graben. Nach einer Weile beschlossen die Kinder, ihr eigenes Feuer zu machen:

Sie sammelten einen kleinen Haufen Gras, nahmen einen glühenden Stock vom Feuer ihrer Mütter und trugen ihn zu dem Grashaufen. Sie hielten den glühenden Stock an das Gras und legten sich dann auf ihre Bäuche und bliesen behutsam, bis eine Flamme erschien. Dann trippelten sie eilig herum und versuchten, genug kleine Zweige zu finden, um das Feuer zu unterhalten, aber es erlosch. [5]

Jane Goodale hörte nie, daß Tiwieltern ihren Kindern verboten hätten, mit Feuer zu spielen, noch daß sie sie warnten, vorsichtig zu sein. Offensichtlich wurde die Maxime

"Erfahrung ist der beste Lehrmeister" streng befolgt. [6] Ein etwas anderes Bild entsteht aus Berichten über die Kung San in Südafrika. Auch dort sah man Kinder oft, wie sie Glut oder brennende Zweige von einem offenen Feuer auflasen; aber sie wurden ermahnt, vorsichtig zu sein, und trotz dieser Warnungen traten Verletzungen "mit einer beunruhigenden Häufigkeit auf".[7] Die Anthropologin Lorna Marshall war zweimal dabei, als kleine Kinder, deren Mütter sie für ein paar Minuten aus den Augen gelassen hatten, brennende Stöcke aus dem offenen Feuer nahmen, sie auf das weiche, trockene, zum Schlafen dienende Gras in einer Hütte fallen ließen und beim ersten Auflodern von Flammen vernünftigerweise unverletzt nach draußen rannten.

Beim ersten Mal hatten die zwei Kinder, die ungefähr drei Jahre alt waren, Angst und wurden von ihren Müttern und anderen Verwandten beruhigt und getröstet. Sie wurden nicht ausgeschimpft. Beim zweiten Mal (…) hatte [ein zweijähriges Mädchen] die Hütte ihrer Großeltern angezündet. Sie war offensichtlich überhaupt nicht verängstigt und wurde gefunden, wie sie auf der gut gerösteten Sandale ihres Großvaters herumkaute. Auch sie wurde nicht ausgeschimpft. [8]

Bei kleinen Kindern, die in einer modernen städtischen Umgebung aufwachsen, ist es weniger wahrscheinlich, daß sie mit offenem Feuer in Berührung kommen. Aber in vielen Haushalten können sie bald innerhalb ihrer Reichweite Streichhölzer oder andere Mittel zum Entzünden eines Feuers finden. Dann ist es unerläßlich, daß sie lernen, damit sehr vorsichtig umzugehen, so daß sie sich weder verbrennen noch anderen Verletzungen oder Schaden zufügen. Die Leichtigkeit, mit der ein Streichholz angezündet werden kann, steht in keinem Verhältnis zu dem zerstörerischen Potential eines damit entzündeten Feuers. In einer modernen Gesellschaft ist es daher ein integraler Bestandteil des individuellen Zivilisationsprozesses zu lernen, mit Streichhölzern umzugehen.

Bis jetzt haben Pädagogen und Psychologen diesem Aspekt der persönlichen Entwicklung wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Kontrolle des Feuers wird in Standardwerken der Pädagogik, der Entwicklungspsychologie, der kognitiven Psychologie oder der Sozialpsychologie so gut wie nie erwähnt. Offensichtlich wird es als selbstverständlich erachtet – so wie es im alten Israel, Griechenland und Rom für selbstverständlich erachtet wurde –, daß Kinder von ihren Eltern und Altersgenossen ausreichend im Gebrauch des Feuers unterrichtet werden. Dies wird jedoch immer fraglicher.

So ist das Feuer, während es weiterhin ein integraler Bestandteil der modernen Gesellschaft bleibt, wie die Gesellschaft als Ganzes hochspezialisiert geworden, und die meisten seiner Funktionen laufen "hinter den Kulissen" ab: in Kraftwerken und Fabriken oder in den Boilern, in denen das Wasser für Heizkörper und Wasserhähne erhitzt wird. Es ist tief in die Infrastruktur der Gesellschaft eingedrungen. Folglich sind viele Menschen, sowohl Kinder als auch Erwachsene, wirklich brennendem Feuer nur zu besonderen Gelegenheiten ausgesetzt, wenn Kerzen oder ein Holzfeuer oder, seltener, Fackeln für dekorative oder zeremonielle Zwecke angezündet werden.

Der regelmäßige, alltägliche Gebrauch von Feuer wird zunehmend seltener. Eine der wenigen Formen, in der Feuer weiterhin direkt benutzt wird – und der Hauptgrund dafür, daß viele Menschen Streichhölzer oder Feuerzeuge mit sich herumtragen –, ist das Rauchen. In den letzten Jahren wurden viele "Zivilisationskampagnen" gegen diese Gewohnheit gerichtet. Rauchen ist bekannt als eine der Hauptursachen für Brände. Die derzeitigen Kampagnen drehen sich jedoch hauptsächlich um die Gesundheit. Sie rufen Menschen dazu auf, Selbstbeherrschung zu üben, um das Krebsrisiko zu senken. Unbeabsichtigterweise waren die Kampagnen vor allem in den Mittelund Oberschichten erfolgreich; vielleicht wird von dort aus ein gleichermaßen unbeabsichtigter "Durchsickerungseffekt" eintreten, der auch diesen fast rudimentären Gebrauch von Feuer zum Verschwinden bringen wird. [9]

Die allmähliche Eliminierung des Feuers aus dem Alltagsleben führte zu sich widersprechenden Entwicklungen: Während die Fähigkeit der Gesellschaft, Feuer zu kontrollieren, spektakulär gestiegen ist, nimmt die durchschnittliche individuelle Kompetenz im Umgang mit Feuer wahrscheinlich ab. Allerdings haben sich in den hochindustrialisierten, reichen Ländern alle möglichen Arten von Spezialisten ein unübertroffenes berufliches Fachwissen im Umgang mit Feuer angeeignet. Einige davon, wie z. B. die Heizer und Schweißer, sind bei ihrer täglichen Arbeit mit Flammen und Hitze konfrontiert. Andere gehen so unterschiedlichen Beschäftigungen nach wie der Konstruktion von Dampfturbinen für Stromkraftwerke, dem Bauen von Raketenantrieben, um Raumschiffe ins All zu schießen, oder der Durchführung von Experimenten zur Kernfusion; obwohl ihre Arbeit eine fortgeschrittene Manipulation von hochkonzentriertem Feuer zum Ergebnis hat, sind sie ihm selbst in keiner Weise direkt ausgesetzt. Der Beruf, bei dem der Kontakt mit Feuer am unmittelbarsten ist, ist wahrscheinlich derjenige, den wir weiterhin "Feuerwehr" nennen; dieser Beruf schließt heute ebenfalls hochspezialisierte Techniker ein, die Experten für die Verhütung und das Löschen von Feuern in chemischen Fabriken oder auf Ölfeldern sind.

Dem Fachwissen der Spezialisten steht die weitverbreitete Unwissenheit und Ohnmacht auf Seiten der Nicht-Spezialisten gegenüber. Menschen, die zufällig in der Nähe einer chemischen Fabrik oder eines Atomkraftwerks wohnen, können sehr wenig tun, um sich gegen die giftigen Dämpfe oder die radioaktive Strahlung, die bei einem Feuer austreten könnten, zu schützen; sollte das passieren, könnten sie sich nur evakuieren lassen. Dies mag ein Extremfall sein; aber selbst was Feuergefahren im Haushalt betrifft, sind die meisten schlecht informiert und schlecht vorbereitet. Häuser, Möbel, Teppiche und Vorhänge, Kleidung, Autos – der durchschnittliche Verbraucher ist nicht in der Lage zu beurteilen, inwieweit die in diesen Gegenständen enthaltenen Kunststoffe brennbar sind. Alles, was er oder sie tun kann, ist, die Gebrauchsanweisungen zu lesen, sofern es welche gibt, und darauf zu vertrauen, daß die Hersteller die Sicherheitsbestimmungen befolgt haben – auch hier gilt wieder: sofern diese existieren und ausreichen. [10]

Die kontinuierliche Differenzierung des Feuerregimes spiegelt sich in dem Ausmaß wider, in dem Feuer und der Gebrauch von Feuer zum Thema spezieller Untersuchungen gemacht werden. In den allgemeinen Theorien sowohl der Naturals auch der Sozialwissenschaften fehlt der Begriff des Feuers meistens. In beiden Wissenschaftsbereichen jedoch nehmen sprunghaft praktisch orientierte Untersuchungen zu. Während Fachbücher der Psychologie oder Pädagogik, wie bereits erwähnt, noch immer das Problem ignorieren, wie Kinder mit Feuer und den vielen formellen und informellen Regeln, die damit verbunden sind, zurechtkommen, gibt es einen wachsenden Bestand an empirischen Studien, die für das praktische Ziel der Förderung der Feuerverhütung entworfen wurden.

Als solche sind diese Studien selbst Teil einer "Zivilisationskampagne", die darauf ausgerichtet ist, die individuellen Verhaltenskontrollen zu verstärken. So untersuchte die amerikanische Psychologin Ditsa Kafry den "Umgang mit Feuer und das Wissen über Feuer" bei sechs-, achtund zehnjährigen Jungen mit der ausdrücklichen Überzeugung, daß eine fächerübergreifende Forschung "den gefährlichen und schmerzverursachenden Gebrauch von Feuer senken und (…) seinen richtigen Gebrauch als Quelle der Wärme und des Vergnügens fördern" würde. [11]

Fast die Hälfte der 99 Jungen in Berkeley (Kalifornien), die Kafry befragt hatte, erzählten ihr, daß sie mit Feuer gespielt hatten; und einer von fünf hatte ein Feuer verursacht, wobei die meisten dieser Feuer einfach gelöscht und nie der Feuerwehr gemeldet wurden. Die Unfälle, die die jüngsten Kinder verursacht hatten, konnten auf deren Unfähigkeit im Umgang mit Feuer zurückgeführt werden. Im Falle der älteren Jungen schien die Neigung, Feuer zu entzünden, jedoch nicht hauptsächlich mit mangelnden Fähigkeiten oder Wissen verbunden zu sein, sondern eher mit einer Charaktereigenschaft, die entweder als "Frechheit" oder als "Mangel an Affektkontrolle" beschrieben wurde. [12] Als Teil einer allgemeineren Neigung, Unfug zu treiben, versagen diese Jungen auch darin, sich dem Feuerregime anzupassen; in den Begriffen der Psychoanalyse war ihr "Ich" "unfähig, adäquat mit der real gegebenen Situation umzugehen." [13]

In modernen urbanen Gesellschaften erfordert die "real gegebene Situation" (oder das Feuerregime), daß Menschen keine Feuer verursachen. Dies liegt eindeutig im gemeinsamen Interesse. Überall sind Menschen aufgrund ihres Besitzes Geiseln des Feuers; sie haben daher allen Grund, jede Form von Brandstiftung zu fürchten und zu verurteilen.

Besonders gefürchtet ist eine anhaltende Neigung zur Brandstiftung, die weithin als "Pyromanie" bekannt ist. Obwohl die meisten Psychiater inzwischen die Nützlichkeit dieses Begriffes bezweifeln, bleibt er nach wie vor weit verbreitet. Das Gegenteil, die "Pyrophobie", setzte sich nie durch, obwohl es in der psychiatrischen Fachliteratur sporadische Hinweise auf eine "phobische Abneigung gegenüber Feuer" gibt. [14] Wenn eine Person die Symptome einer exzessiven Angst vor Feuer aufweist, ist es viel unwahrscheinlicher, daß diese Besorgnis wecken, als bei der Neigung zur Brandstiftung.

Obwohl bestimmte Individuen eine gewohnheitsmäßige Neigung zur Brandstiftung haben, haben Psychiater vergeblich versucht, ein eindeutiges "Brandstifter-Syndrom" zu isolieren. Herrschende Expertenmeinung ist, daß Brandstiftung, zusammen mit anderen asozialen Verhaltensweisen, auf "einen generellen Mangel an Selbstkontrolle, Selbstbewußtsein und Fähigkeiten hinweist, insbesondere die sozialen Fähigkeiten, die notwendig sind, um Bestätigungen von der Umgebung in einer angemessenen Weise zu erlangen". Brandstiftung, so wird angenommen, "kann eine Kontrollmöglichkeit über die Umgebung bieten, die der Brandstifter auf andere Weise nicht erreichen konnte".[15]

In der Einführung zu ihrer Monographie über "Pathological Firesetting" geben die amerikanischen Psychiater Nolan Lewis und Helen Yarnell eine markante Beschreibung der Faszination, die Brandstiftung ausüben kann:

Da das Feuer ein ausgezeichnetes Mittel zur Zerstörung ist, ist es vortreff lich zum Ausleben aggressiver Neigungen, zum Abreagieren von Haß geeignet, und es ist ein perfektes Medium zur Entladung einer beträchtlichen Menge anderer unterdrückter Emotionen. (…) Durch die Verwendung eines Streichholzes erreicht der Brandstifter ungeheuer spektakuläre Wirkungen, die das übliche Verhältnis zwischen Anstrengung und Ergebnis übersteigen. Er hat das Gefühl, das vollbracht zu haben, was die von ihm entfesselten Naturgewalten für ihn bewerkstelligen. [16]

Ihre Wahl von Adjektiven zeigt, daß die Autoren ein scharfes Auge für die Versuchungen der Brandstiftung haben. Sie weisen auch auf die symbolische Bedeutung des Feuers als herausragendes Mittel für die Zerstörung des Bösen hin. Die Fähigkeit, diese symbolische Bedeutung zu erkennen, kann durch soziales Lernen erworben werden. Die Idee, daß das Feuer "reinigt", ist ein Element der Kultur; sie wird über verschiedene Kanäle, einschließlich der Religion, der Literatur und des Films, verbreitet. Einige der am meisten geschätzten und beliebtesten Romane und Filme des 20. Jahrhunderts enden mit einem spektakulären "FeuerHöhepunkt" – einer Katharsis, in der die Hauptfigur sein oder ihr Haus anzündet und in den Flammen umkommt. [17]

Wir können in der individuellen Psychopathologie der Brandstiftung vielleicht eine generellere Ambivalenz zur Zerstörung, und insbesondere zur Zerstörung durch Feuer, wiedererkennen. Diese Ambivalenz scheint es in jeder Kultur zu geben. Sie ist wahrscheinlich so alt wie die Domestizierung des Feuers selbst. Der Hauptgrund dafür, daß unsere frühen Vorfahren sich die Mühe machten, das Feuer in ihre Gruppen einzubeziehen, war der, daß sie seine zerstörerische Kraft beim Roden und Kochen zu ihrem Vorteil nutzen konnten. Feuer wurde als ein Mittel zur Zerstörung verehrt, das umgewandelt und zu Zwecken der Produktion und zum Schutz eingesetzt werden konnte.

Solche Begriffe wie "Produktion" und "Schutz" sind heikel, weil sie offen lassen, wer was für wen produziert und wer wen vor wem schützt. Das Problem der Brandstiftung taucht dann auf, wenn ein Individuum die zerstörerische Kraft des Feuers zugunsten seines – tatsächlichen oder eingebildeten – Vorteils gegen die Interessen anderer wendet. Damit verfolgen einzelne Brandstifter (oder Brandstifterbanden gleichermaßen) eine Praxis, die auf einer höheren Stufe der sozialen Organisation nicht mehr so bereitwillig als pathologisch erachtet wird. Seit der Entstehung der Landwirtschaft und der Errichtung von Dörfern und Städten greifen Gruppen von Menschen im Krieg darauf zurück, das Eigentum ihrer Feinde zu verbrennen. Im 20. Jahrhundert hat militärisches Brandstiftertum noch nie dagewesene Ausmaße angenommen. Zeitungen und Wochenschauen liefern der Öffentlichkeit fast täglich neue Beispiele für Brandstiftung, die in organisierten Konflikten, oft im Namen erhabener politischer Ideale, begangen wird. Analog zum – weitgehend ungelösten – Problem der Brandstiftung durch Individuen gibt es ein großes – und ebenso ungelöstes – Problem auf der Ebene der Gesellschaft insgesamt.

Brandstiftung durch Individuen wird im allgemeinen als ein ernstes Problem betrachtet. Dasselbe kann von einer anderen Art von Aktivitäten, die mit Feuer zusammenhängen, nicht gesagt werden: von dem willkürlichen Gebrauch von Brennmaterial. Während in den reichen Teilen der Welt der direkte Einsatz von Feuer abnimmt, steigt der Brennstoffverbrauch weiter an. Immer mehr Individuen wird immer mehr Energie zur Verfügung gestellt, für die sie immer weniger Aufwand erbringen müssen. Sie gewöhnen sich immer mehr an gleichmäßige Temperaturen und allgegenwärtiges Licht und an eine Vielzahl anderer Annehmlichkeiten einer brennstoffintensiven Wirtschaft. Die wachsende Nachfrage nach materiellem Komfort und Luxus, genährt durch die scheinbare Überfülle leicht erhältlicher Energie, zeigt alle Kennzeichen einer grenzenlosen Unersättlichkeit der Art, die Emile Durkheim als "Anomie" charakterisiert hat. [18]

  • [1] Im persönlichen Gespräch mit dem kürzlich verstorbenen Dick Hillenius. Siehe auch Komarek 1967, S: 151–155.
  • [2] Festinger 1983, S. 16–18.
  • [3] Bachelard 1985, S. 17 f.
  • [4] Elias 1997a, GS 3.1, S. 199 [1969a, S. 107].
  • [5] Übersetzt nach Goodale 1971, S. 34.
  • [6] Übersetzt nach Goodale 1971, S. 36.
  • [7] Übersetzt nach Shostak 1981, S. 107.
  • [8] Übersetzt nach Marshall 1976, S. 291.
  • [9] Vgl. Ney und Gale 1989.
  • [10] Vgl. Lyons 1985, S. 136–157.
  • [11] Übersetzung nach Kafry 1990, S. 60.
  • [12] Übersetzt nach Kafry 1990, S. 54.
  • [13] Grinstein 1952, S. 418.
  • [14] Joseph 1960, S. 102.
  • [15] Übersetzt nach Vreeland und Levin 1990, S. 40 f.
  • [16] Übersetzung nach Lewis und Yarnell 1951, S. V (meine Hervorhebung).
  • [17] Siehe z. B. Canetti 1974; du Maurier 1938. Zu Filmen siehe Armstrong und Armstrong 1990, S. 128–130; zur Kunst, siehe Draxler 1987; zu Religion siehe Hagger 1991.
  • [18] Durkheim 1983.
 
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