Elektrifi und das Unsichtbarwerden des Feuers

Historiker unterscheiden gelegentlich zwischen zwei großen Epochen der Industrialisierung: Die erste war durch die Nutzung der Kohle geprägt, die zweite durch eine zunehmende Abhängigkeit vom Öl und, als indirekter Energiequelle, auch von Elektrizität.

Im Gegensatz zu Kohle und Öl ist Elektrizität, die heute fast überall im Einsatz ist (wenn auch vielerorts nur in Form von Batterien), keine eigenständige Energiequelle. Sondern sie ist Träger von Energie, die anderswo, nämlich in Kraftwerken, erzeugt wurde. Von diesen arbeiten einige mit Windoder Wasserenergie, die allermeisten jedoch mit der Verbrennung von Brennstoffen wie Kohle, Öl, Gas oder Biomasse.

Aus dem fertigen Energieträger sind alle Spuren des Feuers getilgt. An seinen Einsatzort gelangt er in eindrucksvoll "sauberer" und "cooler" Form, geräuschund geruchlos und sofort einsatzbereit für jeden Zweck, den menschliche Erfindungskraft ersonnen hat, von den urtümlichen Funktionen des Wärmens und Beleuchtens bis zu so ausgeklügelten Anwendungen wie dem Kühlen oder dem Betrieb des Internet. Manche Anwendungen scheinen so weit von ihrer ursprünglichen Energiequelle entfernt zu sein, dass ihren Nutzern sogar die Tatsache entgehen mag, dass dabei Energie verbraucht wird. Beispielsweise sind wir uns beim Surfen im Internet möglicherweise bewusst, dass unsere eigenen Computer mit elektrischem Strom funktionieren. Wir machen uns jedoch nicht klar, dass dasselbe auch für die Server gilt, die den Betrieb des World Wide Web der Informationen sichern.

Genauso wenig müssen wir uns Gedanken darüber machen, dass die meisten der Dinge, die uns im Alltag umgeben, mittels Feuer produziert wurden. In der Regel weisen die Gegenstände keine Spuren des Kontakts mit Feuer mehr auf, weder als Folge des Produktionsprozesses noch des Transports: von der Fabrik über das Lager bis an ihren Bestimmungsort in einem "feuerfreien" Büro oder Wohnhaus. Feuer ist selten sichtbar, weil es an dem Ende, an dem sich der Verbraucher befindet, durch Elektrizität ersetzt wurde. Hier gibt es so etwas wie einen "Aschenputtel-Effekt": Elektrizität wird an einem abgeschiedenen Ort erzeugt, an dem Besucher nicht willkommen sind, sie trifft aufseiten des Empfängers aber auf offene, uneingeschränkte Wertschätzung.

Das scheinbare Unsichtbarwerden des Feuers spiegelt sich im Wandel des Bildes vom Feuer im öffentlichen Leben ebenso wie in den Wissenschaften.

 
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