Feuer und Brennstoff – vom Wandel der Bilder

Machen wir noch einmal einen Zeitsprung: Wir können in Bezug auf unsere frühen Vorfahren mit einiger Sicherheit annehmen, dass sie dazu neigten, Feuer als ein Lebewesen wahrzunehmen und ihm gute oder böse Absichten zuzuschreiben. Als in einer deutlich späteren Phase einige Menschen begannen, schriftliche Aufzeichnungen zu hinterlassen, fügten sie diesen Piktogramme hinzu, die eindeutig die Unterscheidung zwischen "gutem" (gezähmtem) und "bösem" (wildem) Feuer erkennen lassen.

In einer nochmals späteren Phase begannen Philosophen, Vorstellungen darüber zu formulieren, aus welchen Elementen die Welt zusammengesetzt sei. Manche dieser Philosophen waren bereit, die Elemente als "gegeben" zu betrachten, ohne sie notwendigerweise als gut oder schlecht zu klassifizieren. So erklärte Heraklit, dass Feuer das Ur-Element sei, aus dem alles in der Welt hervorgegangen sei, ohne die Tatsache an sich zu bewerten. Nach anderer Auffassung, die schließlich zur vorherrschenden Lehre wurde, setzte sich die Welt nicht aus einem, sondern aus vier Elementen zusammen, nämlich Erde, Wasser, Luft und Feuer. Im alten China und Indien wurden ähnliche Denksysteme begründet und weiterentwickelt. Mit nur geringfügigen Änderungen gehörte die Vorstellung von der Welt, in der Feuer eines der Hauptelemente darstellt, bis weit in die Neuzeit hinein zum akzeptierten Wissensbestand der Naturphilosophie und Medizin.

Im 18. Jahrhundert verwarfen einige der führenden europäischen Intellektuellen dieses Schema, weil es unvereinbar mit den Ergebnissen naturwissenschaftlicher Experimente sei und nur Anlass zu nutzlosen Spekulationen gebe. Die Chemiker erweiterten ihre Systematik der Elemente auf viele Dutzend, zählten jedoch das Feuer nicht mehr dazu. Mit der Erfindung der Dampfmaschine lebte das naturwissenschaftliche Interesse am Feuer auf dem Gebiet der Wärmelehre kurzzeitig wieder auf. Doch dieses Interesse verlor sich wieder und die Wärmelehre büßte ihre zentrale Stellung innerhalb der Naturwissenschaften ein.

Mit Ausnahme eng begrenzter ingenieurwissenschaftlicher Fragestellungen im Zusammenhang mit der Brandbekämpfung und -verhütung verschwand der Begriff des Feuers selbst aus dem naturwissenschaftlichen Diskurs. An seine Stelle trat der weitaus abstraktere Begriff der "Energie". Er verweist auf eine potenzielle Kraft, die unmittelbar weder sichtbar, hörbar, riechbar noch fühlbar ist, sondern die nur in Form ihrer Wirkungen wahrgenommen werden kann.

Ähnlich ging das Interesse am Feuer als Gegenstand der Naturwissenschaften zurück. Wie bereits beschrieben, fanden Verbrennungsvorgänge zwar in zunehmend größerem Maßstab statt, sie wurden jedoch genauso zunehmend auch unpopulär. Was die Form betrifft, in der die meisten von uns außerkörperliche Energie am liebsten nutzen, ziehen wir es vor, wenn wir darin keine Spuren der Verbrennung mehr erkennen.

Und doch spielt das Feuer zweifellos weiter eine wesentliche Rolle innerhalb des menschlichen Universums, der Anthroposphäre. Es ist in der industrialisierten Gesellschaft allgegenwärtig, obwohl Flammen und Rauch mittlerweile den Blicken entzogen und gegen den Geruchssinn abgeschirmt sind. Auch wenn die Tatsache gemeinhin übersehen wird – Feuer und Brennstoff sind nach wie vor unentbehrlich für die Produktion und Verteilung fast aller Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, und fast aller Gegenstände, mit denen wir umgehen. Elektrizität, die wir zum Wärmen und Kühlen, zum Produzieren und Zerstören, für Transportund für Kommunikationszwecke nutzen, ist der omnipräsente Vermittler zwischen uns und der Energiequelle Feuer geworden.

Wenn wir an Feuer denken, überwiegen in der Regel die negativen Assoziationen: Feuer ist gefährlich und Brennstoff schmutzig. Dieses anscheinend vorherrschende Empfinden ist nicht leicht mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass der weitaus größte Teil der Elektrizität, die wir so sehr schätzen, in brennstoffbetriebenen Kraftwerken erzeugt wird. Zwar schwanken die Schätzungen, doch ist es Allgemeinwissen, dass die verbleibenden Vorräte an fossilen Brennstoffen endlich sind, und vor allem, dass ihre Verbrennung in solch enormen Mengen, wie wir sie praktizieren, der gesamten Biosphäre irreparablen Schaden zufügen kann. Da wir auf einem Planeten leben, der regelmäßig von Blitzen heimgesucht wird und mit Vulkanen übersät ist, werden wir das Feuer nie abschaffen können. Doch wird unsere derzeit übliche Praxis des Verbrennens ein Ende haben müssen.

Wenn wir wollen, dass der Trend zur weltweiten Elektrifizierung weitergeht, müssen wir uns aus unserer Bindung an Feuer und Brennstoff lösen. Die industrielle Stromerzeugung produziert gegenwärtig einen größeren Anteil an Treibhausgasen als jede andere Branche (Weissenbacher 2009, S. 717). Die Energieerträge wiederum werden ineffizient eingesetzt: Wir stecken deutlich mehr Energie in die Produktion, den Transport und die Zubereitung unserer Lebensmittel, als wir durch ihren Verzehr aufnehmen (vgl. Smil 2012). Wenn diese Beobachtungen zutreffen (wovon ich ausgehe), dann bedeuten sie, dass das gegenwärtige sozio-ökologische Regime durch ein neues Regime abgelöst werden muss, das Teile des Feuer-Regimes, des agrarischen Regimes und des industriellen Regimes übernimmt, das sich jedoch auch radikal von seinen Vorgängern unterschiedet.

 
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