Schlussbetrachtung
Hinsichtlich der Agitationsthemen lässt sich feststellen, dass klassische, vergangenheitsbezogene Themen, wie etwa die Forderung nach Rückgabe der deutschen Ostgebiete oder nach einem Ende der Entschädigungszahlungen für die Opfer des Nationalsozialismus und die Holocaustleugnung, zurückgestellt wurden – wenngleich keinesfalls völlig aufgegeben. Stattdessen wurden aktuelle politische und soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse, Kürzungen im Sozialbereich oder die Internationalisierung von Märkten in den Vordergrund gestellt.
Die Sprache und das öffentliche Auftreten des organisierten Rechtsextremismus wurden dabei jedoch im Rahmen einer "taktischen Zivilisierung" (vgl. Klärner 2008) gemäßigter. Parteikader der NPD und rechtsextremistische Bewegungsunternehmer versuchten – nicht immer mit Erfolg – Gewalt und undiszipliniertes Verhalten einzudämmen. Diese "taktische Zivilisierung" des Rechtsextremismus ist eine Reaktion auf die zu beobachtende weitgehende soziale Ächtung dieses ideologischen Spektrums. Sie wurde von den Strategen als das entscheidende Hindernis für dessen Etablierung erkannt. Die Hinwendung zu sozialen Themen, die Thematisierung der sozialen Frage und ein verstärktes lokalpolitisches Engagement lassen sich daher als Versuche der extremistischen Rechten interpretieren, diese soziale Ächtung zu überwinden und Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen.
Mäßigung und der Versuch Akzeptanz zu gewinnen bedeutet indes nicht, dass sich die politischen Ziele der Rechtsextremen geändert haben. Sie betreiben weiterhin bewusst eine "Ethnisierung des Sozialen", die immer wieder Raum für rassistische Ressentiments schafft und eine Klientel ansprechen soll, die über fremdenfeindliche Einstellungen verfügt. Weiterhin ist mit den Etablierungsversuchen der extremistischen Rechten in Deutschland keine grundsätzliche Änderung der politischen Ziele und Utopien verbunden. Das grundlegende Ideologiegebäude des Rechtsextremismus hat sich trotz aller taktischen Windungen nicht geändert und setzt auf eine radikale und revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft nach völkischen Kriterien. Aus diesem Grund bedienen sich etwa auch hohe Funktionäre der NPD immer wieder einer Revolutionsrhetorik und senden damit Signale an den harten Kern ihrer Anhänger und versuchen so die "Fundis" der Bewegung einzubinden. Die Gleichzeitigkeit von Etablierungsversuchen und Revolutionsrhetorik ist Ausdruck des Konflikts zwischen realpolitischem und fundamentaloppositionellem Flügel der rechtsextremistischen Bewegung (vgl. Grumke 2012).
Die Kontextbedingungen in Zeiten der Globalisierung sind für Rechtsextremismus günstig. Dass die Globalisierung der Entstehung beziehungsweise Verbreitung von Rechtsextremismus Vorschub leistet, kann als gesichert gelten (vgl. Stöss 2004). Globalisierungsprozesse machen vielen Menschen schlicht Angst:
"So wird die Angst vor scheinbar Unbewältigbarem transportiert in Angst vor etwas, das abzuwehren nicht völlig aussichtslos ist, in Angst vor Kriminalität, vor Asozialen, vor Minderheiten und dergleichen, oder es wird – was oft auf das gleiche hinauskommt – der Bedrohung eine Struktur unterstellt" (Welzk 1998: 38).
Die Prozesse und Zumutungen der Globalisierung wirken hierbei als Humus für Sozialdemagogie aller Art.
Die extremistische Rechte reagiert auf die Zumutungen des von ihr diagnostizierten "Globalismus". Dabei wird "dem Trend zur Verflüssigung […] mit einer Rehomogenisierung des Identitären und einer Reaffirmation vermeintlicher Gewissheiten begegnet" (Scharenberg 2003: 663). "Globalismus" und die soziale Frage sind für Rechtsextremisten neue Kampagnen-, Kampfund Propagandathemen geworden. Als Vollstrecker des Volkswillens, dem der Globalisierungsprozess zu schnell voranschreitet, sehen sich Rechtsextremisten allemal.
Festzuhalten ist abschließend:
1) Heute kann Rechtsextremismus als internationales, modernes und vielschichtiges Phänomen beschrieben werden (vgl. Minkenberg 1998; vgl. Greven/Grumke 2006);
2) Gegnerschaft zur Globalisierung und der Einsatz für – wie auch immer verstandene – soziale Gerechtigkeit ist per se weder links noch rechts beheimatet;
3) Rechtsextremisten reagieren "auf die durch Globalisierung und Denationalisierung beschleunigte Enttraditionalisierung und ›Entgrenzung‹ des Identitären" (Scharenberg 2003: 662);
4) Rechtsextremisten sind keine Globalisierungskritiker, sondern Anti-Globalisten, ihr Ansatz ist nicht progressiv-demokratisch, sondern völkisch-extremistisch;
5) Das ideologische Arsenal von Volk und Nation wird von Rechtsextremisten um Kampfbegriffe wie Globalisierung, Kapitalismus, Imperialismus und Identität erweitert und so auch international kompatibel gemacht (vgl. Grumke 2006);
6) Sowohl aufgrund ihrer internen strukturellen Voraussetzungen als auch einzelner externer Rahmenbedingungen – insbesondere einer "kulturellen Resonanz" bei Teilen der Bevölkerung (vgl. Grumke 2008: 488 ff.) – ist zu erwarten, dass die rechtsextremistische Bewegung sich nicht einfach erschöpft oder durch äußere Repression völlig marginalisiert werden kann. Anders als vereinzelt vermutet, handelt sich bei der rechtsextremistischen Bewegung in Deutschland nicht um eine "schmerzhafte Episode" (Ohlemacher 1994), sondern, wie schon in der weiter zurückliegenden Vergangenheit, um eine "normale Pathologie westlicher Industriegesellschaften" (Scheuch/Klingemann 1967: 12 ff.);
7) Rechtsextremisten leben, wie übrigens alle Fundamentalisten, in einer hermetischen ideologischen Gegenwelt. Gesellschaftlich ist also die Frage: Wie kann die liberale Gesellschaft eine absolute Feinderklärung annehmen, ohne ihre eigenen freiheitlichen-demokratischen Ideale zu verraten (vgl. Grumke 2012)?