Das private Sammeln und das Mäzenatentum

Dieses Kapitel stellt das private Sammeln von zeitgenössischer Kunst in den Fokus.

Vorab wird für das weitere Verständnis der Begriff zeitgenössische Kunst erläutert. Zeitgenössische Kunst wird, wie die Bezeichnung schon vorgibt, von Zeitgenossen beziehungsweise Künstlern des 21. Jahrhunderts hergestellt. Diese wird bereits in der Gegenwart als Kunst akzeptiert und als bedeutend wahrgenommen. Weitere übliche und synonyme Benennungen sind Gegenwartskunst, aktuelle Kunst sowie der englischsprachige Begriff Contemporary Art. Unter diesen Begrifflichkeiten lassen sich Kunstwerke von der Schule des Abstrakten Expressionismus über Pop Art, Neo-Dada, Minimal Art, Fluxus, Konzeptkunst bis zu fast jeder gegenwärtigen Bewegung nach 1945 und des 21. Jahrhunderts fassen. Charakteristisch für die zeitgenössische Kunst ist, dass alle Gattungen wie Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen sowie Installationen, Performance, Fotografie und Videokunst einbezogen werden. [1] Das bedeutet, dass die zeitgenössische Kunst in erster Linie auf einen zeitlichen, jedoch nicht engen, und keinen stilistischen Begriff verweist.

Im Folgenden wird der allgemeine Prozess des Sammelns dargestellt. Der internationale zeitgenössische Kunstmarkt wird mit seinen verschiedenen Käuferschichten erklärt. Aus welchem Grund zeitgenössische Kunst zunehmend als Statussymbol anerkannt wird, wird erläutert. Es wird dargestellt, wie ein Kunstsammler seine private Sammlung aufbaut und zusammenstellt. Auf dieser Grundlage wird untersucht, inwiefern sich ein Kunstsammler als Kulturförderer oder sogar als Mäzen begreift und als solcher in der Gesellschaft wahrgenommen wird.

Der Prozess des Sammelns

Als ein Teil der Entwicklungsgeschichte der Menschheit scheint der Hang zum Sammeln in irgendeiner Form in jedem Menschen vertreten zu sein. Im Laufe der Zivilisationsgeschichte sind neben den primären Bedürfnissen, wie das Ansammeln von Nahrung, Bekleidung und Behausungsgegenständen, zahlreiche sekundäre Motive aufgetreten. Ästhetische Gegenstände wurden von Privatpersonen zusammengetragen, um den individuellen Lebensstil zu prägen und zu verschönern. [2] Aus anthropologischer Sicht basiert das Sammeln auf dem Urtrieb des Menschen. Dieser schließt das Jagen und Sammeln von Nahrungsmitteln und Gegenständen mit ein. Es ist nicht auszuschließen, dass der Sammler zum Jäger wird. Dann wird nicht das Wild sondern der Sammlungsgegenstand – das Kunstwerk alsBeute – aufgefasst. [3]

Künstlerische Gegenstände zu sammeln, fand ihren ersten Höhepunkt in den gebildeten Schichten der Renaissance. Altertümer, wie Bücher, Landkarten, religiöse Reliquien, Grafiken und Gemälde wurden gesammelt, um antike Philosophie, Dichtung und Kunst zu rekonstruieren. [4] Fürstliche Familien präsentierten ihre Kunstobjekte in ihren Wohnräumen. Der Besitz seltener und wertvoller Gegenstände drückte Stolz und Prestige aus. Diese galten als ein Mittel, den anspruchsvollen Geschmack und die Bildung zu präsentieren. Dabei diente die Kunstsammlung als Kulisse für zeremonielle Zurschaustellungen im höfischen Leben. Sie strahlte die Erhabenheit und den Ruhm der Adeligen aus. [5]

Dieser Umgang mit künstlerischen Objekten prägte das Wesen eines privaten Kunstsammlers, welches sich über den Kreis der Fürsten in ein bürgerliches Zeitalter im 18. Jahrhundert ausbreitete. Im Verlauf des wirtschaftlichen Aufschwungs widmeten sich insbesondere die bildungsorientierten Bürger dem Zusammentragen sekundärer, symbolisch bedeutsamer Güter. [6] Neben Beamten, Geistlichen und Offizieren, die in den Residenzstädten Kunstgegenstände anfingen zu sammeln, begannen in Handelsstädten die großbürgerlichen Kaufmannsfamilien, Manufakturbesitzer und das Bildungsbürgertum Kunstwerke zu kaufen. [7] Der gebildete Bürger lernte durch die Auseinandersetzung mit dem Humanismus die antiken Werte zu schätzen und sammelte Kunstobjekte. Diese drückten seine Gesinnung aus. [8]

In dieser Zeit rückte erstmalig die ästhetische Funktion der Kunstobjekte in den Vordergrund. Diese repräsentierte den eigenen Selbstwert und die Gelehrsamkeit der bürgerlichen Sammlerschicht. [4] Das Kunsterlebnis rief eine direkte und wesentlich individualisierte Verbindung zwischen dem Betrachter und den Kunstobjekten hervor. Die Kunst galt nicht mehr als die Kulisse höfischer Zeremonien. Sie wurde schließlich als eine Quelle geistiger Nahrung und moralischer Bereicherung angesehen. [10] Durch diese veränderte Wahrnehmung und Betrachtung von Kunst entstand ein Kunsthandel. Dieser fokussierte sich nicht mehr auf die Vermittlung von Auftragsarbeiten. Vielmehr schaffte er ein Angebot über das Auswählbare. Ein solches Angebot beruhte schließlich auf einem ästhetischen Wert und erzeugte Bedürfnisse und Begehren, Kunstobjekte zu sammeln. [11] Aus dem Interesse für das Sammeln von Kunst heraus bildeten sich echte Kunstkenner und Kunstsammler aus Leidenschaft. Bürgerliche Sammler positionierten sich an die Stelle fürstliche Auftraggeber. [12] Im Mittelpunkt stand nicht der materielle Wert der privaten Sammlung und das daraus resultierende Prestige, sondern die Kunst mit ihrem unvergänglichen Wert. [13]

Charakteristisch für einen passionierten Kunstsammler ist es, sich mit Kunstwerken zu umgeben, die dem eigenen Geschmack entsprechen. Diese Art des leidenschaftlichen Sammelns von Kunstgegenständen lässt sich als eine kreative Ersatzhaltung und als eine Lebenserfüllung verstehen. [14] Die gesamte Kunstsammlung wird weniger als ein gesammelter Besitz oder als besessene Sache, sondern aufgrund seiner Bildung geschätzt. Ein Aufbewahren, ein Sichten und Betrachten sowie eine Erörterung der Schätze mit Gleichgesinnten findet im Privaten statt. [15] Auf diese Weise entfaltet sich das vergleichende Sehen, die Stilkritik und somit auch die Epochenlehre der Kunst. Kein passionierter Kunstsammler sammelt, ohne zu vergleichen. Denn das andere, was nicht gesammelt wird, wird ausgegrenzt. Dasjenige wird in die Sammlung aufgenommen, was mit dem Thema der Sammlung übereinstimmt. [3]

  • [1] Vgl. Thomas 2000, S. 25.
  • [2] Vgl. Thurn 2009, S. 10 f.; siehe auch Flügel 2005, S. 33.
  • [3] Vgl. Gohr 1999, S. 195.
  • [4] Vgl. ebd..
  • [5] Vgl. Sheehan 2002, S. 38 f..
  • [6] Vgl. Thurn 2009, S. 15; Thurn 1994, S. 41 ff..
  • [7] Vgl. Hermsen 1997, S. 44.
  • [8] Vgl. Reitz 1998, S. 34.
  • [9] Vgl. ebd..
  • [10] Vgl. Sheehan 1994, S. 858.
  • [11] Vgl. Hermsen 1997, S. 45.
  • [12] Vgl. Fechner 1993, S. 13.
  • [13] Vgl. Cabanne 1963, S. 12.
  • [14] Vgl. Adriani 1999, S. 9.
  • [15] Vgl. Thurn 2009, S. 15.
  • [16] Vgl. Gohr 1999, S. 195.
 
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