Der Aufbau einer privaten Sammlung zeitgenössischer Kunst

Auf welche Art und Weise sich ein Sammler heutzutage seine eigene Sammlung zeitgenössischer Kunst aufbaut, wird in den folgenden Unterkapitel besprochen. Es ist von besonderer Bedeutung, dass sich ein Sammler mit dem Hier und Jetzt auseinandersetzt und sich die Gegenwart mithilfe der Kunst deutlich ins Bewusstsein ruft. In welcher Form die private Kunstsammlung als eine eigenständige künstlerische Leistung angesehen werden kann, wird im zweiten Unterkapitel untersucht.

Das Sammeln als Auseinandersetzung mit der eigenen Zeit

Die Sammlung von zeitgenössischer Kunst ist durch Neugierde und Risikobereitschaft geprägt. Der leidenschaftliche Kunstsammler setzt sich mit den Eigenarten der Avantgardekunst auseinander, die eben nicht den Regeln der traditionellen Qualitätsund Ästhetikvorstellungen entsprechen. Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst in Zeiten der Ästhetisierung des Alltags scheint auch Kunstinteressierte zu überfordern. Fotografie, Videokunst und die neuen Medien lösen eine Bilderflut aus, so dass die Gegenwartskunst in ihrer Gesamtheit undefinierbar erscheint. Doch weil „Kunst Ausdruck und Spiegel des Zeitgeistes und der Weltanschauung [ist]“, setzt sich ein Privatsammler bewusst mit ihr auseinander. [1]

Die Äußerungen der zeitgenössischen Kunst können als eine Chance angesehen werden, die eigene Gegenwart besser zu verstehen und zu hinterfragen. Der Sammler öffnet seinen Blick für Dinge, die auf den ersten Blick ästhetisch ungewohnt und inhaltlich unbequem erscheinen. Durch die Kunst erhält er positive Effekte und neue Perspektiven. Für ihn ist es reizvoll, die eigene Zeit bewusster zu sehen und einzuschätzen. [2] Dieser Prozess des Sammelns von zeitgenössischer Kunst lässt sich als eine Parallelaktion im alltäglichen Leben verstehen. Er versichert einen Bezug zur eigenen Gegenwart und lässt das Leben lebenswert erscheinen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass jede Generation die Kunst sammelt, die der eigenen Erfahrung und Weltsicht entspricht. [3] So spiegelt jede Sammlung die Vorlieben sowie auch die Ausformungen der Lebensumstände des Sammlers wider. [4]

Für das Sammelgebiet der zeitgenössischen Kunst ist das Prinzip des offenen dialogischen Sammelns charakteristisch. Da sich der Zeitgeschmack heutzutage immer schneller verändert, wird häufig die Kunst der eigenen Generation gesammelt. Diese vermittelt ähnliche Empfindungen und eine verwandter Zeitsicht. Durch die Kunst der künstlerischen Altersgenossen erfährt der Sammler eine geistige Teilhabe an Problemstellungen und Sichten seiner Zeit. Oftmals teilt ein Sammler eine intensive Freundschaft mit Künstlern der eigenen Generation, durch die er einen wertvollen Austausch von vertiefenden Information über die zeitgenössische Kunst erfährt. Bei Besuchen in den Künstlerateliers finden persönliche Gespräche statt und erste Eindrücke über das Werk lassen sich vertiefen. [5] Durch diesen direkten Kontakt werden Ästhetik, Aussage und Gesamtkonzepte einer Werkphase entweder bekräftigt, schlüssig, bestätigt oder revidiert. [6] Auf Basis dieses freundschaftlichen Verhältnisses ist die Gegenwart in höchst sensibler und sinnlicher Weise erfahrbar.

Die Richtung, die ein Künstler vertritt, ist für den Sammler bedeutend. Das Kunstwerk dient als Bekenntnis einer künstlerischen Bewegung und Illustration eines Programms. Ein Sammler will gerade deshalb ein Kunstwerk besitzen, weil er an das Programm seines Künstlerfreundes glaubt und weil es seiner Art des eigenen Sehens entspricht. [7]

Für den Kunstsammler sind vor allem die Orte der Kunstszene interessant und aufregend, an denen Positionen der Avantgarde präsentiert und vermittelt werden. Zu diesen Orten zählen Museen für zeitgenössische Kunst, Ausstellungshäuser, Kunstvereine, Galerien und internationale Kunstmessen sowie Kunst-Biennalen. Bei regelmäßiger Wahrnehmung all dieser Ausstellungsangebote macht sich der Sammler ein Bild von den aktuellen Tendenzen in der Kunstszene. Themenschwerpunkte der jüngeren Generationen lassen sich erkennen. Gleichzeitig prägt das vergleichende und viel Gesehene, wo sich neue visionäre Gedanken entwickeln. Der Sammler, der in seiner aktiven Beobachterrolle geübt ist, erkennt die Kontinuität im Werk der einzelnen Künstlerpersönlichkeiten. Er nimmt deren Ernsthaftigkeit der individuellen Konzepte wahr. [8] Das Sehvermögen eines Sammlers stellt sich dort ein, wo Bewährtem, Qualitätsvollem und wirklich Neuem begegnet wird. Die Erfahrung des auratischen Moments ist für einen Sammler charakteristisch, der durch den permanenten Umgang mit Kunst trainiert ist. Ein ständiges Betrachten und Lesen über Kunst trägt wesentlich dazu bei.

Einige Sammler der zeitgenössischen Kunst versuchen, als Erster einen Künstler für sich zu entdecken. [9] Die Voraussetzung dafür ist der so bezeichnete talentierte Blick. Dabei kommt es auf einen ausgeprägten Sinn für das Sehen, das Erkennen von ästhetischer Schönheit und das Verständnis für Sprache und Eigenart des Werks an. Die Fähigkeit, einen Dialog mit dem Kunstwerk einzugehen, ist bedeutend. [10] Dieses Bedürfnis, junge Künstler zu entdecken, führt zu einer hohen Nachfrage nach Hochschulabsolventen und jungen Talenten. Als spannend gilt daher auch die Teilnahme an den jährlichen Rundgängen der Kunsthochschulen. [8] Durch den Ankauf von Kunstwerken der noch nicht etablierten Künstler fördert ein Sammler den Künstler in seinem Werdegang. [12] Die sehr junge Kunst zu sammeln, ist eine gewagte Form des Sammelns. Der Aspekt der Ungewissheit, wie sich die Künstler entwickeln werden, kann einen Sammler mehr erregen als die Kunst der Vergangenheit. [13]

  • [1] Falckenberg 2007, S. 14.
  • [2] Vgl. Schroeter-Herrel 2000, S. 79
  • [3] Vgl. Gohr 2000, S. 189.
  • [4] Vgl. Adriani 1999, S. 10; Til u. von Wiese 2007, S. 11.
  • [5] Vgl. Gohr 2000, S. 189; Til u. von Wiese 2007, S. 8.
  • [6] Vgl. Schroeter-Herrel 2000, S. 79.
  • [7] Vgl. Donath 1920, S. 22 f..
  • [8] Vgl. Schroeter-Herrel 2000, S. 72.
  • [9] Vgl. Jocks 2011, S. 44.
  • [10] Vgl. Til u. von Wiese 2007, S. 10.
  • [11] Vgl. Schroeter-Herrel 2000, S. 72.
  • [12] Vgl. Rauterberg 2007, S. 50.
  • [13] Vgl. Clark 1963, S. 19.
 
< Zurück   INHALT   Weiter >