Die Interessenlagen der Privatsammler
In diesem Kapitel werden die verschiedenen Interessenlagen aus subjektiver Sicht der Privatsammler herausgearbeitet, die für eine Kooperation mit einem öffentlichen Museum sprechen. Diese werden in vier Kategorien, den kulturellen, politischen, finanziellen und rechtlichen Interessen aufgeteilt, um die verschiedenen Vorund Nachteile der oben beschriebenen Beispiele systematisch herauszustellen. Für bestimmte Kooperationsformen ergeben sich spezielle Vorbzw. Nachteile, die im Detail erörtert werden.
Kulturelle Interessen
Aus subjektiven kulturellen Interessen kann ein privater Sammler eine Präsentation seiner Sammlung zeitgenössischer Kunst in einem öffentlichen Museum befürworten. [1]
Prinzipiell verfügt das öffentlichen Museum über Rahmenbedingungen, eine private Sammlung in einem kunstwissenschaftlichen und kunsthistorischen Kontext zu interpretieren und zu zeigen. „Auf Dauer ausgestellt wird sich auch erweisen, welche Konsistenz und Überzeugungskraft eine Sammlung hat.“ [2] Im Bereich der zeitgenössischen Kunst gibt es nicht immer eindeutige Entscheidungen darüber, welche Kunstwerke für den Kanon der Kunstgeschichte relevant sind und entsprechend aufgenommen werden. Durch die Kunstüberlassung oder Kunstübereignung einer zeitgenössischen Kunstsammlung wird dem Museum die Möglichkeit gegeben, die private Sammlung in den öffentlichen Museumsbestand zu integrieren. Dadurch kann der Diskurs über aktuelle Gegenwartskunst angeregt, geschaffen und geführt werden. [3] Werden Teile von Sammlungen oder ganze Werkgruppen einem öffentlichen Museum übereignet, füllen sich oftmals Lücken in den Sammlungsbeständen. Kunstübereignungen tragen somit einen Teil zur Kunstgeschichtsschreibung bei. [4]
Insbesondere durch die Übereignung des Eigentums wird die Sammlung auf Dauer – in diesem Kontext handelt es sich tatsächlich um eine unbegrenzte Zeit – bewahrt. Im Eigentum des Museums wird mit der Kunstsammlung, wie in Kapitel 3.2 ausführlich beschrieben, intensiv gearbeitet. Die Sammlung wird unter professionellen Lagerund Ausstellungsbestimmungen bewahrt und mit allen derzeitigen Maßnahmen gesichert, restauriert und kunsthistorisch untersucht. Das Museum kann eigenständig Dauerausstellungen mit Werken der Sammlung durchführen. In diesem Kontext verkörpert das Museum schließlich für die Sammlung einen finalen Bestimmungshafen. [5]
Die Leidenschaft, die Besessenheit und die Nachhaltigkeit[6] führen zu Sammlungsbeständen, die durch ihre Anzahl an Kunstwerken wie auch durch ihre Qualität bei einigen Sammlern der zeitgenössischen Kunst beeindruckend sind. Der Wunsch, dass diese Sammlungen nicht nur gepflegt, sondern auch in einem würdigen Umfeld gezeigt werden, ist groß. Höchstwahrscheinlich fühlt sich ein Sammler von einem Museumsdirektor und der Öffentlichkeit geehrt und wertgeschätzt, wenn seine Sammlung in einem öffentlichen Museum gezeigt und zur Diskussion gestellt wird. [7] Bei einer Eigentumsübertragung besteht das Interesse oder der letzte Wunsch, der Gesellschaft bzw. letztlich der Nachwelt die Kunstsammlung oder sogar ein kulturelles Erbe zu hinterlassen.
Wie bereits in Kapitel 2.4 herausgestellt, ist es ein Merkmal des Selbstverständnisses des Sammlers, der zeitgenössische Kunst sammelt, zur gesellschaftlichen Avantgarde und zur kulturellen Elite zu gehören. Sowohl durch die Überlassung als auch durch die Übereignung der Kunstsammlung an ein Museum kommt diese kulturelle Elite zur Geltung. Der Sammler ist überzeugt von der ästhetischen Qualität, dem bleibenden Wert und der zukünftigen kunsthistorischen Bedeutung seiner Sammlung. Die Kunstsammlerin Ingvild Goetz hat insbesondere durch ihre bedeutende Videokunstsammlung weltweit Anerkennung erfahren. Julia Stoschek, als junge Nachfolgerin, hat sich auch innerhalb kürzester Zeit einen Namen mit ihrer Videokunstsammlung gemacht. Geprägt von seiner Besessenheit, hat sich Harald Falckenberg in wenigen Jahren als ein renommierter Sammler von Gegenwartskunst in der internationalen Kunstwelt positioniert. Rik Reinking ist durch seine Urban Art Kunstsammlung bekannt geworden. [8] Aus Sicht der Autorin werden Sammler als eine kulturelle Elite angesehen. Diese gesellschaftliche Anerkennung ist auf deren kultivierten Lebensstil und persönlichen Einsatz für die Kunst zurückzuführen. Charakteristisch sind die persönlichen Eigenschaften des Sammlers, die mit der bedeutenden zeitgenössischen Sammlung in Verbindung gebracht werden. Denn durch langjährige Sammlungstätigkeiten und die subjektive Schwerpunktsetzung haben sich die erwähnten Sammler zu Experten der zeitgenössischen Kunst herausgebildet. Jeder Ankauf von einem Kunstwerk basiert auf einem Entscheidungsprozess. Dieser hängt von der Leidenschaft und dem Vergleich zu den bereits vorhandenen Kunstwerken ab. Die qualitative Bewertung eines Kunstwerkes ist natürlich von der subjektiven Urteilskraft und dem persönlichen Geschmack des einzelnen Sammlers geprägt. Denn schließlich muss ein neues Kunstwerk in die Privatsammlung passen. Die sich daraus entwickelnde fachspezifische Kenntnis und das eingesetzte Engagement für junge zeitgenössische Kunst werden jährlich mit öffentlichen Anerkennungen ausgezeichnet. Beispielhaft dafür ist der Art Cologne Preis, der bereits an einige deutsche Sammlerpersönlichkeiten vergeben wurde. [9]
Die zeitgenössische Kunstsammlung, die in einem Museum ausgestellt wird, vermittelt eine spezifische Einstellung zur Vergangenheit und Gegenwart. Sie bringt Einstellungen zur Politik und Kultur, zur Religion und Moral sowie zur Natur und Wissenschaft zum Ausdruck. Diese Aspekte sind zum einen im künstlerischen Ausdruck der einzelne Werke und zum anderen in der Zusammenstellung der Sammlung zu erkennen. Lässt sich die Sammlung als Portrait des Sammlers verstehen, wird dem Betrachter klar, mit welchen Themen sich der Sammler auseinandersetzt. Die Kunstwerke der Sammlung heben eine spezifische Stellung, soziales Prestige und kulturelle Zugehörigkeit des Sammlers hervor. [10] Wie in Kapitel 2.4 zum Ausdruck gebracht, werden Sammler heute weniger nur als Entdecker und Käufer von Kunst angesehen. Sammler sind zudem Kunstförderer, Kunstvermittler und Mitbestimmer der musealen Kunst. Letztlich stellt der Sammler sich mit seiner Sammlung dar. Sie dient als Zeugnis seiner Glaubwürdigkeit.
Es ist naheliegend, dass ein Sammler zeitgenössischer Kunst seine Sammlung in einem Museum zeigen möchte, zu welchem er eine freundschaftliche Beziehung pflegt. In der Regel empfinden die Sammler bereits bestimmte Museen aufgrund ihres Programms sympathisch und engagieren sich schon über einen längeren Zeitraum in einem Freundesoder Förderkreis. [11] Für einen privaten Sammler ist es daher von entscheidender Bedeutung, mit welchem Museum er für eine bestimmte oder unbefristete Zeit eine Kooperation eingeht oder welchem Museum er seine Sammlung für die Ewigkeit übereignet. Das persönliche Vertrauen und eine enge Beziehung zu dem Museum bzw. Museumsdirektor und zu dessen Träger sind daher absolut ausschlaggebend.
- [1] Siehe hierzu die Ausführungen zum Aufbau einer privaten Sammlung zeitgenössischer Kunst in Kapitel 2.3.
- [2] Raue 2006, S. 4.
- [3] Vgl. Kirchmaier 2006, S. 261.
- [4] Vgl. Herchenröder 2000, S. 302 f..
- [5] Vgl. Bongard 1967, S. 169.
- [6] Siehe hierzu die Ausführungen zum Prozess des Sammelns in Kapitel 2.1.
- [7] Vgl. Kirchmaier 2006, S. 261 f..
- [8] Vgl. Schmid 2007, S. 38 ff.; siehe auch das Ranking der Top 200 Collectors weltweit, vgl. ARTnews 2013.
- [9] Jedes Jahr anlässlich der Art Cologne vergeben der Bundesverband Deutscher Galerien und die Kölnmessen den mit 10 Tsd. Euro dotierten ART COLOGNE-Preis für herausragende Leistung in der Kunstvermittlung. Folgende deutsche Sammler erhielten bereits diesen Preis: 2001 Ingvild Goetz, 2002 Frieder Burda, 2009 Harald Falckenberg, 2010 Familie Grässlin. Vgl. Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V 2013.
- [10] Vgl. Hermsen 1997, S. 42.
- [11] Siehe nähere Ausführungen zum Freundesund Förderkreis in Kapitel 3.5.3.3.