Unsere Ehre heißt Treue – "Kameradenhilfe" bis heute

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2.1 Die Legende von der Stunde Null

Viele Naziverbrecher flüchteten – oft mit Fluchthilfeund "Kameraden"-Organisationen wie ODESSA oder der so genannten "Rattenlinie" – ins Ausland. Das Gros der NS-"Belasteten", der (Mit-)Täter und Mörder, blieb jedoch hier. Vor diesem Hintergrund erklärte Pfarrer Heinrich Albertz, ehemals regierender Bürgermeister von Berlin:

"Es hat ja keinen wirklichen Bruch mit der Vergangenheit gegeben in dem Sinne, daß man sich mit ihr ernsthaft beschäftigt hat, daß man sich überlegt hat, was wir Deutsche angerichtet haben in der Welt und in unserem eigenen Volke. Es ist ja eine der schlimmsten Legenden, daß das Jahr 1945 eine Stunde Null gewesen sei. Wir haben alles mit herübergeschleppt, die Schuld, die Probleme und vor allen Dingen auch die Menschen, um die es sich gehandelt hat. Es hat keine Selbstreinigung gegeben und gar keine Revolution" (zit. nach Vinke 1981: 122).

So verabschiedete der Bundestag schon 1949 ein erstes Straffreiheitsgesetz, und 1953 schuf der Grundgesetzartikel 131 die Grundlage für die Übernahme Beamter in den öffentlichen Dienst, denen dieser Zugang bis dato wegen ihrer NS-Vergangenheit versperrt war. Gerade sie gelangten in die Gerichte und Polizei und bis in die höchsten Spitzen von Verwaltung und politischer Macht. Zugleich verlangten – nicht nur – diese Kreise nach einer Generalamnestie.

"Ihren Ausgangspunkt hatte die Forderung nach ›Generalamnestie‹ in einer im Herbst 1949 vorgelegten Denkschrift Friedrich Grimms gehabt. Das Zentrum der politischen Unterstützung lag in der nordrhein-westfälischen FDP, an ihrer Spitze deren Landesvorsitzender Middelhauve sowie Ernst Achenbach." (Herbert 1996: 451 f.)

Achenbach war im Nationalsozialismus mitverantwortlich für die Deportation französischer Juden. In seiner Kanzlei agierten weitere Juristen mit NS-Vergangenheit, wie Werner Best, ehemals Justiziar der SS und Stellvertreter Heydrichs im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Zudem liefen über sie Kontakte zu Beamtenbünden, Soldatenverbänden und zu extrem rechten Gruppen wie der NS-Fluchthilfeorganisation Kameradenwerk von Hans-Ulrich Rudel in Buenos Aires oder zum "Hilfswerk" der Prinzessin zu Isenburg [1] (vgl. Herbert: 464).

Dagegen blieb eine juristische Aufarbeitung der NS-Justiz weitestgehend aus. Vielfach wurden belastete Juristen wieder in Justizdienst und universitäre Ausbildung übernommen. Erst die Studentenunruhen zum Ende der 1960er Jahre brachten Ansätze einer kritischen Auseinandersetzung, durchbrachen überkommene Traditionen mit provokanten Aktionen wie "Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren" und machten sie so einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. Bis dahin galt:

"Unbelehrbarkeit, das war damals geradezu die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere. Wer bei einem der 131er-Professoren – und andere gab es kaum – promovieren, habilitieren oder sonst reüssieren wollte, musste gegen Nürnberg zu Felde ziehen. Eine konsequente Parteinahme für die Nürnberger Prinzipien, kritische Anmerkungen zur deutschen Vergangenheit oder gar eine Abrechnung mit der in Justiz und Rechtswissenschaft ›herrschenden Lehre‹ hätte das Ende jeder akademischen Laufbahn bedeutet." (Müller 1989: 268)

2.2 Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e. V.

Neben jenen, die für eine Amnestie aller NS-Belasteten eintraten, agierten andere wie die "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte" der Prinzessin Helene-Elisabeth zu Isenburg für verurteilte Nazi-Verbrecher.

"Im Vorstand arbeiteten 1951 Wurm, Neuhäusler und Caritasdirektor Augustinus Rösch unter anderem mit dem ehemaligen SS-Obersturmführer Gerhard Kittel, dem ehemaligen SS-Standartenführer und Gruppenleiter im Reichssicherheitshauptamt, Wilhelm Spengler, sowie dem bereits erwähnten Ex-Obersturmbannführer Heinrich Malz zusammen. (…) Die ›Stille Hilfe‹ (…) hatte keine Hemmungen, zugunsten ihres Klientels die deutsche Zeitgeschichte zurechtzubiegen" (Klee: Vergebung ohne Reue; in: Die Zeit 21. 02. 1992).

Der Verein verfügt bis in die Gegenwart über Verbindungen in die extreme Rechte, und nicht nur seine Klientel zeugt von deutschen Kontinuitäten. Einer seiner Mitstreiter war der Münchner Rechtsanwalt Rudolf Aschenauer, der NS-Verbrecher im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, im Frankfurter Auschwitz-Prozess oder im Ulmer Einsatzgruppenprozess verteidigte. Als Leiter des von ihm eingerichteten Büros zur Koordinierung der Verteidigung stellte er den ehemaligen persönlichen Referenten von Ernst Kaltenbrunner, Heinrich Malz, ein. Mit Gudrun Burwitz, geborene Himmler, steht dem Verein eine lebende Ikone der rechten Szene vor, und auch der 1989 in ihr Kuratorium berufene Münchner Rechtsanwalt Klaus Goebel fügt sich in dieses Spektrum ein: "Der Anwalt hatte seit Jahren Kontakte ins Milieu der Rechtsextremisten und Holocaust-Leugner – aber auch zu allerhöchsten Kreisen der CDU und CSU" (Schröm/Röpke 2001: 73). Zu seinen Klienten zählten der bayerische Neonazi Ewald Althans oder die Holocaust-Leugner Gerd Honsik oder David Irving.

2.3 Wenn alle untreu werden …

Das gesellschaftliche Klima und die juristische Aufarbeitung des NS-Unrechtes haben sich bis heute deutlich geändert. Forderungen nach einer Amnestie für NS-Verbrecher wie der Rechtfertigung und Geschichtsklitterung sind heute meist auf das Repertoire der extremen Rechten beschränkt. 1957 forderte die Vereinigung "Die Ehemaligen" die "Bekämpfung der andauernden Verleumdungen, Diskriminierungen und Beleidigungen, denen die ›Ehemaligen‹ im Inund Ausland ausgesetzt sind, Wiedergutmachung allen an den ›Ehemaligen‹ begangenen Unrechts, der erlittenen Schäden und deren Folgen. Schaffung eines gerechten Geschichtsbildes über die ›Epoche des 3.Reiches‹" (Hirsch 1991: 271) – ähnlich klingt es im 2010 beschlossenen Parteiprogramm der NPD:

"Wir wehren uns gegen die moralische Selbstvernichtung unserer Nation durch einseitige geschichtliche Schuldzuweisungen zu Lasten Deutschlands, durch die Aufwertung des Landesverrats und die Verherrlichung alliierter Kriegsverbrecher." (NPD 2010: 14)

Die Rechtfertigung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen sind heute das Metier der Geschichtsapologeten und Demokratieverächter – doch die Grenze ist durchlässig, und entsprechende Ressentiments und Rechtfertigungen scheinbar jederzeit bis weit ins demokratische Spektrum hinein auffindund reaktivierbar. Offenkundig wurde dies zum Beispiel an den Auseinandersetzungen um die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" und dem Aufeinanderprallen der apologetischen Wunschvorstellung einer "sauber kämpfenden" Wehrmacht mit der nicht wegzuleugnenden Realität einer aktiven Beteiligung am rasseideologisch motivierten Vernichtungskrieg.

  • [1] Siehe auch 2.2: Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e. V.
 
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