Was bedeutet Außenpolitik?
Außenpolitik ist in ihrer historischen Entwicklung, so Gunther Hellmann, aufs Engste mit der Idee der Staatsräson und dem Begriff der Souveränität verbunden (Hellmann 2006: 29-30). Unter Staatsräson versteht man die Vorstellung, dass die Selbstbehauptung des Staates gegenüber anderen sein höchstes Ziel und damit Grund (raison) seiner Daseinsberechtigung ist. Die Bedeutung von Staatsräson geht dabei in die Idee eines Primats der Außenpolitik über, das spätestens seit Mitte des 19. Jahrhundert zu einem Leitbegriff der Politikgeschichte wurde. Sowohl Leopold von Rankes Abhandlung über die „Die großen Mächte“ von 1833 als auch Hans Morgenthaus „Politics among Nations“ von 1948 begründen solch ein Primat, das in der (neo-) realistischen Tradition der IB bis heute weiterwirkt: Staaten streben, ja müssen geradewegs nach Machtmaximierung streben, um ihren Selbsterhalt zu sichern und sich gegen potentielle Bedrohungen durch andere Staaten zu schützen.
Zwar ist diese Idee einer Vorrangigkeit außenpolitischer Interessen immer wieder von verschiedenen Seiten kritisiert worden, doch bleibt der damit verbundene Gedanke des Machtund Selbsterhalts von Staaten bis heute in der Beschreibung von Außenpolitik wirkmächtig. Unterscheiden kann man dabei zwischen einer präskriptiven und einer deskriptiven Verwendung des Begriffes. Als politische Handlungsmaxime hat die Idee eines Primats der Außenpolitik wohl weitestgehend an Legitimation verloren (Simms 2003: 276f.). War die Rede vom Primat der Außenpolitik als normative Prämisse und deskriptive Analyse lange Zeit insbesondere in der deutschen Geschichtswissenschaft etabliert und erlebte gar seit den 1980er Jahren eine Renaissance[1], so haben Historikerinnen und Politikwissenschaftler immer wieder auf die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen, schließlich innenpolitischen Einflussfaktoren auf außenpolitisches Handeln hingewiesen (Lehmkuhl 2000). Eine Problematisierung dessen, was Außenpolitik bezeichnet, hat dabei eher vereinzelt stattgefunden.
Man kann wohl davon ausgehen, dass Außenpolitik ihre institutionalisierte Form Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich findet. Zuerst agierten Sekretäre, die den König in außenpolitischen Angelegenheiten berieten, gefolgt von Gesandten und Botschaftern an den Höfen europäischer Könige und Fürsten. Schließlich wurden bürokratische Organisationen (Ministerien, Departments und Offices) seit dem 18. Jahrhundert aufund ausgebaut, die zu einer Verstetigung und Vertiefung von Diplomatie und Außenpolitik beitrugen (Steiner 1982). In Frankreich spricht man bereits seit 1547 von einem Secrétaire d'État des Affaires étrangères. Louis de Revol beriet seit 1589 den König in außenpolitischen Angelegenheiten. Kardinal Richelieu etablierte 1626 unter König Ludwig XIII. erste Formen eines Außenministeriums mit dem Auftrag, ein Gleichgewicht zwischen den europäischen Mächten zu erhalten (Berridge 2002: 5).
Seit der Französischen Revolution 1789 gibt es das Amt des Ministère des Affaires étrangères ou des Relations extérieures. [2] In England bestand die Position eines Secretary of State seit dem 16. Jahrhundert gleich in doppelter Ausführung als Vorsitzender des Northern und Southern Department, deren Aufgabe es war, die auswärtigen Beziehungen des Königs/ der Königin zu den protestantischen und katholischen Ländern Europas sowie den Überseegebieten zu unterhalten (Steiner 1969: 1). Mitte des 18. Jahrhunderts gab es kurzzeitig das Amt eines Secretary of State for the Colonies, das 1782 im Zuge der Unabhängigkeit der amerikanischen Staaten aufgegeben, 1854 jedoch wieder eingeführt wurde. Ab 1782 wurde der Titel eines Secretary of State for Foreign Affairs erstmals an Charles James Fox vergeben. Das ehemalige Northern Department wurde zum Foreign Office, während das Southern Department in das Home Office umgewandelt wurde und die Beziehungen zu Irland und den Kolonialgebieten kontrollierte (Steiner 1969: 1). Erst 1968 wurden das Commonwealth Office und das Foreign Office zum heutigen Commonwealth and Foreign Office zusammengeführt (Johnson 2005, Steiner 1969). Mit der Unabhängigkeit der USA beschließt 1781 der Kontinentalkongress, ein Department of Foreign Affairs als erste Bundesbehörde einzurichten, die 1789 durch das Repräsentantenhaus und den Senat bestätigt wird. Im September des gleichen Jahres erhält das Außenministerium auch innenpolitische Aufgaben (u.a. Münzprägung) und wird in Department of State umbenannt (Berridge 2002: 6; Hunt 2005). In Deutschland entsteht 1807 das Preußische Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, dessen Bezeichnung als Auswärtiges Amt bis heute nachwirkt.
Im 19. Jahrhundert folgen die meisten Staaten einer vergleichbaren bürokratischen Organisationsform, so dass heute jeder Staat über ein Außenministerium verfügt. Selbst innerhalb der Sowjetunion und der EU hat es keine Initiativen gegeben, nationale Außenministerien abzuschaffen. Ganz im Gegenteil: Neue intergouvernementale und vergemeinschaftete Formen von Außenpolitik sind im Entstehen, wie die Einrichtung eines European External Action Service (EEAS) exemplarisch zeigt. Zugleich hat sich auch das begriffliche Instrumentarium ausdifferenziert, mit dem politisches Handeln zwischen Staaten bezeichnet wird.
- [1] Dabei muss jedoch beachtet werden, dass der Begriff des Primats der Außenpolitik selbst einem gewissen Gebrauchswandel unterworfen ist. Lappenküpper meint damit beispielsweise eine analytische Makro-Perspek tive, in der politisches Handeln als durch Interessen und Sicherheitserwägungen geleitetes Handeln zur Erklä rung von Außenpolitik beiträgt. Einher geht damit bei ihm die Relativierung von kulturellen undökonomischen Erklärungsmodellen (Lappenküper 2004: 46).
- [2] Siehe: diplomatie.gouv.fr/en/ministry_158/history_2049/from-the-louvre-to-the-quai-orsay_1565. html (letzter Zugriff: 25.4.2013).