EUropäische Außenpolitik im Blick der Politikwissenschaftlerin

Die Entwicklungen einer Europäischen Außenpolitik im Allgemeinen und der GASP/ESVP im Besonderen haben in der politikwissenschaftlichen Forschung seit den 1970er Jahren große Beachtung gefunden. Während sich die Außenpolitikforschung[1] in erster Linie mit konkreten Politiken und Politikfeldern, Entscheidungsprozessen sowie Akteuren, deren Interessen und Identitäten beschäftigt hat, fokussiert die Integrationsforschung[2] stärker auf die Erklärung der Institutionalisierung und des institutionellen Designs einer EU-Außenpolitik. Die IB haben sich sowohl auf einer systemischen als auch sub-systemischen Analyseebene verstärkt der Frage nach der Rolle der EU in den internationalen Beziehungen zugewandt (Hill und Smith 2005).

Die europäische Außenpolitikforschung, insbesondere die GASPund ESVP-Forschung, untergliedert sich in eher problembezogene, deskriptive Arbeiten einerseits und theorieorientierte Arbeiten andererseits. Während erstere politikrelevante Probleme wie beispielsweise eine „capability-expectation gap“ (Ginsberg 1999; Hill 1993) oder die Funktionsweise der Brüsseler Institutionen (Cameron 1999; 2007; Nutall 2000) in den Fokus ihrer Analyse rücken, versuchen letztere die Entwicklung und Politik der GASP/ESVP aus der Perspektive unterschiedlicher Theorien zu erklären (Aggestam 2004; Hyde-Price 2006; Larsen 2004; Ohrgaard 1997; Peters 2010; Wagner 2002). Berührungen zwischen einer vor allem deskriptiven GASP-Forschung einerseits und Theoriedebatten in den IB, der Integrationsund der Außenpolitikforschung andererseits gehörten bisher, so Wolfgang Wagner, eher zur Ausnahme (Wagner 2002: 20-21) – auch wenn sich dieses Bild in den letzten Jahren leicht verändert hat.

Auch die Integrationsforschung hat – sicherlich in einem geringeren Umfang – zur Theoretisierung und Erklärung der Entwicklung und Ausgestaltung einer gemeinsamen Außenpolitik der EU-Mitglieder beigetragen. Ohrgaards funktionalistische Analyse der EPZ und GASP wie auch Wagners rationalistische Erklärung der intergouvernementalen Strukturen der GASP stehen dafür exemplarisch (Ohrgaard 1997; 2004; Wagner 2003). Gleichsam lässt sich festhalten, dass die Integrationsforschung sich eher selten der EPZ, GASP oder gar ESVP zugewendet hat, beschäftigt sie sich doch vorrangig mit den vergemeinschafteten Politikbereichen als Ausdruck einer supranationalen Integration.

In den IB hat insbesondere die außenpolitische Rolle der EU in den letzten 15 Jahren eine zunehmende Aufmerksamkeit erhalten. Sozialkonstruktivistische und neorealistische Ansätze dominieren in großen Teilen diese Debatte, wie die vorangegangenen Erörterungen zum „Normative Power Europe“-Konzept veranschaulichen. Systemische Ansätze wie jener von Hyde-Price (2007) oder sub-systemische Ansätze wie jener von Peters (2010) diskutieren die Entstehung der ESVP aus der Perspektive des Neorealismus als Ausdruck der distribution of capabilities, Polarität und Machtverschiebungen in einem anarchischen System. Eine Reihe an konstruktivistischen Arbeiten hat hingegen die Frage einer genuinen außenpolitischen Identität der EU als auch die Konstruktion einer gemeinsamen Außenpolitik in den Mittelpunkt gerückt (Bretherton und Vogler 1999; Gariup 2009; Glarbo 2001; Larsen 1997; 2002; Smith 1999; Waever 2000). Während sich in den IB klare Theorielager und -labels weiterhin großer Beliebtheit erfreuen, ist die IB-inspirierte EU-Forschung weitaus weniger von solchen Zuschreibungen geprägt.

Soweit lässt sich festhalten, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Entstehung, Entwicklung und Ausgestaltung einer Europäischen und im besonderen einer EUropäischen Außenpolitik größtenteils in ähnlichen konzeptionellen Zyklen verläuft, wie dies Wiener und Diez für die Integrationsforschung konstatieren (Diez/Wiener 2004: 7). Während mit der informellen Institutionalisierung der EPZ und deren Weiterführung in der GASP die Beschreibung und Erklärung der Funktionsweise Europäischer Außenpolitik im Vordergrund stand, zeigt sich seit der Etablierung der GASP ab Mitte der 1990er Jahre ein stärkeres Interesse an der Analyse außenpolitischer governance-Strukturen und der unterschiedlichen bzw. gemeinsamen Politiken der Mitgliedsstaaten im Rahmen der GASP. Mit der zunehmenden Etablierung der EU als ein globaler Akteur steht die Frage nach der (sozialen) Konstruktion kollektiver Identitäten in den letzten Jahren zunehmend im Fokus theoretischer und empirischer Debatten.

Die Beschreibung der GASP/ESVP und ihrer institutionellen Vorläufer umfasst einen wichtigen Teil der Außenpolitikforschung, da sich die Institutionen und Entscheidungsverfahren kontinuierlich verändern (Algieri 2010). Dabei handelt es sich sowohl um Erfahrungsberichte ehemaliger EU-Bediensteter als auch um journalistisch dichte Beschreibungen des Brüsseler Alltags (Cameron 1999; Nutall 2000). Die Nachteile dieser Literatur liegen auf der Hand: Strukturen und Politiken verändern sich schnell, ihre Analyse verbleibt oftmals auf der oberflächlichen Beschreibung eines Ist-Zustandes und neigt dazu, den Untersuchungsgegenstand vor dem Hintergrund einer staatlich organisierten Außenpolitik (implizit) zu evaluieren, an deren Maßstäben gemessen die EU stets defizitär erscheinen muss.

Theoriegeleitete Erklärungen der GASP haben in den letzen 15 Jahren stetig zugenommen und lassen sich idealtypisch in rationalistische und konstruktivistische, strukturalistische und handlungstheoretische sowie in systemische und nicht-systemische Ansätze differenzieren (Hyde-Price 2006; Larsen 1997; 2002; Ohrgaard 2004; Smith 2003; Peters 2010;, Tonra 2003; als Überblick: Tonra/Christiansen 2004). Im Fokus der Erklärung stehen hier sowohl die Ursachen und Wirkungen, das institutionelle Design der GASP, als auch die unterschiedlichen Einstellungen einzelner Mitgliedsstaaten (Moravcsik/Nicolaidis 1999; Müller-Brandeck-Bocquet 2002; Wagner 2002). Mit der formalen Institutionalisierung der GASP/ ESVP ist die Analyse dieser governance-Strukturen zunehmend in den Mittelpunkt gerückt. Dazu zählen Studien zu einzelnen Politikbereichen wie Beispielsweise der Menschenrechtspolitik (Smith 2006) und Erweiterungspolitik (Schimmelfennig 2001), aber auch Fragen nach der Effektivität und Legitimität EUropäischer governance-Sturkturen (zur ESVP: Wagner 2006, zur EU-Erweiterung: Sjursen 2002).

Insbesondere konstruktivistische Ansätze haben die Frage nach einer außenpolitischen Identität der EU aufgegriffen und die Konstruktion einer gemeinsamen Außenpolitik in den Vordergrund gerückt (Bretherton/Vogler 1999; Gariup 2009; Ginsberg 1999; Larsen 2002; Manners 2002; Waever 2000). Analysiert werden dabei sowohl Konzepte einer EU-Außenpolitik auf nationalstaatlicher Ebene als auch die (zunehmende) Konstruktion gemeinsamer Interessen, Normen und Werte auf der EU-Ebene. Konstruktivistische Ansätze haben wesentlich dazu beigetragen, die Organe der EU, d.h. zentrale Institutionen wie den Europäischen Rat (ER), den Rat und die Kommission, als eigenständige Akteure zu verstehen. Gerade diskursanalytische Ansätze erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit, wie das aktuelle Sonderheft der Zeitschrift Cooperation & Conflict (2014, 49: 3) verdeutlicht. Im Mittelpunkt steht dabei u.a. die Frage, so Diez, „what kind of actor“ die EU ist, d.h. welche Identitätszuschreibungen sich im diskursiven Ringen um Bedeutung durchzusetzen vermögen (Diez 2014: 320f.). Die Institutionalisierung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (European External Action Service, EEAS) hat zudem das akademische Interesse an einer EUropäischen Außenpolitik auch auf konzeptioneller und theoretischer Ebene gestärkt (Adler-Nissen 2013; Bicchi 2014; Carta 2011; 2014).

Soweit lässt sich festhalten, dass keinesfalls von einem Mangel an Beschreibungen, Analysen und Erklärungen einer EUropäischen Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik gesprochen werden kann. Blickt man jedoch genauer auf die beiden sicherheitsund verteidigungspolitischen Projekte der europäischen Integration – die EVG und die ESVP –, so erstaunt es, dass diese eher selten im Zusammenhang mit der Herausbildung der EU als globaler Akteur thematisiert wurden.

  • [1] Carlsnaes unterteilt die Außenpolitikanalyse anhand ihrer ontologischen (Holismus/Individualismus) und epistemologischen (Objektivismus/interpreativ) Unterschiede in vier Kategorien. Während strukturalistische Anätze (Varianten des (Neo-)Realismus, neoliberaler Institutionalismus und Organisations-Ansätze) Außenpolitik als Resultat von systemischen Anreizen (und Hindernissen) sehen, betonen agency-orientierte Ansätze die kognitiven, psychologischen, bürokratischen oder innenpolitischen Rahmenbedingungen von außenpolitischen Entscheidungen (Carlsnaes 2002: 336-339). Im Rahmen dieser Arbeit gilt mein Interesse jedoch solchen Ansätzen, die einen interpretativen, verstehenden Zugriff wählen. Carlsnaes unterscheidet hier zwischen soziologisch-institutionellen (Sozialkonstruktivismus und Diskursansätze) und Akteursorientierten Perspektiven (Carlsnaes 2002: 339-341). Zur Entwicklung der Außenpolitikanalyse, siehe auch Hill (2011), Smith/ Hadfield/ Dunne (2012).
  • [2] Diez und Wiener umschreiben die Integrationsforschung als „the field of theorizing the process and outcome of European integration“ (2004: 3; Herv.i.O.), dem sich föderalistische, neo-funktionalstische, liberal-intergouvernementale, institutionalistische, sozialkonstruktivistische Ansätze als auch Diskursund rechtswissenschaftliche Perspektiven widmen.
 
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