Die EU als globaler Akteur
Während alle drei Forschungsfelder – die Außenpolitikanalyse, die Integrationsforschung und die IB – dazu beigetragen haben, die Ursachen, Ausgestaltung und Veränderung einer EUropäischen Außenpolitik besser zu verstehen, so zeigt sich doch ein deutlicher blinder Fleck, wenn es um die Frage nach den Praktiken und Diskursen geht, die es uns überhaupt ermöglichen, von der EU als einem globalen Akteur mit einer außenpolitischen Identität sprechen zu können. Dies hat sowohl konzeptionelle als auch methodologische Gründe.
Konzeptionell basiert dieser blinde Fleck auf einem engen, statischen und an den Staat gekoppelten Außenpolitikbegriff. Wenn Außenpolitik stets unter dem Aspekt der Projektion und Durchsetzung von Interessen oder Normen durch Repräsentanten des Staates gesehen wird, verliert man jene kulturellen Prozesse aus dem Blick, die außenpolitisches Handeln überhaupt erst ermöglichen. In dem Maße, wie sich diese ‚innen | außen' Unterscheidung als konstitutiv für das moderne Staatensystem durchsetzt, entsteht Außenpolitik als institutionalisierte Praxis, durch die Herrschaftsordnungen ihre politischen Beziehungen ‚nach außen' regeln. Somit mag es vor dem Hintergrund historischer Entwicklungen richtig sein, dass wir primär von Staaten reden, wenn wir Außenpolitik meinen. Diese Verbindung ist aber historisch kontingent und wird durch den praktischen Vollzug von Diskursen und Praktiken stets aufs Neue hergestellt.
Methodologisch hingegen resultiert der blinde Fleck aus einer Forschungshaltung, die Bedeutung und deren kulturelle Erfindung und Mobilisierung oftmals unter den Gegenstand äußerliche Kategorien subsumiert. Idealtypische Beschreibungen – die EU als Zivilmacht, normative Macht oder aufstrebende Großmacht – laufen dabei immer Gefahr, den Untersuchungsgegenstand mit Hilfe bestehender Paradigmen zu disziplinieren, anstatt intersubjektive Bedeutungskonstruktionen zu rekonstruieren. Diese Prozesse der Bedeutungsgenerierung durch soziales Handeln zu verstehen, erscheint aber dort umso notwendiger, wo sich neue Formen politischer Ordnung jenseits des Staatsmodells herausbilden. Was die EU ist, hängt davon ab, was sie für die Beteiligten bedeutet, d.h. welche Diskurse und Praktiken mobilisiert und aktualisiert werden.
Schließlich lässt sich auch in Bezug auf die empirische Analyse EUropäischer Außenpolitik ein blinder Fleck konstatieren, da oftmals Einzelaspekte der Institutionalisierung in den Vordergrund gestellt werden, ohne deren Konsequenzen für die Herausbildung der EU als globaler Akteur in den Blick zu nehmen. Denn Außenpolitik zeigt sich hier in doppelter Weise: als Institution im Werden und als kulturelle Praxis. Eine Institution im Werden ist EUropäische Außenpolitik, da ihre Regeln und Normen der ständigen formellen und informellen Reformulierung, beispielsweise in Erklärungen des Europäischen Rats und Vertragsreformen unterliegen. Diese Institutionen werden aber täglich mit Leben gefüllt – in Brüssel, Berlin, Paris, London usw. Als kulturelle Praxis verweist EUropäische Außenpolitik auf das Wechselspiel zwischen nationalen, intergouvernementalen und transnationalen Handlungskontexten, in denen die Bedeutung einer gemeinsamen Außenpolitik der EU-Mitglieder immer wieder durch den praktischen Vollzug hergestellt wird.
Der Zusammenhang zwischen der Entstehung einer gemeinsamen Sicherheitsund Verteidigungspolitik und der Herausbildung der EU als globaler Akteur ist insofern aufschlussreich, als hier die historisch kontingente Koppelung von Staat und Außenpolitik sukzessive aufgebrochen, problematisiert und theoretisiert werden kann. In dem Maße, wie ein Formwandel von Staatlichkeit konstatiert wird, so könnte man mutmaßen, verändern sich auch originär staatliche Politikbereiche wie die Sicherheitsund Verteidigungspolitik – und vice versa. Denn weder politische Ordnungen noch ihre politischen Handlungsfelder sind gegeben, sondern Produkt eines kontinuierlichen Zusammenwirkens von Diskursen und Praktiken.
Zusammenfassung
Die Forschungslandschaft über Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik in Europa ist ausgesprochen divers. IB-theoretische Gebirgsketten werden umschlossen von weitläufigen policy-Tälern und integrationstheoretischen Seenplatten. Der Dialog zwischen den einzelnen communities fällt dabei oftmals schwer, stehen doch unterschiedliche Probleme und Fragen im Mittelpunkt der jeweiligen Sub-Disziplinen. Auffällig ist jedoch, dass der Zusammenahng zwischen der Entstehung einer gemeinsamen Außenpolitik der EU-Staaten und der Herausbildung der EU als globaler (Sicherheits-) Akteur eher vereinzelt thematisiert wird. Ein historisch sensibler Blick auf die Anfänge der europäischen Integration und den historisch kontingenten Zusammenhang zwischen Außenpolitik und Staatenbildung erscheint mir dafür hilfreich.
Dies impliziert keine strukturalistische Engführung, sondern erfordert, die Mobilisierung und Aktualisierung von Diskursen und Praktiken im Handeln der Akteure ernst zu nehmen. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Forschungsarbeiten zur Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik geht es in dieser Arbeit jedoch nicht darum, wie Interessen und Präferenzen
„aggregiert, umgeformt und neu ausgerichtet werden“ (Kaim 2007: 237), und auch nicht um die Frage, wessen Präferenzen sich im Verhandlungsprozess durchsetzen (klassisch: KönigArchibugi 2004; Moravscik 1998). Die liberal-intergouvernementalistische Verkürzung des Handlungsbegriffes kann keine Aukunft darüber geben, wie Akteure in ihrem Handeln Bedeutung herstellen. Eine kulturwissenschaftliche Perspektive richtet ihren Blick stattdessen auf die Diskurse und Praktiken, die Handeln sinnhaft ermöglichen. Nicht Kosten-Nutzenmaximierende Akteure sind hier von theoretischem und methodologischem Interesse, sondern die Sozialität und Praktikabilität von außenpolitischem Handeln selbst. Diese Überlegungen sollen im Folgenden anhand einer Rekonstruktion der EVG (Kapitel 5) und der ESVP (Kapitel 6) gegenstandsbezogen plausibilisiert werden.