Das Ende der EVG und die NATO-Mitgliedschaft Westdeutschlands

Während die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg abgeschlossen wurde, machte Italien seine Entscheidung über die EVG von der Abstimmung in der französischen Nationalversammlung abhängig. Die französischen Parlamentarier, die über den EVG-Vertrag zerstritten waren, stimmten jedoch niemals über den Vertag selbst ab (zur innenpolitischen Lage: Poidivin 1985: 114fff.). Schumans Partei Mouvement Republicain Populaire (MRP) warb zwar weiterhin für eine Ratifizierung, die Opposition bei den Kommunisten (Parti communiste français, PCF) und de Gaulles Partei des Rassemblement du Peuple Français (RPF) wuchs jedoch. Französische Politiker befürchten eine Einschränkung der Souveränität Frankreichs durch die vertraglichen Bindungen und sahen mit Besorgnis, dass der Krieg in Indochina sich ausweitete. [1] In einer Pressekonferenz am 25. Februar 1953 betonte de Gaulle, dass Frankreich seine Souveränität nicht aufgeben dürfe:

„Non! Ce traité ne peut, ne doit pas, être accepté par le peuple français. Beaucoup de Français, j'en suis sûr, comme moimême, ne reconnaissent à personne, je dis bien à personne, le droit de les subordonner, de les livrer à l'étranger sans aucun recours national. Ce n'est pas pour faire cela que les actuels pouvoirs publics sont élus, acceptés, subis. Pour organiser la défense de l'Europe face à la menace soviétique, faire de cette défense ce qu'elle doit être, c'est-à-dire une part de la défense du monde libre tout entier, il y a autre chose à faire. C'est à la France qu'il appartient de le vouloir et de le dire. Mais, d'abord, qu'elle se mette debout!“. [2]

De Gaulle sah zwar die Notwendigkeit, eine gemeinsame Verteidigung gegen Russland zu organisieren und ein geeintes ‚Europa der Nationen als dritte Macht' zwischen den USA und der Sowjetunion zu schaffen. Diese Politik sollte jedoch nicht auf Kosten der nationalen Autonomie und Souveränität Frankreichs verfolgt werden. Eine Remilitarisierung Deutschlands und ein Wiederaufbau der Wehrmacht waren aus seiner Sicht der größte Fehler, den die französische Regierung begehen könne (zu de Gaulles Europapolitik: Loth/Picht 1991). Auch andere Politiker, darunter der französische Präsident Auriol, standen dem EVG-Vertrag kritisch gegenüber und befürchteten ein „Wiederaufleben des deutschen Chauvinismus“ (Auriol 1952, zitiert nach Poidivin 1985: 116). Auriol bemühte dabei auch Vorstellungen einer neuen Mächtepolitik in Europa, indem er gegenüber Eden das europäische Einigungsprojekt als „Heilige Allianz“, in der Deutschland dominiere, bezeichnete (Poidivin 1985: 118).

In Deutschland war der Vertrag bereits ratifiziert worden. Der Bundestag nahm am 19. März 1953 den EVG-Vertrag mit 224 gegen 165 Stimmen an. Wenige Tage später einigten sich die sechs zukünftigen EVG-Mitglieder auf Zusatzprotokolle, die den französischen Forderungen nach einer stärkeren Einbindung Deutschlands entgegen kamen (Poidivin 1985: 123). Während die innenpolitische Debatte in Frankreich sich trotz der Unterzeichnung dieser Zusatzprotokolle zuspitzte, betonte Eisenhower, seit 1953 Präsident der USA, im April 1954 nochmals die Unterstützung seiner Regierung: [3]

„The European Defense Community will form an integral part of the Atlantic Community and, within this framework, will ensure intimate and durable cooperation between the United States forces and the forces of the European Defense Community on the Continent of Europe. I am convinced that the coming into force of the European Defense Community Treaty will provide a realistic basis for consolidating western defenses and will lead to an everdeveloping community of nations in Europe“.[4]

Die Ratifizierung des Vertrages wurde in der französischen Nationalversammlung immer wieder verschoben bis es im August 1954 zur Debatte kam. Zwei Tage vor der Abstimmung antizipierte Pierre Mendès-France, seit zwei Monaten Premierminister, in seiner Radioansprache bereits eine Ablehnung. [5] Vom 19. bis 22. August, unmittelbar vor der Aussprache in der französischen Nationalversammlung, hatten sich Vertreter der EVG-Länder auf Einladung von Paul-Henri Spaak, Vorsitzender der EGKS, nochmals in Brüssel getroffen, um mögliche Alternativen zu besprechen. Mendès-France hatte unter anderem darauf gedrängt, Frankreich für 8 Jahre ein Vetorecht einzurichten. Die Änderungswünsche und Anträge der französischen Regierung stießen jedoch nicht auf Zustimmung. Am 30. August 1954 stand die Abstimmung über den Vertag in der Nationalversammlung an. Im Antrag zum Gesetzesentwurf heißt es:

„Il est impossible de faire aucun progrès nouveau dans la voie de l'intégration européenne sans normaliser les relations entre Alliés et Allemands et sans définir un régime politique dans lequel la République fédérale serait traitée, non plus comme un pays vaincu et occupé, mais comme un partenaire. L'objectif primordial de la stratégie alliée, qui est de défendre l'Europe aussi loin à l'Est que possible, serait à la longue irréalisable sans contribution de la République fédérale à la défense commune“.[6]

Die Begründung eines westdeutschen Verteidigungsbeitrages, die Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland als Partner, die Verteidigung Europas soweit wie möglich im Osten (NATOs forward defence) – all dies sei „inéluctable“. Die dreitägige Debatte und Aussprache in der französischen Nationalversammlung gipfelte am 31. August 1954 in einer Änderung der Tagesordnung. Ein entsprechender Antrag wurde mit 319 zu 264 Stimmen angenommen und damit eine Absetzung der Ratifizierung des Vertrags über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beschlossen (Loth 1996: 110).

Die deutsche Bundesregierung forderte wenige Tage nach der Ablehnung in einer Regierungserklärung Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien aufzunehmen aufzunehmen. Schlussendlich ereignete sich das, was die wechselnden französischen Regierungen seit Jahren zu verhindern suchten: Am 23. Oktober 1954 wird die Westeuropäische Union (WEU) gegründet, Deutschland tritt am 5. Mai 1955 der NATO bei.

  • [1] Zur öffentlichen Meinung in Frankreich gibt es widerstreitende Interpretationen (vgl. Loth 1995: 196, Rioux 1985: 168ff.). Informationsbroschüren des französischen Militärs, die über Sinn und Zweck der EVG aufklären sollten, wurden Mitte 1953 eingestellt. Eine Kampagne gegen die EVG folgte (Guillen 1985: 150f.).
  • [2] Conférence de presse de Charles de Gaulle, 25 février 1953, Paris; verfügbar unter: cvce.eu/ viewer/-/content/1ee91d65-1e0a-4d96-ba01-5a265d3c1a22/9bf9edb1-a616-4d81-b935-9917445789e0/fr (letzter Zugriff: 25.4.2013).
  • [3] Ein vergleichbares Signal gab auch die britische Regierung ab, indem sie ihre Kooperation und militärische Unterstützung zusicherte. Dort heißt es: „In the Tripartite Declaration of the same date [27.5.1952], Her Majesty's Government declared, together with the United States Government, that if any action from whatever quarter threatens the integrity or unity of the European Defence Community, the two Governments will regard this as a threat to their own security and will act in accordance with the Article 4 of the North Atlantic Treaty“ (vgl. Declaration by the British government on the European Defence Community, 14 April 1954; verfügbar unter: cvce.eu/content/publication/2004/8/31/38f12f44-2d34-40c2-b6b9-42af40198c39/publishable_en. pdf, letzter Zugriff: 25.4.2013).
  • [4] Statement by Dwight D. Eisenhower on the EDC, 16 April 1954; verfügbar unter: cvce.eu/viewer /-/content/89f86450-83dc-4b97-969b-244a576acf07/01c38068-da2e-4abb-a04e-aab59ffa6290/en (letzter Zugriff: 25.4.2013). Eisenhower Versicherung der US-amerikanischen Unterstützung der EVG folgt sogar ein Entwurf über eine gegenseitige Verteidigungsbereitschaft (vgl. Draft mutual defense assistance agreement between the United States of America and the European Defense Community, May 1954; verfügbar unter: cvce.eu/content/publication/2004/9/2/89ffafbf-cf98-45a6-b12c-585d66a46741/publishable_en.pdf, letzter Zugriff: 25.4.2013)
  • [5] Allocution radiodiffusée de Pierre Mendès France, 28 août 1954; verfügbar unter: cvce.eu/viewer

    /-/content/8de51e46-909f-44d6-83c7-9e109b7ca2ff/fr (letzter Zugriff: 25.4.2013).

  • [6] Projet de loi tendant à autoriser la ratification du Traité instituant la Communauté européenne de défense, 29 janvier 1953; verfügbar unter: cvce.eu/content/publication/1999/1/1/4f5337ec-8bf3-4f27-b157-9d 3216889433/publishable_fr.pdf (letzter Zugriff: 25.4.2013).
 
< Zurück   INHALT   Weiter >