Nazis raus! Nazis rein? Vom Umgang mit Aussteigern

Patrick Gensing

Ihr Lebensgefährte Michael Fischer habe "persönlich mit dieser ganzen Sache gebrochen und sich verabschiedet". Er habe sich "von der rechtsradikalen Szene losgesagt". Das behauptete die deutsche Ruderin Nadja Drygalla im August 2012. [1] Zuvor hatten Medien thematisiert, dass Drygallas Freund die Sportlerin zu den Olympischen Spielen nach London begleitet hatte. Es folgte eine größere öffentliche Debatte über Aussteiger und den Umgang mit den mutmaßlichen Ex-Neonazis.

Der Name Michael Fischer ist Beobachtern der Neonazi-Szene in MecklenburgVorpommern seit Jahren ein Begriff: Er kandidierte für die NPD, war bei den Nationalen Sozialisten Rostock aktiv und schrieb für eine einflussreiche Internet-Seite der Szene – und zwar noch am 16. Juni 2012 – also kurz vor den Olympischen Spielen 2012, als er laut Drygalla angeblich schon ausgestiegen war. Auf dem Portal, von dem NPD-Abgeordneten David Petereit verantwortet, wurde Fischer zudem noch im August 2012 als "Rostocker Nationalist" bezeichnet – von einem Bruch mit der Szene war bis zu dem erwähnten Drygalla-Interview nichts zu lesen oder hören. Es stellt sich die Frage, ob Fischer noch als Redaktionsmitglied der Neonazi-Seite geführt worden wäre, hätte er sich tatsächlich aus der Szene verabschiedet. Auch sonst deutete rein gar nichts auf einen Ausstieg hin: Der Landesverband der NPD bezeichnete Drygallas Lebensgefährten noch im Jahr 2012 als "nationalen Aktivisten", auf der Seite der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" wurde er als "Mitglied" geführt. In Szene-Foren sahen die Kommentatoren Fischer offenbar bis dahin als einen der Ihren, Hinweise auf einen bevorstehenden oder gar vollzogenen Abschied Fischers gab es keine.

Damit nicht genug: So war Fischer nach Angaben von Augenzeugen noch im Februar 2012 an einer Aktion von Neonazis gegen eine Gedenkveranstaltung für das NSU-Opfer Mehmet Turgut beteiligt. Ein Verfahren gegen ihn wurde später eingestellt. Zudem wurde er von Beobachtern im Mai 2012 noch bei Neonazi-Veranstaltungen gesehen. Fischer war im August 2012 auch noch Inhaber der Internet-Domain NSRostock.de, die lange Zeit als Homepage der Kameradschaft "Nationale Sozialisten Rostock" genutzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die Seite der Kameradschaft über eine Adresse mit der Endung ".org" zu erreichen, was einen anonymen Betrieb ermöglicht. Doch eine Recherche im Netz zeigte: Fischers Seite NSRostock.de, die neue Seite der Rostocker Kameradschaft sowie eine NPD-Seite waren alle unter derselben IP-Adresse zu finden.

Fraglich auch, warum Drygalla erst nach mehreren Tagen, in denen über ihren Freund berichtet worden war, behauptete, Fischer habe gar nichts mehr mit der Neonazi-Szene zu tun. Die Ruderin betonte nun, sie habe ihrem Freund just vor den Olympischen Spielen noch einmal klar gemacht, dass "es so nicht weiter laufen" könne. Im Jahr 2011 war sie für ihn noch freiwillig aus dem Polizeidienst ausgetreten. Es habe damals Gespräche mit ihren Vorgesetzten gegeben, "in denen auch die Beziehung thematisiert und an meiner Loyalität gegenüber dem Polizeidienst gezweifelt wurde", sagte Drygalla. Im Zweifel also für den Neonazi.

Die Vermutung liegt nahe, dass der Hinweis auf einen Ausstieg Fischers eine Schutzbehauptung Drygallas war, um die Kritik an ihrer engen persönlichen Verbindung zu einem Neonazi aus dem militanten Kameradschaftsspektrum abzuschwächen. Trotz all der Widersprüche, die oben aufgeführt wurden: Ihr Trumpf "Aussteiger" stach. Die Öffentlichkeit debattierte danach über angebliche "Sippenhaft" und eine vermeintliche "Hexenjagd". Nicht nur Drygalla, sondern auch der langjährige Neonazi-Kader Fischer mutierte nun zum Opfer, als beispielsweise die "Nordwestzeitung" kommentierte:

"Viele Menschen streben den Weg aus dem braunen Sumpf zurück in unsere Gesellschaft an. Für sie gibt es spezielle Aussteiger-Programme. Der Fall Drygalla macht es für sie nicht leichter. Er entmutigt und schürt neue Ängste." [2]

Der Fall zeigt beispielhaft, dass ein öffentliches Bekenntnis, man habe formal mit der NPD oder der Neonazi-Szene gebrochen, zumeist vollkommen ausreicht, um als Aussteiger anerkannt zu werden – selbst wenn diese Behauptung unglaubwürdig wirkt, wie im Fall Fischer.

Vor diesem Hintergrund stellen sich mehrere Fragen: Was ist überhaupt ein Ausstieg? Wann ist ein solcher Schritt glaubwürdig? Welche Motive treiben die Ausstiegswilligen? Welche Hürden gibt es? Wie lange dauert so ein Prozess? Und können Neonazis das ohne professionelle Hilfe schaffen? Wie kann man mit Aussteigern umgehen? Viele Fragen, auf die es im Fall Fischer kaum plausible Antworten gibt. Fischer ist nicht ausgestiegen, sondern er hat sich zurückgezogen aus der vordersten Front. Von seinen Kameraden hat er sich nicht distanziert.

Auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Ideologie suchte man bei Fischer vergebens. "Früher, da hat man sich eigentlich als Nazi betitelt", erzählte er der dpa (Interview vom 6. August 2012) – mit "man" dürfte er selbst gemeint sein.

Und nochmal:

"Man war schon Nazi, aber ich bin nirgendwo rumgerannt und habe meinen rechten Arm hochgerissen. Das was früher war, war mir kein Vorbild. Mein stärkstes Interesse war das Soziale, natürlich auf nationaler Ebene. Aber ich würde mich nicht als Nationalsozialist bezeichnen."

Ein reflektiertes Hinterfragen sowie ein Bruch mit der extrem rechten Ideologie dürfte man hier nur mit ganz viel gutem Willen erkennen können. Eine Auseinandersetzung mit den Werten und Normen der Neonazi-Szene taucht gar nicht auf.

In den 1960er und 1970er Jahren war der Begriff Aussteiger in der Öffentlichkeit übrigens noch ganz anders besetzt, gemeint waren ganz "normale" Menschen, die mit gesellschaftlichen Regeln brachen, um sich von Zwängen wie Lohnarbeit und alltäglichen Verpflichtungen zu befreien. Auch im Mainstream kam dieser Wunsch an, so sang Udo Jürgens 1980 in seinem Lied "Paris, einfach mal so zum Spaß" folgende Verse:

"Willst du gern einmal nach Paris, einfach so, nur zum Spaß? Ißt du gern mit den Fingern, schläfst du gern mal im Gras? Dieses Leben nach Plan ist mies, willst du endlich mal raus? Dann schreib' mir unter Kennwort. Steig' mit mir aus!‹"

Auch wenn es hier um eine andere Art des Ausstiegs handelte, werden bereits einige Punkte genannt, die auch bei Neonazi-Aussteigern wichtig sind: Zunächst distanziert man sich innerlich von seinem bisherigen Leben, von den Normen, Regeln sowie Werten – und danach erst folgt auch äußerlich der Abschied oder sogar Ausbruch. Dies gilt eben auch für Neonazis, die aussteigen (wollen). Wobei sie eigentlich in den meisten Fällen wieder einsteigen – sie brechen mit den Normen und Werten der Szene und streben (wieder) gesellschaftliche Anerkennung oder wirtschaftliche Sicherheit an.

  • [1] tagesspiegel.de/sport/olympia-ruderin-drygalla-distanziert-sich-von-rechter-sze- ne/6964236.html (eingesehen am 4. 2. 2014).
  • [2] nwzonline.de/politik/der-fall-nadja-drygalla-brauner-peter_a_1,0,1560923600.html (eingesehen am 4. 2. 2014).
 
< Zurück   INHALT   Weiter >