Sich regelmäßig treffen und gemeinsam(e) Texte ausarbeiten
Dieser Kommunikationsund Entscheidungsprozess wird durch regelmäßige Treffen der EUMitglieder im Rahmen des Europäischen Rats und Rats strukturiert, die ein hohes Maß an Formalität aufweisen (Routine). Treffen der Staatsund Regierungschefs enden mit einer Schlusserklärung, die Präsidentschaft bereitet Diskussionspapiere und Textbausteine vor, ein Gruppenfoto hält die Zusammenkunft fest, die Medien berichten ausführlich über die Themen und Beschlüsse.
Solche regelmäßigen Treffen fördern den kontinuierlichen Kommunkationsund schließlich Entscheidungsprozess in Fragen intergouvernementaler Zusammenarbeit und versetzen den Europäischen Rat in die Rolle der Exekutive und Legislative zugleich. Zwar müssen diese Beschlüsse weiterhin in nationales Recht durch die entsprechenden Verfahren und in die EU-Verträge überführt werden, das politische agenda-setting findet aber auf den gemeinsamen Gipfeln statt.
Auch die Vorbereitung der Treffen ist durch die Präsidentschaft formalisiert. Für die Aufnahme der bilateralen Forderung nach autonomen Fähigkeiten der EU war sicherlich die deutsche Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 hilfreich, da die Bundesregierung solch ein Projekt unterstützte. Mit diversen Papieren – z.B. „Food for Thought Paper“ – strukturierte die Präsidentschaft die gemeinsamen Treffen und lenkte den Fokus auf die zivilen Aspekte der ESVP. Hier stößt eine Rekonstruktion von Praktiken jedoch an Grenzen: Wie diese Texte erarbeitet werden, wer wann Kommentare und Änderungen einfügt, bleibt ohne den Blick hinter die Kulissen im Verborgenen. Interviews mit Beteiligten wären hier erforderlich. Es lässt sich nur spekulieren und fragen, inwiefern das Verfassen gemeinsamer Texte ähnlichen Praktiken folgt, wie man sie in Außenministerien beobachten kann. Neumann hat auf den hohen Routinecharakter von außenpolitischen Reden hingewiesen, deren primäre Aufgabe zu sein scheint,Texte zu verfassen, ‚hinter denen das ganze Ministerium steht' („a speech that the entire ministry may stand behind“, Neumann 2012: 81-87). Diese Suche nach gemeinsamen Formulierungen scheint auch für die Erarbeitung von Schlussfolgerungen und Communiqués entscheidend zu sein, die eine gemeinsame Position der EU-Mitglieder symbolisch festschreiben (Verschriftlichung).
Beschließen, berichten und wiederholen
Der Routinecharakter EUropäischer Politik zeigt sich in der wiederkehrenden Abfolge von Beschlüssen und Berichten, die zentrale Textbausteine wiederholen. Die Wiederholung dient dabei der Selbstvergewisserung und symbolischen Festschreibung, sie bewahrt und konserviert den Konsens/Kompromiss der Beteiligten. Die Beschlüsse zur ESVP sind intergouvernementale Übereinkünfte, zwar ohne Rechtsverbindlichkeit, dafür aber mit einer großen politischen Bindungskraft (politische Verbindlichkeit). Formulierungen zu wiederholen, erscheint demnach eine wichtige Praktik, um einmal getroffene Entscheidungen festzuschreiben und ihnen Geltung zu verschaffen. Solche Sprachregelungen vollziehen symbolische Ordnungen, die der ESVP Sinn zuschreiben.
Die Berichte stellen auch ein Kontrollinstrument dar, mit dem Fortschritt dokumentiert und Stillstand kritisiert werden kann (Evaluierung). Die Formalisierung des Berichterstattens durch die Präsidentschaft hält den Kommunikationsprozess am Laufen und verschafft gegenüber der Öffentlichkeit Transzparenz und womöglich (Output-) Legitimität. Der erste Bericht der deutschen Präsidentschaft über die Fortschritte der ESVP erschien im Juni 1999 zum Gipfel in Köln, es folgen jähliche Berichte bis 2009.