Zum Verhältnis von Haus-, Familienund Erwerbsarbeit
Damit Belastungsfaktoren und Bewältigungsmöglichkeiten von Frauen und Männern differenziert bewertet werden können, sind in der gesundheitsbezogenen Analyse ebenso Rahmenbedingungen außerhalb der Erwerbsarbeit zu fokussieren. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, durch welche Merkmale diese gekennzeichnet sind. Eine Antwort darauf findet Resch (1991) in ihren Arbeiten, indem sie – in Anlehnung an die Überlegungen von Marx (MEW, 1972) zur kapitalistischen Warenproduktion – grundlegend das Verhältnis von Produktionsprozess und privat geleisteter Reproduktionsarbeit in heutigen Industriegesellschaften thematisiert. Demzufolge wird Reproduktionsarbeit als Form der menschlichen Arbeit verstanden, die der Herstellung und dem Erhalt der Arbeitskraft dient (ebd.). Die Bundeszentrale für politische Bildung (2010) nennt weitere Aspekte, die unter Reproduktionsarbeiten zu verstehen sind: So werden darunter sowohl die Hausarbeitsverhältnisse als auch ehrenamtliche Tätigkeiten in sozialen, politischen oder kulturellen Bereichen subsumiert (ebd.). Aus der Definition der Bundeszentrale für politische Bildung geht bereits hervor, dass Reproduktionsarbeit nicht nur Freizeitaktivitäten einschließt. Vielmehr verweist Resch (1991) darauf, dass auch neben der Erwerbsarbeit gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten verrichtet werden müssen, wie etwa Erziehungsund Familienpflegearbeiten sowie ehrenamtliche Arbeiten. Für die Forschungsfrage nach den Geschlechtsunterschieden in der Entstehung und Bewältigung von arbeitsbedingtem Stress bedeutet dies, dass sich der Analyserahmen nicht auf Bedingungen der Erwerbsarbeit reduzieren darf. Vielmehr sind ebenfalls Aspekte zum Verhältnis von Hausund Familienarbeiten in die Problemund Ressourcenanalyse einzubeziehen.
Vorliegende Befunde zeigen, dass sich die hier näher definierte Reproduktionsarbeit durch eine geschlechtliche Arbeitsteilung kennzeichnet. Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (2014) zufolge sind Frauen und Männer nach wie vor in unterschiedlichem Maße in Erwerbsund Familienarbeiten eingebunden. Offensichtlich wirken sich die Lebensumstände weiterhin auf die Möglichkeiten aus, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Um dies zu verdeutlichen, dokumentiert Abbildung 5 die Erwerbstätigenquoten von Müttern und Vätern nach Alter des jüngsten Kindes in Deutschland.
Wie das Diagramm zeigt, schränken Mütter ihre Erwerbstätigkeit in Abhängigkeit des Alters ihrer Kinder erheblich ein, während Väter auf hohem Niveau ihre Erwerbstätigkeit beibehalten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2014) war nur ein Drittel der Mütter mit jüngstem Kind im Krippenalter von unter drei Jahren berufstätig (32%). Erreichte das jüngste Kind das Alter von drei bis fünf Jahren, ging über die Hälfte der Mütter (62%) einer Erwerbstätigkeit nach. Die höchste Erwerbstätigenquote erreichten Mütter mit 10bis 14-jährigen Kindern (72%). Im Vergleich dazu ist ein Blick auf die Quote von Frauen und Männern ohne Kind interessant. Hier dokumentiert das BMFSFJ (2012), dass kinderlose Frauen im Jahr 2010 zu 78% einer beruflichen Tätigkeit nachgingen, während Männer zu 88% in einem Beruf arbeiteten. Der Einbezug von Daten erwerbstätiger Frauen und Männer ohne Kinder zeigt, dass auch trotz Kinderlosigkeit Männer häufiger als Frauen berufstätig sind, wobei sich der Abstand zumindest bei der Betreuung jüngerer Kinder deutlich vergrößert.
Abbildung 5: Erwerbstätigenquoten von Müttern und Vätern nach Alter des jüngsten Kindes in Deutschland im Jahr 2011 (in Prozent). (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2014)
Ferner bilden sich regionalspezifische Unterschiede zwischen Ostund Westdeutschland ab. So ist die Erwerbsbeteiligung der Mütter im Osten höher als im Westen Deutschlands. Besonders deutliche Unterschiede ergeben sich dabei für Mütter mit kleineren Kindern. Der größte Abstand der Erwerbstätigenquoten zeigt sich bei den Müttern mit Kindern im Kindergartenalter (West: 59%; Ost: 67%) sowie bei Müttern mit Kindern im Krippenalter (West: 30%; Ost: 37%) (Statistisches Bundesamt, 2014).
Der berufliche (Wieder-)Einstieg ist für Frauen schließlich mit erheblichen Nachteilen verbunden. Die Frage nach den Gründen für die geringere Erwerbsorientierung von Frauen zeigt jedoch ebenfalls, dass Mütter nicht zwangsläufig eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf anstreben. Wie Daten des Statistischen Bundesamtes (2013d) belegen, gaben im Jahr 2011 70% der befragten Mütter mit Kindern unter 15 Jahren an, dass der Mangel an Betreuungsplätzen keinen Einfluss auf die Nichtarbeitssuche hatte. Gleichwohl dokumentiert der Bericht „Ausgeübte Erwerbstätigkeit von Müttern“ des BMFSFJ aus dem Jahr 2012, dass der Anteil erwerbstätiger Frauen mit minderjährigen Kindern zwischen 2006 und 2010 von 61% um knapp vier Prozentpunkte auf 65% angestiegen ist. Befunde des Mikrozensus 2012 zeigen indes, welches Arbeitsmodell Mütter gegenüber Vätern als Möglichkeit in Betracht ziehen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Demnach hängt nicht nur der Beteiligungsgrad vom Alter der Kinder ab, sondern auch der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit. Im Jahr 2011 waren ca. 69% der Mütter auf Teilzeitbasis tätig (Statistisches Bundesamt, 2014), Väter gingen hingegen nur zu knapp 6% einer Teilzeitbeschäftigung nach. Abbildung 6 zeigt schließlich, dass die Ausübung einer Teilzeittätigkeit bei Frauen erst mit fortschreitendem Alter des jüngsten Kindes abnimmt.
Abbildung 6: Vollzeitund Teilzeitquoten von Müttern nach dem Alter des jüngsten Kindes in Deutschland im Jahr 2011 (in Prozent) (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2012b).
Während noch 69% aller aktiv erwerbstätigen Frauen im Jahr 2010, deren jüngstes Kind unter drei Jahren alt war, einer Teilzeittätigkeit nachgingen, betrug die Teilzeitquote der Mütter mit einem Kind der Altersspanne von 3 bis 5 Jahren ca. 73%. Eine deutliche Verringerung der Teilzeiterwerbsquote erfolgte erst mit dem Alter 15 bis 17 Jahren des jüngsten Kindes (63%) (ebd.). Demgegenüber veränderte sich die Erwerbsbeteiligung von Vätern nur geringfügig. Je nach Alter des jüngsten Kindes lag die Teilzeitquote der Väter im Jahr 2010 zwischen 4% und ca. 7% (ebd.).
Vor dem Hintergrund der hier zusammengefassten Befunde zum Verhältnis von Haus-, Familienund Erwerbsarbeit erscheint es für die Darlegung von gesundheitsbezogenen Geschlechtsunterschieden zentral, die jeweiligen Lebensformen zu berücksichtigen. Dadurch ist es möglich, die für die befragten Frauen und Männer relevanten Belastungsfaktoren und Bewältigungsvoraussetzungen außerhalb des beruflichen Kontextes in den Blick zu nehmen.
Darüber hinaus ist zum Verhältnis von Haus-, Familienund Erwerbsarbeit kritisch anzumerken, dass die wissenschaftlichen und praktischen Auseinandersetzungen um eine Optimierung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oftmals einseitig im Interesse der Frau geführt werden. Janczyk (2008) stellt diesbezüglich fest, dass dadurch wesentliche Faktoren in der Debatte ausgeklammert werden. Aus ihrer Sicht liegt die Gefahr, die Frage der Koordination verschiedener Lebensbereiche als reines Frauenproblem zu deklarieren, darin, „die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung quasi als gegeben vorauszusetzen und damit zugleich das […] geschlechterhierarchische Fundament im Zusammenhang von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit nicht in Frage zu stellen“ (ebd., S. 73). Daran anlehnend weist Mogge-Grotjahn (2012) darauf hin, dass die Politik – trotz der Anreize durch entsprechende Freistellungsregelungen für Männer – in erster Linie auf die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt bei Beibehaltung ihrer Betreuungsaufgaben zielt und nicht um eine gleichberechtigte Aufteilung von familialer und erwerbsförmiger Arbeit zwischen den Geschlechtern bemüht ist.
Gleichwohl verweisen die politischen und wissenschaftlichen Diskurse um die höhere Inanspruchnahme der so genannten Vätermonate [1] auf einen Wandel der Vaterrolle. Diesbezüglich geht die „Wertewandelhypothese“ (Peuckert, 2012, S. 520) davon aus, dass die Zunahme der Beteiligung von Vätern auf eine Veränderung der klassischen Rollenverteilung von Familie und Beruf zurückgeht. Daten des Statistischen Bundesamtes (2014) belegen einen steigenden Anteil der Väter, die Elternzeit in Anspruch nehmen. So hat sich die Beteiligung von 23% im Jahr 2009 auf 29% im Jahr 2013 erhöht.[2] Auffallend ist hier allerdings die Dauer der Inanspruchnahme. 78% der Väter nehmen Elternzeit für maximal zwei Monate und nur knapp 6% für zwölf Monate in Anspruch (ebd.). Als Begründung führt Träger (2009) die durch die Elternzeit entstehenden Einkommensverluste an, die aufgrund der oftmals vorhandenen Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern bei letzteren höher ausfallen. Darüber hinaus bestünden oftmals Vorbehalte aufgrund von karrierebedingten Nachteilen (ebd.). Ebenso werden betriebskulturelle Einflüsse konstatiert – wie beispielsweise die mangelnde Akzeptanz der ArbeitgeberInnen oder des Kollegiums –, sodass das klassische Modell der Arbeitsteilung von Familie und Erwerbsarbeit vorausgesetzt wird (Simak, 2013). Dass offensichtlich eine Diskrepanz zwischen dem eigenen Väterbild und dem realen Familienalltag besteht, zeigen die Befunde der ELTERN Studie „Väter in Deutschland“. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Väter zwar eine intensivere Beteiligung an den Erziehungsaufgaben wünschen. So geben 71% der Befragten an, sich von Anfang an um die Babypflege kümmern zu wollen. Gleichwohl geben die in der Studie einbezogenen Männer zu 64% an, ein Arbeitszeitmodell in Vollzeit zu bevorzugen (Forsa, 2013).
Dass ökonomische und karrierebezogene Argumentationen, und damit eine Verfestigung der männlichen Rolle als Ernährer der Familie, in der Erklärung einer Übernahme von Hausund Familienarbeit relevant erscheinen, spiegelt sich bereits in der Familiengründung wider. Dies zeigen Befunde von Helfferich et al. (2006) zur Familienplanung aus der Perspektive von Männern. So kommen die AutorInnen in einem regionalen Vergleich unterschiedlicher Sozialstrukturen zu dem Schluss, dass eine negative wirtschaftliche Situation „eine spezifische Wirkung auf die Familiengründung vor dem Hintergrund der Betonung der Ernährerrolle des Mannes [hat]“ (ebd., S. 19). In strukturschwachen Regionen erschwert eine hohe Arbeitslosigkeit die ökonomische Voraussetzung, eine Familie zu gründen. Hingegen weisen Befunde aus strukturstarken Regionen eher auf einen individualisierten Lebensstil, der zu einem Aufschub der ersten Vaterschaft führt (ebd.).