Das Zeitbudget von Frauen und Männern
Das BMFSFJ führt mit Hilfe des Statistischen Bundesamtes seit den 1990er Jahren Zeitbudgetanalysen in der deutschen Bevölkerung durch. Mit den repräsentativen Datensätzen aus den Jahren 1991/1992 und 2001/2002 stehen Befunde über Zeitverwendungsmuster von Frauen und Männern zur Verfügung, aus denen sich Informationen über den zeitlichen und inhaltlichen Aufwand von bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten ergeben (BMFSFJ & Statistisches Bundesamt, 2003).[1] Bereits im Rahmen des ersten Gleichstellungsberichts 2011 wurde – zum Teil mit Blick auf die thematisierten Erziehungsund Pflegearbeiten – die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland abgebildet (BMFSFJ, 2011). Dabei gehen die AutorInnen des Berichts von der theoretischen Grundannahme aus, „dass sich in der Verwendung der Ressource Zeit – je nach der sozialen Bedeutung der ausgeführten Tätigkeit – die Effekte von individuellen bzw. gruppenspezifischen Präferenzentscheidungen ebenso wie von strukturellen gesellschaftlichen Zwängen widerspiegeln“ (ebd., S. 173). Vor dem Hintergrund der obigen Datenlage zur gegenwärtigen Bedeutung traditioneller Rollenverteilungen leuchtet diese Annahme und damit die Relevanz für die Forschungsfrage ein: Frauen und Männer entscheiden sich auf Grundlage von eigenen Präferenzen zu einer zeitlichen und inhaltlichen Gestaltung ihrer Tätigkeitsbereiche. Diese sind jedoch ebenfalls durch Rollenerwartungen sowie durch die jeweiligen Konsequenzen geprägt, die aus den Lebensund Arbeitswirklichkeiten von Frauen
und Männern resultieren (Kapitel 3.1.1 bis 3.1.5). Die Zeitbudgetstudien geben daher Hinweise auf mögliche Belastungserfahrungen durch Tätigkeiten im Rahmen unentgeltlicher Arbeit. Ebenso ermöglichen die Ergebnisse Rückschlüsse auf Ressourcen, die ggf. für die Umgangsweise mit arbeitsbedingtem Stress relevant sind. Nachfolgend werden daher in einem Überblick die zentralen Befunde der Zeitbudgetstudie dokumentiert und zum Ende des Kapitels in Bezug zur Forschungsfrage diskutiert (Kapitel 3.5).
Auf Basis der Auswertungsergebnisse zur Zeitbudgetstudie stellen das BMFSFJ und das Statistische Bundesamt (2003) insgesamt fest, dass die in der deutschen Bevölkerung erbrachte unbezahlte Arbeitszeit gegenüber der bezahlten überwiegt: Während bei den befragten Personen (älter als zehn Jahre) die durchschnittlich erbrachte bezahlte Arbeit wöchentlich ca. 17 Stunden betrug, umfasste die unbezahlte Arbeit etwa 25 Stunden. Auffällig sind hier die unterschiedlichen Befunde zwischen Frauen und Männern. So geht aus den Studienergebnissen hervor, dass die Befragten in der Gruppe der Frauen durchschnittlich mit ca. 31 Stunden deutlich mehr unentgeltliche Arbeit leisten als die befragten Männer mit 19,5 Stunden (ebd.). Nimmt man die gesamte Zeitbindung zusammen, ist der erbrachte Zeitaufwand für bezahlte und unbezahlte Arbeit bei Frauen um eine Stunde höher als in der Gruppe der Männer (43 vs. 42 Stunden pro Woche) (ebd.). Vor dem Hintergrund des in der Studie eingeschlossenen jungen Alters der befragten Personen (ab zehn Jahre) ist allerdings davon auszugehen, dass sich ein Teil der Datenbasis auf ProbandInnen im nicht erwerbsfähigen Alter[2] stützt. Dadurch erklärt die weite Altersspanne das Verhältnis der im Vergleich zur hohen Vollzeiterwerbstätigkeit bei Männern niedrigen Stundenzahl der insgesamt erbrachten bezahlten Arbeit (17 Stunden). Insofern ist es fraglich, ob die vorliegende Datenlage eine geeignete Grundlage für die Beschreibung der Dynamik von beruflichen und außerberuflichen Interdependenzen darstellt.
Gleichwohl ermöglichen die Ergebnisse, den Blick näher auf die Relevanz von Geschlechtsunterschieden in der unentgeltlichen Arbeitsteilung zu richten. Allgemeine Hausund Gartenarbeiten nehmen in der Gruppe der weiblichen Befragten mit 63% deutlich mehr Zeit ein als bei den Männern (46%). Dazu zählen das BMFSFJ und das Statistische Bundesamt etwa das Kochen und Spülen, das bei Frauen 24% und bei Männern 14% der Hausund Gartenarbeiten einnimmt (BMFSFJ & Statistisches Bundesamt, 2003). Hingegen überwiegt bei der Haushaltsorganisation und dem Einkaufen die Zeitverwendung der Männer mit 26% gegenüber der Gruppe der weiblichen Befragten mit 20%. Während Männer von der insgesamt unbezahlten Arbeit 7% für die Betreuung und Pflege von Kindern und Erwachsenen aufwenden, nehmen diese Aufgaben bei Frauen 10% der unentgeltlichen Arbeit ein (ebd.). Vor dem Hintergrund der einleitend erfolgten Ausdifferenzierung von Reproduktionsarbeiten sind darüber hinaus die Befunde zur Ausübung von ehrenamtlichen Tätigkeiten interessant. Diese nehmen bei den Frauen lediglich einen Anteil von 6% an der unbezahlten Arbeit ein. Demgegenüber beträgt dieser Bereich bei dem männlichen Teil der Bevölkerung 12%.
Neben der zeitlichen Verteilung von Haus-, Familienund Erwerbsarbeit bildet die Zeitbudgetstudie ebenfalls Freizeitaktivitäten von Frauen und Männern ab. Diese Informationen könnten in der Analyse der außerberuflichen Bewältigungsressourcen bei CC-MitarbeiterInnen von Bedeutung sein. Mit insgesamt 6
¼ Stunden wenden Männer täglich eine halbe Stunde mehr Zeit für Mediennutzung, Hobbys, Spiele, Sport, Kontakte und Unterhaltung auf als Frauen. Während hierbei die Mediennutzung in Form des Fernsehens einen Anteil von 67% einnimmt, verbringen Männer nur einen eher geringeren Anteil mit Lesen, Musik hören und Computernutzung (BMFSFJ & Statistisches Bundesamt, 2003). Demgegenüber nehmen bei den weiblichen Befragten die sozialen Kontakte – in Form von Gesprächen und Telefonaten – mit einer guten Stunde täglich mehr Raum ein als bei der männlichen Gruppe der Befragten.
Darüber hinaus lässt die Datenbasis ebenfalls nähere Aussagen über die Zeitverwendung von ehrenamtlichen Tätigkeiten bei Frauen und Männern zu. Laut BMFSFJ und Statistischem Bundesamt (2003) finden etwa zwei Fünftel der Bevölkerung neben Erwerbsarbeit und familiären Aufgaben Zeit für bürgerschaftliches Engagement. Ein genauerer Blick auf die Datenlage zeigt, dass das zeitliche Budget für derartige Tätigkeiten jedoch zum Teil vom „familiären Rahmen und der Einbindung in das Erwerbsleben bestimmt [ist]“ (ebd., S. 21). Hier zeigt sich, dass das Engagement bei Alleinlebenden am stärksten ausgeprägt ist. Allerdings führt das BMFSFJ weiter aus, dass dieser Haushaltstyp durch einen hohen Anteil von Personen im Rentenalter gekennzeichnet ist (BMFSFJ & Statistisches Bundesamt, 2003). Dieser Gruppe stände daher mehr Zeit für ein Ehrenamt zur Verfügung, sobald andere familiäre und berufliche Verpflichtungen entfielen. Interessant ist darüber hinaus, dass trotz der angenommenen höheren Anforderungen bei alleinerziehenden Frauen diese sich mit drei Stunden wöchentlich eine gute Viertelstunde länger engagieren als Frauen in Familien, in denen der Partner erwerbstätig ist (ebd.). Das BMFSFJ kommt auf Grundlage des Gleichstellungsberichts 2011 zu dem Ergebnis, dass Frauen besonders in den Bereichen engagiert sind, „die eine Nähe zum Sozialen bzw. zur Familie aufweisen“ (BMFSFJ, 2011, S. 185). So richteten sie ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten familienbezogen aus, indem oftmals das Engagement mit den eigenen Kindern verbunden sei. Dem Bundesministerium zufolge sind diese Tätigkeiten bei Frauen überwiegend auf die Familienphase reduziert (ebd.). Männer hingegen seien stärker als Frauen in „zivilgesellschaftlichen Führungspositionen“ (BMFSFJ, 2011, S. 186) vertreten, sodass hier die „persistenten Rollenmuster im Engagement“ (ebd.) deutlich werden.
Die Befunde zu den Arbeitsund Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern zeigen insgesamt, dass die den Alltag bestimmenden Lebensbereiche wie Erwerbsarbeit, Erziehungs-, Pflegeund Hausarbeit sowie Freizeit und ehrenamtliches Engagement teils durch erhebliche Geschlechtsunterschiede geprägt sind. Zwar geht aus der Übersicht hervor, dass sich eine leichte Tendenz zur Veränderung der Rollen innerhalb der Familie andeutet. Gleichwohl bilden die Erwerbstätigenquoten sowie die kurze Inanspruchnahme der Vätermonate insgesamt eine weiterhin traditionelle Rollenverteilung innerhalb der Familie ab. Hier ist im empirischen Teil der Studie die Frage von Bedeutung, wie die Reproduktionsarbeit von der CC-Tätigkeit bestimmt wird und welche Rolle in diesem Zusammenhang Geschlechtsunterschiede in der Umgangsweise mit arbeitsbedingtem Stress einnehmen. Zudem stellt sich für die theoretische und empirische Bearbeitung des Gegenstands arbeitsbedingter Stress die Frage, ob die bisherigen Modelle Stressoren und Ressourcen einbeziehen, die sich aus den hier dargestellten Rahmenbedingungen ergeben. Andernfalls wäre auf Basis der empirischen Analyse eine Erweiterung oder Neuorientierung der Stressund Bewältigungsmodelle erforderlich, um Bedingungen außerhalb der Erwerbsarbeit berücksichtigen zu können. Bevor eine Beurteilung der Stressund Bewältigungsmodelle in Kapitel 4 erfolgt, soll nachfolgend die gesundheitliche Situation von Frauen und Männern mit Blick auf die genannten Rahmenbedingungen dargestellt werden.
- [1] Da die Ergebnisse zur Zeitbudgetstudie 2012/2013 zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Studie noch nicht vorlagen, können hier lediglich die Ergebnisse von 2001/2002 rezipiert werden. Erste Befunde der aktuellen Umfrage werden 2015 erwartet.
- [2] Das Statistische Bundesamt fasst unter Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter Personen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren (GBE, 2014).