Gesundheit von Frauen und Männern im arbeitsweltlichen Kontext

Eine Beschreibung der allgemeinen gesundheitlichen Lage von Frauen und Männern im arbeitsweltlichen Kontext bieten u. a. die Daten zum Arbeitsunfähigkeitsgeschehen (AU-Geschehen) (vgl. Tab. 5). Zwar unterscheiden sich weibliche und männliche Erwerbstätige nicht erheblich im Krankenstand. Erhebungen des Wissenschaftlichen Institutes der AOK (WidO) aus dem Jahr 2011 verweisen jedoch auf Geschlechtsunterschiede in den Gründen für eine Krankschreibung. Den Befunden zufolge fehlen Männer im Vergleich zu Frauen prozentual häufiger aufgrund von Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems. Dieser Befund kann auf die häufigere Ausübung körperlich belastender Tätigkeiten bei Männern zurückgeführt werden (BAuA, 2013c). Gleichwohl geht aus der Datenlage der AOK hervor, dass Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen zunehmen. Psychische Beschwerden werden eher bei Frauen als Grund für Arbeitsausfälle genannt. Da die Quote jedoch bei Männern eine stärkere Zunahme psychisch bedingter Arbeitsausfälle erkennen lässt, haben sich hier die Unterschiede verringert (WidO, 2012).

Ebenfalls lassen die Daten der Fehlzeiten aufgrund von Krankheiten des Kreislaufsystems Geschlechtsunterschiede zu Ungunsten der männlichen Bezugsgruppe erkennen. Hier deutet sich bereits die vorzeitige Sterblichkeit aufgrund von Krankheiten des Kreislaufsystems vor dem 70. Lebensjahr an (Statistisches Bundesamt, 2013f). Auffällig verhalten sich die Indikatoren der AU ebenfalls in Bezug auf Verletzungen, Vergiftungen und äußeren Ursachen. Laut dem WidO (2012) liegen fast doppelt so viele AU-Fälle im Vergleich zu der weiblichen Bezugsgruppe vor (11% vs. 6%). Krankheiten des Atmungssystems – zu denen u. a. Erkältungskrankheiten zählen – dokumentieren zwar häufigere AU-Fälle als bei den Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, führen aber zu erheblich weniger Fehlzeiten. Unterschiede zwischen Frauen und Männern fallen hierbei eher gering aus (ebd.).

Tabelle 5: Arbeitsunfähigkeit bei erwerbstätigen AOK-Mitgliedern im Jahr 2011 (in Prozent). (Quelle: WidO, 2012)

Ein Blick auf die Gründe für die Rentenzugänge durch verminderte Erwerbsfähigkeit im Jahr 2011 bekräftigt zudem die Relevanz psychischer Erkrankungen. Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund, 2012) zeigen, dass mit knapp 73.280 von insgesamt etwa 178.500 die größte Zahl der Frühverrentungen im Jahr 2011 auf psychische und Verhaltensstörungen zurückgeht. In der Gruppe der weiblichen Versicherten sind die Rentenzugänge wegen psychischer Störungen mit gut 40.630 höher als bei den männlichen Versicherten (32.640). Ein Blick auf die nach Geschlecht getrennten einzelnen Diagnoseuntergruppen zeigt, dass psychische Störungen durch psychotrope Substanzen bei Männern mehr als drei Mal häufiger als bei Frauen zu einer Frühverrentung führen. [1] Demgegenüber zeigen die Befunde der DRV Bund, dass affektive Störungen sowie neurotische, Belastungsund somatoforme Störungen bei Frauen doppelt so oft zu einer Frühverrentung führen als bei der männlichen Vergleichsgruppe (DRV Bund, 2012). Die Statistik deckt sich auch mit internationalen Befunden. So führen Bird und Rieker (2008) an, dass Frauen höhere Raten von Depression aufweisen. Demgegenüber fallen Männer durch einen höheren Drogenmissbrauch sowie durch eine höhere Quote von Persönlichkeitsstörungen und Suizid auf (Payne et al., 2008). Ergebnisse im Rahmen der Krankheiten des Kreislaufsystems zeigen zudem, dass fast drei Mal so viele versicherte Männer im Vergleich zu der Versichertengruppe der Frauen eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen (ca. 12.520 vs. 4.800 pro 100.000 Versicherte) (DRV Bund, 2012). Hingegen nehmen Tumoren für die Gruppe der Frauen mit knapp 11.200 Versichertenfällen eine größere Bedeutung ein. Trotz der vergleichsweise geringeren Versichertenzahl sind die Rentenzugänge wegen Verletzungen und Vergiftungen auffallend. Hier zeigt sich, dass mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen eine frühere Rente beziehen (2.270 vs. 1.070) (ebd.).

Neben den Befunden zur Arbeitsunfähigkeit und verminderten Erwerbsfähigkeit liegen ebenfalls Daten der BAuA (2013c) vor, die sich auf die Qualität der Arbeit beziehen. Daraus ergeben sich Aussagen zur Bedeutung gesundheitlicher Ressourcen im Berufsalltag. Die Grundauswertung der BIBB/BAuAErwerbstätigenbefragung 2012 ermöglicht somit einen Geschlechtervergleich in Bezug auf die Merkmale soziale Unterstützung, Handlungsspielräume und Kontrolle. Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass sowohl Frauen als auch Männer angeben, häufig Hilfe und Unterstützung von KollegInnen zu erhalten, wenn diese benötigt wird (81% vs. 77%). Schließlich geben die Daten Hinweise darauf, dass Männer weniger darunter leiden, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz keine soziale Unterstützung erhalten (BAuA, 2013c). In Bezug auf den Aspekt der Handlungsspielräume geht aus der Befragung hervor, dass Männer im Vergleich zu Frauen häufiger angeben, Einfluss auf die ihnen zugewiesene Arbeitsmenge zu haben (37% vs. 32%). Auffallend ist diesbezüglich, dass fast doppelt so viele Frauen wie Männer angeben, durch den fehlenden Einfluss auf die Arbeitsmenge belastet zu sein. Keinerlei Auffälligkeiten im Geschlechtervergleich ergeben sich aus dem Merkmal der Kontrolle. So geben Frauen wie Männer in gleichen Anteilen an, bei nicht rechtzeitigen oder unvollständigen Informationen über die an sie gestellten Anforderungen belastet zu sein (ebd.). Generell fällt anhand der Daten auf, dass Männer angeben, sich weniger durch die hier angeführten Merkmale der Arbeit belastet zu fühlen. Möglicherweise liegt eine Verzerrung der Ergebnisse durch ein spezifisches Antwortverhalten vor. [2] Darüber hinaus sind die Befunde zu den Fragen der Belastung nur eingeschränkt aussagekräftig, da diese sich nur auf eine jeweils geringe Fallzahl stützen. [3]

Insgesamt bekräftigen die für die Forschungsfrage relevanten Statistiken zu Geschlechtsunterschieden in Gesundheit und Krankheit die Notwendigkeit einer Analyse der Entstehung und Bewältigung von arbeitsbedingtem Stress bei Frauen und Männern. Von Bedeutung ist hierbei zum einen, dass offensichtlich eine Diskrepanz zwischen dem subjektiv empfundenen Gesundheitszustand und dem Morbiditätsgeschehen vorliegt. Wie die Befunde von Singh et al. (2013) zeigen, nimmt zwar die positive Einschätzung zum eigenen Gesundheitszustand mit dem Alter ab. Gleichwohl berichten Männer im Vergleich zu Frauen häufiger von einem sehr guten bis guten Befinden. Hier stellt sich für die Erklärung der Geschlechtsunterschiede in Gesundheit und Krankheit die Frage, auf welchen Begründungen diese Befunde basieren. Zum anderen erscheint es mit Blick auf die Ergebnisse zu Lebensformen und Gesundheit bedeutend, Rahmenbedingungen auch außerhalb der CC-Tätigkeit einzubeziehen, die für die Entstehung und Bewältigung von arbeitsbedingtem Stress relevant sind. Vor dem Hintergrund der Ausdifferenzierung der Lebensformen ist hierbei ebenfalls zu prüfen, welche Rolle der Alleinerziehendenstatus einnimmt.

Schließlich zeigt sich in der quantitativen Datenlage der Rentenzugänge durch verminderte Erwerbsfähigkeit, dass enorme Unterschiede auch innerhalb der Diagnosegruppe der psychischen Erkrankungen bestehen. So bilden sich differenzierte Krankheitsbilder ab, die offensichtlich auch auf eine unterschiedliche Umgangsweise mit psychischen Belastungen zurückzuführen sind. Hier haben die Selbstauskünfte im Rahmen der Erwerbstätigenbefragung gezeigt, dass sich Männer zum Teil weniger belastet fühlen, wenn Rahmenbedingungen der Arbeit – wie die soziale Unterstützung – fehlen. Aus der quantitativen Datenlage ließe sich daher schlussfolgern, dass der Aspekt der sozialen Unterstützung für Männer im Vergleich zu Frauen eine geringere Bedeutung einnimmt. Um jedoch den empirischen Stand der Forschung zur gesundheitlichen Lage von Frauen und Männern für die qualitative Analyse einordnen zu können, ist die Frage nach den Ursachen für die vorangestellten Geschlechtsunterschiede zu beantworten. Nachfolgend wird daher ein Überblick über verschiedene Ansätze zur Erklärung der für die Forschungsfrage relevanten gesundheitsbezogenen Geschlechtsunterschiede gegeben.

  • [1] Dieser Befund ist mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass Männer häufiger harte Drogen konsumieren als Frauen. Laut Daten des Bundeskriminalamtes (BKA, 2012) sind im Jahr 2011 erheblich häufiger Männer als Erstkonsumenten festgestellt worden als Frauen (17.678/3.637).
  • [2] Siehe hier die Ausführungen zur methodischen Verzerrung als Erklärung der Geschlechtsunterschiede in Kapitel 3.3.3.
  • [3] Nämlich nur auf denjenigen geringen Anteil der Frauen und Männer, die beispielsweise nie soziale Unterstützung erhalten und sich zusätzlich belastet fühlen.
 
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