Geschlechtsrollen und Gesundheitsverhalten

In der Literatur werden gesundheitliche Geschlechtsunterschiede eng mit spezifischen Gesundheitskonzepten verknüpft (Pauli & Hornberg, 2010). Aus den Befunden zur Inanspruchnahme verhaltenspräventiver Maßnahmen lässt sich etwa schließen, dass das Interesse von Männern im jungen und mittleren Lebensalter an gesundheitsbezogenen Fragestellungen deutlich geringer ist als das von Frauen. Faltermaier (2005) trifft diesbezüglich die Annahme, dass das Gesundheitshandeln bei Männern insgesamt geringer ausgeprägt ist. So seien sie im Alltag weniger vorsorgend aktiv und nähmen seltener professionelle Beratungsangebote wahr. Sieverding und Kendel (2012, S. 1119) vermuten daher, dass verschiedene subjektive „Kriterien zur Definition von Behandlungsbedürftigkeit“ das eigene Verhalten prägen. Frauen nähmen eher Symptome wahr, sähen sie als behandlungsbedürftig an und suchten aus präventiven Gründen medizinische Hilfe auf (ebd.). [1] Laut Gümbel (2009) liegen dem offensichtlich Geschlechtsrollenbilder zugrunde, die ein vermeintlich richtiges oder angemessenes Gesundheitsoder Krankheitshandeln bestimmen. Die Wahrnehmung von Belastungen und die Sorge um Gesundheit gelten demnach als unmännlich. Dinges (2005) stellt fest, dass das traditionelle Bild von Männlichkeit in bestimmten Bereichen zwar Veränderungen erfährt, Rollenerfordernisse jedoch nach wie vor männliches Gesundheitshandeln prägen. So werden bereits im Laufe der frühkindlichen Sozialisation Unterdrückung und Kontrolle von Emotionen als wichtige männliche Eigenschaften vermittelt (Brandes, 2003). [2] Spätere Körpersignale werden – so Dinges (2005) weiter – im Rahmen einer Erkrankung eher bagatellisiert und ausgeblendet.

Weitere Ausführungen von Faltermaier (2005) verweisen ebenfalls auf widersprüchliche Aussagen in Bezug auf die dargestellte Einschätzung der subjektiven Gesundheit durch Frauen und Männer. So berichten Männer aufgrund ihres Rollenverhaltens nicht lediglich von positiver Gesundheit. Vielmehr ähnelten sich die Gesundheitsvorstellungen beider Geschlechter. Subjektive Konzepte von Gesundheit bei Frauen und Männern seien zwar differenziert, aber häufig ähnlich positiv bestimmt. Allerdings stellten Männer bei dem Thema Gesundheit stärker die körperliche Ebene und die Leistungsund Funktionsfähigkeit in den Mittelpunkt ihres subjektiven Präferenzsystems (ebd.). Die spezifischen gesundheitlichen Gefährdungen ergäben sich demnach insbesondere durch psychische und körperliche Belastungen am Arbeitsplatz, sobald sie die Identität und den sozialen Status von Männern bedrohten, der sich u. a. durch die Erwerbsrolle definiere (Faltermaier, 2004).

Nähere Erklärungen zum Zusammenhang von Gesundheit und männlichem Rollenverhalten bietet die internationale Männergesundheitsforschung. Courtenay (2011) kommt etwa zu dem Schluss, dass je stärker eine kulturelle Norm von Männlichkeit internalisiert wird, desto intensiver sich auch die rollenbezogenen Belastungen auswirken, wenn diese Anforderungen nicht erfüllt werden können („role strain“ ebd., S. 29). In Bezug auf die gesundheitliche Relevanz fehlender Rollenerfordernisse werden zwei unterschiedliche Perspektiven beschrieben: Zum einen wirken sich traditionelle Rollenbilder direkt auf den Gesundheitsstatus aus: „long hours, pressure to succeed, risk taking, and the stress related to these, can create psychological and (in some cases) ultimately physical ill health“ (ebd., S. 29). Zum anderen können Belastungen entstehen, wenn die an die männliche Rolle gerichteten Erwartungen nicht erfüllt werden können. Diese Stressbelastungen mit gesundheitlichen Folgen entstehen Courtenay (2011) zufolge aus dem Gefühl, dieser Rolle nicht gerecht zu werden. Als theoretische Erklärung der Risikound Gesundheitsverhaltensweisen verweist Kolip (2012) auf das bereits in Kapitel 2.2.4 thematisierte Doing-Gender-Konzept. Der Ansatz geht von der Annahme aus, dass Geschlechtsunterschiede nicht als unveränderbar gelten, sondern sich in einem Prozess der sozialen Interaktion permanent neu konstruieren (West & Zimmerman, 1987). Demzufolge bilden sich die Darstellungsweisen von Männlichkeit und Weiblichkeit – die sich ebenso in der Namensgebung, Stimmlage, Gestik, Mimik, und Körperhaltung zeigt (Meissner, 2008) – beispielsweise in einem Rauchoder Trinkverhalten ab (Ng et al., 2007; de Visser & Smith, 2007). Empirische Belege können den dargestellten Befunden zum subjektiven Gesundheitszustand entnommen werden. Hier hat sich gezeigt, dass Männer im Vergleich zu Frauen zu einer erheblich positiveren Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands tendieren. Als ursächlich dafür könnte demnach das kulturell und gesellschaftlich vermittelte Rollenbild von Männlichkeit herangezogen werden, das sich schließlich auf die Darstellungsweise von Krankheit und Gesundheit bei Frauen und Männern auswirkt. [3]

In der Literatur werden biologische und geschlechterrollenbezogene Erklärungsansätze jedoch nicht getrennt voneinander diskutiert (Fausto-Sterling, 2005). Vielmehr liegen Befunde vor, die in der Klärung der Geschlechtsunterschiede in Gesundheit und Krankheit Interaktionseffekte von biologischen und sozialen Determinanten abbilden. Neben den bereits in Kapitel 2.3 dargestellten Zusammenhängen von „genders, sexes, and health“ durch Krieger (2003, S. 652) gelten die Arbeiten von Payne (2001, 2004) als richtungsweisend. Die britische Wissenschaftlerin widmet sich dem Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs und bildet dabei die Interaktion von Sex und Gender ab. Ihr zufolge ist zwar das Lungengewebe von Frauen empfindlicher, sodass unterschiedliche biologische Voraussetzungen vorliegen. Gleichwohl führt Payne (2004) für das höhere Lungenkrebsrisiko von Frauen unterschiedliche Rauchgewohnheiten an:

„Women smokers are more likely to use cigarettes which are lower in tar and nicotine, and which have been labeled as mild or light by the tobacco industry.“ (ebd., S. 16)

Sie kommt daher zu dem Schluss, dass der Konsum von Zigaretten mit geringerem Nikotinund Teergehalt dazu führt, dass der Rauch stärker und intensiver inhaliert wird und durch dieses Rauchmuster ein höheres Risiko für Lungenkrebs entsteht.

Das abschließend dargestellte Beispiel zeigt, dass es in der Erklärung von Geschlechtsunterschieden erforderlich ist, mögliche Interaktionseffekte von biologischen und sozialen Faktoren zu berücksichtigen. Darüber hinaus bietet die Erklärung von Geschlechtsrollen und Gesundheitsverhalten insgesamt wichtige Impulse zur weiteren Bearbeitung der Forschungsfrage. So besteht die Herausforderung für die empirische Analyse darin, auf Basis des biologischen Geschlechts keine einseitige Zuschreibung von Stressentstehungsund Bewältigungsmustern vorzunehmen. Vielmehr sind die jeweiligen Unterschiede innerhalb der Gruppen der Männer und Frauen herauszuarbeiten und vor dem Hintergrund der Lebensund Arbeitswirklichkeiten zu interpretieren. Für die Analyse der qualitativen Interviews bedeutet dies, den Blick näher auf die Thematisierungsmuster zu richten und darauf zu achten, wie die eigenen Belastungsund Bewältigungserfahrungen von arbeitsbedingtem Stress dargestellt werden. Hier stellt sich nicht die Frage, ob Männer im Gegensatz zu Frauen ihre arbeitsbedingten Belastungen formulieren. Vielmehr erscheint auf Grundlage dieser Erklärungsansätze die Frage von Bedeutung, wie sich Frauen und Männer vor dem Hintergrund der für sie relevanten Anforderungen darstellen und wie sie die subjektive Bedeutung des Begriffs Stress im Kontext der CC-Tätigkeit bewerten. Hier ist es sinnvoll, die nachfolgenden Befunde zu den methodischen Ursachen sowie zu den Erfahrungen von Frauen und Männern im Gesundheitswesen auf ihre Aussagekraft für die Erklärung der Geschlechtsunterschiede zu prüfen.

  • [1] Wobei die Ergebnisse der Studie Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) zum Inanspruchnahmeverhalten medizinischer Leistungen zeigen, dass sich bei steigendem Alter die Geschlechtsunterschiede angleichen bzw. umkehren (RKI, 2013).
  • [2] Wie etwa bei dem bekannten Sprichwort „Indianer kennen keinen Schmerz“ deutlich wird.
  • [3] Vgl. dazu auch die Ausführungen zu methodischen Verzerrungen als Ursache der gesundheitsbezogenen Geschlechtsunterschiede in Kapitel 3.3.3.
 
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