Innere Struktur
Gemäß der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition heißt Steuern, Entscheidungen zu treffen bzw. Entscheidungskompetenz zu übertragen. In Bezug auf die innere Struktur geht es folglich um die Frage, auf welche Weise Standards der Leistungserbringung geregelt werden. Die Auswertung erfordert eine Quantifizierung von Angaben in Gesetzen, Verordnung und Richtlinien.
Die Festlegung der inneren Struktur kann abgestuft nach Umfang und Verbindlichkeit der Ziele erfolgen. Die Steuerungsdimension der inneren Struktur wird daher operationalisiert als Grad der Einflussnahme, der in Abhängigkeit des Regelungsumfangs und der Verbindlichkeit gemessen wird.
Zum einen können die Vorgaben unterschiedlich detailliert sein und folgende Sachverhalte regeln:
• Die Vorgabe von Grundsätzen weist die geringste Regelungstiefe auf. Unter Grundsätzen wird verstanden, dass zwar gewisse Ziele formuliert werden, es sich bei den Formulierungen aber um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. Begriffe wie „Bedarfsgerechtigkeit“, „Wirtschaftlichkeit“ oder „Angemessenheit“ sind juristisch nicht besetzt und somit kann der Leistungsverpflichtete solche Vorgaben selbst ausfüllen, sofern er ihnen nicht offensichtlich zuwiderhandelt.
Durch die Regelung von Grundsätzen wird somit vor allem die Intention des Regelsetzers transportiert und einer augenscheinlichen Nichtbefolgung vorgebeugt. Darüber hinaus lässt ein solcher Regelungsumfang den Adressaten viel Spielraum zur eigenen Ausgestaltung und Zielsetzung.
• Unter Rahmenvorgaben fallen die Vorschriften, die dem Handeln der Leistungsverpflichteten klare Grenzen setzen, sozusagen einen Handlungskorridor vorgeben. Rechtlich wird dies in der Vorgabe von Mindestund/oder Höchststandards umgesetzt. Innerhalb dieser Leitplanken können die Adressaten frei über das konkrete Niveau bestimmen.
• Als tiefgreifendste Regelung kann die Auferlegung konkreter Standards erfolgen, die die Leistungsverpflichteten erreichen müssen. Eine Abweichung nach oben oder unten ist nicht gestattet.
Zum anderen lassen sich auch in Bezug auf die Verbindlichkeit der Vorgaben drei Abstufungen unterscheiden:
• Vorgaben können in ihrer unverbindlichsten Form den Charakter von Empfehlungen tragen. Diese transportieren zwar die inhaltlichen Ziele des Regelsetzers, doch die Befolgung der Vorgabe liegt im Ermessen des Adressaten. Gänzlich wirkungslos sind entsprechende Empfehlungen allerdings nicht, da Akteure, die den Empfehlungen nicht folgen, diese Abweichung häufig politisch z.B. gegenüber der Bevölkerung rechtfertigen müssen.
• Einen deutlich höheren Grad an Verbindlichkeit weisen sogenannte SollVorschriften auf. Diese gelten als allgemeinverbindlich, sofern der Leistungsverpflichtete nicht nachweisen kann, dass ihm die Erfüllung nicht möglich ist. Die Vorgaben sind somit für den Regelfall gültig, lassen aber Ausnahmen in atypischen Fällen zu. Eine solche Vorschrift räumt den Adressaten noch einen Ermessensspielraum ein, von dem er aber in der Regel nicht Gebrauch machen darf. Zu erkennen ist sie an den Formulierungen „sollen“ oder „in der Regel“ bzw. durch die explizite Genehmigung von Ausnahmeregelungen.
• Kein Ermessensspielraum steht den Leistungsverpflichteten zur Verfügung, wenn der Regelsetzer über den Sachverhalt verbindlich mittels einer MussVorschrift entschieden hat. Die Umsetzung der Vorgaben ist eine Pflichtaufgabe, die uneingeschränkt zu erfüllen ist. Sie wird mit Signalwörtern wie „müssen“ oder „dürfen nicht“ bzw. durch Verwendung des Indikativs ausgedrückt.
Zusammengenommen ergeben diese beiden Dimensionen mit ihren je drei Abstufungen neun verschiedene Kombinationen in Bezug auf die Regelungstiefe.
Für jede einzelne Kombination muss die Frage untersucht werden, welcher Akteur gemäß der Landesgesetze zur Regelung dieses Teils der Entscheidung vorgesehen ist. Dabei gilt das Prinzip, dass getroffene Entscheidungen von tieferer Regelungsdichte automatisch auch die Entscheidung über die weniger detaillierten Aspekte miteinschließt, sofern dies nicht anders beschrieben ist. Jede Entscheidung über eine der neun Kombinationen wird mit 0,111 Punkten für die jeweilige Steuerungsform gewertet. Die Werte werden aufaddiert, so dass der Steuerungswert mit jedem Grad der Einflussnahme zunimmt. Bei einer kompletten Regelung mittels einer Steuerungsform beträgt der Wert 1.
Regelungsumfang
Grundsätze |
Rahmenvorgaben |
Konkrete Ausgestaltung |
|
Empfehlungen |
0,11 |
0,11 |
0,11 |
Regelfall |
0,11 |
0,11 |
0,11 |
Ausnahmefall |
0,11 |
0,11 |
0,11 |
Tabelle 5: Codierschema für die Steuerungswerte der inneren Struktur
Durch dieses Vorgehen ist es möglich, aus qualitativen Angaben Werte zu gewinnen, die als metrisch interpretiert werden können. Es steht außer Frage, dass diese Werte nicht tatsächlich ein reines metrisches Skalenniveau aufweisen. Aber ein Wert, der im Vergleich zu einem anderen Land um den Faktor x höher ist, bedeutet, dass x-mal so viele Entscheidungen durch die entsprechende Instanz getroffen werden. Dies in einem nächsten Schritt nun so zu interpretieren, dass der Einfluss der Instanz somit um den Faktor x höher ist, ist zumindest nicht abwegiger, als Schulnoten, die gemäß der reinen Lehre ordinalskaliert sind, metrisch zu interpretieren wie dies selbst in zahlreichen Lehrbüchern getan wird. Sollen mehrere Ziele erreicht werden, wird das Verfahren für jedes Ziel durchgeführt und im Anschluss das arithmetische Mittel aus den Werten gebildet.
Bei der Auswahl der Variablen wurden Aspekte ausgewählt, bei denen die Länder eine Regelungskompetenz haben. Grundsätzlich werden drei Bereiche unterschieden, deren Steuerung wesentlichen Einfluss auf die Qualität bzw. die Kosten der Leistungen hat. Die Regelung dieser Aspekte entscheidet somit über den Handlungsspielraum der Träger bei der Wahl ihres Geschäftsmodells und somit auch über ihre Positionierung am Markt.
Personal: In allen drei untersuchten Politikfeldern zieht die Gewährleistung der sozialpolitischen Infrastruktur eine Erbringung sozialer Dienstleistungen nach sich. Die Personalkosten machen dabei nicht nur den Großteil der Kosten aus, sondern von der Personalausstattung hängt auch ganz wesentlich die Qualität der Leistung ab (für den Kinderbetreuungsbereich Plantenga/Remery 2013: 27; OECD 2012: 35; Penn 2011; Phillips/Lowenstein 2011: 492, für den Krankenhaussektor Shekelle 2013; Tubbs-Cooley et al. 2013; McGahan et al. 2012; Unruh/Zhang 2012; Cho/Yun 2009; Garrett 2008; Rafferty et al. 2007, für Pflegeeinrichtungen Hyer et al. 2011; Kim et al. 2009; Castle/Engberg 2008; Bostick et al. 2006).
Die Regelungsbereiche unterscheiden sich zwischen den drei Politikfeldern aufgrund der unterschiedlichen Leistungen und des bundesgesetzlichen Rahmens. Für die Kinderbetreuung wird der Personalschlüssel betrachtet (vgl. Stöbe-Blossey 2010). In Bezug auf das Personal in Pflegeeinrichtungen ist die Fachkraftquote der einzige Aspekt, auf den die Länder seit der Übertragung der Heimgesetzgebung durch die Föderalismusreform im Jahr 2006 einwirken können. Der Personalschlüssel wird durch die Vertragsparteien in der Leistungsund Qualitätsvereinbarung nach § 80a SGB XI festgelegt und entzieht sich somit dem Landeseinfluss. Und auch im Krankenhausbereich fehlt den Ländern eine Steuerungskompetenz in Bezug auf die Personalausstattung weitestgehend. Obgleich die Länder Festlegungen zu den personellen Anforderungen in spezifischen Versorgungsbereichen treffen können (Deutscher Bundestag DRS 17/13041: 5), ist eine allgemeine Einflussnahme auf den Personalschlüssel nicht möglich. Aus diesem Grund kann dieser Aspekt nicht in die Berechnung der Steuerungswerte einfließen.
Organisation: Unter den Stichpunkt der Organisation fallen zum einen die Vorgaben in Bezug auf die Einrichtungsleitung. So betont z.B. die betriebswirtschaftliche Literatur die Bedeutung einer strategischen Ausrichtung eines Krankenhauses und seiner Positionierung auf dem Markt. Unter diesen Gesichtspunkten kommt auch der freien Wahl der Führungsorganisation des Krankenhauses eine wichtige Rolle zu (Neubauer/Beivers 2006: 49-50; Behrends 2000: 397-398). Diese betriebswirtschaftliche Ausrichtung der Leitung kann in Widerspruch zu der fachlichen Qualifikation des Leitungspersonals stehen.
Ein weiterer Aspekt, der unter den Bereich der Organisation fällt, betrifft die Abteilungsstruktur. Unter diesem Gesichtspunkt wird für den Krankenhausbereich betrachtet, auf welcher Ebene über die organisationale Aufteilung der Abteilungen entschieden wird. So wird in der Literatur argumentiert, dass aus Gründen einer strategischen Ausrichtung organisatorische Anpassungen notwendig seien (Heberer et al. 2006: 22). Für die Kinderbetreuung findet in dieser Hinsicht der Aspekt der Gruppengröße (Plantenga/Remery 2013: 27; OECD 2012: 35) und bei den Pflegeeinrichtungen der Anteil an Einzelzimmern Beachtung.
Für den Krankenhausbereich werden zwei zusätzliche Aspekte betrachtet. Zum einen die Regelung der Liquidationserlöse aus wahlärztlichen Leistungen. Eine freie Gestaltung würde den Krankenhäusern die Möglichkeit bieten, durch großzügige Leistungen qualifizierte Oberärztinnen und -ärzte anzuwerben bzw. ihren Verbleib im Krankenhaus zu sichern (Clausen/Hellweg 2008). Auf der anderen Seite besteht der Trend, dass die Krankenhäuser durch den Einbehalt der Einnahmen zusätzliche Einnahmen generieren (Kirchhof/Häußermann 2002).
Zum anderen ist die Erlaubnis, Privatstationen zu unterhalten, betriebswirtschaftlich von Interesse. Die Unterhaltung von gesonderten Bereichen für Privatversicherte ermöglicht die Abrechnung von zusätzlichen Kosten für die Unterbringung in Einzelbzw. Doppelzimmern nach der „Gemeinsamen Empfehlung gemäß § 22 Absatz 1 BPflV / § 17 Absatz 1 KHEntgG zur Bemessung der Entgelte für eine Wahlleistung Unterkunft“. Auf diese Weise könnten Krankenhäuser zusätzliche Einnahmen erzielen. In einer repräsentativen Befragung unter Krankenhausleitungen, war der Betrieb von Privatstationen die am häufigsten genannte Strategie für eine erfolgreiche Zukunftsgestaltung (Ernst & Young 2010: 12).
Ausstattung: Doch nicht allein das Personal ist entscheidend für die Qualität bzw. die Kosten. So wurde für die Kinderbetreuung gezeigt, dass auch die Raumgröße und die Ausstattung diese beiden Faktoren beeinflussen (Bensel/HaugSchnabel 2012) und dadurch unter Steuerungsgesichtspunkten interessant sind. Entsprechende Vorgaben wurden auch für den stationären Pflegesektor geprüft.