Frauen im Rechtsextremismus: Empirische Befunde und aktuelle Entwicklungen

Bei Erhebungen zu politischen Einstellungen wird schon seit Jahren deutlich, dass Frauen keineswegs immun sind gegen braune Ideologien. Die SINUS-Studie von 1981 konstatierte: "Wir können davon ausgehen, dass Frauen und Männer gleichermaßen anfällig bzw. unerreichbar für rechtsextreme Ideologie sind." (SINUS-Studie 1981: 87). Auch jüngere Untersuchungen bestätigen diesen Befund. Auf der Einstellungsebene unterscheiden sich Frauen nicht wesentlich von Männern (vgl. Heitmeyer 2007: 117; vgl. Stöss 2005: 66). Forschungsergebnisse zum Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) lassen ebenfalls die Aussage zu, dass sich Männer und Frauen im Ausmaß ihrer feindlichen Einstellungen nur geringfügig unterscheiden (vgl. Zick/Küpper/Hövermann 2011: 100). Bei einigen Elementen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit weisen Frauen höhere Zustimmungswerte auf. Dies gilt signifikant für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus (Küpper/Zick 2011: 201). Warum dem so ist, bleibt bislang unerforscht.

Bei allen Ähnlichkeiten auf der Einstellungsebene präsentiert sich die Form, diese auszuleben, geschlechtsdifferenziert. Die in Nürnberg lehrende Sozialwissenschaftlerin Renate Bitzan beziffert den Frauenanteil an verschiedenen Ausdrucksformen des Rechtsextremismus in folgenden Größenordnungen: Strafund Gewalttaten: lange ca. 3–5 Prozent, inzwischen bis zu 10 Prozent; Mitgliedschaften in Parteien: 7–20 Prozent, Funktionärinnen: bis zu 20 Prozent; Kameradschaften, Organisationen, Cliquen: ca. 10–33 Prozent; Wahlen: ca. 33 Prozent; Einstellungen: ca. 50 Prozent (Bitzan 2002 und 2008).

Rechtsextremistinnen und Gewalt: Kampfbereit für den "Tag X"

Über die Beteiligung von Frauen und Mädchen an rechtsextremen Gewalttaten gibt es kaum belastbare Daten. Kurz und knapp, so formuliert es die Marburger Politikwissenschaftlerin Ursula Birsl, handelt es sich beim weiblichen Gewaltverhalten im einschlägigen Deliktbereich um eine "Black box". Seitens der Verfassungsschutzbehörden habe man die Aufschlüsselung nach Geschlecht Mitte der 90er Jahre mit dem Argument wieder eingestellt, der Anteil der Mädchen und Frauen übersteige selten die Fünf-Prozent-Marke, sodass ihre Tatbeteiligung nur als Randphänomen zu begreifen sei, das keiner weiteren Beachtung bedürfe (Birsl 2011: 251).

Im Wesentlichen sind es Recherchen in einer verborgenen Szenerie, die Hinweise auf das Gewaltverhalten von Mädchen und Frauen erlauben. Systematische Auswertungen von Presseberichten, die Beobachtung von Gerichtsverhandlungen, Gespräche mit aktiven sowie ehemaligen Rechtsextremistinnen und Aussagen der Fachliteratur ergeben folgendes Bild. Bei der Beteiligung an Strafund Gewalttaten ist der Anteil von Frauen zwar stetig gestiegen, aber immer noch marginal, wobei allerdings nicht übersehen werden darf, dass Mädchen und Frauen nicht zuletzt als Anstifterinnen im Hintergrund sehr wohl an Straftaten mitwirken. Diese Form von Beihilfe wird jedoch meist nicht aktenkundig. Die Frauenforscherin Michaela Köttig vermutet, "dass beim Meldeverhalten, den polizeilichen Ermittlungen und der Fahndung Mädchen und Frauen als Täterinnen eher übersehen werden bzw. ihre Beteiligung bagatellisiert wird, selbst wenn sie bei Straftaten anwesend sind" (Köttig 2004: 44). Die Journalistin und Szenekennerin Andrea Röpke teilt diese Einschätzung und unterstreicht:

"Staatsanwälte und Richter tun sich schwer, die Eigenverantwortlichkeit vieler rechter Täterinnen zu erkennen und verklären sie oftmals zu labilen Mitläuferinnen wie im Fall der ›Kameradschaft Süd‹ in München. Zu deren militanter Kerngruppe, die 2003 einen Sprengstoffanschlag auf den Neubau eines jüdischen Begegnungszentrums plante, gehörten drei Frauen. Obwohl sie die tödlichen Pläne ihres Anführers aktiv unterstützten und bereits zuvor politische Gegner ausspionierten, wurde ihre Rolle nicht sonderlich ernst genommen." (Röpke 2005: 17)

Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Zu der am 26. 4. 2007 verbotenen Kameradschaft "Sturm 34", die in der Region Mittweida für rechtsextremen Terror und Gewalt stand, zählten überdurchschnittlich viele weibliche Akteure (Köditz 2009: 105). Sie stabilisierten die militante Gruppierung, deren "harter Kern" beim Verbot aus 50–60 Personen bestanden haben soll und beteiligten sich an den Gewalttaten. In der öffentlichen Berichterstattung wurden sie jedoch ausgeblendet.

Auch beim NSU-Prozess fällt auf, dass neben der Hauptangeklagten zwar weitere Frauen als Beschuldigte geführt werden, sie aber nicht als Angeklagte vor Gericht stehen. Eine zentrale Rolle im NSU-Helfernetz spielte beispielsweise die Friseurin Mandy S., die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Jahre 1998 eine erste Fluchtwohnung in Chemnitz beschaffte, beim Besorgen eines gefälschten Ausweises half und ihre Krankenversicherungskarte zur Verfügung stellte. Als Mandy S. im Februar 2014 in München vor Gericht aussagt, setzt sie alles daran, ihre Rolle herunterzuspielen, so als sei sie völlig unbedarft in die rechte Szene gerutscht und habe nur so zum Spaß mitgemacht. Der Journalist Jens Eumann durchschaut die Strategie und stellt heraus:

"Wie eine Mitläuferin gebärdete sich Mandy S. nicht. In der Neonazi-Szene trat sie als Aktivistin auf, manchmal sogar als Wortführerin: Der ›nationale Widerstand‹ stehe ›dem herrschenden System frontal‹ gegenüber. Alle aus der Nation, ›die des reinen Blutes sind‹, müssten vom Widerstand erfasst werden. So markig formulierte die mutmaßliche Unterstützerin (…) 2001 in einem Artikel fürs Szeneblatt ›Landser‹." [1]

Die Schwierigkeit, Frauen als politische Akteurinnen zu sehen und ihre Beteiligung an Straftaten angemessen zu würdigen, aufzuräumen mit Klischeevorstellungen über

"friedfertige Frauen", lässt sich in der Berichterstattung zum NSU beobachten. Wie stark stereotype Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit im Rechtsextremismus wirken, analysiert Michaela Köttig. Sie stellt zudem die These auf, der NSU habe strategisch gehandelt und gesellschaftlich verankerte Genderrollentypen gezielt bedient, um 13 Jahre lang unerkannt zu bleiben: "Zumindest sieht es bisher so aus, als sei von den Dreien nach außen hin auf unterschiedliche gesellschaftlich vorgegebene Genderrollen zurückgegriffen worden, um als ›normal‹ und ›unauffällig‹ angesehen zu werden" (Köttig 2013: 155 f. und 164).

Jenseits der spektakulären Ereignisse rund um den NSU zeichnen sich Entwicklungen beim Gewaltverhalten und in der Gewaltakzeptanz von Mädchen und Frauen ab, die tendenziell auf eine Eskalation hindeuten.

Aktionsorientierte Rechtsextremistinnen orientieren sich in ihrer Militanz zunehmend am Wirken der Roten Armee Fraktion (RAF). Vorbilder des entschlossenen Kampfes gegen das "BRD-Regime" sind vor allem auch RAF-Frauen. Gerne werden die Worte von Gudrun Ensslin zitiert: "Wir haben gelernt, dass Reden ohne Handeln unrecht ist!" (vgl. Esen 2013: 14). Ricarda Riefling, Mitglied im Bundesvorstand der NPD, bekennt sich zu Ulrike Meinhof, deren Taten sie zwar verurteilt, deren überzeugte Haltung sie jedoch bewundert (Lehmann: 2011; Röpke/Speit: 59/90).

Dass Gewaltausübung keineswegs tabu für junge Frauen ist und auch ihnen zu einem gewissen "Kick" verhelfen kann, erfuhr ein Kriminalbeamter aus Sachsen bei der Vernehmung einer 18jährigen, die an einer Schlägerei teilgenommen hatte und mit schweren Gesichtsverletzungen im Krankenhaus lag. Auf die von ihm geäußerte Hoffnung, sie habe nun gelernt, antwortete sie: "Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist, mittendrin zu sein. Kommen sie mal mit, dann werden sie verstehen!" (Gespräch mit der Autorin, 19. 07. 2008). Ihre Beteiligung an Gewalthandlungen und ihre Gewalterfahrungen beschrieben Aussteigerinnen in Interviews mit der Verfasserin auf vielfältige Weise. Zumeist war es ihnen sehr unangenehm, überhaupt darüber zu sprechen. Mehrere Frauen erzählten schließlich davon, wie sie Gewalt gegen andere Frauen und vermeintliche Rivalinnen aus den eigenen Reihen ausübten. Elli, ehemalige Anführerin der Kameradschaft Stuttgart, umschreibt ihre "Aggressionen" mit dem Satz: "Ich war eben keine BarbiePuppe." Kaddy erzählt davon, wie sie einer Kameradin (!) eine Bierflasche auf den Kopf zertrümmerte, weil sie sich dumm angesprochen fühlte. Angelina bringt handgreifliche Auseinandersetzungen so auf den Punkt und sagt: "Kleine Schläge auf den Hinterkopf fördern bekanntlich das Denkvermögen!" Damit versucht sie zu legitimieren, dass sie handgreiflich gegen ihre eigene Mutter wurde. Als Gewalttäterinnen sehen sich diese Frauen allerdings nicht. Gewalt definiert sich für sie scheinbar erst dann, wenn das Blut knüppeldick fließt. Ursula Birsl verweist in diesem Zusammenhang auf eine Art "weiblichen Sexismus, der sich nicht gegen die Männer in der Szene, sondern wie der männliche Sexismus ebenfalls gegen Frauen richtet". Birsl sieht die Ursache in einer Verbindung von Sexismus und Rollenwandel (Birsl: 2011: 255). Frauen würden sich einerseits gegen das Image als Mitläuferin und dem Status "nur die Freundin von" zu sein abgrenzen. Andererseits sei ihr Verhalten aber auch als eine Form von Gegenwehr gegen Männlichkeitsnormen der jungen Männer zu interpretieren.

Es lässt sich zudem beobachten, dass gerade junge Rechtsextremistinnen, die sich als aktive Kämpferinnen verstehen, durchaus strategisch gezielt Vorbereitungen für gewalttätige Auseinandersetzungen treffen. Sie gehen in Sportvereine, stählen ihren Körper und trainieren Kampfsportarten wie Kick-Boxen oder erlernen den Umgang mit Waffen in Schützenvereinen. Patricia, Aussteigerin aus der militanten NeonaziSzene, trainierte für den "Tag X" und sagt, ihr historisches Vorbild seien weibliche Werwolf-Gruppen im Dritten Reich gewesen (Interview mit der Autorin, November 2007). In Diskussionsforen der extremen Rechten wird zudem deutlich, dass rechtsextreme Mütter sehr viel Wert auf die sportliche Ertüchtigung ihres Nachwuchses legen. Im Blick haben sie dabei weit mehr als den gesundheitlichen Aspekt. Wehrhaft und kampfbereit sollen ihre Kinder sein. An eine friedliche "nationale Wende" glauben jene Frauen nicht und diese Einstellung geben sie weiter.

Eine Thüringer Rechtsextremistin, ebenfalls im Neonazi-Spektrum aktiv, ist der Meinung, Gewaltausübung müsse kalkuliert eingesetzt werden, dort wo es Sinn mache, aber nicht in Regionen, die ohnehin schon von Rechts erobert seien, wie das Muldental in Sachsen. Sie sagt:

"Nun die Frage bezüglich der Gewaltanwendung ist schwierig zu beantworten. Ich würde sie nie ablehnen, aber auch nicht öffentlich dafür plädieren. In Zeiten wie diesen, bekommt man niemanden durch Gewalt auf seine Seite. Ich meine vom normalen Volk. Da muss man zu friedlichen Mitteln greifen." (Korrespondenz mit der Autorin, 24. 11. 2004)

  • [1] Eumann, Jens: Zentrale Frau im NSU-Helfernetz. Alles nur aus Kameradschaft?, Freie Presse, 26. 02. 2014.
 
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