Öffentlich-rechtliche Unterbringung


Mit öffentlich-rechtlicher Unterbringung ist „die Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach den landesrechtlichen Regelungen“ (Marschner 2008, S. 199) gemeint. Im Gegensatz zur zivil-/betreuungsrechtlichen Unterbringung, die bundesweit für alle Bundesländer gleichermaßen gilt, erfolgt die öffentlich-rechtliche Unterbringung psychisch kranker Menschen nach Landesrecht. Jedes der 16 Bundesländer hat diesbezüglich sein eigenes Landesgesetz, welches je nach Bundesland ‚Unterbringungsgesetz' oder ‚Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG)' heißt. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 24; Behrens 2012, S. 186; Hell 2013, S. 498).

Jedes Bundesland hat zwar seine eigenen Regelungen, aber sie ähneln sich im Wesentlichen (Hell 2013, S. 498). Unterschiede zwischen den einzelnen Landesgesetzen zur Unterbringung psychisch kranker Menschen bestehen bei den Formulierungen bezüglich der Voraussetzungen und Ziele von Unterbringungen sowie bei der Ausgestaltung der sofortigen Unterbringung und der vorund nachsorgenden Hilfen. So soll z.B. in allen Bundesländern eine öffentlich-rechtliche Unterbringung dem Zweck dienen, eine Selbstoder Fremdgefährdung abzuwenden, jedoch unterscheiden sich die Kriterien bzw. Grenzen, ab wann ein Verhalten für eine Unterbringung ‚ausreicht'. (Marschner 2008, S. 199-201).

In Nordrhein-Westfalen gilt das PsychKG NRW, welches für die folgenden Ausführungen zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung als exemplarische Grundlage dient. In NRW gibt es pro Jahr ca. 20.000 öffentlich-rechtliche Unterbringungen, im Jahre 2010 waren es sogar 22.005 (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 5, 229). Beim PsychKG NRW handelt es sich aber keineswegs nur um ein reines Unterbringungsgesetz, welches nur Zwangsmaßnahmen regelt; vielmehr beinhaltet es Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Problemen. Die Unterbringung ist zwar ein Teil davon, aber gemäß §3 Abs.1 S.1 PsychKG NRW sollen Zwangsmaßnahmen durch psychosoziale Vorund Nachsorgemaßnahmen möglichst vermieden werden. Diese psychosozialen Hilfsangebote, die auf freiwilliger Basis erfolgen, werden vom Sozialpsychiatrischen Dienst geleistet, der in NRW dem Gesundheitsamt angehört. Für die dort beschäftigten Sozialarbeiter und Psychiater stellt das PsychKG NRW die Arbeitsgrundlage dar. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 192, 195; Lamberz 2013, S. 25; Marschner 2008, S. 200).

Die Rechtsgrundlage für öffentlich-rechtliche Unterbringungen in NRW ist §312 Abs.1 Nr.3 FamFG in Verbindung mit §§10 ff. PsychKG NRW (Lamberz 2013, S. 19).

PsychKG-Unterbringungen sind „für unbedingt notwendige, in der Regel kurzfristige Kriseninterventionen mit Schutzfunktion für die Betroffenen und Dritte gedacht“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 226). Gemäß §10 Abs.1 PsychKG NRW liegt das Ziel einer PsychKG-Unterbringung primär in der Gefahrenabwehr und sekundär in der Fürsorge. Mit ‚Gefahr' ist hier eine krankheitsbedingte Selbstoder Fremdgefährdung gemeint. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 206; Hell 2013, S. 498; Lamberz 2013, S. 35). Das Ziel besteht neben der Abwendung einer Selbstoder Fremdgefährdung gemäß §10 Abs.1 PsychKG NRW zusätzlich darin, „die Betroffenen nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln“ (Lamberz 2013, S. 28). Die Behandlung soll ein fürsorgliches Angebot sein, das die Betroffenen gemäß §18 Abs.3 S.1 PsychKG NRW auf freiwilliger Basis in Anspruch nehmen können. Darüber hinaus enthält das PsychKG NRW aber auch Regelungen zur Zwangsbehandlung, auf die später noch eingegangen wird.

Im Unterschied zur zivilrechtlichen Verwahrungsunterbringung, bei der die Zwangseinweisung durch den gesetzlichen Betreuer oder Bevollmächtigten erfolgt, wird der Betroffene bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung durch das Ordnungsamt, also durch den Staat, untergebracht (Hell 2013, S. 498). Während eine zivilrechtliche Unterbringung nur für volljährige Betreute infrage kommt, ist das PsychKG NRW innerhalb von NRW für jeden, der sich in NRW aufhält, anwendbar, also für Inund Ausländer, Minderund Volljährige (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 183, 185; Lamberz 2013, S. 33). Bei der Unterbringung Minderjähriger handelt es sich jedoch nicht, wie bei Volljährigen, um eine Betreuungssache, sondern um eine Kindschaftssache. Dementsprechend ist bei Kindern und Jugendlichen nicht das Betreuungsgericht, sondern das Familiengericht zuständig. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 33-34, 301-302; Lamberz 2013, S. 33). Der Fokus dieser Arbeit liegt allerdings auf Volljährigen, sodass auf Zwangsmaßnahmen bei Minderjährigen nicht weiter eingegangen wird.

Die Voraussetzungen für eine PsychKG-Unterbringung sind in §11 PsychKG NRW geregelt. Demnach ist „[d]ie Unterbringung Betroffener [...] nur zulässig, wenn und solange durch deren krankheitsbedingtes Verhalten gegenwärtig eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer besteht, die nicht anders abgewendet werden kann“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 210).

Bezüglich der Selbstgefährdung wird sich im PsychKG NRW auf dieselbe Definition bezogen wie im BGB, nämlich auf Suizidalität und erhebliche gesundheitliche Selbstschädigung. Im Unterschied zum BGB berücksichtigt das PsychKG NRW zusätzlich noch fremdgefährdendes Verhalten. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 26, 214). In der PsychKG NRW Neufassung von 1999 wurde eine ‚Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung' als Unterbringungsvoraussetzung erstmals aus dem Gesetz gestrichen und seitdem auch nicht wieder aufgenommen (Lamberz 2013, S. 53; Dodegge und Zimmermann 2011, S. 26).

Im PsychKG NRW ist zum einen eine ‚Regelunterbringung' (§11 PsychKG NRW) und zum anderen eine ‚sofortige Unterbringung' (§14 PsychKG NRW) vorgesehen, jedoch stellt das ‚Regelverfahren' in der Praxis eine absolute Ausnahme dar: Fast allen öffentlich-rechtlichen Unterbringungen liegen akute Gefahrensituationen zugrunde, in denen schnell gehandelt werden muss, sodass in 90-100% aller Fälle eine sofortige Unterbringung erfolgt. (Crefeld 2013a, S. 536; Lamberz 2013, S. 19, 31; Marschner 2008, S. 207). So handelt es sich z.B. in Köln bei 98% aller PsychKG-Unterbringungen um sofortige Unterbringungen (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 63).

Das ‚Regelverfahren' ist sehr zeitaufwendig, weil nach Antragsstellung durch das Ordnungsamt zunächst ein ärztliches Gutachten eingeholt werden und die persönliche Anhörung des Betroffenen durch den Betreuungsrichter stattfinden muss, bevor das Gericht eine Unterbringung anordnet und der Betroffene schließlich zwangseingewiesen werden kann. Im Gegensatz dazu genügt für eine sofortige Unterbringung ein ärztliches Zeugnis, denn die Beantragung und Anhörung finden erst nach erfolgter Zwangseinweisung statt. (Lamberz 2013, S. 19, 30, 102; Marschner 2008, S. 207).

Für eine sofortige Unterbringung nach §14 Abs.1 S.1 PsychKG NRW müssen zunächst alle in §11 PsychKG NRW genannten Kriterien für eine ‚Regelunterbringung' erfüllt sein. Im Unterschied zur ‚Regelunterbringung' muss für eine sofortige Unterbringung zusätzlich ‚Gefahr im Verzug' zu bejahen sein, also dass die Situation so akut gefährlich und eine Intervention so unaufschiebbar ist, dass eine vorherige gerichtliche Anordnung nicht abgewartet werden kann. (Lamberz 2013, S. 101; Dodegge und Zimmermann 2011, S. 238-239).

Im folgenden Abschnitt wird der Ablauf einer sofortigen Unterbringung beschrieben. Wenn ein sozialer Dienst oder auch eine Privatperson der Ansicht ist, dass ein psychisch kranker Mensch dringend eingewiesen werden muss, können sie sich an die kommunale Ordnungsbehörde, also ans Ordnungsamt, wenden, welches daraufhin den Sachverhalt zu ermitteln hat.

Es wird den Betroffenen aufsuchen, um zu prüfen, ob eine Unterbringung infrage kommt. In den allermeisten Fällen liegen gefährliche Akutsituationen vor, z.B. akute Suizidalität oder schwere Aggressivität, sodass nicht bis zu einer gerichtlichen Unterbringungsanordnung gewartet werden kann. Bei Gefahr im Verzug darf das Ordnungsamt ohne vorherige gerichtliche Unterbringungsanordnung eine sofortige Unterbringung anordnen und vollziehen. (Crefeld 2013a, S. 536; Dodegge und Zimmermann 2011, S. 28-30; Lamberz 2013, S. 19-20, 32; Brosey und Osterfeld 2013, S. 165). Hierfür wird kein zeitaufwendiges Gutachten benötigt, sondern es reicht ein ärztliches Zeugnis bezüglich der Unterbringungsnotwendigkeit. Der ausstellende Arzt soll auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahren sein. Wenn so jemand bei Gefahr im Verzug aber nicht erreichbar ist, genügt auch das ärztliche Zeugnis jeden anderen Arztes, z.B. des Hausarztes. In jedem Fall ist der Betroffene persönlich zu untersuchen. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 30-31, 64-66, 234,

239, 241; Lamberz 2013, S. 19-20, 89). Der Betroffene wird dann, oft mit Unterstützung der Polizei, ergriffen und einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zugeführt. Wenn der aufnehmende Psychiater ihn nicht für unterbringungsbedürftig hält, darf er ihn direkt beurlauben. Nach einer erfolgten Zwangseinweisung muss das Ordnungsamt das Betreuungsgericht unverzüglich über die erfolgte sofortige Unterbringung informieren und nachträglich einen Unterbringungsantrag stellen. Daraufhin hat der Betreuungsrichter den Betroffenen anzuhören und über eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung zu entscheiden. (Lamberz 2013, S. 19-20, 32; Brosey und Osterfeld 2013, S. 165; Dodegge und Zimmermann 2011, S. 28, 69-70, 81, 243).

Der Unterbringungsbeschluss ist, wie bei zivilrechtlichen Unterbringungssachen, nach §§58 ff. FamFG mit dem Rechtsmittel der Beschwerde anfechtbar. Der Untergebrachte kann die Beschwerde beim Amtsgericht einlegen, das Landgericht entscheidet dann darüber. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 59, 67, 141-142).

Während die Durchführung der Verwahrungsunterbringung dem Betreuer obliegt, sind im §16 PsychKG NRW konkrete Anweisungen für die Ausgestaltung des Aufenthaltes auf der geschlossenen psychiatrischen Station enthalten (Marschner 2014b, S. 364). Demnach sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen „dem Behandlungsfortschritt anzupassen [und] [d]er regelmäßige Aufenthalt im Freien ist zu gewährleisten“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 246), entweder durch einen gesicherten Außenbereich oder begleiteten Ausgang. Freiheitsbeschränkungen haben nur in dem Maße zu erfolgen, wie sie erforderlich sind, um die Selbst-/Fremdgefährdung abzuwehren und ein geordnetes Zusammenleben auf der Station sicherzustellen. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 246).

Gemäß §21 Abs.1 PsychKG NRW dürfen die Untergebrachten Post, sowohl Briefe als auch Pakete, verschicken und empfangen, allerdings „können der Schriftwechsel überwacht und Schreiben angehalten oder verwahrt werden“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 267), um eine erhebliche Selbstoder Fremdgefährdung zu vermeiden, womit z.B. „Einschmuggeln von Suchtstoffen, gefährlichen Gegenständen, pornografischen Bildern, Waffen [,] Anstiftung zu Straftaten [oder der] Versand umfangreicher Bestellungen durch manisch Erkrankte“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 268) gemeint ist; zudem können so Suizidund/oder Fluchtpläne frühzeitig aufgedeckt werden (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 269).

Gemäß §22 Abs.1 S.1 PsychKG NRW haben die „Betroffenen [...] das Recht, regelmäßig Besuche zu empfangen“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 271). Sofern jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Besuch mit gesundheitlichen Nachteilen (z.B. Beunruhigung, Verstärkung bestehender Wahnideen, Einschmuggeln von Suchtstoffen) für den Betroffenen oder mit „erhebliche[n] Gefahren für die Sicherheit oder das geordnete Zusammenleben“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 272) (z.B. Befreiungsversuche, Alkohol-/Drogeneinfluss, Mitführen gefährlicher Gegenstände) einhergeht, darf der Krankenhausleiter Besuche untersagen; Gleiches gilt für Telefonate. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 272, 274).

Diese Einschränkungen erfolgen aufgrund von ärztlichem Ermessen ohne gerichtliche Beteiligung. Der Untergebrachte kann jedoch gemäß §327 FamFG beim Betreuungsgericht eine gerichtliche Entscheidung beantragen, um die Rechtmäßigkeit bestimmter Maßnahmen gerichtlich prüfen zu lassen (Brosey und Osterfeld 2013, S. 166; Dodegge und Zimmermann 2011, S. 73, 274), allerdings hat „[d]er Antrag [...] keine aufschiebende Wirkung“ (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 310), d.h. bis zur gerichtlichen Entscheidung dürfen die Maßnahmen weiterhin vollzogen werden. Anfechtbar sind z.B. Briefkontrolle, Besuchsverbot, Fixierung, Behandlung, Ablehnung von Ausgang oder Beschränkung des Aufenthalts im Freien. Dafür muss der Betroffene einen formlosen Antrag an das Betreuungsgericht stellen, in dem er erklärt, inwiefern er sich in seinen Rechten verletzt sieht. Daraufhin ermittelt das Gericht den Sachverhalt und entscheidet, ob die Maßnahme fortgeführt werden darf, abzuwandeln ist oder ab sofort ganz zu unterlassen ist. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 73-75).

Die Unterbringung endet mit dem Datum, welches in der gerichtlichen Unterbringungsanordnung festgelegt wurde. Der Zeitraum bei einer sofortigen Unterbringung beträgt höchstens 6 Wochen, ist jedoch auf eine Gesamtdauer in Höhe von 3 Monaten verlängerbar, aber in der Praxis kommt eine Verlängerung selten vor. (Lamberz 2013, S. 104-105; Dodegge und Zimmermann 2011, S. 244-245).

Dabei ist zu beachten, dass die Unterbringung beendet werden muss, sobald die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, auch wenn die Frist noch nicht abgelaufen ist, denn die Unterbringung darf nur solange aufrecht erhalten werden, wie eine krankheitsbedingte Selbstoder Fremdgefährdung vorliegt (Crefeld 2013a, S. 537; Dodegge und Zimmermann 2011, S. 76, 244-245, 247). Gemäß §17 Abs.2 S.2 u. Abs.3 PsychKG NRW ist der Untergebrachte während des zwangsweisen Klinikaufenthalts fortlaufend ärztlich zu untersuchen. Wenn die Unterbringungsvoraussetzungen aus Sicht der Krankenhausärzte nicht mehr vorliegen, muss die Klinik das Gericht darüber informieren. Daraufhin kann das Gericht die Unterbringung schon vor Fristablauf aufheben. Falls der Richter nicht erreichbar ist, kann die Klinik den Betroffenen solange beurlauben, bis der Richter die Unterbringung offiziell aufhebt. (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 247, 249-250; Lamberz 2013, S. 104-105; Brosey und Osterfeld 2013, S. 167). Der Untergebrachte hat aber theoretisch die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis noch länger in der Klinik zu bleiben (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 249, 282).

In der Regel wird der Untergebrachte vor Fristablauf entlassen, denn in der Praxis wird die Unterbringungszeit im Beschluss meist auf 6 Wochen festgelegt (Lamberz 2013, S. 104-105), die durchschnittliche Unterbringungsdauer in NRW liegt jedoch ‚nur' bei 20 Tagen, wobei 50% der Untergebrachten binnen 5 Tagen entlassen werden und 75% binnen drei Wochen (Dodegge und Zimmermann 2011, S. 24; Brosey und Osterfeld 2013, S. 166).

Im Folgenden werden die Unterbringungsvoraussetzungen, die gleichermaßen sowohl im BGB als auch im PsychKG NRW vorgesehen sind, gemeinsam erläutert. Anschließend wird das Verhältnis beider Unterbringungen zueinander aufgezeigt.

 
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