Einfluss der ärztlichen Einschätzung auf die richterliche Entscheidung
Wenn die ärztliche Begutachtung zu dem Ergebnis kam, dass eine Zwangsmaßnahme erforderlich ist, hat ein Richter trotzdem die Möglichkeit, sich entgegen der ärztlichen Einschätzung dafür zu entscheiden, die Zwangsmaßnahme abzulehnen.
Diesbezüglich äußert die Richterin, es als schwierig zu empfinden, sich über den ärztlichen Rat hinwegzusetzen.
„Da war noch die Schwierigkeit, dass die Ärzte in der Klinik die Gefahr gesehen haben. Das ist doppelt schwer, sich gegen ärztlichen Rat zu entscheiden, weil die ja nun mal die Fachleute sind, was das Medizinische angeht“ (Richterin 2014, Z. 285-287)
Weiterhin schildert sie, den ärztlichen Gutachten meistens zu folgen, da sie die ausstellenden Ärzte kennt und weiß, auf wessen Gutachten sie sich verlassen kann.
„Bei ärztlichen Attesten und Gutachten ist es in der Regel so, dass ich denen folge [...]. Das hängt aber auch damit zu tun, dass ich jetzt seit 8 Jahren hier in [Name einer Stadt] bin, die Betreuungssachen mach, und meine Ärzte ganz gut einschätzen kann und ich da auch weiß, bei wem muss ich kritischer nachfragen und genauer hingucken, und bei wem hab ich die Erfahrung gemacht, dass das gute Gutachten sind, die dann auch in der Zukunft sich als richtig erweisen“ (Richterin 2014, Z. 734-739)
Außerdem merkt sie kritisch an, dass sie sich nur in der Konstellation, dass die Ärzte eine Zwangsmaßnahme für erforderlich halten, gegen den ärztlichen
Rat entscheiden kann. Wenn aber die Ärzte eine Zwangsmaßnahme für nicht indiziert halten, dann hat sie keine Möglichkeit, die Zwangsmaßnahme trotzdem durchzusetzen, auch wenn sie die Betroffenen länger und besser kennt.
„ich kann zwar sagen, wenn n Arzt sagt, ‚Unterbringung ja', kann ich trotzdem sagen ‚nein', aber wenn ein Arzt schon sagt, ‚ich hab die medizinischen Voraussetzungen nicht', dann kann ich höchstens n zweites Gutachten einholen, aber ich kann nicht gegen ärztlichen Rat jemanden unterbringen [...]. Und dann gibt es schon Situationen, wo ich manchmal [...] einfach eine andere Einschätzung hab als die Ärzte [...] manchmal kenne ich die Betroffenen besser als die Ärzte und dann ärger ich mich über die Einschätzung.“ (Richterin 2014, Z. 744-754)
Aufgrund ihrer hohen Relevanz und der Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung wird die Entscheidung der Fachkräfte darüber, ob ein Mensch zur freien Willensbestimmung fähig ist, im nächsten Abschnitt speziell thematisiert.