Strategische Rückgriffe der extremen Rechten auf Mythen und Symbole

Georg Schuppener

Grundlagen

Wie jede nennenswerte politische Bewegung ist auch die extreme Rechte weder gänzlich homogen noch statisch, sondern vielmehr von verschiedenen Strömungen geprägt und bei aller Fortschreibung struktureller politischer Grundüberzeugungen dem ständigen Wandel unterlegen. Allerdings erweisen sich vermeintlich neue Phänomene oftmals lediglich als Rückgriff auf bereits Bekanntes oder als bloße Variation überkommener Muster und Traditionen. Dies trifft auch für die hier untersuchte Thematik zu, nämlich die Vereinnahmung und Umdeutung von Mythen und Symbolen im Rechtsextremismus.

Jede politische Bewegung verfügt zur Identitätsstiftung über ein gewisses Repertoire an Symbolen und Riten. Diese schaffen, zusätzlich zu rational-politischen Übereinstimmungen, auch emotional ein Gemeinschaftsgefühl und bieten zugleich nach innen und außen einen Wiedererkennungseffekt. Ebenso wie Unternehmen eine Corporate Identity haben, gilt dies auch für Parteien und politische Gruppierungen. Diese Gesichtspunkte treffen grundsätzlich auch für den Rechtsextremismus zu.

Anders als in allen anderen politischen Richtungen spielt im rezenten Rechtsextremismus der Rückgriff auf die Mythologie eine wichtige Rolle für die Identitätsstiftung. Definiert man den Mythos – stark vereinfacht – als "Erzählung über Menschen und Götter/höhere Wesen zum Zwecke der Erklärung der Welt" und grenzt ihn zugleich von kanonisierten Religionen ab, so kann man feststellen, dass außerhalb des Rechtsextremismus keine nennenswerte politische Richtung Elemente des Mythos adaptiert, auch wenn man unter einem erweiterten Mythos-Begriff durchaus Tendenzen zur Mythisierung in vielerlei Form (Gründungsmythen, Verklärung von Personen etc.) erkennen mag. Im Rechtsextremismus ist die Adaption von Mythen, speziell aus der germanischen (nordischen) Mythologie, hingegen dezidiert nachweisbar. Insbesondere werden durch den Bezug auf Mythen ein Großteil rechtsextremer Symbolik sowie einige Riten der rechtsextremen Szene fundiert.

Es sei aber darauf hingewiesen, dass nicht jede Bezugnahme auf germanische Mythologie automatisch auf einen rechtsextremen Hintergrund schließen lässt. Vielmehr gibt es durchaus auch eine Hinwendung zu dieser Thematik aus anderen Richtungen, so beispielsweise aus neuheidnischer Sicht, ohne dass damit zwingend eine rechtsextreme politische Intention verbunden wäre (vgl. Schuppener 2011a: 95 ff.).

Beim Rückgriff auf die Mythologie handelt es sich – zumindest auf den ersten Blick – um ein vergleichsweise junges Phänomen. Im Rechtsextremismus der Nachkriegszeit besaß die Bezugnahme auf die Mythologie bis in die 1980er Jahre hinein keine oder nur eine marginale Relevanz. [1] Erst seit den 1990er Jahren findet Mythologisches verstärkt Eingang in rechtsextreme Identitäten. Die Frage, welche Funktionen den Mythen dort zugewiesen werden, soll hier beantwortet werden, nachdem zuvor einige Befunde beschrieben worden sind.

  • [1] Dies zeigt ein Blick in die umfangreiche zweibändige Dokumentation von Tauber (1967).
 
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