Ablauf der Untersuchungen

Die im Rahmen des Forschungsprojektes durchgeführten Teilstudien und Untersuchungen werden im Folgenden in ihrem chronologischen Ablauf vorgestellt:

• Zuerst wurden für die Jahre 2011 und 2012 aus allen drei Polizeidirektionen Sachsen-Anhalts möglichst viele und möglichst ungefilterte Informationen aus dem polizeilichen Auskunftssystem (IVOPOL, WARSA) zur polizeilichen Erfassung und Vorgangsbearbeitung von PMK rechts erfasst. Die Informationen wurden bei den Polizeidirektionen und beim Landeskriminalamt eingeholt.

• Die Informationen wurden für jede Polizeidirektion in Excel-Tabellen zusammengefasst und anschließend gefiltert. Entfernt wurden alle Propagandadelikte und Vorgänge, die keine Informationen über mutmaßliche Opfer mit Migrationshintergrund enthielten. Von den verbliebenen Vorgängen wurden diejenigen ausgewählt, die deutliche Hinweise auf mögliche fremdenfeindliche und rassistische Motive der Tatverdächtigen enthielten. Aufgrund der meistens knappen und unvollständigen Sachverhaltsdarstellungen wurden diese Vorgänge in einem abgestimmten Verfahren in die Polizeidirektionen mit der Bitte zurückgesendet, die Sachverhaltsdarstellungen zu vervollständigen und um die erfolgten polizeilichen Erstmaßnahmen zu ergänzen. Im Ergebnis sind polizeiliche Fallund Fallbearbeitungsdokumentationen entstanden. Aus diesen wurden exemplarische Fälle für die weiteren Untersuchungen ausgewählt.

• In Bezug auf die exemplarischen Fälle, zunächst aus der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd, ist gemeinsam mit einem dafür abgestellten Polizeibeamten geprüft worden, ob es weitere Möglichkeiten gibt, das polizeiliche Einsatzhandeln zu recherchieren, ob in den Sachverhalten/Fällen noch weitere polizeiliche Maßnahmen erfolgt oder unterblieben sind.

• Parallel zu den Recherchen und Analysen polizeilicher Informationen wurden exemplarische Falldarstellungen der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalts (Miteinander e. V.) aus den o. g. Jahren erbeten und zur Verfügung gestellt. Diese Falldarstellungen wurden aus Gründen des Vertrauensschutzes und zur Verhinderung polizeilicher Nachermittlungen hinreichend anonymisiert und in Bezug auf identifizierbare Örtlichkeiten und zeitliche Bezüge modifiziert, ohne das Wesentliche in den Fallbeschreibungen aus der Sicht von Opferberaterinnen und -beratern zu entstellen. Die insgesamt 19 exemplarischen Fallbeschreibungen wurden für die weiteren Untersuchungen aufbereitet und in den später durchgeführten Interviews und Gruppendiskussionen mit Polizeibeamtinnen und -beamten aufgegriffen. Des Weiteren dienten die Fallbeschreibungen der exemplarisch kontrastierenden Gegenüberstellung der Polizeiund Opferperspektive. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei der Fall „K“ ein.

• Mit einer umfassenden Literaturrecherche wurde die Forschungsgeschichte seit 1990 zum polizeilichen Einsatzverhalten in interkulturellen Situationen ermittelt und die Implikationen daraus für die vorliegende Pilotstudie expliziert. Auf dieser Grundlage wurden die Forschungsfragen für die vorliegende Studie entwickelt und definiert. Gleiches gilt für die methodologischen Überlegungen zum Forschungsgegenstand der Studie.

• Die qualitativen Einzelinterviews und Gruppendiskussionen, die den Kern der Untersuchung bilden, sind im Anschluss an die (Vorab-)Recherche zur polizeiliche Vorgangsbearbeitung und Dokumentenanalyse der polizeilichen Auskunftssysteme durchgeführt worden.

• Zunächst wurde eine Gruppendiskussion mit Mitarbeitern der Mobilen Opferberatung zu deren fallbezogener Problemwahrnehmung und Beurteilung des polizeilichen Einsatzverhaltens durchgeführt.

• Eine studentische Forschergruppe, bestehend aus „Aufsteigern“, führte parallel im Rahmen ihres Studium im Ausbildungsmodul „Unser erstes Forschungsprojekt“ Einzelinterviews mit migrantischen Opfern und Betreuerinnen von Migranten, darunter Dolmetscherinnen, durch. Diese Interviews bezogen sich auf Erfahrungen, die diese Personen mit der Polizei hatten.

• Der umfangreichste Teil der Studie betrifft die Untersuchungen zum polizeilichen Erfahrungsund Handlungswissen. Hierzu sind 17 leitfadengestützte Experteninterviews mit Polizeibeamtinnen und -beamten aus allen drei Polizeidirektionen, die Führungsfunktionen wahrnehmen, durchgeführt worden. Zusätzlich wurde ein Polizeibeamter, der selbst einen Migrationshintergrund hat, interviewt. Zudem wurden sechs Gruppendiskussionen mit jeweils fünf Polizeibeamtinnen und -beamten aus allen Polizeidirektionen durchgeführt, drei Gruppendiskussionen mit Beamtinnen und -beamten aus dem Streifenund Einsatzdienst und drei mit Beamtinnen und -beamten aus dem Kriminaldienst.

• Abschließend wurden die Interviews mittels der vorab definierten Forschungsfragen verdichtet und ausgewertet.

• Aus den Ergebnissen der Forschungsstudie wurden schließlich konkrete Vorschläge für die Polizeiarbeit und die polizeiliche Weiterbildung abgeleitet. Außerdem wurde der weitere Forschungsbedarf aufgezeigt und Grundlagen für die Fortsetzung des Forschungsprojektes dargestellt.

Im Untersuchungsplan des vorliegenden Forschungsprojekts waren ursprünglich weitere Recherchen und Erhebungen vorgesehen, die aber aus verschiedenen Gründen nicht realisiert werden konnten. Dabei handelt es sich um eine Recherche einschlägiger staatsanwaltschaftlicher Akten und um angefragte, aber nicht „beantwortete“ Experteninterviews mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Weißen Rings zu Erfahrungen ihrer Klienten mit der Polizei, zu möglichen Ursachen für Nichtanzeigen sowie zu ihren Erwartungen an die Polizeiarbeit. Eine weitere vorgesehene Recherche galt thematisch einschlägigen Informationen aus der Beschwerdestelle im Ministerium für Inneres und Sport. Diese hat aber keine Resultate erbracht.

Kritische Betrachtung der Untersuchungsdurchführung

Das rekonstruierende und interpretative Vorgehen ist selbst bei strikter Einhaltung der methodischen Vorgaben und Arbeitsschritte zur Analyse grundsätzlich nicht vor Fehlern gefeit. So kann die Objektivität der Interpretationen durch latente Werturteile oder Vorurteile der Forscher beeinträchtigt werden (vgl. Asmus 2002). Jedoch können Fehldeutungen durch den methodischen Nachvollzug der transkribierten Interviewtexte von Dritten korrigiert werden (Falsifikation).

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Zusammensetzung der Teilnehmer an den Gruppendiskussionen. Hierbei handelt es sich nicht um „echte“ Dienstgruppen, die alltäglich im Streifenund Einsatzdienst sowie im Kriminaldienst gemeinsam handeln, was in unserem Forschungsinteresse wünschenswert gewesen wäre. Die Teilnehmer kamen zum Teil aus verschiedenen Revieren, allerdings immer aus dem Bereich einer Polizeidirektion. Es hat sich aber gezeigt, dass die Erfahrungen nicht unterschiedlich sind, so dass die Wissensund Erfahrungsbestände der Teilnehmer als kollektives Bewusstsein [1] der jeweiligen Teile der Polizeiorganisation angesehen werden können.

Ein zentraler Kritikpunkt, nämlich die Gefahr sozial erwünschter Aussagen in den Erhebungen, konnte im Ergebnis ausgeschlossen werden. Selbst Teilnehmer der Interviews und Gruppendiskussionen, die vorab Bedenken geäußert haben, was mit ihren Aussagen geschieht, haben offen gesprochen. Das wird nicht hauptsächlich auf die selbstverständlich zugesicherte Anonymität der Auswertung zurückgeführt, sondern auf die Untersuchungsmethode. Vor allem die Anknüpfung an die eigenen Erfahrungen und an das tatsächlich Erlebte der Teilnehmer sowie die gesicherte Selbstläufigkeit der Diskussionen haben zu (verblüffendem) „Klartext“ geführt, was für die Validität der Forschungsannahmen von erheblicher Bedeutung ist.

  • [1] 7 Kollektivbewusstsein wird im Sinne von Emile Durkheim als eine Gesamtheit von Anschauungen und Gefühlen verstanden, die der Durchschnitt der Mitglieder einer Gesellschaft
 
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