Die geteilte Zuständigkeit: Polizeivollzugsdienst und Ortspolizeibehörde im Platzverweisverfahren

Die Polizeibeamt/innen wurden befragt, was sie von der geteilten Zuständigkeit in Bezug auf den Platzverweis in Baden-Württemberg halten: Positive Aspekte hinsichtlich dieser Arbeitsteilung wurden von allen Befragten benannt. Zwei von ihnen sähen jedoch die alleinige Entscheidungsbefugnis grundsätzlich gerne beim Polizeivollzugsdienst. Ein Argument hierfür betraf den Wunsch nach der Möglichkeit eines machtvolleren Einschreitens der Polizei in Fällen, bei denen wiederholt Einsätze wegen häuslicher Gewalt notwendig waren:

„...bei Fällen, wo wir eben 20 Stunden dran rum fahren, würd' man sich es schon wünschen, dass man da vielleicht mehr zu sagen hat...“ (P 4, Abs. 148)

Hier wird die Einschätzung hörbar, dass die Eingriffsbefugnis zu einer nur kurzfristigen Verweisung des Täters angesichts der Häufigkeit der Interventionen zu gering ist. Ein rigideres Handeln mit weitreichenden Entscheidungen vor Ort erschiene ihm angemessener und eindrücklicher. Seine Aussage enthält auch die Betonung, dass es der Polizeivollzugsdienst ist, der mit hohem Zeiteinsatz interveniert – nicht die Ortspolizeibehörde. Dementsprechend wünscht er auch eine adäquate Ausstattung seiner Handlungsmacht. Möglicherweise bewertet er auch die Situation der Überprüfung der Maßnahme durch eine übergeordnete Behörde als eine Demontage der Stärke und Autorität der Eingriffspolizei, welche sich letztendlich auch den Beteiligten offenbaren muss.

Das zweite Argument gegen die geteilte Zuständigkeit betrifft den Arbeitsaufwand, der mit der primären Zuständigkeit der Ortspolizeibehörde für den Polizeivollzugsdienst verbunden ist. Einsatzberichte und Maßnahmenbegründungen für die Ortspolizeibehörde müssen geschrieben werden. „Ich denk halt wenn das hier in den eigenen Reihen wäre, würde das unkomplizierter laufen“ (P SZ 3, Abs. 139). Zum Ausdruck kommt hier das Erleben einer gewissen Ferne zwischen der handelnden und der behördlichen Polizei, der street-cops und den örtlichen Verwaltungsangestellten. Ein Mehr an Kommunikation ist durch die gemeinsame Zuständigkeit vonnöten.

Es finden sich einige Hinweise in den Interviews, dass sich erst im Lauf der Zeit eine einvernehmliche Zusammenarbeit mit der Ortspolizeibehörde in diesem Themenbereich herausgebildet hatte. Ein Befragter kritisierte „Beschönigungen“ (P 4, Abs. 127) der Vorfälle in der Anfangszeit der Einführung des Platzverweises durch Mitarbeiter/innen auf der Behörde. Seiner Erfahrung nach wurde so mancher vorläufige Platzverweis beendet, nachdem die Beteiligten bei der Anhörung auf der Behörde ihren guten Willen artikulierten. Wenige Tage später war dann erneut ein Polizeieinsatz vonnöten. Dies änderte sich seines Erachtens mit Zunahme des Erfahrungswissens der Mitarbeiter/innen der Ortspolizeibehörde. Ein vorläufig ausgesprochener Platzverweis wird nun von der Behörde meist „durchgezogen“ (P 4, Abs. 127). Auch andere Interviewpartner/innen beschrieben „...die ziehen mit...“ (P SZ 5, Abs. 117; P SZ 3, Abs. 135), was bedeutet, dass die Behörde in der Regel der Einschätzung der Angemessenheit der Maßnahme des Polizeivollzugdienstes folgt. Das von Behr beschriebene Handlungsmuster von Polizist/innen „begonnene Maßnahmen werden durchgezogen“ (vgl.: Kap. 4.2.2) wird durch die Beteiligung der Ortspolizeibehörde im Platzverweisverfahren grundsätzlich in Frage gestellt. Hinsichtlich der positiven Bewertung der Beteiligung der Ortspolizeibehörde am Platzverweisverfahren wurden folgende Aspekte benannt:

• Aspekt der Entlastung von Verantwortung durch die Zuständigkeit der Ortspolizeibehörde

Eine Interviewpartnerin bezeichnete die Aufgabe der Ortspolizeibehörde innerhalb der Interventionskette als eine „Erleichterung“ (P 2, Abs. 207) für den Polizeivollzugsdienst. Sie befürwortet, dass von Seiten der Behörde die Entscheidung über einen starken Eingriff in die Rechte eines Bürgers nochmals überprüft und gegebenenfalls von ihr getragen wird. Für den Polizeivollzugsdienst bedeutet dies ihrer Aussage nach: „Es ist jetzt nicht eine Entscheidung, die wir 100%ig fällen müssen.“ (P 2, Abs. 207). Eine andere Polizistin berichtete, dass Polizeibeamt/innen vor Ort sich durch die erneute Überprüfung der Ortspolizeibehörde leichter für einen Platzverweis entscheiden können. Liegen im Einzelfall Aspekte vor, die ihnen die Angemessenheit der Maßnahme fraglich erscheinen lassen, können sie sich sagen: „Komm, wir machen das jetzt trotzdem mal und gucken, ob's bestätigt wird.“ (P SZ 3, Abs. 51). Sie müssen vor Ort nicht endgültig klären, wie einzelne Aspekte des Sachverhalts in Bezug auf die Angemessenheit zu beurteilen sind, sondern können diese Bewertung den Polizeibehörden überlassen. Die Aufgabe der Befristung eines Platzverweises durch die Ortspolizeibehörde stellt für beide Interviewpartner/innen eine Entlastung von Verantwortung dar. Entscheidungsunsicherheiten werden tragbarer. Zwei Befragte vermuteten außerdem eine Entlastung für Polizeireviere im Falle einer Anfechtung des Platzverweises durch Verwiesene vor dem Verwaltungsgericht. Diesen Fall sehen sie mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden, für welchen den Revieren ihres Erachtens die nötigen personellen Ressourcen fehlen.

• Aspekt der Entscheidung in zeitlichem Abstand zur Einsatzsituation

Als positiv wurde erwähnt, dass die Entscheidung über einen längerfristigen, 14tägigen Platzverweis nach einer getrennten Anhörung beider Beteiligten „in Ruhe“ (P SZ 6, Abs. 170) getroffen werden kann. Eine solche Ruhe haben Polizeibeamt/innen vor Ort nicht: „Es ist immer schwierig unter dem Geschrei erst mal herauszufinden, was los war.“ (P 4, Abs. 17), und selbst das gelingt ihnen ihrer Aussage entsprechend häufig nicht widerspruchsfrei. Eine Bearbeitung des Falles außerhalb der Einsatzsituation ermöglicht ihres Erachtens, dass der Sachverhalt eindeutiger zu eruieren und die Angemessenheit der Maßnahme besser abzuwägen ist. Eine Interviewpartnerin sieht diese Aufgabe bei der Ortspolizeibehörde als gut verortet an, da sie weniger mit Polizei assoziiert wird als ein Polizeirevier. Sie schließt damit auf eine höhere Offenheit der Beteiligten gegenüber einer Verwaltungsdienststelle.

• Aspekt der Korrektur

Durch die Anhörung von Opfer und Täter durch die Mitarbeiter/innen der Ortspolizeibehörden besteht die Möglichkeit, dass diese weitere Aspekte des Gewaltvorfalls erfahren oder gegebenenfalls Darstellungen der Beteiligten gegenüber dem Polizeivollzugsdienst berichtigt werden. So berichtete ein Interviewpartner von einem Fall, in dem eine vermeintlich gewaltbetroffene Frau auf der Behörde den Vorwurf der Gewalt des Partners gegenüber der Polizei als „frei erfunden“ (P SZ 5, Abs. 119) offenlegte. Da der Sachbearbeiter von der Richtigkeit dieser zweiten Aussage ausging, konnte ein zu Unrecht ausgesprochener Platzverweis aufgehoben werden.

• Aspekt des Schutzes vor Machtmissbrauch durch den Polizeivollzugsdienst Jener Polizist, der sich grundsätzlich wünschen würde, als Polizeivollzugsdienst

„mehr zu sagen“ (P 4, Abs. 148) zu haben, sieht gleichzeitig mit einer Erhöhung

der Eingriffsbefugnis die Gefahr eines Machtmissbrauchs durch Kolleg/innen im Streifendienst:

„...ich sag mal wenn wir jetzt entscheiden dürften, wie lang ein Platzverweis dauert, also dann gibt ´s bestimmt dann welche, wo das dann halt übertreiben sag ich jetzt mal. Ja. So sagen: jetzt machen wir mal bei dem so. Und jetzt!“ (P 4, Abs. 148)

Diese Gefahr einer unangemessenen Härte in der Entscheidung sieht er, wie er darauffolgend ausführt, bei der Ortspolizeibehörde als nicht gegeben an.

 
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