Der Kontakt: Vertrauensvoll mit Einschränkung

Der Kontakt zwischen gewaltbetroffenen Frauen und der Polizei gestaltet sich nach Darstellung der Interviewpartner/innen stark in Abhängigkeit dessen, wer ihn initiierte. Beschrieben wurde, dass Frauen, bei denen der Einsatz aufgrund einer Meldung aus der Nachbarschaft erfolgt, gegenüber den Beamt/innen selten gesprächsbereit sind. Sie haben sich nicht selbst für diesen Kontakt entschieden, wollen keine polizeiliche Intervention und verhalten sich dementsprechend zurückhaltend bis hin zu abweisend. Für die Polizei ist es in diesen Fällen nicht einfach, den Geschehensablauf zu erfassen, Straftaten festzustellen und gegen diese zu ermitteln. Liegen keine Anhaltspunkte für Gewalt vor und das Paar berichtet, wenn überhaupt, höchstens von Streitigkeiten, bleibt ihnen ihrer Beschreibung nach nichts anderes übrig, als ihren Verdacht auf das Vorliegen von Gewalt zu kommunizieren, sich als Ansprechpartner für diesen Fall zu präsentieren und die Szenerie ohne weitere Interventionen zu verlassen. Es nützt nichts so eine der Befragten – wenn sie sich einer Frau, die sich nicht helfen lassen will, „aufdrängt“ (P SZ 3, Abs. 19).

Anders verhält sich dies bei Frauen, die den Kontakt selbst herstellen. Hier wurde beobachtet, dass die Entscheidung, die Polizei einzuschalten, den Frauen meist nicht leicht fällt. Entsprechend der Vermutung mancher Befragten haben sich viele Frauen bereits im Zusammenhang mit vorangegangenen Gewaltsituationen intensiv mit dieser Möglichkeit auseinandergesetzt und sich darüber „den Kopf zergrübelt“ (P 1, Abs. 73). Die Entscheidung fällt dann in einer direkten Gewaltsituation: „Jetzt langt 's mir, jetzt hol ich die Polizei“ (P 1, Abs. 73). Diese Formulierung deutet an, dass ein gewisser Punkt dessen, was für die Frau noch erträglich oder hinnehmbar erschien, überschritten wurde. Dieser gewisse Punkt kann nach Ansicht einer Interviewpartnerin bereits dann erreicht sein, wenn eine Frau von ihrem Mann „rumgestoßen“ wird oder erst dann, wenn die Frau nicht nur „grün und blau geschlagen“, sondern auch „gewürgt“ wird. Nicht eine bestimmte Gewaltschwere ist ausschlaggebend, sondern das Erleben dieser Gewalt als „ganz arg schlimm“ (P SZ 3, Abs. 21). Die Erzählbereitschaft der Frauen, die selbst um Hilfe gerufen haben, wurde von den befragten Beamt/innen des Streifendienstes als auch von denen der Sonderzuständigkeit mehrheitlich als offen beschrieben. Sie berichteten, dass Frauen ihnen bereitwillig und ausführlich Auskunft über den Gewaltvorfall geben.

Es gibt jedoch auch Frauen, die von den Polizeibeamt/innen vor Ort als sprachlos erlebt werden. Sie wirken wie „geschockt“ (P SZ 3, Abs. 55), scheinen noch ganz unter dem Eindruck der gerade erlebten Eskalation zu stehen und können nur spärlich über den Gewaltvorfall sprechen. Auch können sie vor Ort wenig von dem aufnehmen, was die Polizei ihnen hinsichtlich des Platzverweises und ihrer Intervention mitzuteilen hat. Für diese Frauen ist nach Ansicht der Befragten das Gespräch auf dem Polizeirevier am Folgetag besonders wichtig. Erst nach einer gewissen ersten Beruhigung sind diese Frauen ihrer Erfahrung nach in der Lage zu sprechen.

In einigen wenigen Fallbeschreibungen wurden Frauen im Kontakt zur Polizei als sehr ambivalent beschrieben. Hier berichtete eine Interviewte von einer Frau, die den Polizeiruf aufgrund häuslicher Gewalt selbst wählte, der eintreffenden Streife vor Ort jedoch deutlich machte, keine polizeiliche Intervention zu wünschen und ihr ein Betreten der Wohnung verweigerte. Eine andere Frau, so wurde berichtet, machte in mehreren der wiederholt durchgeführten Einsätzen der Polizei gegenüber ausschließlich indirekte Andeutungen über das Gewaltgeschehen, die sie nie konkretisierte. In beiden Fällen gelang es auch den Beamt/innen der Sonderzuständigkeit nicht, im Anschluss an den Einsatz das Vertrauen dieser Frau zu gewinnen. In diesen Ausführungen zeigt sich eine Angewiesenheit der Polizei auf die Mitwirkung der gewaltbetroffenen Frau, im Sinne einer Offenheit über Gewalt zu sprechen. Ohne diese „ist halt nichts möglich“ (P SZ 3, Abs. 33). Die Strafverfolgung bleibt ihrer Erfahrung nach ohne Aussage der Frau in den meisten Fällen ergebnislos, und ein Platzverweis wird hier oft überschritten. Sie wollen Unrecht beseitigen, Straftaten verfolgt wissen und erleben sich plötzlich in Opposition jener, denen sie helfen und die sie schützen wollen. In den Interviews mit den Polizeibeamt/innen zeigt sich hier stärker eine Klage über schweigende, Hilfe verweigernde Frauen als eine Kritik an der bestehenden Rechtslage, die die Handlungsmächtigkeit der Polizei bei Delikten im privaten Raum einschränkt.

Die Interviews legen nahe, dass der Kontakt zwischen Polizei und Gewaltopfern auch durch die Situation geprägt wird, in der sie aufeinander treffen. Es macht einen Unterschied, ob die Polizeibeamt/innen direkt in bzw. kurz nach einer Gewalteskalation in Kontakt mit den Gewaltbetroffenen treten oder ob sie dies erst an einem Folgetag tun. Die Polizeibeamt/innen im Streifendienst berichteten, in der Regel eine hoch emotionale, eskalierte Situation anzutreffen. Ihr Aufgabenspektrum ist vielfältig: Sie müssen sich auf Täter, Opfer sowie anwesende Kinder und eventuell auf weitere Personen beziehen, die Gefährdungssituation erkennen und handhaben. Für die Beamt/innen der Sonderzuständigkeit gestaltet sich der Kontakt anders, denn sie stehen nicht unter sofortigem Handlungsdruck zur Abwendung einer akuten Gefahr. Außerdem haben sie die Möglichkeit, sich ausschließlich auf das Opfer zu konzentrieren und sich hierfür Zeit zu nehmen. Das Gespräch wird sowohl durch die polizeilichen Aufgaben, die den Beamt/innen der Sonderzuständigkeit zufällt, sowie durch deren persönliches Verständnis über Ziele dieses Kontaktes geprägt. Desweiteren gestalten die Erzählbereitschaft und Aufnahmefähigkeit der Frauen als auch deren individuelle Anliegen das Gespräch.

Grundsätzlich wird in allen Interviews mit den Sonderzuständigen für häusliche Gewalt ihr Bemühen dargestellt, das Vertrauen der Frauen zu gewinnen. Sie zeigen sich meist äußerst offen hinsichtlich der Geschichten der Gewalt der Frauen, den aktuellen als auch den zurückliegenden, sowie der damit verbundenen Befindlichkeit. Ein Interviewpartner erzählte von seinen Gesprächen mit den Frauen:

„Wir sitzen manchmal Stunden bis sie jetzt ein bisschen auftauen und vielleicht ein Stück weit Vertrauen fassen und dann kommt ´s oft vor, dass dann eben alles, was über Jahre angestaut war herausbricht. Dann heulen sie also immer mal ´ne Stunde oder so (...) Zum Teil kommen dann aus dem Intimbereich Einzelheiten raus, also – da muss ich manchmal weggucken, gell.“ (P SZ 5, Abs. 33, 93)

In dieser Beschreibung kommt zum Ausdruck, dass sich der Polizist die Öffnung der Frauen zum Ziel gesetzt hat. Er nimmt „Stunden“ dafür in Kauf, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, die Frauen ermutigt von der erlittenen Gewalt zu sprechen. Die Gespräche können dann eine Intensität an Freimütigkeit auf Seiten der Frauen erreichen, die durchaus an die Schamgrenze des zuhörenden Polizisten stoßen kann.

Hier stellt sich die Frage, aufgrund welcher Ziele manche Polizist/innen versuchen, das Vertrauen der Frauen zu gewinnen und welche Konsequenzen mit solchen vertrauensvollen Gesprächen verbunden sind. In allen Interviews der Polizeibeamt/innen mit Sonderzuständigkeit findet sich diesbezüglich der Aspekt des Helfens: „...die Polizei ist also da um zu helfen“ (P SZ 6, Abs. 67) oder entsprechend einem Vortragsmanuskript des vorab Zitierten: „Die Opfer sollen Vertrauen zur Polizei haben und nicht Misstrauen. Die polizeilichen Möglichkeiten zu helfen haben sich deutlich verbessert.“ (P SZ 5). Hier tritt ein Element des allgemeinen professionellen Selbstverständnisses der Polizei zutage: die Polizei hat den Anspruch zu helfen und Möglichkeiten dazu – sofern sich Opfer von Gewalt ihr anvertrauen. Es wird deutlich, dass sich die Interviewpartner/innen mit diesem Aspekt der helfenden Polizei stark identifizieren. Eine Polizistin berichtete:

„Mein Ziel ist es schon, dass die Frauen mir erzählen was war. Mhm Aber nicht um die Männer in die Pfanne zu hauen oder da wegen der Strafanzeige, einfach weil ich's dann halt besser einschätzen kann. Falls die Sache, also falls diese Personen wieder kommen (...). Wenn keiner was sagt, dann kann ich die Personen ja auch nicht einschätzen. Und ich denk, dann kann ich den Leuten auch nicht helfen oder keine Hilfe anbieten, weil ich nicht weiß, wo hakt ´s.“ (P SZ 3, Abs. 101)

Die Zitierte betont hier ihre Intention des Einschätzen-Könnens. Dies bezieht sie zum einen auf eine Einschätzung des Grades der Gefährlichkeit des Mannes, bedeutsam für die aktuelle und zukünftige Polizeiarbeit. Zum anderen bezieht sich die Einschätzung auf die konkreten Problemlagen, denn nur wenn sie diese kennt, kann sie nach passenden Hilfen suchen und weitervermitteln. Ihr Bestreben, herauszufinden „wo `s hakt“, deutet darauf hin, dass sie gewaltbegünstigende Faktoren in Erfahrung bringen möchte. So wird in ihren Fallbeschreibungen deutlich, dass sie über Unterstützungsangebote aufklärt oder auf Wunsch einen Platz in einem Frauenhaus vermittelt. Hier zeigt sich die Konstruktion, dass häusliche Gewalt überwindbar ist: wenn Vermittlung in passende Hilfen gelingt, kann sich die Frau aus ihrer gewaltbelasteten Lebenssituation befreien.

Die Motive Vermittlung von Hilfen und ein der Gefährdungssituation angepasstes professionelles Handeln im Falle eines erneuten Hilferufs haben für diese Polizistin Priorität. Sie beugt gleich einem möglichen Eindruck beim Zuhörenden vor, es ginge ihr in erster Linie um die Strafverfolgung oder um ein eigenes Interesse an einer Bestrafung des Mannes. Sie will nicht den Eindruck erwecken, aus einer Lust an Vergeltung heraus zu handeln und betont, dass ihr am Schutz der Frauen sowie an der Verbesserung ihrer Lebenssituation mehr gelegen ist als an der Strafverfolgung. Hintergrund für diese Prioritätensetzung kann sein, dass sie – wie auch andere Interviewpartner/innen – die Strafverfolgung selten als geeignet betrachtet, häusliche Gewalt einzudämmen.

Im Interview mit dieser Polizistin wird gleichzeitig ein Dilemma sichtbar, welches mit einem vertraulichen Gespräch mit gewaltbetroffenen Frauen für die Polizei verbunden sein kann. Sie berichtete:

„Ich kam ganz am Anfang in eine Zwickmühle, dass die Frau dann so ihre Seele ausschüttet. Mhm Und wir sind ja keine Vertrauenspersonen, sondern wir unterliegen der Strafverfolgungspflicht. Und dann hat sie mir erzählt von einer Waffe von ihrem Mann, vom Drogenhandel, dann selber, dass sie das Sozialamt betrogen hat, weil sie den Mann bei sich aufgenommen hat und das nicht gemeldet hat, und dann stand ich in der Zwickmühle. Weil ich gedacht habe, jetzt will ich der Frau eigentlich helfen, ABER durch das, was sie mir alles erzählt hat, muss ich ja auch weitere Ermittlungen auch gegen sie mit dieser SozialhilfebetrugGeschichte machen. Und dann der Mann war schon ziemlich brutal, und da hab ich gedacht, wenn der jetzt erfährt, was sie mir da noch alles erzählt hat, da musste ich ja doch was einleiten, wegen dieser Waffe und dieser Drogengeschichte, da kann das für die Frau vielleicht nicht so toll aussehen. Und seitdem habe ich ´s mir angewöhnt, dass ich den Frauen GRUNDSÄTZLICH, obwohl es mich natürlich schon NEUgierig macht, was hinter diesen ganzen Geschichten bei den Frauen steckt, sag ich halt grundsätzlich, dass ich keine Vertrauensperson bin, dass wenn sie mir von Straftaten erzählen, egal wen es betrifft, muss ich was unternehmen. Und viele Frauen registrieren das grad gar nicht so, die erzählen dann trotzdem. Und viele werden natürlich vorsichtig und überlegen sich, erzähl ich jetzt was oder nicht.“ (P SZ 3, Abs. 31)

Die angesprochene „Zwickmühle“ kann sich für die Polizistin dadurch ergeben, dass sie sich einerseits Informationen über die Gewalterfahrungen der Frau wünscht, um die Gefährdung einschätzen und Hilfen anbieten zu können, dabei aber gleichzeitig von Straftaten erfährt, die sie verfolgen muss. Dies betrifft in ihrer Erzählung sowohl weitere Straftaten des Mannes, deren Verfolgung für die Frau bedrohlich werden könnte, sowie Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten, die die Frau selbst begangen hat und deren Verfolgung mit Unannehmlichkeiten für sie verbunden ist. Statt Hilfe und Gefahrenabwehr stehen am Ende des Gesprächs ihres Erachtens eine erhöhte Gefährdung und neue Schwierigkeiten für die Frau. Der polizeiliche Auftrag, Straftaten zu verfolgen kann einem vertrauensvollen Kontakt zwischen Frauen und Polizei entgegenstehen.

Dieses grundsätzliche Dilemma, das mit dem Wunsch, helfen zu wollen verbunden ist, kann möglicherweise zur Folge haben, dass ein paradoxer Appell von Seiten der Polizei an Gewaltbetroffene gerichtet wird: Erzähl mir von der Gewalt, den Ursachen und persönlichen Problematiken, damit ich die Gefährdung einschätzen und Hilfen anbieten kann – erzähl mir dabei nichts, was eine Strafverfolgung erforderlich machen würde, die dich selbst betrifft oder die dich gefährden würde. Damit befindet sich nicht nur die Polizei in einer Zwickmühle sondern auch die Gewaltbetroffenen: Frauen, die sich zum Schweigen entscheiden, weil sie eine Strafverfolgung ablehnen, laufen Gefahr, dass die Polizei durch ihre fehlende Aussage ihre Gefährdung nicht richtig einschätzen kann und die Verfolgung der Straftaten des Mannes erschwert oder gar unmöglich sein wird. Frauen, die sich zum Sprechen entscheiden, weil sie die Verfolgung der Straftaten des Mannes befürworten, laufen Gefahr einer weiteren Gefährdung durch den Mann aufgrund dessen Zorns auf ihre Aussage. Hilfe und polizeilicher Schutz vor weiterer Gewalt hat damit Grenzen, und zwar unabhängig davon, ob eine Frau spricht oder nicht.

Die oben zitierte Polizistin beschrieb, diesen Konflikt inzwischen dadurch zu lösen, dass sie Frauen vor dem Gespräch „grundsätzlich“ auf ihre Strafverfolgungspflicht aufmerksam macht. Mit dieser Vorgehensweise entlässt sie sich aus der Verantwortung. Das Dilemma löst sie ihrer Ausführung nach damit jedoch nicht für alle Frauen. Manche erfassen diesen Appell nicht, andere wägen ab, was sie erzählen und was sie verschweigen.

 
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