Veränderung anstoßen
Die Ausführungen zur Auslegung des Arbeitsauftrages im vorangegangenen Kapitel machten bereits deutlich, dass die Befragten über ihre gesetzliche Pflicht zur Abwehr von Gefahrenlagen hinaus einen Beitrag leisten wollen, häusliche Gewalt langfristig zu beenden. Im Folgenden wird nun konkretisiert, in welchem Handeln die Expert/innen einen solchen Beitrag verstehen.
• Vermittlung des Platzverweises als „Chance“ für die Beteiligten
Eine der Befragten betonte ihr Anliegen, Tätern wie Opfern darzulegen, dass der Platzverweis „...keine Strafe ist, sondern eine Chance darstellen soll. Er soll einen Freiraum bieten zu handeln“ (OPB 1, Abs. 63). Hierin liegt eine Aufforderung an die Beteiligten, den Erlass eines Platzverweises nicht als eine restriktive Maßnahme, sondern positiv als eine Chance zu betrachten. Entsprechend diesem Bild bietet der Platzverweis ihnen nun eine Gelegenheit, der Gewaltproblematik aktiv zuwiderzuhandeln und selbstbestimmt zu handeln, was im Beziehungsalltag nicht möglich erscheint. Hinter dieser Aussage steht die Auffassung, dass es den Partnern nur getrennt voneinander möglich ist, Veränderungen in der Partnerschaft vorstellbar werden zu lassen. Ohne diese Zäsur bleiben sie – wie sie nachfolgend ihre Auffassung erläutert – in einer sich zwangsläufig wiederholenden Dynamik von Gewalt, Versöhnung, Verdrängung verstrickt. Es zeigt sich in dieser Aussage auch die Annahme, der Platzverweis könne von den Beteiligten als Bestrafung – im Sinne einer Demütigung – erlebt werden, die ihre Persönlichkeit eher schwächen könnte. Durch den Appell, den Platzverweis als Chance zu begreifen, will sie dieser Möglichkeit des Erlebens vorbeugen.
Eine andere Befragte erachtet den Zeitraum des Platzverweises von 14 Tagen in der Regel als zu kurz, um dem eigenen Leben plötzlich eine neue Wendung zu geben. Ihrer Erfahrung entsprechend sind die wenigsten Frauen entschieden die Beziehung zu beenden, sondern befinden sich in einer Verfassung der Verwirrung und Unschlüssigkeit. Ihnen bietet der Platzverweis aber „...wirklich mal WENIGSTENS diese Zeit, um sich Gedanken darüber machen zu können“ (OPB 2, Abs. 206). Auch hinter dieser Aussage steht die Auffassung, dass die Partner im gemeinsamen Alltag kaum in der Lage sind, die Partnerschaft mit ihrer Gewaltproblematik und den Konsequenzen für das eigene Leben kritisch zu reflektieren. Sie appelliert:
„...[ich, Anm. Verf.] werd in den Fällen auch mit denen diskutieren und denen sagen, sie sollen diese zwei Wochen nützen, auch wenn für sie klar ist, sie wollen an der Beziehung festhalten, aber versuchen – vielleicht auch Paartherapie in Anspruch zu nehmen oder da zumindest die Wege einzuleiten oder vielleicht Einzeltherapie oder wie auch immer, aber sich damit auseinanderzusetzen: Das ist passiert! Und das war nicht nur – ähm – ein Ausrutscher oder das war nicht nur ein verbaler Streit oder sonst was, sondern es war schon sehr massiv mit Verletzungen und so weiter, und sie sollten die Zeit nutzen, also diese zwei Wochen...“ (OPB 2, Abs. 23)
Das Anstoßen eines solchen „Denkprozesses“ bezeichnete sie an anderer Stelle im Interview als die „zweite Aufgabe des Platzverweises“ (OPB 2, Abs. 206). Sie vermutet eine Tendenz zur Verharmlosung und Verdrängung der Gewaltproblematik bei Täter wie Opfer und will hier entgegenwirken, indem sie mit den Beteiligten „diskutiert“, und an sie appelliert, die Chance des Platzverweises zu ergreifen. Unter Auseinandersetzung – so lässt sich interpretieren – versteht sie die realistische Betrachtung und Bewertung des Gewaltvorfalls in seiner ganzen Schwere, bestenfalls mit der Unterstützung durch therapeutische Hilfen.
• Appell an die Eigenverantwortung gewaltbetroffener Frauen
Einige Befragte berichteten, den Frauen im Gespräch auf der Behörde die Notwendigkeit der Beantragung von Gewaltschutzmaßnahmen zu verdeutlichen. Einer von ihnen gibt den Frauen zu verstehen:
„Was nützt es euch wenn wir jetzt als Ortspolizeibehörde tätig werden – für 14 Tage und anschließend geht das Spielchen wieder von vorne los! Und da müsst ihr euch dann selber auf den Weg machen, SELBER die notwendigen – den notwendigen nächsten Schritt unternehmen, zum Amtsgericht zu gehen.“ (OPB 5, Abs. 9)
Gewaltbeendigung geschieht dieser Auffassung zufolge durch den Gang zum Gericht. Ohne diesen – so erklärt der Interviewpartner – zeigt der Platzverweis keine langfristige Wirkung, und die Frauen haben keine Veränderung ihrer Lebenssituation zu erwarten. Er signalisiert ihnen, dass polizeiliche Maßnahmen das „Spielchen“ häusliche Gewalt nicht beenden können. Dieser Konstruktion entsprechend sind Frauen Mitwirkende in einer Paardynamik, welche immer wieder zu Gewalt führt. Durch das Festhalten an der Beziehung und die Ablehnung gerichtlicher Schritte halten sie das Spiel aufrecht. Hörbar wird in dieser Formulierung Unverständnis und Kritik an Frauen, welche ihre Partnerschaften beibehalten wollen. Vermeiden sie den für den Befragten unumgänglichen Schritt zum Gericht, tragen sie selbst Verantwortung für die seines Erachtens zwangsläufige Fortsetzung von Gewalt.
• Appelle zur Veränderung gegenüber Tätern
Auch wenn sich diese Arbeit auf das professionelle Handeln gegenüber Frauen als Opfer häuslicher Gewalt bezieht, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die Mitarbeiter/innen der Ortspolizeibehörden ebenfalls davon berichteten, auch Veränderungen bei Tätern anstoßen zu wollen. Hier ist insbesondere ihr Bestreben zu benennen, uneinsichtigen Männern das Unrecht ihres Gewalthandelns nahezulegen. Durch ihre Verpflichtung zur Anhörung des Täters werden sie ihren Beschreibungen zufolge nicht selten mit Rechtfertigungen für die Gewalt bis hin zu einem Wunsch nach Bestätigung der Unausweichlichkeit des gewaltvollen Handelns konfrontiert. Sie gaben an, diesen Männern gegenüber unmissverständlich klarzustellen, dass Gewalt mit keinen Argumenten zu entschuldigen sei, und sie die Verantwortung für ihr Handeln zu tragen haben. Sie versuchen in ihren Ausführungen beim Täter Einsicht in das Unrecht seines Handelns zu schaffen.
In den Anhörungen zeigt sich den Beschreibungen zufolge jedoch auch eine Vielzahl an zum Teil massiver Lebensproblematiken der Täter, wie Selbstwertprobleme, Lebenskrisen, Suchtproblematiken oder eigene Opfererfahrungen, aus welchen die Verwaltungsfachkräfte auf einen hohen Bedarf an Hilfe schließen. Zudem offenbaren sich ihnen in den Anhörungen der Beteiligten gelegentlich extreme Paarkonflikte, welche ihnen eine Polarität von Täterund Opferrollen fragwürdig erscheinen lässt. Auch wenn sie sich in diesen Fällen auf das Unrecht von körperlicher Gewaltausübung konzentrieren und diese Einschätzung beibehalten, nehmen sie dennoch einen „Hilferuf“ (OPB 2, Abs. 88) der Männer wahr und legen ihnen die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung nahe. Die Expert/innen bemängeln einhellig das Fehlen eines pro-aktiven Zugangs von Beratung auf Täter sowie eine zu selten erteilte gerichtliche Auflage von Täterberatung, da ihrer Einschätzung nach Männer hinsichtlich der selbständigen Inanspruchnahme professioneller Hilfen hohe Barrieren zeigen.