Das Erleben des Platzverweises gewaltbetroffener Frauen aus Sicht der Beraterinnen
Die Beraterinnen wurden nach ihren Eindrücken gefragt, wie Frauen den Platzverweis erleben und welche Aspekte dieser Maßnahme sowie seiner Folgen auf sie bebzw. entlastend wirken. Den Hintergrund für diese Frage bildete die Vorannahme, dass spezialisierte Opferberatung das Erleben des Platzverweises durch die Frauen zu einem zentralen Ausgangspunkt nimmt. Angenommen wird, dass Beratung in Abhängigkeit der Situation, welche der Platzverweis für die einzelne Frau schafft, gestaltet wird. Dieser Fragenkomplex will also die Bilder der Beraterinnen über die Situation, in der sich Frauen während eines Platzverweises befinden, in Erfahrung bringen.
Ein Aspekt, welcher diesen Ausführungen vorangestellt werden soll, ist der des von den Beraterinnen wahrgenommenen geringen Bekanntheitsgrades des Platzverweises. Die Klientinnen hatten den Berichten der Interviewpartnerinnen zufolge vor dem Polizeieinsatz mehrheitlich keine Kenntnis von dieser täterorientierten polizeilichen Intervention. Wenn eine Vorinformation über den Platzverweis bestand, dann in der Regel nur vage, und die Beraterinnen berichteten von Zweifeln der Frauen im Vorfeld, ob die Polizei tatsächlich von diesem Mittel Gebrauch machen würde. Zwei berichteten von einzelnen Klientinnen, die über den Platzverweis vorab gut Bescheid wussten. Den Erzählungen zufolge handelt es sich insbesondere um jene, zu deren Schutz bereits in der Vergangenheit schon einmal ein Platzverweis ausgesprochen wurde. Informierten Frauen ist ihren Angaben entsprechend bewusst, dass der Ruf der Polizei einen Platzverweis zur Folge haben kann. Sie „kalkulieren“ (B 4, Abs. 5) ihn ein oder treten gezielt mit dem Wunsch nach dieser Maßnahme an die Polizeibeamt/innen heran. Der Erfahrung der Beraterinnen entsprechend schien der Platzverweis aber für die meisten ihrer Klientinnen „völlig neu“ (B 1, Abs. 3) zu sein.
In ihren Beschreibungen dominiert die Einschätzung des Platzverweises in seiner Wirkung auf die Frauen als „positives Erlebnis“ (B 2, Abs. 5). Die Frauen zeigen sich den Schilderungen entsprechend „zufrieden“ (B 2, Abs. 5),
„froh“ (B 3, Abs. 11) und „erleichtert“ (B 5, Abs. 3; B 1, Abs. 11) darüber, dass der Partner im Zuge eines Gewaltereignisses der Wohnung verwiesen wurde. Im Folgenden wird konkretisiert, auf was die Beraterinnen dieses positive Erleben genau beziehen und welche belastenden Aspekte sich daneben finden:
• Der Platzverweis setzt eine „gewisse Zäsur“ (B 3, Abs. 21) in einen gewaltbelasteten Alltag
Der Aspekt der Zäsur, welchen die Beraterinnen aufgreifen, bezieht sich auf die Unterbrechung eines von Gewalt geprägten Alltags durch den Platzverweis. Die Konstruktion der Gewaltdynamik, die diesen Beschreibungen zugrunde gelegt wird, ist die einer fortwährenden Gefährdung, in der Frauen leben. „Permanente Belastung“ und „permanente Angst“ (B 4, Abs. 13) prägen diesem Bild entsprechend die Befindlichkeit der Frauen. Ihre Konzentration richtet sich vollständig darauf, Stimmungen des Mannes, welche auf eine bevorstehende Eskalation hinweisen könnten, zu erkennen. Dadurch sind in der Vorstellung der Befragten Fähigkeiten der Frauen, über das eigene Leben nachzudenken, nach Auswegen aus der Gewalt zu suchen und zu handeln, verschüttet. In dieser Konstruktion sind gewaltbetroffene Frauen Gefangene, welche ohne Unterbrechung von außen kaum Ressourcen haben, ihre Situation zu erkennen, geschweige denn etwas an ihr zu verändern. Und ein solcher „Schnitt“ (B 4, Abs. 9) wird nach Ansicht der Befragten durch den Platzverweis gesetzt. Die Beraterinnen berichteten von einer „Ruhe“ (B 4, Abs. 3, 13; B 2, Abs. 13; B 1, Abs. 17, 31), die durch den Platzverweis einkehrt und von ihren Klientinnen sehr geschätzt wird. Frauen erzählen ihnen in der Beratung „endlich wieder schlafen“ (B 4, Abs. 13) und das ZuhauseSein „einfach nur genießen“ (B 1, Abs. 17) zu können. Die „Ruhe“ – so lässt sich interpretieren – bezieht sich darauf, dass der Kontakt zum Partner durch den Platzverweis unterbunden ist und sich dadurch Angst und Anspannung zeitweise lösen können. An diesen Aspekt knüpft der folgende an:
• Der Platzverweis als Chance bzw. als Herausforderung, sich mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen
Durch die Minderung von Angst und Anspannung haben Frauen entsprechend der Beschreibung der Beraterinnen nun Zeit „zum Durchatmen“ (B 4, Abs. 13) und „zu überlegen, was sie denn nun machen wollen“ (B 2, Abs. 3). Diese Option, in einer relativ beruhigten Situation über den Verlauf des eigenen Lebens nachdenken zu können, wird von den Beraterinnen hauptsächlich als ein entlastendes Moment beschrieben. Auf der anderen Seite berichteten zwei, dass für viele Klientinnen das Nachdenken können auch oder mehr ein Nachdenken „müssen“ (B 4, Abs. 49) bedeutet. Sich während dem Platzverweis mit der Partnerschaft und dem eigenen Leben auseinanderzusetzen ist Chance und Herausforderung zugleich. Der Druck entsteht dem Verständnis einer Beraterin zufolge durch die oben genannte Zäsur von außen, welche an sich schon einen „gewissen Aufforderungscharakter“ (B 4, Abs. 9) beinhaltet, aber auch durch das Öffentlich-Werden der Gewalt. Sie beschrieb zu letzterem:
„Gelegentlich empfinden Frauen diese Öffentlichkeit, die sie hergestellt haben, und ich bin dann ja auch ein Teil dieser Öffentlichkeit, schon auch als Drucksituation. Also nicht immer nur in ihrem eigenen Saft schmoren zu können und so weiterzumachen, sondern jetzt guckt da jemand mit ihnen hin. Ja?“ (B 4, Abs. 49)
Dieser Idee wird das Vorstellungsbild eines Typs gewaltbetroffener Frauen zugrunde gelegt, für welchen institutionelle Unterstützung zur Veränderung zunächst kein erstrebenswertes Ziel darstellt. Vielmehr steckt in der Verwendung der in ihr Gegenteil verkehrten Redewendung „im eigenen Saft schmoren zu können“ [1] die Vorstellung, dieser Typ Frauen will über den Polizeieinsatz hinaus im Grunde keine Einmischung in die eigene Lebenswelt. Es besteht kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit Sichtweisen, Handlungsempfehlungen oder Hilfsangeboten Dritter – zumindest nicht solcher, die nicht mit der eigenen Anschauung übereinstimmen. Letztendlich wollen diese Frauen dieser Konstruktion entsprechend „so weitermachen“ wie bisher, und dies scheint in der Vorstellung der Befragten ohne jegliche Aussicht auf eine Änderung der Gewaltproblematik.
Im obigen Zitat kommt weiterhin zum Ausdruck, dass diesen gewaltbetroffenen Frauen aber die Ablehnung von Einmischung der am Platzverweis beteiligten Institutionen verwehrt ist. Häusliche Gewalt ist nun öffentlich, und die beteiligten Akteure ermitteln, stellen Fragen, bieten Hilfe an und fordern zum Handeln auf. Die Opferberatung als ein Teil der Öffentlichkeit wird in diesem Zitat näher ausgeführt: Sie ist als dieser „jemand“ beschrieben, der nun mit diesen Frauen – ungeachtet deren Willens – „hinguckt“. Dieses Mit-ihnenHingucken kann als das Aufgreifen und kritisches Reflektieren der Perspektive der Frau interpretiert werden. Eigene alternative Deutungen über die Lebenssituation der Frau sowie die Gewaltproblematik werden in der Beratung angeboten, und zu einer Auseinandersetzung aufgefordert. Im eigenen Saft zu schmoren wird nicht mehr akzeptiert. Sehr deutlich kommt hier das Handlungsmuster der Einmischung zur Sprache.
• Der Platzverweis löst Schuld und Hilflosigkeit
„Bei manchen ist es das erste Mal, denk ich, so dieses Klick machen, ich bin nicht im Unrecht oder ich hab keine Schuld, sondern da kommt jemand und der sagt: „Der Mann macht was Unrechtes, der hat Schuld“, und ich denk: Erleichterung. Ja? Also es schwenkt so um, es schwenkt so um, ich bin ja gar nicht so ohnmächtig, sondern ich könnt auch was bewegen, oder ich hab damit schon was bewegt, dass ich die Polizei angerufen hab. Ja ich denk diese Ohnmächtigkeit wird da ein Stück weit durchbrochen bei den Frauen ja. (...) ob letztendlich was draus wird, ist die andere Frage, aber so eine kleine Erschütterung ist schon da. Sowohl bei den Frauen, als auch bei den Männern.“ (B 1, Abs. 11 / 15)
In dieser Passage werden die Aspekte Schuld und Ohnmacht innerhalb der zugrunde liegenden Konstruktion eines Typs gewaltbetroffener Frauen besonders herausgestellt: es sind Frauen, die sich für die Gewalt im Vorfeld schuldig fühlen und an ihrer Schuld nicht zweifeln. Außerdem jene, welche nicht glauben, dass irgendein Handeln von ihnen eine positive Wirkung haben könnte. Diesbezüglich wird dem Platzverweis, mehr noch der Inverantwortungnahme des Täters für die Gewalt und dem konsequenten Handeln der Polizei, eine hohe Wirkung zugesprochen. Die Interviewte beschreibt die Erfahrung einer spontanen Erkenntnis mancher Frauen durch die klare Botschaft der Polizei des Unrechts von häuslicher Gewalt: Sie sind nicht schuld, sondern der Mann handelt unrecht; sie sind nicht ausschließlich ohnmächtig, sondern können durchaus etwas bewegen. Wird zuerst durch Beschreibungen wie: „Klick machen“ oder „es schwenkt um“ eine Wandlung der eigenen Realitätskonstruktion der Frau beschrieben, so schwächt die Befragte es sofort wieder ab: Die spontane Erkenntnis festigt sich nicht dergestalt, dass Frauen ihr Verhalten als Konsequenz daraus verändern, es bleibt aber eine „kleine Erschütterung“. Überzeugungen über die eigene Schuld und Gefühle der Ohnmacht können dieser Einschätzung entsprechend durch ein konsequent täterorientiertes Handeln der Polizei, welches gegenteilige Botschaften enthält, aufgebrochen werden. Diese Botschaften vermitteln in dieser Darstellung einer Frau überhaupt eine Idee von einer anderen Sicht auf Schuld und einer potentiellen Handlungsmächtigkeit.
• Manche Frauen fühlen sich für den Platzverweis verantwortlich
Mehrere Befragte berichteten von der Auffassung vieler ihrer Klientinnen, sie hätten den Platzverweis „in die Wege geleitet“ (B 3, Abs. 23). Weil sie die Polizei riefen und/oder weil sie die Polizist/innen vor Ort nicht von der Maßnahme abzuhalten versuchten, betrachten sie sich letztendlich als die Initiatorinnen des Platzverweises. Diese Zuschreibung kann nach ihrer Aussage belastende Auswirkungen für die Frau haben:
„Die meisten Frauen – oder alle fühlen sich eigentlich am Anfang mitschuldig, das ist sicher auch das belastende Moment, dass die Frauen sagen „okay jetzt werde ich zum Ersten Mal aktiv, und es passiert etwas, und es passIERT aber auch auf meine VERANLAssung“. Da entsteht bei vielen auch Unsicherheit: „ist das auch richtig, habe ich auch richtig gehandelt, darf ich das?“ Und wo MEINE Funktion dann einfach ganz ganz stark die ist, die Frauen zu stärken und den Frauen zu sagen: „das IST richtig, Sie dürfen das und Sie sollen das.“.(B 5, Abs. 5)
„Ambivalenz“ (B 4, Abs. 3) gegenüber dem Platzverweis wird von den Beraterinnen als Folge beschrieben: Die als positiv erlebten Aspekte des Platzverweises werden durch Unsicherheit und Schuldgefühle getrübt: Unsicherheit gegenüber der Richtigkeit ihres Handelns, eine staatliche Instanz zu rufen und es zuzulassen, dass diese täterorientiert handelt sowie Mitschuld an den negativen Konsequenzen des Platzverweises für den Mann. Zum Ausdruck kommt hier die Auffassung, bei welcher der Ruf der Polizei zum eigenen Schutz für die Frauen mit belastenden Gefühlen verbunden ist. Durch die Übernahme einer gewissen Verantwortlichkeit für den Ausspruch der Maßnahme haben sie das Gefühl, ihm geschadet zu haben. Diesem Bild entsprechend orientieren sich Frauen stark an der Befindlichkeit des Mannes. Sie befürchten, dass die Nachteile, die sich für ihn aus der Wegweisung ergeben, schwerer wiegen könnten als die Beeinträchtigungen, welche sie als Leidtragende der Gewalt erfahren. Selbstvertrauen und eine Wertschätzung der eigenen Person scheinen dieser Konstruktion entsprechend bei gewaltbetroffenen Frauen häufig wenig ausgeprägt zu sein. Sie suchen in der Beratung die Bestätigung, dass es richtig war, die Polizei gerufen zu haben, und eine Entlastung von Zweifeln und Schuldgefühlen.
• Der Platzverweis bedeutet eine Fülle an Terminen unter Zeitdruck
Im Zuge des Platzverweises haben Frauen häufig eine Vielzahl an Terminen zu unterschiedlichen Institutionen und Einrichtungen wahrzunehmen. Dabei handelt es sich zum einen um Kontakte zu Polizei, Ortspolizeibehörde, Opferberatung und Jugendamt. Parallel dazu werden zum Zweiten in Abhängigkeit des Verletzungsund Gefährdungsgrades, der finanziellen Situation sowie der persönlichen Wünsche weitere Termine notwendig: bei Ärzt/innen, Rechtsanwält/innen, Gerichten, Arbeitsagenturen oder Sozialämtern. Viele Frauen gehen zudem aus diesen Kontakten mit verschiedenen Aufträgen hinaus und müssen diverse Erledigungen tätigen.
Die Beraterinnen beschrieben diese Fülle an notwendigen Kontakten zu Institutionen als „stressig“ (B 1, Abs. 27; B 3, Abs. 90), ein „Gerenne“ (B 2, Abs. 101). Besonders anstrengend ist diese ihrer Beobachtung nach für Frauen, welche erwerbstätig sind, kleine Kinder haben, hoch gefährdet sind und/oder während des Platzverweises die Trennung in die Wege leiten wollen. Belastende Momente – von der Beanspruchung durch den Zeitund Organisationsaufwand zur Wahrnehmung dieser Termine einmal abgesehen – kann nach Darstellung der Befragten zum einen die Notwendigkeit des Erzählen-Müssens gegenüber vieler dieser Stellen erlebt werden. Die Frauen müssen ihre Anliegen begründen und dabei mehr oder weniger ausführlich die Gewalterfahrung offenlegen. Das Unangenehme liegt dabei der Deutung der Beraterinnen zufolge in der Scham, vom Partner Gewalt erfahren zu haben. Nun sind sie gezwungen, zur Durchsetzung ihrer Interessen diese Erfahrung vielfach öffentlich zu machen. Zum Zweiten wurde von Frauen berichtet, für welche die Aufgabenverteilung zwischen Polizei und Ortspolizeibehörde eine Belastung und ein Ärgernis darstellt. Es istihnen unverständlich, dass sie kurz nach dem Polizeieinsatz und der Vernehmung auf dem Polizeirevier die Ortpolizeibehörde aufsuchen und ihre Geschichte nochmals darlegen müssen. Als ein drittes belastendes Moment wird die Befürchtung von Frauen beschrieben, sie könnten die Anforderungen nicht bewältigen, welche mit einem Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz verbunden sind. Belastend für diese scheint dabei die Sorge zu sein, nicht alle Erfordernisse, welche ein zivilrechtlicher Antrag aufwirft, in der kurzen Zeit des Platzverweises erfüllen zu können. Eine Befragte führte das Gefühl der Belastung auf eine „lange Phase der Hilflosigkeit“ (B 5, Abs. 19) zurück. Frauen haben nach diesem Deutungsmuster das Zutrauen in die eigene Handlungsmächtigkeit weitgehend verloren. Die vielen Termine und Kontakte werden jedoch nicht nur in ihren belastenden Aspekten beschrieben. Eine Beraterin unterstrich in ihren Ausführungen auch die positive Seite der Vielzahl an tätig werdenden Institutionen:
„In der Regel ist es eher so, dass sie sich dadurch ernst genommen fühlen, dass sie merken, sie bekommen auf einmal auch eine Bedeutung, es gibt Menschen und Institutionen, die haben den Blick auf sie, sie kümmern sich, und es wird ihnen wirklich Aufmerksamkeit zuteil. Und das ist für viele Frauen, das würde ich sagen, das Gros der Frauen erlebt das eher als Bestätigung und auch als eine Form der Zuwendung. Für viele sogar das erste Mal.“ (B 4, Abs. 29)
Weniger als Belastung, sondern vielmehr als eine Vermittlung von „Aufmerksamkeit“, Bedeutsamkeit und Sorge tragen wird die Vielzahl an Institutionenkontakten für Frauen hier gedeutet. Nun wird ihnen durch die verschiedenen Akteure soziale Wertschätzung zuteil, welche viele von ihnen ihrem Vorstellungsbild entsprechend noch nicht in ihrem Leben erfahren haben.
• Die fragliche Sicherheit durch den Platzverweis
Bei der Frage nach dem Erleben des Platzverweises wird der Aspekt der Sicherheit während der Verweisung von den Interviewten selten und wenn, dann knapp erwähnt. Es kann jedoch angenommen werden, dass in der mehrfach verwendeten Bezeichnung einer „Ruhe“ durch den Platzverweis zumindest ein gewisses Gefühl an Sicherheit eingeschlossen ist. Ruhe, so wird mehrfach erläutert, entsteht für die Frauen dadurch, dass der Mann „erst mal weg“ (B 2, Abs. 13) und dadurch die „Angst etwas zurückgedrängt“ (B 4, Abs. 13) ist. Angst hat sich demnach durch den Platzverweis nicht vollständig aufgelöst, sie bestimmt aber nicht mehr das Hier und Jetzt.
Mehrere Aspekte werden in den Interviews hörbar, welche hervorheben, dass bei vielen Frauen das Empfinden von Sicherheit durch den Platzverweis deutlich eingeschränkt ist. Zum einen wird von Klientinnen berichtet, welche nicht gänzlich darauf vertrauen, dass der Mann sich tatsächlich an den Platzverweis hält. Es bleibt diesbezüglich eine „Restunsicherheit“ (B 4, Abs. 7) bestehen. Andere Frauen befürchten zum Zweiten, dass der Mann „überzogen“ (B 3, Abs. 23) reagieren könne, und sie spätestens nach Ablauf des Platzverweises noch stärker gefährdet sind als zuvor. Auch wird von Migrantinnen muslimischer Kulturkreise berichtet, welche erhebliche Sanktionen befürchten, weil sie durch den Ruf der Polizei mit der Tradition, Probleme innerhalb der Familie zu lösen, gebrochen haben und dadurch des „Verrats am Mann“ (B 4, Abs. 15) schuldig geworden sind. Diese Befürchtungen resultieren nach Aussage der Befragten wiederum aus der Deutung der Situation der Frau, sie hätten den Platzverweis in die Wege geleitet.
Viele Frauen erfahren durch einen positiven Kontakt zur Polizei der Deutung einer Beraterin entsprechend „zum Ersten Mal so was wie ein Stück Sicherheit, ein bisschen ein Strohhalm“ (B 5, Abs. 3). Klientinnen äußerten ihr gegenüber, dass ihnen das Gespräch mit der Person der Sonderzuständigkeit für häusliche Gewalt „so gut getan“ (B 5, Abs. 3) habe, denn sie erlebten, dass sich die Polizei kümmert. Hier zeigt sich die Konstruktion eines Typs von gewaltgeprägten Partnerschaften als Beziehungen mit einer hohen und beständigen Gefährdung für die Frau. Diese Frauen verfügen kaum über Möglichkeiten zur Stärkung der eigenen Sicherheit; es bedarf der Einwirkung mächtiger Institutionen von außen. Die polizeiliche Intervention, mit der Metapher des „Strohhalm“ belegt, beschreibt sie in der akuten Situation als Rettung. Der Halt, den ein Strohhalm geben kann, ist jedoch äußerst gering. Die durch die Polizei hergestellte Sicherheit bleibt fragil und ist allenfalls eine erste Stufe auf dem Weg zu einer beständigen und stabilen Sicherheit.
Insgesamt wird in den letzten Ausführungen deutlich, dass die Beraterinnen, abgeleitet aus ihren Wahrnehmungen wie Frauen den Platzverweis erleben, dieser Maßnahme eine hohe positive Wirkung zusprechen. Der Platzverweis setzt ihrer Einschätzung entsprechend eine für die Frauen wichtige Zäsur in eine von Gewalt geprägte Partnerschaft. Frauen erleben das Eingreifen und Handeln der Institutionen als Wertschätzung und Stärkung ihrer Person. Das Sicherheitsempfinden während des Platzverweises wird gestärkt, wenngleich Angst und ein Gefühl latenter Gefährdung fortbestehen. Dem Platzverweis wird das Potential zuerkannt, Angst und Anspannung, Erstarrung und Ohnmachtgefühle, welche sich ihrer Konstruktion entsprechend häufig bereits über eine längere Zeit verfestigt haben, zu mildern. Er hat für viele Frauen eine befreiende Wirkung, denn er schafft eine Situation, in der es Frauen überhaupt erst möglich wird, über ihr Leben nachzudenken, andere Erkenntnisse hinsichtlich der Schuldfrage an der Gewalt zu erfahren und eventuell neue Wege einzuschlagen. Gleichzeitig beinhaltet der Platzverweis eine Aufforderung an die geschützten Frauen, eine Entscheidung hinsichtlich des Fortbestandes der Partnerschaft zu treffen. Damit stellt der Platzverweis für die Frauen auch eine Herausforderung dar, welche als Krise erlebt werden kann.
- [1] Geläufig ist die Redewendung als „jemanden im eigenen Saft schmoren zu lassen“, was bildlich für jemanden alleine lassen, hinhalten und Hilfe verwehren verwendet wird.