Ausrichtung der Erstberatung durch Beratungsstellen freier Träger im Erleben der Frauen

Sechs der zwölf Frauen, welche von Beratungsstellen in freier Trägerschaft beraten wurden, nahmen eine länger währende Begleitung in Anspruch. Sie schätzten die Möglichkeit des regelmäßigen Kontaktes sowie den Zugang zu Rat und Hilfe in Zeiten des Umbruchs der Lebenssituation, welcher in der Regel neue Probleme und Fragen aufwarf.

„Da gehe ich weiterhin hin, ich bin immer noch dort. Ja das hilft mir auch ehrlich gesagt ganz arg viel. Einfach nur so hingehen und sprechen, erzählen und – und die Meinungen hören, weil manchmal denk ich bin ich jetzt blöd oder sehe ich das jetzt nur so oder.“ (2-F 11, Abs. 24)

Für diese Befragte war die Möglichkeit hilfreich, regelmäßig mit der Beraterin zu sprechen und deren „Meinungen“ zu ihren aktuellen Themen und Fragen einzuholen. Diese Hilfe verband sie mit Beratung, nicht jedoch mit Therapie, die sie für sich an anderer Stelle des Interviews ausdrücklich ablehnte. Eine andere Befragte nutzte zunächst ein Erstgespräch im Zuge des Platzverweises und nahm zu einem späteren Zeitpunkt nochmals Kontakt mit der Beraterin auf:

„Das war das Thema mit dem alleinigen Sorgerecht, was soll ich machen und wie soll ich mich verhalten, da ist sie dann auch zu mir hergekommen, also echt super Frau, in dem Fall muss ich wirklich sagen, die ist echt da gibt's gar nix. Ja, echt okay. Und was fanden Sie da wichtig an dem Kontakt oder was hat Ihnen besonders geholfen? Ja dass man sich einfach verstanden fühlt. Wenn man jetzt so mit seinen Freunden drumrum spricht, die verstehen einen dann schon oder tun einen auf Mitleid irgendwie, aber geholfen ist einem in dem Fall dann nicht, man muss dann halt wirklich aktiv werden und irgendwas machen, ich kann nicht bloß jammern und sagen, ich will das alleinige Sorgerecht und wieso krieg ich das nicht, das muss da halt echt Hand und Fuß haben. Oder auch dann das zu schreiben dann zum Beispiel gell, dass das was aussagt gell. Also da hat sie mir schon geholfen.“ (2-F 1, Abs. 55-57)

Diese Frau erlebte eine Beraterin, von der sie sich zum einen verstanden fühlt, die zum anderen aber auch weiß, was zu tun ist und sie bei der Durchsetzung ihrer Interessen ganz praktisch unterstützt. Letzteres unterscheidet die Unterstützung der Beraterin von jener durch Freunde. Auf die Frage, ob sie zur Aufarbeitung der Gewalterfahrungen schon einmal eine Therapie erwogen hätte, antwortete sie:

„Im Moment geht's mir gut, aber ganz bestimmt wenn ich so in ein Loch reinfallen täte, ich würde das machen, warum nicht? (...) aber dann echt so, ich würde zur Frau Maier* gehen und sonst nirgends. Weil die kennt meine Situation, und der vertrau ich auch, für mich ist das auch SCHWIERIG, ich rede normal mit einem Fremden da drüber nicht, ist ja klar.“ (2F 1, Abs. 83)

Einen Wechsel der Person für eine therapeutische Aufarbeitung der Gewalt lehnt sie ab, weil sie ihre Gewalterfahrungen weiteren fremden Personen, und seien es auch Professionelle, nicht anvertraut. Ihre Öffnung in der Erstberatung stellt für sie eine Ausnahme von der Normalität des Verschweigens privater Probleme dar. Nun kennt sie die Beraterin, sie ist nicht mehr fremd. Sie „vertraut“ ihr interpretativ im Sinne einer Gewissheit, dass sie sich der Beraterin gegenüber öffnen könnte und mit diesem Thema bei ihr gut aufgehoben wäre. Aktuell sieht sie jedoch keinen Bedarf an Aufarbeitung. Es geht ihr „im Moment gut“ – eine Aussage aus dem Zweitinterview, welches ein Jahr nach Platzverweis, Trennung und Wohnungszuweisung geführt wurde. Im Erstinterview, vier Monate nach dem Platzverweis, bemängelte sie jedoch, dass die Beraterin sie nicht stärker auf das Thema Aufarbeitung „angeschuckt“ (F 1, Abs. 81) habe. Ihrer Beschreibung folgend bewertete die Beraterin ihre damalige Niedergeschlagenheit als einen „Trauerprozess“ (F 1, Abs. 65), für den sie ihr weitere Beratungsgespräche in Aussicht stellte, sollte er länger als ein halbes Jahr andauern. An dieser Stelle weist ihre Erzählung auf eine Diskrepanz in der Einschätzung ihres Bedarfs zwischen ihr und der Beraterin hin: Ihrer Wahrnehmung nach deutete die Beraterin ihre formulierte Niedergeschlagenheit als eine natürliche Reaktion in einem Trauerprozess über das Ende ihrer Ehe. Diese Trauer bedürfe noch keiner professionellen Unterstützung, sondern zunächst der Zeit. Die Befragte selbst hätte sich dagegen weitere Beratungsgespräche gewünscht. Sie hatte den Eindruck, sie musste ihre Niedergeschlagenheit „irgendwo allein verschaffen“ (F 1, Abs. 81). Die Erfahrung der Zurückstellung eines Bedarfs durch die Beraterin, verbunden mit einer gewissen Enttäuschung darüber, schien, wie obiger Zitatausschnitt zeigt, das Vertrauensverhältnis nicht so stark getrübt zu haben, dass sie die Beraterin als Kontaktperson nicht mehr in Erwägung gezogen hätte. Sie knüpfte erneut Kontakt, allerdings nicht wegen Aufarbeitung von Gewalt und Trauer, sondern wegen des Themas ‚Sorgerecht'.

Vom Wunsch nach einer professionell begleiteten Aufarbeitung einer massiven und langjährigen Gewalterfahrung berichtete auch eine andere Frau. Fremdheit der Person spielte für sie keine hinderliche Rolle. Auch war sie beratungsund therapieerfahren. Sie erhielt Empfehlungen von ihrer Beraterin sowie eine Liste niedergelassener Therapeut/innen, konnte jedoch aufgrund fehlender freier Kapazitäten keinen Therapieplatz erhalten.

„Die haben ja auch alle Wartelisten und alles, wissen Sie, ja die eine, (seufzend) weiß ich jetzt auch nicht, die hat mir damals die Frau Kramer* empfohlen, die ist aber dann in Mutterschutz gegangen, und die macht im Jahr gar nichts, bei der steh ich eigentlich auf der Warteliste drauf, so richtig therapiemäßig hat sich da halt auch nichts ergeben, und deswegen bin ich eigentlich auch immer noch zu der Frau Kramer* gegangen, ja, was ich immer noch sagen muss, also das war sehr gut.“ (2-F 24, Abs. 94)

“Eigentlich auf der Warteliste“, und ein „ich weiß jetzt auch nicht” deuten darauf hin, dass sie nun nach einer gewissen Zeit des Wartens auf einen Therapieplatz in ihrem Wunsch unsicher geworden ist. Die Hilfe durch die Beratungsstelle bewertete sie als „sehr gut“, ob und wenn ja, was sie nun darüber hinaus noch braucht, scheint ihr nicht mehr ganz klar zu sein.

Bei zwei weiteren Frauen bestand der längerfristige Beratungsprozess in der Begleitung des Übergangs in ein geschütztes, eigenständiges Leben, wie dies vorab in den verschiedenen Beratungsmodulen dargelegt wurde. Sie beschrieben Beraterinnen, die Abläufe strukturierten, Informationen einholten und Behördenund Gerichtstermine begleiteten. Gleichzeitig standen sie als Gesprächspartnerin für persönliche Fragen und Sorgen bereit, halfen Entscheidungen zu treffen und ermutigten die Frauen auf ihrem Weg.

„...von menschlicher Seite bis juristischer bis moralischer oder in jeglicher Hinsicht gute Gespräche, gute Beratung, qualitativ und nützlich und alles, also sehr gut, sehr gut, wirklich, also ich kann es nicht anders beschreiben.” (F 23, Abs. 36)

Zeigte sich bei sechs Frauen die Ausrichtung der Beratungsstelle auf eine längerfristige Unterstützung zur Bewältigung einer Lebenskrise, so stellt sich die Frage, welche Ausrichtung von Beratung sich aus den Erzählungen jener Frauen herausarbeiten lässt, welche ein solches Angebot nicht nutzten. Drei Frauen berichteten von einem einmaligen Beratungsgespräch, in dem ihr aktueller Bedarf geklärt wurde und sie die für sie relevanten Informationen erhielten. Dem Erstgespräch folgten zum Teil erneut pro-aktiv ein oder mehrere Telefonate zur Klärung spezifischer Fragen. Die drei Frauen erzählten, dass ihnen „psychologische Beratung“ (F 22, Abs. 83) nahegelegt wurde, welche alle drei aus unterschiedlichen Gründen ablehnten. Keine von ihnen äußerte auf die allgemeine Frage, was Einrichtungen im Platzverweisverfahren verbessern könnten, dass eine intensivere Beratung während des Lebensumbruchs für sie sinnvoll gewesen wäre. Sie zeigten sich mit der erhaltenen Hilfe zufrieden. Dies muss auch vordem Hintergrund gelesen werden, dass alle drei Frauen bereits erwachsene Kinder hatten, zu denen sie in einem engen Verhältnis standen und die sie unterstützten.

Zwei Frauen gaben an, in der Erstberatung nicht die Unterstützung erhalten zu haben, die sie sich gewünscht hätten. Eine Mutter zweier Kleinkinder erhielt ein mit Informationen gefülltes Erstgespräch ohne Folgeangebot. Die Informationen waren wichtig, sie hätte sich jedoch mehr gewünscht:

„...dass man halt einfach merkt, es kümmert irgendjemand wie's einem geht. Weil so, wenn man sich selber nicht irgendwo dann meldet, oder die Hilfe dann in Anspruch nehmen will, also von allein kommt auf einen überhaupt niemand zu (...) grad von der Interventionsstelle, wenn die vielleicht noch mal angerufen hätte und gefragt, wie's geht oder ob ich noch irgendwelche HILFE brauch oder Informationen brauch oder das wäre schon nett gewesen.“ (2-F 2, Abs. 95)

In diesem Zitat klingt an, dass sie sich sehr auf sich alleingestellt erlebte. Ein fortgeführtes Interesse an ihrem Befinden, Beistand in einer Situation der Anforderungen sowie ein Angebot weiterer Unterstützung von Seiten der Interventionsstelle hätten ihr auf dem Weg der Trennung gut getan.

Bei der zweiten Befragten schien sich das Angebot an Beratung mit ihren Unterstützungswünschen nicht zu decken. Sie suchte Hilfe für ihren schwer alkoholkranken Mann sowie konkrete Informationen über ihre finanzielle Situation im Fall einer Trennung, die sie für einen späteren Zeitpunkt vorsah, sollte sich ihr Mann keiner Suchtbehandlung unterziehen. Sie erlebte eine Beraterin, die eher um ihren Schutz besorgt schien. Dieses Thema war für sie jedoch nicht von Belang.

Betrachtet man die Erzählungen der Frauen zur Erstberatung durch Beratungsstellen in freier Trägerschaft im Vergleich, so lassen sich drei unterschiedliche Ausgestaltungen ausmachen: zum einen eine Ausrichtung der Beratung auf eine längerfristige und vielseitige Begleitung nach einem Platzverweis. Hier wurde den Beschreibungen der Frauen zufolge von der Beratungsstelle sehr aktiv Kontakt zu den Klientinnen gehalten. Sie berichteten von einer Begleitung der Krise hin zu einer neuen Stabilität im Äußeren wie im Inneren der Frau. Zum Zweiten gab es die erzählten Erfahrungen zu jener Koordinierungsstelle, in denen die Erstberatung auf Ermittlung des individuellen Bedarfs sowie auf die zeitnahe, zum Teil auch niedrigschwellige Weitervermittlung an geeignete Institutionen und Einrichtungen ausgerichtet wurde. Auch hier wurde eine längere Begleitung der Frauen angestrebt – diese wurde jedoch bei einer anderen Beratungsstelle verortet. Eine dritte Ausrichtung der Erstberatung fokussiert den Darstellungen einzelner Frauen zufolge zunächst eine Klärung der Lebenssituation und eine umfassende Information der Frau. Ein längerer psycho-sozialer Beratungsprozess bei der Erstberatungsstelle oder anderswo wurde zunächst nicht angesteuert. Den Beschreibungen der Frauen folgend wurde dieser dann empfohlen und angeboten, wenn sich die äußere Situation wieder stabilisiert habe, die eigenen Selbstheilungskräfte aber die seelische Krise nicht bewältigen konnten.

 
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