Die Chance des Platzverweises: Sowohl gewaltbetroffene Frauen als auch Expert/innen sehen im Platzverweisverfahren das Potential, ein gewaltfreies Leben zu erreichen

In der Platzverweisstudie von Helfferich u. a. wurde bereits deutlich, dass der Platzverweis für viele Frauen nicht nur eine Gewaltsituation beendet, sondern zum Ausgangspunkt für zentrale Lebensveränderungen wird. Mehrheitlich lösten die befragten Frauen ihre Partnerschaft im Zuge des Platzverweises – mit oder ohne Zuhilfenahme des Gewaltschutzgesetzes. Auch wenn die Trennungsphase ihren Berichten zufolge nicht immer konfliktfrei verlief, in Einzelfällen auch mit Drohungen oder Gewaltübergriffen durchsetzt war, erreichten sie ein Ende physischer Gewalt. Für Frauen, welche zur Fortsetzung der Partnerschaft entschlossen waren, bedeutete der Platzverweis eine Stärkung ihrer Position gegenüber dem Mann. Sie nutzten die Maßnahme, um Erwartungen oder Forderungen an ihn zu formulieren und durchzusetzen. In den Interviews zeigten sie sich zuversichtlich, dass sie mit dem Partner zu einem gewaltfreien Leben finden können. Selbst bei ambivalent gebundenen Frauen, die sich gegenüber diesem Postulat eher kritisch äußerten, konnte der Platzverweis – zumindest von außen betrachtet

– eine nachhaltige Zäsur setzen: Trotz emotionaler Verstrickung erwirkten sie vor Gericht Gewaltschutzmaßnahmen oder stellten einen Strafantrag (vgl.: Helfferich u. a. 2004).

Die Untersuchungsergebnisse der vorliegenden Expert/innenbefragung zeigen, dass die befragten Akteure vor dem Hintergrund des Potentials der Gewaltbeendigung handeln. Sie präsentieren den gewaltbetroffenen Frauen den Platzverweis als Chance, nun ein gewaltfreies Leben beginnen zu können. Für die Expert/innen aller drei Berufsfelder bestimmt der Grad an Handlungsmächtigkeit der gewaltbetroffenen Frau, ob sich dieses Potential verwirklichen lässt oder nicht. Insbesondere die Fachkräfte der Polizei zeichneten ein Bild, wonach eine eindrückliche Positionierung der Frau gegenüber ihrem Mann vonnöten ist, um Gewalt zu beenden: Sie soll den Platzverweis nutzen, um die Partnerschaft konsequent zu lösen oder vom Mann das Absolvieren eines Täterprogramms oder einer Psychotherapie mit Vehemenz einfordern. Diese Vorstellung der Expert/innen impliziert, dass eine Frau gegenüber ihrem Mann eine einflussreiche und machtvolle Stellung einnehmen kann und muss. Dass dies nicht allen Frauen möglich ist, wird in ihren Anschauungen bezüglich der Sinnhaftigkeit eines Platzverweises deutlich: Die größte Chance für eine langfristige Gewaltbeendigung wird bei Paaren gesehen, bei denen eine kurze Gewaltgeschichte vorliegt und die Frauen hieraus keine schweren psychischen Beeinträchtigungen davontrugen. Frauen aus schweren Misshandlungsbeziehungen und/oder in Abhängigkeitsverhältnisse verstrickt, können sich in ihren Augen dagegen kaum gegenüber ihrem Mann behaupten. Der Platzverweis schafft hier nur eine kurze Auszeit in einer gewaltbesetzten Normalität. Trotz dieser ungünstigen Einschätzung werden Appelle an die Frau gerichtet, aktiv zu werden und zu handeln. Dies impliziert die Anschauung, dass die Schutzmöglichkeiten des Staates begrenzt sind. Eine Frau muss zu ihrem Schutz handeln. Es bedarf aus der Sicht der Expert/innen einer intensiven Beratung der Frau, respektive Therapie, um ihr Selbstvertrauen und ihre Handlungsmächtigkeit soweit zu stärken. In diesen Fällen werden von Polizei und Ortspolizeibehörde hohe Erwartungen und Wünsche an die Opferberatung gerichtet.

In den Interviews der Berufsfelder Polizei und Ortspolizeibehörde wird deutlich, dass die Akteure genau darauf achten, gegebenenfalls auch vorfühlen, ob Frauen den Platzverweis ernsthaft als Chance zur Veränderung begreifen. Die ihnen greifbarsten Indizien hierfür sind die Mitwirkung der Frau an der Strafverfolgung, ihre aufrichtige Aufgeschlossenheit gegenüber dem Platzverweis und der Opferberatung sowie ihre Erwägung zivilrechtlicher Schutzmöglichkeiten. Dies bestätigen die Erzählungen der Frauen über die erlebte polizeiliche Intervention: Frauen, deren Erzählung den Mustern ‚Polizeiliche Intervention der Fürsorglichkeit' sowie der ‚Polizeilichen Intervention zur Beendigung einer Tyrannei' zugeordnet wurden, erlebten von Seiten der Akteure eine Anerkennung ihrer Gewaltbetroffenheit und Unterstützungswürdigkeit. Ebenso erfuhr ihr bisheriges Streben, Gewalt zu beenden, eine gewisse Achtung, auch wenn ihr Handeln dieses Ziel nicht erreichte. Ganz anders fällt die Wahrnehmung jener Frauen aus, deren Erzählungen den beiden anderen Mustern polizeilicher Intervention zugeordnet wurden. Frauen, welche eine ‚Polizeiliche Intervention der Zurückhaltung' beschrieben, nahmen eine Polizei wahr, die sowohl ihre Gewaltbetroffenheit als auch ihre Unterstützungswürdigkeit nicht anerkannte. Sie erlebten sich mit der Anschauung konfrontiert, dass sie mit Hilfe des Platzverweises keine Not überwinden, sondern eine Besserstellung in Trennungskonflikten erreichen wollen. Die Frauen, die von einer ‚Polizeilichen Intervention zunehmen der Strenge' berichteten, erlebten dagegen eine Anerkennung ihrer Gewaltbetroffenheit. Sie machten jedoch die Erfahrung, dass ihre Unterstützungswürdigkeit im Laufe wiederholter polizeilicher Interventionen mehr und mehr in Frage gestellt wurde. Sie fühlten sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ihnen an einer Veränderung ihrer gewaltbesetzten Lebenssituation nicht ernsthaft gelegen sei.

Die Befragung der Beraterinnen spricht hierzu eine andere Sprache, denn Beratung steht in keiner Verantwortung über den Erlass restriktiver Schutzmaßnahmen. Die Gewaltbetroffenheit und Unterstützungswürdigkeit der Frauen werden hier keiner Prüfung unterzogen, sondern als gegeben betrachtet. Es wird vielmehr zu Beginn der Beratung das Ausmaß an Veränderungsbereitschaft und Handlungsmächtigkeit der einzelnen Klientin eruiert. Die zentrale Frage der Opferberatung dieser Studie lautet: Will sie die Chance des Platzverweises nutzen, um sich aus der Gewaltbeziehung zu lösen? Die professionelle Ausgestaltung der Beratung richtet sich an deren Ergebnis aus. Die Erzählungen der Frauen über ihre erlebten Beratungsmodule bestätigen dies weitgehend, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Mehrheit der Befragten mit Beratungserfahrung sich im Zuge des Platzverweises vom Mann trennte.

 
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